CXIII
DER SCHWAN

[129] An Victor Hugo


1

Andromache · deiner gedenk ich! das flüsschen bescheiden

Und ärmlich – es spiegelte ehdem in seinem schooss

Die mächtige trauer deiner witwenleiden:

Der trügende Simoïs durch deine tränen nun gross


Ist plötzlich in mein fruchtbar gedächtnis gedrungen

An jenem tag auf dem neuen Carrousel ..

Die Stadt wird mir fremd vor lauter veränderungen.

Ein menschenherz ach! verändert sich nicht so schnell.[130]


Ich sehe nur noch im geiste die vielen baracken

Begonnene säulen und fässer am boden umher

Vom wasser der pfützen grün überzogene wacken

Und durch die fenster ein trödel kreuz und quer.


Dort war eine schaubude seltener tiere gewesen ·

Dort kam mir entgegen in kaltklarer morgenzeit

Wo wieder die arbeit erwacht und die rotte der besen

Zum stillen himmel verderbliche dünste speit:


Ein schwan – der fliehend seinen käfig verlassen ·

Mit flossigem fusse das trockene pflaster rieb ·

Das weisse gefieder zog auf den holprigen gassen

Und vor einem bach ohne wasser stehen blieb.


Er badete zitternd in dem staub seine schwingen

Und sprach im gedanken ans blaue heimatgefild:

Wann triffst du mich · blitz! wann wirst du mich · wolke · verschlingen!

Ich sah den elenden · unheilvoll seltsames bild ·


Zum himmel oft · wie der mann in Ovidi gedichten ·

Zum blauen himmel der lächelt mit grausamem spott

Auf zuckendem halse den kopf in die höhe richten

Als wende er sich in bittrem vorwurf an Gott.[131]


2

Paris wird anders · doch meine betrübnis zu mildern

Vermag keine ändrung · gerüst und neuer palast

Und alte vorstadt – alles erscheint mir in bildern

Und meine erinnrungen wiegen wie bergeslast.


Vorm Louvre · wo ein bild mich erschütterte · dachte

Ich an meinen grossen schwan der vorüberschlich

Wie irr und wie die verbannten – erhabne verlachte

Und ewig von sehnsucht zernagte – und dann an dich ·


Andromache der man den grossen gatten entzogen ·

Dem stolzen Pyrrhus wurde als beute dein leib ·

Du über ein leeres grab in verzückung gebogen ·

Du witwe des Hector ach! und des Helenus weib.


Ich denke der negerin zehrung-erkrankt und hager:

Sie watet im schmutze und sucht mit fahlem gesicht

Der strahlenden Afrika glückliche palmenlager

Weit hinter den schranken sich türmender nebelschicht –[132]


Und derer die sich um unwiederbringliches kränken

Das nie .. nie .. und derer die schöpfen am tränenteich ·

Am schmerz wie an einer gütigen wölfin sich tränken ·

Der mageren waisen die welken den blumen gleich.


Im walde worin mein geist in verbannung gesessen

Ertönt eine alte erinnrung mit markigem schall!..

Ich denke an schiffer auf einsamer insel vergessen

Und an die gefangnen · besiegten ... und anderen all!

Quelle:
George, Stefan: Baudelaire. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 13/14, Berlin 1930, S. 129-133.
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