STATIUS

[104] Der eingeborne durst der sich entlade

Im wasser nur das einst die Samariter

Frau sich von Unserm Herrn erbat als gnade


Bedrängte meinen geist und ihm war bitter

Vergil zu folgen auf gehemmter schwelle

Und unter den gerechten bussen litt er.


Und sieh! wie Lukas schreibt an jener stelle

Als Christ erschien den zweien auf dem wege

Entstiegen grade seiner grabeszelle:


So wurde hinter uns ein schatten rege.

Er blickte abwärts auf die schwärme nieden ·

Wir sahn erst dass er sich zu uns bewege[104]


Als er dies sprach: Brüder · Gott geb euch frieden!

Wir wandten plötzlich uns und von dem meister

Ward ihm der wink der dazu ziemt beschieden


Und so gesagt: Im seligen reich der geister

Werd euch der friede vom wahrhaftigen Horte!

Mich ewig ausgestossenen verweist er.


Wie! rief der und ging weiter bei dem worte ·

Ihr wäret schatten die Gott nicht erreichen?

Wer wies euch seine bahn zu diesem orte?


Der führer sprach: Betrachte diese zeichen!

Du wirst dann sehn · es kommt ins reich der gnaden

Wer die am haupt trägt von des engels streichen.


Doch sie die tag und nächte spinnt am faden ·

Da sie nicht allen hanf vom rocken spannte

Den Klotho ihm wie jedem aufgeladen:


Ist seine seele dir und mir verwandte

Im aufwärtsschreiten nicht allein gekommen

Weil sie nicht unsre art des sehens kannte.[105]


Drum ward ich aus der hölle schlund entnommen

Ihn kundzumachen und noch mehr der kunde

Geb ich soweit ihm meine lehren frommen.


Doch sag wenn du es weisst warum zur stunde

Der berg gebebt · und all einhellig offen

Aufschrieen bis zu seinem weichen grunde?


Mit dieser frage hat er so getroffen

Auch mein verlangen dass ich lindrung leihe

Für meinen durst schon aus dem blossen hoffen.


Jener begann: Kein ding das aus der reihe

Und das entgegen sei den anordnungen

Gibt es zu sehn auf dieses berges weihe.


Frei ist er hier von allen änderungen.

Nur was aus ihm zu sich empfängt die gnade

Dadurch · durch andres nicht sind sie bedungen.


Drum ist kein tau kein reif der ihn belade

Kein hagel und kein schnee und regenschauer

Als bis zur kurzen leiter der drei grade.[106]


Und wolken nicht von eile oder dauer

Und nichts von blitz' nichts von dem Thaumas-kinde

Dess stand auf erden ist ein ungenauer.


Und wie ich sagte dringen keine winde

Als bis zu den drei graden auf nach oben

Wo sich der platz für Petri diener finde.


Wohl wird er unten stark und leicht geschoben ·

Jedoch durch wind der sich im innren hehle –

Ich weiss nicht wie – erzittert er nie oben.


Er zittert hier wenn eine reine seele

Fühlt dass sie steige oder wenn sie strebet

Zur höhe · dann dringt schrei aus jeder kehle.


Das wollen schon sagt dass sie rein entschwebet ·

Das voll von freiheit zu erneutem gange

Die seele fasst · und dieses wollen hebet.


Erst will es recht – doch ist gehemmt vom drange

Den der gerechte Gott · dem wunsch entgegen ·

Beim büssen sezt wie einst beim sündenhange.[107]


Darum hob ich in dieser qual gelegen

Fünfhundert jahr und mehr und eben spürte

Ich freien willen erst nach höhern wegen.


Drum merktest du wie sich die erde rührte

Und auf dem berg der frommen schar choräle

Zum Herrn gewandt dass er bald auf sie führte.


Er sprachs · und wie je mehr der durst uns quäle

Wir mehr empfinden eines trankes letze

So gab er mut mir mehr als ichs erzähle.


Worauf der meister: Nun seh ich die netze

Wie man sich darin fange · wie entfahre ·

Wodurch ihr hier erbebt · was euch ergetze.


Erlaub nun dass ich wer du warst erfahre ·

Und warum du jahrhundertlanger weile

Hier lagst mir deine rede offenbare!..


Zur zeit des guten Titus der im heile

Des höchsten Herrn nahm rache für die sehre

Draus sich das blut ergoss · das Judas feile ·[108]


Des namens meist an dauer meist an ehre ·

Erwiderte der geist · lebt ich nicht ohne

Berühmtheit · doch unkundig noch der Lehre.


Mein singen war von solchem süssen tone

Dass vom Toloser drang nach Rom die kunde

Wo ich geschmückt ward mit der myrtenkrone.


Des Statius name lebt in aller munde ..

Achill besang ich nach dem sang auf Theben

Doch mit der zweiten last stürzt ich zum grunde.


Die nahrung für mein feuer hat gegeben

Das lohen jener gottesvollen flamme

Woran sich viele tausende beleben –


Die Aeneide mein ich meine amme

Und pflegerin im dichten · ohne jene

Wögt ihr mein wirken auf mit einem gramme.


Und um gelebt zu haben im jahrzehne

Vergils geständ ich zu dass einen vollen

Umlauf mehr als er muss mein bann sich dehne![109]


Als diese worte vor Vergil erschollen

Besagte schweigend seine miene: Schweige!

Doch nicht kann alles unsre kraft zu wollen ·


Da der erregung woraus jedes steige

Lachen und weinen folgt mit solcher flinke

Dass es beim wahrsten mann nur mehr sich zeige.


Ich lächelte nur so als ob ich zwinke ..

Der schatten schwieg und forschte · da aus diesen

Sich viel errät · in meiner augen winke.


Sag an! willst du je hier aus den verliesen

Zum ziel – sprach er – was hat dein antlitz eben

Den blitz von einem lächeln mir gewiesen?


Ich halte mich nun zwischen zwein im schweben.

Der schweigt mich · und der will bescheid empfangen.

Ich seufze drauf · und mir wird recht gegeben


Von meinem führer: Sei nur ohne bangen ·

Sprach er zu mir · und melde dem erkunder

Was er dich fragt mit heftigem verlangen.[110]


Worauf ich sprach: Vielleicht nimmt es dich wunder

O geist des altertums dass ich dein spotte –

Doch grössres staunen fasse dich jetzunder:


Der mich hinaufführt aus der untern grotte

Ist eben der Vergil durch den du wagtest

Zu singen deinen sang von mensch und gotte.


Als du nach meines lächelns grunde fragtest:

Kein andrer war der richtige – vermeine:

Es waren jene worte die du sagtest.


Er bog die kniee um des Meisters seine

Zu fassen · doch der sprach zu ihm: Halt inne

O bruder! du bist schein vor einem scheine.


Und der erhob sich: Miss von meiner minne

Daran die ganze glut die mich entfache

Dass ich mich unsrer leerheit nicht entsinne


Mit schatten tue wie mit fester sache.


Fegefeuer · XXI. Gesang.[111]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 104-112.
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