DER GEHENKTE


[67] Der Frager:

Den ich vom galgen schnitt · wirst du mir reden?


Der Gehenkte:

Als unter der verwünschung und dem schrei

Der ganzen stadt man mich zum tore schleppte

Sah ich in jedem der mit steinen warf

Der voll verachtung breit die arme stemmte

Der seinen finger reckte auf der achsel

Des vordermanns das aug weit aufgerissen ·

Dass in ihm einer meiner frevel stak

Nur schmäler oder eingezäumt durch furcht.

Als ich zum richtplatz kam und strenger miene

Die Herrn vom Rat mir beides: ekel zeigten

Und mitleid musst ich lachen: ›ahnt ihr nicht

Wie sehr des armen sünders ihr bedürft?‹

Tugend – die ich verbrach – auf ihrem antlitz

Und sittiger frau und maid · sei sie auch wahr ·

So strahlen kann sie nur wenn ich so fehle![68]

Als man den hals mir in die schlinge steckte

Sah schadenfroh ich den triumf voraus:

Als sieger dring ich einst in euer hirn

Ich der verscharrte .. und in eurem samen

Wirk ich als held auf den man lieder singt

Als gott ..und eh ihrs euch versahet · biege

Ich diesen starren balken um zum rad.[69]

Quelle:
Stefan George: Das Neue Reich. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 9, Berlin 1928, S. 67-71.
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