Der brave Unterthan

[119] Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da kam eine Fliege und kitzelt ihn,

Daß er mußt's Gesicht verziehn:

»Fliege, laß' das Kitzeln!«

Die Fliege kitzelt weiter.


Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,[120]

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da flog eine Wesp' ihm auf die Nas',

Und stach ihm eine große Blas',

»Wespe, laß' das Stechen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen.


Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da sprang ein Floh ihm auf die Brust;

Und peinigt ihn nach Herzenslust:

»Floh, laß' mich zufrieden!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker.


Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,[121]

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da kam ein großer Hund daher,

Der biß in's Bein ihm gar zu sehr:

»Hund, du läßt das Beißen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker,

Der Hund, der beißt gewaltig.


Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da kroch ein Egel ihm auf's Herz,

Und sog ihm Blut zu großem Schmerz:

»Egel, laß' das Saugen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker,

Der Hund, der beißt gewaltig,

Der Egel saugt am Herzen.
[122]

Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da stieß ein Ochs ihm vor den Kopf,

»Ochse, laß' das Stoßen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker,

Der Hund, der beißt gewaltig,

Der Egel saugt am Herzen,

Der Ochs stößt vor den Kopf ihm.


Zuletzt ist er gestorben nun,

Um von den Qualen auszuruhn,

Da sah' ich auf dem Denkmal stahn:

»Das war ein braver Unterthan.

Die Fliege thät ihn kitzeln,

Die Wespe thät ihn stechen,

Der Floh hat ihn gepeinigt,[123]

Der Hund hat ihn gebißen,

Der Egel sog ihm's Blut aus,

Der Ochse thät ihn stoßen:

Es that ihn Nichts erboßen.«

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Verbotene Lieder, Bern 1844, S. 119-124.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Vögel. (Orinthes)

Die Vögel. (Orinthes)

Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon