[166] Kopenhagen.
Verwechseln Sie ja das Institut einer Dänischen Gesellschaft zur Aufnahme des Geschmacks nicht mit den clubs, die unter dem Namen deutscher Gesellschaften gemeiniglich beides dem Genie und dem Geschmack eben so verderblich sind, als die Stammwörter derselben der gesunden Vernunft zu seyn pflegen. Die Dänische Gesellschaft hat im Grunde alle Vortheile einer sogenannten Gelehrten-Societät; der liebreichste Beförderer der Künste und Wissenschaften hatte sie nicht nur bey ihrem ersten Ursprunge autorisirt, sondern ihr sogar einen Fond zur Aussetzung der Preise etc. bestimmt, der die Gesellschaft aller der Unanständigkeiten überhob, welche unter andern den Namen einer deutschen Gesellschaft so verächtlich machen; der Sohn und Nachfolger dieses glorwürdigen Königs, der, welches vielleicht das Größte ist, was man zum Lobe eines Monarchen sagen kann, noch keine einzige öffentliche Handlung unternommen hat, die Ihm nicht Ehre machte, hat die von Seinem königlichen Vater bewilligten Rechte und Einkünfte der Gesellschaft erneuert; und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht der glückliche Erfolg, den diese Aufmunterung schon itzt gehabt, Se. Majestät mit der Zeit bewegen sollte, etwas noch Größers für sie zu thun.
Wir haben also abermals einen Beweis von der Seichtigkeit der ehemaligen französischen suffisance, die aus der Abwesenheit eines Gutes so voreilig auf die Unmöglichkeit desselben ihre Trugschlüsse baute. Es ist wahr, wir hatten uns in Dänemark lange nicht um die Erwerbung derjenigen Talente bekümmert, welche uns in dem Worte Geschmack eine sehr entbehrliche Kleinigkeit anzudeuten schienen, weil wir gewohnt waren, sie von Einer Seite – nicht von ihrer vortheilhaftesten, zu betrachten. Wenn der wohlmeynende[167] schlechte Kopf sich von dem eigensinnigen guten Kopf blos darinn unterscheidet, daß jener einen Gegenstand nur einseitig betrachten kann, dieser ihn nur einseitig betrachten will; so ist es begreiflich, wie die Zusammenwirkung beider einen Mangel im Ganzen hervorbringen konnte.
Zwar will ich nicht behaupten, daß dieser Umstand der einzige entscheidende gewesen sey. Die Haushaltung der Natur hat bey allen ihren paradoxen Mannigfaltigkeiten eine gewisse Einheit; sie bestimmt den Gelehrten-Republiken so wie den übrigen Staaten einen Kreislauf der Größe und des Verfalls; die Reihe geht herum, und kömmt, wenn sie Einmal da gewesen ist, nie wieder auf den vorigen Punkt zurück. Ich habe noch von keiner großen Republik gehört oder gelesen, daß sie sich nach ihrem Falle wieder erholt hätte, aber wol von kleinern, die sich auf die Ruinen der ersten empor geschwungen, und den Standort verwechselt haben. Es ist eine Art von Archäenwanderung in aller irdischen Größe, und so scheint sie auch in der Geister-Welt zu seyn.
Wie dem auch sey – so viel ist wol gewiß, daß jetzt der Periode für die schöne Litteratur in Dänemark herannahet, und sich durch alle Cabalen seiner Gegner nicht wird verdrängen lassen, bis er von selbst Abschied nimt. Er geht seinen Weg mit starken Schritten; ich hoffe, Ihnen mehr Merkwürdiges davon schreiben zu können, als Sie vielleicht erwarteten, da Sie diese Nachricht von mir verlangten.
Vorläufig muß ich Ihnen sagen, daß die Dänische Gesellschaft nicht aus jungen rohen Köpfen besteht, die kaum, da sie der Schule entlaufen sind, den Kitzel der Schreibesucht fühlen, wie die Herrchen auf den deutschen Universitäten. Es sind Männer darunter, die zum Theil in ansehnlichen Aemtern stehen, und ihre Schriften werden eben so wenig, als die Schriften der jungen Mitglieder, ohne die strengste gemeinschaftliche Prüfung angenommen. Dieß werden Sie billigen. Ein zweyter Vortheil ist, daß[168] nicht blos die Mitglieder für die ausgesetzten Preise arbeiten können; und das werden Sie gleichfalls billigen.
Die Gesellschaft kündigt sich gleich in der Einleitung zum ersten Bande ihrer gesammelten Schriften mit Anstand und Einsicht an.
»Könnten wir, sagen sie, das glückliche Mittel seyn, solchen Genien aufzuhelfen, die der Mangel an Anführung und Aufmunterung verhindert, zur Reife zu kommen; könnten wir sie zu der edlen Freymüthigkeit erwecken, mit der sich die Wahrheit ausdrücken muß, und ihnen wirksame Empfindung der Schönheit beybringen, welche die Tugend liebenswürdig macht; so würden wir bey der Absicht, die Sprache und den Geschmack zu verbessern, eine noch größere erreichen – die Absicht, emsige und brauchbare Bürger zu bilden.«
Ich eile, Ihnen von der Beschaffenheit dieser Schriften eine nähere Anzeige zu geben.
In dem ersten Stücke des ersten Bandes haben die beiden Preisgedichte von der Seefahrt, und die neue Edda vorzüglich meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich brauche Ihnen wol von der ersten nichts mehr zu sagen, um Ihre ganze Neugierde zu erregen, als daß sie den sel. Tullin, einen gebohrnen Norweger, der vor zwey Jahren als Rathsherr in Christiania verstarb, zum Verfasser hat. Die Gesellschaft macht bey Gelegenheit derselben die Anmerkung, »daß keine Materie für einen Dänischen Dichter wichtiger seyn konnte, als die Schiffahrt, durch welche sich die Nation von den ältesten Zeiten her so viel Ehre erworben, und die den Dänen so eigen ist, daß sie in vielen Jahrhunderten nichts von ihrem Glanze verlohren, noch irgend eines fremden Zusatzes bedürfe, um uns mit andern Nationen im Gleichgewicht zu erhalten. Die Materie, setzen sie hinzu, ist so reich, daß die fruchtbarsten Genien immer etwas zurücklassen werden, was einer weitern Ausführung werth seyn mögte. Die Vortheile, welche die Schiffahrt den Menschen zuwege gebracht, und das genaue Verhältniß, das[169] sie unter den entferntesten Völkern errichtet hat, sind bey einer Abhandlung von der Navigation so wesentliche Stücke, daß der Leser wünschen wird, sie mögten von den beiden Dichtern weniger obenhin berührt seyn.«
In einer Abhandlung – sehr wahr! – aber in einem Gedichte? – Der Leser sey so gut, sie vorauszusetzen, und folge dem Poeten, der ihn auf den Flügeln der Dichtkunst über die ganze Wasser-Scene hinwegführt, ihn mit der Geschwindigkeit der Segel selbst wetteifern läßt.
»Waffne dich, redet Tullin seine Seele an, mit allen Fittigen der Stürme; fliehe dahin, wo sichere Hofnung und Zuversicht fern bleibt, dahin, wo Orkane den Hölen des Todes entspringen, und jeder Minute dem Untergang zuwirbeln.
Schwebe, wo der Geist der Geister in der Geburt der Zeit schwebte, und eine Spur majestätischer Schauer zu rückließ, vor denen der Ruchlose bebt.
Da ist der Ort, wo Lust sich mit Grauen vereinbart. O welch ein Schauplatz! wie tief! wie breit! wie weit! wie oft in neue und seltne Scenen verwandelt!
Das stolze Element sträubt sich unter dem Kampfe der Winde; trotzig erhebt es seinen Rücken, mächtiger wird es niedergedrückt; es braust, sprützet Schaum, bläht sich, tobt, bis Wind und Meer einen treulosen Stillstand erneuern.
Schlummre denn ruhig, meine Seele, im Schosse des Meers! – Aber wie? – Ist Sicherheit verschwunden? Ich sehe das furchtbare Schrecken aus dem Abgrunde emporsteigen; rings um sich eröffnet es der Kühnheit ein Grab.
Ein gewaltiges Kriegsheer von Stürmen zeucht daher aus den verborgnen Hölen; Berge selbst erzittern unter ihrer Wuth; die Drommete der Orkane erklingt durch die Luft, und droht der Erde und dem Meere ein allgemeines Chaos.
O verbirg dich, geängstigter Geist, verbirg dich vor dieser grausamen Scene! Kaum winkt die Hoffnung fernher auf flachen Sandbänken, da schon der Tod neben ihr aus einem grundlosen Grabe sein schwebendes Haupt erhebt.«
(Welch ein Gemälde!)
[170] »Wer sagt dem hohlen Stamm: Trotze dem Sturme! Tritt aufgerichtet auf deinen Kiel, wenn er heult; ruhe auf deinem Gleichgewichte! schreite frech über den Rücken der Wallfische, und tanze unter Delphinen! –
Wer erfand zuerst die Gesetze, denen der Wind ge horcht? Wer zwang die Orkane, Schlösser in ihren Bund zu fassen, und sie pyrenäischen Wogen mit der Schnelligkeit, mit der ein Pfeil von der Sehne springt, zu entführen?
Wer zeichnete den Weg zwischen verborgnen Höhen? Wer lehrte dich mit einem Ruder den Strohm seitwärts lenken? Wer legte dem Sturme einen Zaum an? und nöthigte den Gegenwind, die Bürde weiter fortzuführen?
Was singst du, mein Geist? Wessen Fußstapfen sind diese? Haben Engel hier gewirkt? Haben Teufel hier erfunden? – Nein! sende einen Kundschafter nach der öbersten Spitze der Denkkraft hinauf, und knie dann hin vor dir selbst, du Engel! – Teufel! – Gott!«
Diese letzte Stelle ist in Youngs mystischem Geschmack, zwischen dessen und Popens Genie der norwegische Dichter einen vortreflichen Mittelweg ausgefunden hat. Ich kann meinen Auszug nicht weitläuftiger machen: aber einen großen Dichter, der seiner Materie gewachsen war, werden Sie schon in den angeführten wenigen Zügen wahrgenommen haben.
Es war zu vermuthen, daß er sein Subject mit philosophischem Tiefsinn behandeln würde, und die eingestreuten Betrachtungen, die aus dieser Quelle herrühren, machen den größten Theil des Gedichts aus. Das alexandrinische Sylbenmaaß in elegischen abwechselnden Reimen wird Ihnen misfallen; ich wünschte, daß der Dichter dem Muster der Engländer, die er so gut kannte, gefolgt wäre, und fünffüßige Verse, wie Young und Pope, gewählt hätte, welche der Kürze und Energie der Dänischen Sprache weit angemessener sind.
Dieß englische Sylbenmaaß hat der zweyte Dichter gewählt, gleichfalls mit abwechselnden Reimen. Er hat das Gemälde mit kleinen ethischen Erzählungen abgeändert; allein[171] es fehlt ihm die Kunst, sie mit Verve und Nachdruck zusammen zu drängen, sie durch interessante Züge zu beseelen, sie in ihr vortheilhaftestes Licht zu stellen. Uebrigens herrscht eben der philosophische Youngische Ton darinn, wie in dem vorigen, steht ihm aber an innerer Stärke weit nach.
»Du Hang zum Meere, hebt er an, ungezügelter Geiz; selbst der Ocean kann dir keine Gränzen setzen; stolz trotzest du; kennst keine Schranken; eher soll der Tod deine Gewinnsucht dämpfen.
Das weißschäumigte Meer stürmt umsonst die Warnung: Bleib zurück! – Trotz den Drohungen, den Schrecken, trotz allen Elementen – was hör ich? – antwortest du: – Nur ein Leben! Mich treibt der Muth, und groß ist der Lohn, den ich erwarte. Rase, furchtbarer Sturm, was vermagst du? Jener Fels stürzt nicht ein; er bricht deine Kräfte; mit stolzer Verachtung widersteht er dir trotzig: wie viel sichrer ein Schiff, das nachgiebt? Die leichte Barke, die künstlich auf dem Rücken der schaumweissen Wogen gesteuert wird; schon so mancher gelangte auf ihr zu seinem Ziele; ich sehe meinen Lohn; ich folge dem Versuche Andrer. – Ein geübter Held erblaßt vor keinem Geschoß; Versuch hat die Zagheit gehärtet; mich lockt winkende Belohnung heraus; dir, Woge, vertraue ich mich unerschrocken.
Ach! Wirkung des Keichens nach Staube!« u.s.w.
Und hierauf folgt eine Betrachtung über den Ursprung der Schiffahrt, den der Dichter der Erfindung der Liebe, aber nicht mit der reizenden Phantasie Ihres Geßners beymißt. Sein Liebhaber ist ein bloßer Roman-Held, der sich vor Verzweiflung ins Wasser stürzt, und dem Himmel dankt, daß er zu gelegener Zeit ein Bret findet, sich zu retten. Betrachtungen über den ökonomischen Nutzen der Schiffahrt, und eine seynsollende rührende Erzählung von der unglücklichen See-Reise zweener Freunde, die bald sterben, bald wieder aufleben, machen den Rest dieses Gedichts aus, das ich Ihnen blos wegen der Funken von Genie empfehle, die in wilder Unordnung herumschwärmen, aber mehr Rauch als Flamme verrathen.[172]
Die neue Edda, die in Prose geschrieben ist, preise ich Ihnen ganz besonders an. Der Verfasser hat sich vortreflich in die Idee der alten Edda zu setzen gewußt; seine Schreibart ist edel, reizend, körnigt und blumenreich; und seine Allegorie so schön und unterhaltend, daß Sie sie sicher den besten Addisonschen an die Seite setzen können. Ich müßte dieß Stück ganz abschreiben, wenn ich Ihnen einen hinlänglichen Begriff davon beybringen sollte; daher überlasse ich es Ihrer eignen Lectüre, und gehe weiter1.
Das zweyte Stück enthält ein Stück der Voltairischen Merope in alexandrinischen ungetrennten Reimen, die sich zwar sehr gut lesen läßt, aber das Original weit weniger erreicht, als der Anfang einer gewissen andern Dänischen Uebersetzung, der man, weil sie dem Originale so treu ist, Härte und Unbiegsamkeit vorgeworfen, zum Theil nicht ohne Grund, größtentheils aber, weil man sich von den mancherley Schöpfungen des poetischen Styls, deren die Thomsons, die Youngs, die Akinsides ihre Sprache fähig gemacht, keinen rechten Begriff machen konnte. Dergleichen Revolutionen in der Denkungsart einer Nation müssen erst mit der Länge der Zeit zu Stande kommen. Vielleicht unterhalte ich Sie ein andermal von diesem poetischen Versuche.
Die Glückseligkeit der Thoren in eben dem Stücke, eine Satyre, eine Nachahmung von Boileau, und gewiß keine schlechte. Wenn der Verf. sich die Gabe bekannt machen wird, über seinen Gegenstand nicht Alles zu sagen, nur wenige, nur die feingewähltesten Züge (und annoch an diesen fehlt es ihm nicht,) seines Pinsels würdig zu finden, mehr Mannigfaltigkeit in die Ironie hinein zu legen, und ihr durch neue und originale Wendungen zu Hülfe zu kommen; so wird er der Mann seyn, der unsern Landsleuten[173] an einem attischen und sokratischen Witze Geschmack beybringen kann. Sie werden diese Hofnung nicht zu weit getrieben finden, wenn Sie folgende schöne Stellen lesen:
»Was soll (ward Pyrrhus gefragt) diese große Armee? – Sie soll Italien und Rom unters Joch bringen. – Was mehr? – Sie soll Sicilien erobern. – Nachher? – Mit dem ersten guten Winde nach Carthago abgehn. – Gut, ich merke schon, dabey wird es nicht bleiben; Aegypten wird sich ergeben, Lybien wird sich ergeben. Wir reisen als Sieger von einem Ende der Welt zum andern, bis wir wieder da einkehren, wo wir hergekommen sind. Davon aber war die Rede nicht. Meine Frage war nur, wenn alles das gethan ist, was thun wir weiter? – Dann, mein lieber Cyneas, wollen wir uns, du sollst es sehn, recht lustig machen, wir wollen tanzen, wir wollen springen, lachen – Und blos darum wolltest du alle Welt in Harnisch jagen? Wozu der Lärm, die Zurüstung, wenn du ohne Schwertstreich deinen Zweck erreichen, und dich so lustig machen kannst, als du willst? –
Wenn wir endlich hier durch Schande, dort durch Schaden gewitzigt werden, wenn Frau Weisheit uns zuletzt gnädigst die Augen öffnet: was sehn, was lernen wir für allen unsern Fleiß und Schweiß? Was sagte Sokrates? – Ich weis, daß ich nichts weis! – So danken wir denn schönstens, und kommen gerades Weges wieder zurück, wo wir vorher schon waren, – zur Dummheit.
Noch ist es eine große Seltenheit, wenn wir auf der Reise nicht zugesetzt haben. Denn Geburt und Natur lehren die Thoren doch Etwas, (die nöthigen Wahrheiten sind niemandem zu hoch,) sie lehren ihn Gott fürchten, der großen Landstraße folgen, und Recht und Gerechtigkeit üben. – Wissen wir mehr?
Ich suchte die Weisheit. – Bey diesem Suchen sind mir Dinge ins Gehirn gekommen, die – ich weis nicht, was ich daraus machen soll. So viel weis ich, daß sie mir oft Angstschweiß ausgepreßt haben. Bücklinge, die ich dem Stolz schuldig bin, den ich doch verachte; Dank für erkannte Ränke; Furcht vor dem morgenden Tage; Gelehrsamkeit, Rechtssprüche, Moral, Predigten, Nahrungssorgen, Haussorgen, Lisette – Gott weis, wie alle das Zeug in meinem Kopf Platz findet! Glückseliger Niklas! Der einen Kopf hat, welcher leer ist!« –
[174]
Tullins Gedicht von der Schöpfung im dritten Stücke müssen Sie vor allen Dingen kennen lernen, wenn Sie sich einen Begriff von dem großen Verluste machen wollen, den wir an diesem Dichter erlitten haben. Zum Glück können Sie es in einer deutschen Uebersetzung lesen, die ich, nach einer sorgfältigen Vergleichung mit der Urschrift, den Ebertschen ohne Bedenken an die Seite setze2.
Ich will Ihnen aus dieser Uebersetzung eine einzige Stelle ausschreiben, um Sie auf das Ganze desto begieriger zu machen.
»Welche Reise von hier bis zu jenem Planeten! von diesem hinauf zu jenen bleichen Fackeln! Welcher Anblick, einen Schimmer bis zu Mirakeln aufgeklärt zu finden, die blos ein unerschaffner Geist abmißt und übersieht!
Nimm die Schwingen des Lichts, und fleuch mit ununterbrochnem Fluge ein Weltalter durch von einer Kugel hinauf zu einer andern. Zähle Sonnen und Welten dort, wo vorher nur Sonnen und Punkte standen, und siehe die erste Sonne im Gesichts-Kreise erloschen! Dann denke, dein Flug sey geendet; aber wisse, du hast einen neuen Weg vor dir, wo Heere von Welten wimmeln, einen eben so endlosen, als der war, wo du herkamest. – Allmächtiger Gott! mir schwindelt; auf dieser Höhe der Allmacht sinken alle meine Denkungskräfte.« –
Tullin ist nicht correct: dies hat er mit Young gemein; seine Versification ist blühend, seine Ideen sind malerisch und systematisch: dieß hat er mit Popen gemein; er erlaubt sich mehr lyrische Schwünge, als Pope, mehr Simplicität als Young: dieß zeichnet ihm seinen Weg zwischen beiden aus. – Sie können leicht denken, daß ich eine große Meynung von ihm haben müsse, wenn ich ihm einen so glänzenden Rang anweise; ich läugne es nicht;[175] ich halte ihn für einen der größten philosophischen Dichter, die ich kenne.
Ein anderer Dänischer Poet, der eben diesen Stoff bearbeitet hat, hängt zu sehr an der Declamation; er konnte sich auf den Flügeln der Phantasie nicht so hoch schwingen, als Tullin, darum verweilt er sich bey Descriptionen, bey allgemeinen Betrachtungen, die ganz gut und lesbar sind, denen aber das ingenium gratum, das os magna sonaturum fehlt, um sie zu veredeln. Dieser Dichter heißt Benzon, und hat sich im vierten St., ich weiß nicht, durch welchen Zufall, den Preis ersungen, der unstreitig seinem Rival gebührt hätte. Es ist ein großer Fehler an kritischen Gesellschaften, daß sie gemeiniglich mehr darauf bedacht sind, den Geschmack, als das Genie zu ermuntern. Genie geht nach der Ordnung der Natur vor dem Geschmack her. Dieser Ordnung sollte die Kritik folgen. Zweydeutige Genien, wenn es dergleichen giebt, müssen uns durch die Richtigkeit und Feinheit ihres Geschmacks schadlos halten: Denn wenn man ihnen die Correction nimmt, was bleibt übrig? Aber wahre Genies finden sich nothwendig beleidigt, wenn man sie mit correcten witzigen Köpfen in gleichem Paare gehen läßt, oder sie gar unter die letztern erniedrigt. Und ich wollte doch lieber hundert von der letztern Gattung abschrecken, als ein einzigs von der erstern. Dieß waren meine Gedanken, da ich die beiden Preis-Oden von der Güte, und von der Heiligkeit Gottes las, wovon jene Herrn Benzon, diese Herrn Sandøe zum Verfasser haben. Sie sind zum Abschreiben zu lang3; eine Schwierigkeit, die Sie wol kaum bey Oden vermuthet hätten; lesen Sie selbst, und fragen Sie sich, ob ich zu hart urtheile.
Ich bin Ihnen noch von den übrigen Schriften des dritten Stücks eine kurze Anzeige schuldig. Ein gewisser Severus hatte die Ironie von der Glückseligkeit der [176] Thoren ein wenig zu ernsthaft aufgenommen: er fährt daher in einem zwey Bogen langen Lehrgedichte, worinn Sie aber das attische Salz, das Ihnen jene so schmackhaft machte, vergebens suchen würden, den armen Satyricus ziemlich sauer an, und sucht ihn durch Gründe zu überführen, daß nur die Weisheit glücklich mache, und daß Niklas ein Nichtswürdiger sey, wenn er sich auf seinen leeren Kopf etwas zu gute thut. – Fällt Ihnen hiebey nicht der Magister ein, der dem Zweifler Martin demonstrirt, diese Welt sey zuverläßig die beste?
Der Tempel des Glücks, ein Traum von Joh. Ewald, beweist, daß der Verf. die Träume seiner Vorgänger nicht ohne Nutzen gelesen hat; da ich mich aber erinnere, daß Sie der Träumereyen genug haben, so übergehe ich diesen Traum mit Stillschweigen.
Das vierte Stück ist mit einer merkwürdigen Vorrede eingeleitet. Die Gesellschaft beklagt sich darinn über das strenge Urtheil, das eine kritische Privatgesellschaft in einer periodischen Schrift von einigen ihrer Arbeiten gefällt hatte. Sie haben ohne Zweifel Recht; eine spröde Kritik steht mit den ersten Versuchen einer Nation in keinem guten Verhältnisse: doch glaube ich, daß die große Gesellschaft am wenigsten Ursache gehabt hätte, sich über Sprödigkeit der kleinern zu beklagen; sie selbst ist, wie Sie aus dem Beyspiele des Herrn Sandøe sehen, gegen Ihre Mitglieder noch viel strenger gewesen; und ihre Klage wird durch den großen Vorzug der Correction, den das vierte Stück augenscheinlich vor den vorhergehenden hat, völlig entkräftet.
Sie werden mich fragen, was das für eine Privat-Gesellschaft sey, von der Sie bisher ganz in der Unwissenheit geblieben sind. Ich verspreche, Ihre Frage ein andermal zu beantworten; und begnüge mich dießmal, Ihnen über diese Materie noch einige Gedanken der größern Gesellschaft vorzulegen, damit Sie sehen, daß vernünftige Leute in allen Ländern durch die Uebereinstimmung ihrer Ideen eine Art von Republik unter einander ausmachen.
[177] »Wir bilden uns ein, daß von der freundschaftlichen rathgebenden Kritik der größte und merklichste Nutzen abhange, den das Vaterland von unserm Vorhaben erwarten kann; vornämlich, da wir uns derselben nicht blos gegen diejenigen bedienen, die ausser unserer Gesellschaft sind. Durch sie wird auch unsre eigne Kenntniß, unser eigner Geschmack gebildet, und durch sie werden wir allmählig in Stand gesetzt, andern einen guten Rath zu geben, und sie vor Abwegen zu warnen. Wie große Vorzüge hat nicht diese vertrauliche Kritik vor jener, die öffentlich von Schriften urtheilt, welche dem Publico bereits vor Augen liegen? Zwar ist freylich diese zu Alexanders und Augusts Zeiten fast unbekannte öffentliche Kritik nothwendig und nützlich geworden, nachdem die Erfindung der Buchdruckerey das Schreiben so allgemein gemacht hat. Sie ist eine Wegweiserinn für die Liebhaber der schönen Wissenschaften, um von den herauskommenden Schriften richtig zu urtheilen; sie verbreitet, sie verbessert den Geschmack, indem sie die schöne und schwache Seite guter Bücher aufdeckt. Durch die Züchtigung schlechter Scribenten lernen andere, sich den Augen des Publici mit mehrerer Ehrerbietung darzustellen. Auch die Verfasser selbst können zuweilen dadurch veranlaßt werden, die Fehler, deren sie überwiesen worden, zu berichtigen. Aber wie selten will die gekränkte Eigenliebe sich zurechtweisen lassen! Die öffentliche Kritik gleicht in ihren Wirkungen dem Gerüchte; es ist ein besonderes Glück, wenn Jemand, der Einmal in einen übeln Ruf gekommen ist, Lust und Muth genug hat, sich ernstlich zu bessern. Die getadelten Scribenten gehören entweder zur niedrigsten Klasse, oder nicht. Jene schützen sich mit ihrer Unverschämtheit wie mit einem Panzer, den die schärfsten Pfeile der Kritik nicht durchbohren können; diese nehmen sich den Tadel gemeiniglich so sehr zu Herzen, daß sie die Feder da darüber gar aus der Hand fallen lassen. Sie schweigen, und setzen sich durch ihr Stillschweigen vor neuen Angriffen in Sicherheit. Sollte aber diese Bescheidenheit es nicht geradezu zweifelhaft machen, ob man wirklich Ursache habe, über den Vorsatz eines solchen Autors zu triumphiren? – Der Wind erhöht eine starke Flamme, und tödtet die schwache. Dieselbe Wirkung hat auch eine strenge Kritik in Absicht auf die schönen Wissenschaften. Sie muß sich nothwendig nach dem Zustande des Landes richten lernen, wenn sie nicht, ihrer Bestimmung zuwider, mehr schaden als nutzen soll. Wo die Werke des Geschmacks in ihrem Flore sind, wo[178] man mit vortreflichen Scribenten so wohl versehen ist, daß auch die, die sich dem Mittelmäßigen zu sehr nähern, für schlecht gelten können; da mag die Kritik sich des Ansehens ihres Richteramts ohne Zurückhaltung bedienen! Wo aber jene nur noch im Anwachse stehen, und die zarte Pflanze mit besonderer Sorgfalt erzogen und behandelt seyn will, wenn sie nicht aussterben soll; wo es noch zu früh ist, mit dem Dichter zu sagen:
Si paulum summo decessit, vergit ad imum;
wo die Hoffnung des Gewinnstes oder der Ehre nicht allgemein zum Schreiben ermuntern, und daher die meisten Scribenten bey dem ersten widrigen Anstoße leicht ermüden, da müssen die nöthigen Correctionen so gemildert, mit Lob und Beyfall so versüßt werden, daß gute Köpfe im Tadel selbst Aufmunterung, finden, ihre Laufbahn nur desto feuriger laufen.«
Ueber des Herrn Belloys Trauerspiel Le Siege de Calais finden Sie in diesem St. eine artige neun Bogen lange Kritik, die ich wol ins Französische übersetzt sehen mögte – aber nicht ins Deutsche. Denn Sie sind in theatralischen Werken einer tiefern Kritik gewohnt, als die auf der französischen Oberfläche hängen bleibt.
Popens Versuch über die Kritik in einer gutversificirten Uebersetzung des Herrn Schiermann, eben desjenigen, von dem wir die oberwähnte Uebersetzung der Merope haben, verdient von Ihnen gelesen zu werden. Der Uebersetzer verfährt mit Popen, wie Pope mit seinem Homer: nur mit dem Unterschiede, daß dieser Sie den Dichter, jener aber nur den witzigen und wohldenkenden Kopf wieder erkennen läßt. Doch wollte ich ungerne, daß Sie darum schlechter von Herrn Schiermann urtheilten; ich wünschte vielmehr, daß wir nur viele so gute nützliche Uebersetzungen hätten, als die gegenwärtige ist; wir wollten uns über das verblichne Colorit gerne zufrieden geben.
Brief an mein Kleid ist ohngefähr eine solche Uebersetzung des bekannten kleinen Gedichts von Herrn Sedaine, wie Swifts oder Popens Uebersetzungen es von einigen Horazischen Briefen sind. Der Dänische Verfasser[179] hält sich nur in den Aussenlinien seines Originals; Seele und Farbe sind ihm eigen. Man thut unrecht, wenn man witzige Aufsätze von dieser Art Nachahmungen im strengsten Verstande nennet; es ist ein Wettkampf in den olympischen Spielen; wer von beiden am leichtesten und geschwindesten ans Ziel kömmt, erhält den Preis, er mag zuerst oder zuletzt ausgelaufen seyn. Ich kann Ihnen von diesem artigen Briefe nicht wohl einen Auszug liefern; er würde durch den Mangel der Versification allzuviel verliehren.
Ich war König in Norden, und herrschte über ein Volk, das ich nicht unterjocht hatte. Mein Reich war nicht, wie das Reich der Asiaten, durch List oder Zauberey gestiftet. Meine Väter regierten noch durch freye Wahl und ich durchs Erb-Recht. Die Liebe des Volks erhob sie, und bevestigte mich auf dem Throne. Ich liebte Freyheit, und haßte Unterdrückung; ich ehrte Weisheit und verachtete Ränke; ich hatte die besten Skalden (Dichter) an meiner Tafel; sie folgten mir in den Rath wie ins Gefecht; ich wollte, daß sie schreiben sollten, was sie selbst sähen, nicht was sie von andern hörten. Ich ließ mich in den großen Versammlungen oft sehen; ich war bey allen Opfern zugegen; ich besuchte die Gerichtsstätte fleißig; ich redete mit Jedermann freundlich; und hatte eine so große Gabe, Räthsel aufzulösen, und über verwickelte Streitfragen zu entscheiden, daß die nordischen Völker mehr Zutrauen auf mich setzten, als die zwölf Drotts in Sigruna4.
Der Ruf der Asiaten hatte sich über ganz Norden ausgebreitet; ihre Eroberungen erstreckten sich bis in die Mitte meines[180] Reichs. Ich hörte viel von ihren Unternehmungen reden, glaubte aber nicht alles; meine Väter hat ten oft den Versuch gemacht, sie nicht unüberwindlich zu finden. Ich merkte Betrug in verschiednen ihrer Künste, die die Menge blendeten; aber an einigen ihrer Runen5 fand ich Vergnügen. Ich ließ meine Skalden sie dem Volke erklären, und in Stein graben. Man sagte, es sey in Asien eine Nation von Göttern, wovon sie abstammten, und deren Gesetze und Sitten weit vollkommner als die unsrigen wären. Ich wollte die Wahrheit der Sache wissen, und beschloß, eine Reise nach Asgaard6 zu thun.
Ich sah diese prächtige Werkstatt der Götter, von der die Poeten7 sagen, daß ihre Grund-Säulen Klippen, ihre Mauern Fels-Steine, und ihre Dächer Gold sind. Ich that verschiedne Fragen an Har8 über die Eigenschaften der Götter, über den Ursprung und den Untergang der Welt, über das Schicksal der Menschen nach ihrem Tode, über die Brücke Bidfrost9, auf welcher man zum Himmel empor steigt, wo Alfaders10 Thron und der Sitz der lichten Geister ist, wo die Nornen (Parcen) wohnen, und die Seelen der Gerechten sich freuen ewiglich. Ich fragte nach den himmlischen Städten, Himinburg, Alfheim, Breidablik, Glitner, Gimle11. Ich schmeichelte mir, in ihrer Einrichtung Muster vollkommener und glückseliger Gesellschaften anzutreffen; allein die Antwort, die ich erhielte, war eine dunkle Rede; sie erhitzte meine Neugierde, anstatt sie zu befriedigen, und da ich[181] meine Fragen fortsetzen wollte, erhub sich ein Gewitter, das mich aufweckte; da erkannte ich, daß alles, was ich gesehen hatte, ein Zauberwerk sey.
Ich betrübte mich, und vertrieb die Zauberey aus meinem Reiche. Meine Einbildungskraft war durch ein Gesicht beunruhigt, das mein Verstand nicht erklären konnte; ich ward schwermüthig; ich liebte die Einsamkeit; ich kam selten in die öffentlichen Versammlungen; ich sprach wenig, und verfiel oft in ein gedankenvolles Schweigen. Das Volk liebte und bedauerte mich. Es gab mir durch tausend Merkmaale zu erkennen, daß es mit meiner Regierung zufrieden, und daß meine Schwermuth das Einzige sey, was seinem Vergnügen Eintrag thun könnte. Das Jahr darauf hatten wir eine große Dürre; jedermann weissagte theure Zeiten, und gab nach alter Gewohnheit der Regierung die Schuld. Mein vormaliger Tiefsinn bestärkte sie in ihrem Wahne. Sie glaubten, ich hätte die Götter erzürnt, und da eben damals die Religions-Meynungen in Norden getheilt waren, sahen einige es für eine Strafe der alten Götter an, weil ich die neuen Runen eingeführt, und andere für eine Rache der neuen, weil ich die Zauberey verjagt hatte. Man vergaß das Gute meiner Regierung, und redete allein von meinen Schwachheiten. Man bürdete die Schuld vieler Unfälle, die nicht von mir, sondern vom Schicksal abhingen, mir auf, und tadelte viele meiner Handlungen, die man vorher gelobt hatte. Die Klagen meines Volks vermehrten meinen Kummer. Was aber sollte ich thun? Der Natur konnte ich nicht gebieten, und Zufälle waren nicht in meiner Gewalt. Mein Volk that mir Unrecht: allein ich wußte, daß viele unter ihnen mehr litten, als ich. Ich fing selbst an, es für eine Strafe zu halten: aber zu welchen Göttern sollte ich mich mit meinem Gebete hinwenden, sie abzukehren? Ich beschloß, mich zu dem Höchsten zu wenden, zu dem, den unsre Väter in ihrer Einfalt verehrten, zu dem, den Har selbst nicht läugnen durfte. Ich suchte einsame Oerter, um zu beten. Einst, da die Sonne unterging, sah ich eine kleine Wolke aus dem Meere wallen. Ich stieg auf die Spitze einer Klippe; ich richtete meine Augen auf die Wolke, ich sah sie sich am Himmel ausbreiten, und ich betete.
Erhabenster unter den Göttern, betete ich, mit welchem Namen soll ich dich nennen? Odin? Thor? This?12 –[182] Nein, Alfader ist dein Name. Unter diesem Namen beteten meine Väter dich an, ehe die Asiaten sie fremden Göttern huldigen lehrten; dich allein beteten sie an, der du den Himmel und die Erde aus dem Abgrunde hervorzusteigen gebothest, der du immer lebst, und regierest Alles in deinem großen Reiche, das Kleinste und das Größte. Dich beteten sie an, wer du auch seyst. Bey dir allein, o du, der du von dem bebenden Throne die ganze Welt überschauest, bey dir allein will ich Weisheit und Rath suchen. Ich verlange nicht mehr zu wissen, was du machtest, ehe die Welt erschaffen war, noch die Himmel zu zählen, noch den Abgrund zu messen; ich verlange nicht, das Buch der Schöpfung zu öffnen, die Kette der Natur zu zerbrechen, noch geheime Künste zu erlernen, die mir die Zukunft vorauszeigen, und mir Menschen und Vieh unterthan machen. Ich verlange keine Gewalt, bey der es mir an Weisheit fehlt, sie gehörig anzuwenden. Ich wünsche nicht, wie Odin13, die Augen meiner Feinde blenden, ihre Schwerter stumpfen, noch im Streite unüberwindlich seyn zu können, wofern es anders wahr ist, was die Poeten von ihm erzählen. Er starb zuletzt doch wie andere Menschen, und ich muß sterben. Ist es, wie unsre Skalden sagen, daß du dich genauer vereinigst mit denen, denen du das Schicksal der Völker vertraust; hast du dem Menschen eine Seele gegeben, die ewig leben soll, wenn der Leib vergeht zu Staub und Asche; so heitre diese meine Seele wenn es möglich ist, mit einem Strahle derjenigen Herrlichkeit auf, deren sie sich in der Wohnstatt der lichten Geister erfreuen soll. Sollte sie aber noch zu schwer seyn, die Brücke des Himmels zu ersteigen, so laß geschehen, daß ein guter Geist, ein Freund der Menschen, mich in den Gesetzen unterrichte, nach welchen du die glückseligen Geister in den himmlischen Städten beherrschest, die verstreut sind in der weiten Luft. Ich bitte nicht, sie in einer andern Absicht zu kennen, als in der sie zur Erfüllung meiner Pflichten, dir du mir auflegtest, da du die Herzen und das Schicksal dieses Volks in meine Hände übergabest, beförderlich seyn können. Ja, in meine Hände hast du sie gegeben, und du willst sie mir wieder abfodern, wenn ich vor deinen Thron treten werde, und vor die Versammlung der zwölf Richter in Ida.
[183] Unterdeß, da ich also betete, sah ich die Wolke sich im Osten verbreiten; ein sanfter Wind erhub sich, und ich sah den Regenbogen in der Wolke. Nachdem ich lange in stiller Entzückung ein so heiliges Gesicht betrachtet hatte, verschwand plötzlich die ganze Natur vor meinen Augen. Rings um mich her sah ich Bilder der Weisheit und Allmacht, und ein innerliches Gefühl einer nicht weniger endlosen Güte entzündete ein feyerliches und ehrerbietiges Vergnügen in meinem Herzen. Meine Sorge ver schwand; meine Gedanken verlohren sich im weiten Himmel, ich wußte nicht mehr, was ich sah, was ich dachte, was ich betete. Noch itzt weis ich nicht, ob ich wachte oder schlummerte, ob ein Engel zu mir redete, oder ob ich über den Regenbogen zum Himmel einging. Die Art des Gesichts war mir unbekannt, aus dem Inhalte desselben aber schliesse ich, daß es kein natürlicher Traum noch bloße Zauberey war.
Ich sah eine menschliche Bildung, wie die Bildung eines Jünglings. Sein Gang war leichter, als der leiseste Wind, seine Füße berührten den Boden nicht, seine Kleider waren wie der klare Himmel, sein Haupthaar gelb und glänzend, wie die Strahlen der Sonne, seine Mine freundschaftlich, und sein Anstand edel; er redete, als ob er seine Worte mit einer Gold-Waage wöge; seine Rede war süßer, als Honig.
Ich verstand alles, was er sagte, aber ich behielte nur seinen Sinn; denn kein Sterblicher kann reden, wie er. Er sagte mir, er sey gekommen, meine Wünsche zu befriedigen; es gäbe unzählige Plätze und Wohnungen im Reiche des Alfader; ein unendlicher Raum trenne sie von der Erde, und es sey schwer für einen Menschen, so hoch zu steigen. Die Schwere des Körpers, sagte er, ist das kleinste Hinderniß; die Seele würde stark genug seyn, es zu überwinden, wenn sie nicht durch Eigenliebe in sich selbst so tief versenkt, und durch Begierde an die Erde so fest gebunden wäre, daß sie sich zu dem, was oben ist, nicht emporschwingen kann, sollten gleich die Gesetze der Schwere aufgehoben werden. Die allgemeine Liebe ist die Himmelsleiter; sie erstreckt sich vom Throne des Alfader bis an die äußersten Gränzen der Welt. Auf ihr bin ich oft zu dir herabgestiegen, und zu Wesen, die noch weit geringer sind, als du. Unter jenem Busche wimmeln mehr Einwohner, als auf deinem ganzen Reiche, und ich richte auf Alfaders Befehl in einer Minute mehr für sie aus, als du für dein Volk in der ganzen Zeit deiner Regierung zu thun vermagst. Ich wog vor kurzem die Tropfen des Regens,[184] und gab jeder Ameise ihr bestimmtes Theil. Ich weiß es, du liebst dein Volk; und ob es gleich für uns eine geringe Tugend ist, seines Gleichen zu lieben, so ist doch diese Tugend unter Menschen so selten, daß ich leicht und genau einen jeden Gedanken, jede That habe anzeichnen können, die aus einer reinen Liebe des Ganzen entsprungen sind. Du hast in guten und schlechten Tagen mit deinem Volke gemeinschaftlich empfunden. Du fandst mehr Freude daran, wohl zu thun, als andre, Wohlthaten von deiner Hand anzunehmen. Es war dir nicht genug, Macht zu besitzen, daß du thun könntest, was dir gefiele; du batst um Weisheit, diese Macht wohl anzuwenden. Ich brachte deine Seufzer vor den Thron, und sie sind erhört worden.
Gehe dann, sagte er, gehe weiter empor auf der Leiter des Himmels, auf der du bereits einige Staffeln vor andern Menschen voraus hast. Steige mit mir hinauf zu den himmlischen Gegenden, und lerne nach ihren Gesetzen den Trieb vollführen, der das Ziel der Vollkommenheit bringt. Er nahm meine Hand, und sogleich verschwand die Schwere. Ein sachter Wind hob mich von der Erde auf; ich bewegte mich schnell und ohne Mühe. Diese Bewegung hatte kaum einen Augenblick fortgedauert, da mein Führer mich zurück sehen hieß. Was siehst du? fragte er mich. Ich sehe einen Erdball, versetzte ich, groß wie der Berg, auf dem ich stand; er ist in einen Nebel gehüllt, und wälzt sich in der Luft. Itzt in diesem Augenblic ke ist er so weit entfernt, daß ich nur einen kleinen hellen Punkt bemerke. Dieser Punkt, sagte er, ist die Hälfte der Erde, die sich gegen Norden wendet, und von der dein Reich kaum ein Zweyhundert-Theilchen enthält. Schnell verschwand der Punkt aus meinem Auge. Da dachte ich, Regieren sey ein elendes Ding; ich mögte eben so lieb neu gebohren werden, als zu meinem Reiche zurück kehren, und der Kleinigkeiten zu achten, die auf Erden vorgehn. Denke nicht so, sagte der Geist. Auf dem Zweyhundert-Theilchen des kleinen Punkts, den du betrachtetest, sind zwo Millionen Seelen, unsterbliche Seelen, zu deren ewiger Glückseligkeit du viel zu thun vermagst. Diese Pflicht wäre edel genug, manchen der Geister zu beschäftigen, die weit über dir erhaben sind. Doch ist es gewiß, daß alles übrige der Erde etwas sehr Kleines für einen Verstand sey, dem Alfader Weisheit gegeben, es zu übersehen. Vergiß nicht dieses Gesichts, wenn du zurück kehrst. Laß die kleinsten Pflichten gegen das Ganze stets groß genug in deinen Augen seyn; sieh auf das Ganze und auf die Zukunft; betrachte die Pflichten in ihrem Zusammenhange,[185] und laß keinen gegenwärtigen Eigennutz dich hindern, das größre, allgemeinere und dauerhaftere Gute aufzusuchen. Das ist der Anfang der erbetenen Weisheit! –
Wir stiegen weiter. Ich sah Sterne, größer als die Sonne, und unzählige Lichtkugeln, ausgestreut in der weiten Luft. Hier, sagte ich mir selbst, sind die wahren himmlischen Städte, und die Wohnungen der lichten Geister, von denen die Skalden singen. Mein himmlischer Führer eröffnete mir aber, daß ich noch nicht weiter gekommen sey, als bis an die Gränzen des ersten Himmels. Dieß, sagte er, ist der Ring des Schicksals, der die sichtbare Welt umfasst. Kein Geschöpf, das unter der Sonne gebohren ward, kein Körper bis auf den kleinsten Sonnen-Staub kann aus diesem Kreise heraustreten. Eure Skalden nennen ihn die Gränzvestung der Götter, an dem obersten Ende der Himmels-Brücke erbaut. Wir stellen uns die Dinge vor, wie sie sind; ihr aber könnt sie nicht anders fassen, als durch Bilder.
Noch sah ich nichts als die reine Luft; allein in einem Augenblick ward ich von einer Wolke umgeben, die die ganze Natur in ein so tiefes Dunkel vor mir einhüllte, daß ich mein eignes Seyn kaum empfand. Durch das Dunkel brach der Strahl eines fernen Lichtes; langsam näherte sichs, und zeigte mir endlich einen schmalen Eingang in eine Höhle, die inwendig sehr hell war. Mein Führer führte mich hinein. Ich sah drey Frauenzimmer, und jedes hatte eine Waage in der Hand. Diese, sagte er, sind die drey Nornen, Urda, Skulda und Verandi14, wovon eure Skalden singen, daß sie die Schicksale der Menschen austheilen. Die erste wägt das Leben, die andere Tugend und Laster, die dritte Glückseligkeit. Urda legte Handlungen und Zeit auf die Waage. Ich sah mit Verwundrung, daß jene beständig zu leicht wogen, und einige ihrer Leichtigkeit wegen nicht einmal gewogen werden konnten. Ich sah, daß die wenigen Jahre, in denen ich regiert hatte, mehr als Odins ganzes Alter, mehr als alle seine Kriegszüge wogen; aber ich bemerkte zugleich, daß die drey ersten Monate eben so viel wogen, als die drey letzten Jahre. Ich sah, was ich vorher nie geglaubt hatte, daß es in dem Vermögen eines Menschen stehe, sein eignes Leben zu verlängern,[186] und ich beschloß, die Stunden und Tage zu zählen, so bald ich in mein Reich zurückkäme. Skulda wog Pflichten gegen Kräfte ab. Das Uebergewicht setzte mich abermals in Verwundrung. Warum, sagte ich, verschwendet man so große Kräfte, um kleine Bürden anfzuheben? Sie sind nicht verschwendet, antwortete der Geist; wenn sie gegen die Pflichten abgewogen werden, um die Grade der Tugenden und Laster zu berechnen, wird der Ueberschuß der Kräfte in die Kette der Schickung eingeflochten, welche aus Ursachen und Wirkungen, aus Strafen und Belohnungen zusammengesetzt ist. Diese Kette hatte Verandi in der Hand. Sie wog die Glückseligkeit, indem sie in jedem Augenwink ein Glied der Kette auf die eine, und die menschlichen Gedanken und Empfindungen auf die andre Schale legte. Urda und Skulda beobachteten diese Waage aufs genauste, und wenn ein Ketten-Glied zu schwer schien, so legte jene so viel Vergeßlichkeit, und diese so viel Hoffnung auf die andre Schale, daß ein Gleichgewicht entstand.
(Die Fortsetzung künftig.)
1 | Unsern deutschen Lesern zu Gefallen, haben wir dem Schlusse dieses Briefes eine Uebersetzung davon mit einigen erläuternden Anmerkungen angehängt. Die Sammler. |
2 | Die Schönheit der Schöpfung in Absicht auf die Ordnung und den Zusammenhang der Geschöpfe, übersetzt von P. Kleen, Königl. Dänis. Ober-Kriegs-Comissar und Kriegs-Cassier. Kopenh. 1765. Bey Rothens Wittwe und Proft. |
3 | Wir haben sie der oberwähnten neuen Edda in einer Uebersetzung beygefügt. Die Sammler. |
4 | Die zwölf Herren oder Statthalter, Sigruna, die Hauptstadt des Odin. |
5 | Lieder, eigentlich Sylbenmaaß und Wohlklang. |
6 | Die Hauptstadt der Asiaten, im metaphorischen Verstande die Wohnung der Götter. |
7 | Nach der alten Edda der Poet Diodolph. Die Sammler. |
8 | Har, der öberste der drey Könige in Asgaard. |
9 | Die zwischen der Erde und dem Himmel angelegt war, und unter dem Namen Regenbogen bekannter ist. |
10 | Der Vater der Götter. |
11 | Himinburg, die Gränzstadt des Himmels an der Spitze der Brücke Bidfrost, Alfheim, die Residenz der Alfen oder Schutzgeister, Breidablik und Glitner, die beiden prächtigsten Städte des Himmels, von purem Golde und Silber erbauet, Gimle, an der andern Gränze des Himmels, die glänzendste unter allen, und zugleich die dauerhafteste. Die Sammler. |
12 | Odin der Jupiter, Thor der Herkules, This oder Tyr der Mars der nordischen Gottheiten. Die Sammler. |
13 | Der König der Asiaten der zuerst in Norden eindrang. Die Sammler. |
14 | Nach der alten Edda sieht Urda das Vergangne, Verandi das Gegenwärtige, und Skulda das Zukünftige. |
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