Die Nacht

1753.


Stille Nacht! Wie lieblich überfällst du mich hier! hier am bemoßten Stein. Ich sah noch den Phœbus, wie er hinter den Stuffen jener Berge sich verlohr, er lachte das lezte mahl zurück, durch den leichten Nebel, der wie ein göldner Flohr, entfernte Weinberge, Haine und Fluhren glänzend umschlich, die ganze Natur feyerte im sanften Wiederschein des Purpurs, der auf streifichten Wolken flammte, seinen Abzug, die Vögel sangen ihm das lezte Lied, und suchten gepaart die sichern Nester, der Hirt, vom längern Schatten begleitet, blies nach seiner Hütte gehend sein Abendlied, als ich hier sanft einschlief.

Hast du Philomele, durch dein zärtliches Lied, hat ein lauschender Waldgott mich geweckt, oder eine Nimphe, die schüchtern durchs Gebüsche rauscht?

O wie schön ist alles in der sänfteren Schönheit! Wie still schlummert die Gegend um mich! Welch Entzücken! welch sanftes Taumeln fließt durch mein wallendes Herz!

Schüchtern durchstreifet mein Blick den dunkeln Wald, ruht auf lichten Stellen, die der Mond durch das dichte Gewölb zitternder Blätter, hier am mossigten Stamm, dort auf dem winkenden Gras, oder an zit ternden Ästen ins schwarze Dunkel hinstreut, oft eilt er schüchtern zurück, durch triegende[7] Gestalten krummer Stämme, oder im Dunkeln rauschender Äste, oder schwarzer Schatten erschrökt, oder er fährt auf den Wellen daher, die wie Lichter auf dem schwarzen Bach hüpfen, der sich neben mir rauschend stürzt.

Dann Luna fährt über die glänzenden Gipfel der Bäume hin, von zartgeschänkelten Rehen oder von Drachen mit rauschenden Flügeln und schlankzirkelndem Leibe gezogen.

Wie lieblich duftet ihr um mich her, ihr Blumen! und du Viole, die bey stiller Nacht nur sich öfnet, und Balsam-Gerüche zerstreut! Wie lieblich duftet ihr da im Dunkeln, und wieget schlummernde Zephirs! Unsichtbar! Ohne den bunten Schmuck glänzender Farben verräht euch die Wollust die ich jetzt athme. Ihr witzlose Mädchens mit rohten Wangen und schönem Mund, wann die Nacht des Alters einst diesen Reitz euch raubt, dann gleicht ihr geruchlosen Tulpen bey finstrer Nacht.

Aber was vor ein sanftes gezwitscher, welch heischrer Gesang thönt dort von der sumpfichten Wiese? Kleine Laubfröschen sitzen auf Blättern, und singen ihr einschläfernd Lied, untermischt von der gröbern Stimme derer die im nahen Wasser auf den Rücken schwimmender Stämme sitzen, oder im Schilf ruhen, so froh beym heischern Gesang, wie die Nachtigal beym gefühlfollen Lied; so lächelt ein elender Dichter zufrieden bey seinem Fröschen-Gesang, und freut sich wie – – und – – beym Göttlichen Lied.

Dort hinter der Wiese hebt sich der strauchichte Hügel sanft empor, wo unter schlanken Eichen das Mondlicht und dunkle Schatten durch einander hüpfen, dort eilt der rieselnde Bach, ich hör, ich höre sein Rauschen, er stürzt sich an moßichte Steine, und trängt sich schäumend durch enge Wege.

Dort ist es, wo ich einst am blumichten Ufer beym Mondlicht das schönste Mädchen fand, es lag da in Blumen hingegossen, im leichten Kleid, leicht, wie die dünnesten Wolken, in die[8] sich durchscheinend der Mond oft hüllt; eine Cither ruhte in dem sanften Schoosse, und im zarten Arm, indem die flaternde Hand Thöne aus den hellklingenden Saiten lockte, Thöne deren jeder mehr entzückte, als das ganze schöne Lied von tausend entzückenden Mädchen.

Sie sang dem Amor ein Lied, die ganze Gegend feyerte das Lied, die Nachtigal horchte stumm, Amor lauschte im Gebüsch, entzückt auf den Bogen hingelähnt; Ich bin der Gott der Liebe, der Gott der frohesten Entzückung, sprach er bey sich, aber diesem Entzücken, dieser Wollust, gleichen beym Stix! Nur wenige der seligsten Minuten, die ich genoß, so lang ich Amor bin.

Luna befahl ihren Drachen, nicht mit Flügeln zu rauschen, aufmerksam lehnt sie sich über die Seite des silbernen Wagens, und seufzt, die keusche Göttin!

Das Mädchen sang nicht mehr, schon hatte die Echo in nahen und fernen Klüften den lezten Ton entzücket dreymal gesungen, die Natur feyerte noch das Lied, noch saß die Nachtigal stumm auf dem laubichten Ast: Da trat ich zum Mädchen. Himmlisches Mädchen! Göttin! Stammelt' ich, und trückt' ihr zitternd die Hand, und seufzte, das Mädgen sah schüchtern zur Erde, schamroht und lächelnd, kraftlos sank ich neben sie hin, Stammeln und bebende Lippen mahlten ihr da mein unaussprechlich Entzücken.

Meine zitternde Linke, spielt' auf dem leichtbekleideten Schoosse mit ihren zarten Händen verrähtrische Spiele, indem der andre Arm, um den weissen Hals von braunen Locken umflattert sich wand.

Meine Hand sank auf den atmenden Busen, da seufzte das Mädchen, ich fühlt' es, sah schmachtend nieder, und nahm mit zitterndem Wiederstand meine Hand vom schwellenden Busen, blöde ließ ich den Busen, und den winkenden Sieg.

O Mädchen! Mädchen! Was fühl' ich! Bald förcht ich, du habest mich Flaterhaften zum ew'gen Sclaven gefesselt!

Aber! Götter! was seh ich! dort auf der dunkeln Fluhr! Flammen hüpfen daher, mit hüpfenden Flammen, sie wollen[9] sich haschen, jetzt tanzen sie im Kreise, jetzt fliegen sie, wie Blitze geschwind, über Wälder und Hügel dahin.

Ihr seyd Götter! Der fromme Landmann zittert vor euch, und der frefle Gelehrte nennt euch, entheiligend, entflammete Dünste. Milde Götter seyd ihr, die gutthätig des Nachts erscheinen, ihr führet den irren Liebhaber zum ängstlich wartenden Mädchen, oder ihr beleuchtet beyden den Weg, wann sie geheime Gebüsche besuchen, oder führet lauschende Verrähter irre, und lasset sie watend im Sumpf.

Wie schön ist jetzt der Himmel mit Sternen besäet! Nur selten schwimmt eine kleine Wolke daher, mit glänzend silbernem Rand, auf der silbernen Oberfläche gaukeln kleine Liebes-Götter, sie lassen Thau hernieder träufeln, die Rosen, welche Morgen auf jungen Busen blühen sollen, und den Weinstock zu erfrischen, dann ach! wie oft dienen beyde den schlauen Göttern!

Aber warum verbirgst du dich Luna, im düstern Flohr? kanst du Keusche die leichtsinnigen Spiele der Götter auf den Wolken nicht vertragen? Oder hat ein Satyr dir Endimion zu geruffen?

Beleuchte meinen Weg, sanfte Göttin! Ich will hingehn, aus dem Hain, und jenen Hügel besuchen, wo den sich schlängelnden Bach junge Reben umschatten, auf dessen weitumsehendem Rücken die Laube steht, wo sich kriechende Reben, im hohen Gewölbe mit Trauben behangen umarmen, wo ich oft im kühlen Schatten, an die grüne Wand hingelehnt, mit Brüdern trank.

Dort ragt sie hervor, die heilge Laube! Sanfter Schauer mischt sich in das Dunkel, das in dem Heiligthum ruht, dann Bachus hat die Laube in den Schutz genohmen.

Oft hört man hier bey stiller Nacht mit heilgem Erstaunen Trink-Lieder, und den Silberthon des vollen Bechers. Der irre Wandrer hörts, sieht hin, sein forschendes Auge sieht nichts, erstaunet bebt er zurück, und geht voll Ehrfurcht vorüber.

Sey mir gegrüßt dunkle Laube, wie hoch wölben sich die[10] Ranken mit Trauben behangen! Wie lieblich hüpfen die Blätter im Mondlicht!

Was säuselt so sanft durch dein Laub und hüpfet von Trauben auf Trauben? Zephirs sinds, und – – – glaubts der heilgen Muse! und Seelen der künftgen Trinker, dienstbare Zephirs tragen sie auf balsamischen Flügeln, sie sammeln sich auf den Rücken der Trauben, und spielen, und sind jetzt schon Brüder. Auch wir waren schon Brüder ihr Freunde, da wir noch Atomen waren, da lachten wir schon im holen Reb-Blatt, und schlüpften über den perlenden Becher, oder schlummerten auf Rosen, die junge Mädchen auf den Busen pflanzten.

Ihr Brüder, die ihr jetzt fern in trägem Schlummer lieget, ach wäret ihr hier! hätte mir fernher das Lampen-Licht aus der Laube gestrahlet! hätt ich fernher euern Gesang gehört! wie hätt ich mich in eure Arme geeilt, und trunken in Freude, meine Stimme dem Rund-Gesang eingemischt!

Allein! wie wird mir? Was seh ich? Götter! Welch heilger Schimmer! Rings um schmücken sich die Äste mit Lampen, das Licht spielt lieblich im zitternden Laube mit dem Schatten: Besuchen die Götter die Laube? Oder – – –

Doch nein! o Freude! Euch seh ich ihr Brüder! Euch seh ich im Kreis um mich her, ihr stimmet ein Trink-Lied an, es schallt durch den Hain, und Hügel singens den Hügeln.

Der Faun, der jetzt in den Klüften schläft, hörts, und wird wach. Erstaunt behorcht er das Lied, hüpft auf, und öfnet den Schlauch.

Phœbus, wann er hinter jenem Berg im göldnen Wagen herauf fährt, findet uns noch. Ach! ruft er dann, so lang ich wieder Phœbus bin, hab ich nie solche Freude genossen! – – – Dann zieht er Wolken zusamen, und regnet einen traur'gen Tag durch.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 7-11.
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