Eine Rundschau

[11] Die Residenz, in der ich mich befinde,

Heißt Dummdummdumm, und ist halb Stadt, halb Land,

Ein bunt Gemisch von Stall und Pallast, ein Gewinde

Von Gärten, Straßen, Fluß und Feld und Sand;

Thür, Thor und Fenster bleiben unverschlossen;

Es zeigen hier die Wesen alle sich,

Halbmenschen und Halbthiere, öffentlich

In ihres Lebens Tragödien und Possen,

In allem Thun und Treiben, gut und schlecht,

In Arbeit und Gebet und Unterhaltung,

In ihrem Hassen wie in ihrem Lieben,

Und einzig nur das öffentliche Recht,

Die Politik und die Finanzverwaltung,

Die werden auf das Heimlichste betrieben.
[11]

S'ist Frühlingszeit! Ein rabenschwarzer Schnee

Fällt pfeifend aus dem grünen Himmel nieder;

Verklungen sind des Pfauen holde Lieder,

Die Nachtigall sitzt auf dem Galgen wieder

Und krächzt der blauen Erde vor ihr Weh.


Auf hohen Felsen, ganz mit Eis bedeckt,

Flicht schlittschuhlaufend man die vollen Garben;

Die Thäler unten haben sich erkeckt

Zu kleiden sich in schwarzrothgoldne Farben;

Die Sonne sinkt in Osten nieder, dann

Erscheint der Mond mit hellen, heißen Strahlen;

So wird es Tag! Man steckt Laternen an,

Und wer schon Greis, und nicht verlassen kann

Sein Zimmer mehr, der muß dafür bezahlen.


Das Thermometer steht auf Dreiundneunzig –

Just wie die Staatsanleihe – unter Null!

Dabei die Damen ohne Unterröcke, einzig

In einem Kleid von lichtem, leichtem Mull.

Die Herren gehn im Frack mit rothen Mützen,

Wie es die gute Sitte hier erlaubt;[12]

Die Reichen transpirir'n, die Armen schwitzen,

Doch wischen Beide sich den Schweiß vom Haupt.


Der Tag ist da mit allen seinen Sorgen;

Ihr Alphorn bläst von fern die Polizei;

Die Henne kräht verkündigend den Morgen,

Im Winkel dort legt schon der Hahn ein Ei;

Die Hunde putzen sich, die Katzen bellen,

Die Lerchen brüllen in den Ställen;

Die Ochsen heulen, fette Kühe schwingen

Sich jubilirend auf, und in dem Rock von Drill'ch,

Die vollen Eimer tragend, bringen

Schon die Geheimenräthe ihre Milch.


Schimpfend und prügelnd auf die trägen Dohlen,

Bringt hier der Künstler seinen Mehlsack fort,

Und viele hundert Esel, schwarz wie Kohlen,

Umflattern jenen alten Kirchthurm dort.


Der Cavalier schärft seine blanke Sense

Und geht zur Arbeit, froh und frisch;

Es sitzen um den langen Kaffeetisch

Gespreizte, alte, schnatterhafte Gänse;[13]

Die plumpen, kugelrunden Tauben grunzen

Und wälzen sich in koth'ger Gruft;

Man hört die Magd die Hausfrau 'runterhunzen;

Der Drescher schimpft den Pächter: fauler Schuft;

Das gnäd'ge Fräulein buttert hier die Sahne;

Der Knabe dort schwingt lustig seine Fahne

Und treibt die holden Schweine in die Luft.


Der Garten-Rath pflückt von der schlanken Eiche

Nachtmützen ab, vollsaftig, reif und süß.

»Löscht aus das Licht!« ruft jetzt der vornehm-reiche

Nachtwächter, drohend mit dem scharfen Spieß.

Zwei junge Hasen, buntgekleidet, wichsen

Den Schnauzbart sich, und nehmen ihre Büchsen,

Vom Hund geladen, schwingen sich auf's Reh

Und rufen schnarrn'den Nasentons: »Auf Ehre,

Es wär' Pläsir, wenn heut im Wald von Klee

Ein schmuckes Jägerchen zu schießen wäre!«


Die Jungfrau sitzt auf ihrem Sorgenstuhle

Mit bleichen Wangen und gefurchter Stirn;

Die Greise gehn verdrießlich in die Schule,

Der Jüngling näht und strickt und wickelt Zwirn,[14]

Und fertigt Hemden und säumt Taschentücher,

Stickt sich Manchetten, macht sich seinen Zopf –

Die Frauen reiten, schreiben lange Bücher,

Und Männer schaffen an dem Suppentopf.


Gemeine Knechte fahren in der Chaise

Nach Hofe hin, wie Narren aufgeputzt;

Der Landrath bringt zu Markte Wurst und Käse,

Vom langen Weg ermüdet und beschmutzt;

Dort schleppt sich eine Waschfrau fort auf Krücken,

Wer sie erblickt, macht seine Reverenz,

Zieht seinen Hut, krummbuckelt seinen Rücken

Und nennt das alte Waschweib: Excellenz!


Jetzt seh' ich, welch ein herrlicher Genuß!

Die zierlich-reizend freundlichen Gensd'armen!

Wem sie begegnen, der kriegt einen Kuß,

Wer ihnen nah' kommt, liegt in ihren Armen!

Sie sind so sehr beliebt, daß immer nur

In ihrer Tracht der Sultan darf erscheinen;

Käm' er je anders, zeigte sich,

Wie man mir sagte, sicherlich[15]

Von Enthusiasmus keine Spur,

Und keine Seele würfe ihn mit Steinen.


Nun öffnet sich eins jener grauen Klöster

»Zur ew'gen Tugend,« und es tritt heraus

Ein junger Leierkastenmann, genannt der »Tröster,«

Der fromme Götzenpriester Sanktus Klaus;

Ihm folgen betend die Putzmacherinnen

Im zücht'gen Schleier und Cypressenkranz,

So ziehn sie nach dem Markt hin und beginnen

Dort den uralten, heil'gen Polkatanz.


Die Landarmee in der verkehrten Welt

Besteht aus Hunderttausend kleinen Knaben,

Die blutigrothe Uniformen haben,

Auf Steckenpferden durch die Straßen traben,

Und in Casernen und in Zelt und Feld

Verprassen ihrer armen Väter Geld.


Hier ziehen, ihre Butterbrode schmausend,

Die kleinen Körper alle kerzengrade,

Steif und geschnürt, wohl eben gegen Tausend,

Der Kindertrommel folgend, zur Parade.[16]

Sie schau'n martialisch hin auf ihre Mütter

Und auf die Väter in der Gaffer Runde,

Doch beißen sie nur Brod, und Keinen dieser Ritter

Verunziert eine Narbe oder Wunde.


Es zog seit frühstem Morgen pfeifend schon

Der elegante Lumpensammler durch die Stadt;

Jetzt liefert er, was er gewonnen hat,

Ab an die »Bunte-Lappen-Commission«.

Dorthin drängt Alles und umringt den Karren,

Was mehr und wen'ger toll ist und verrückt;

Es zittern vor Begier Dummdummdumm's Narren,

Bis ihren Hintern solch ein Lappen schmückt.


Hoch aufgerichtet auf dem Walle geht

Das allgemein verehrte Rindvieh promeniren;

Die alte Edelkuh läßt sich von Kälbern, seht!

Großmäul'gen und glotzenäugigen, hofiren,

Und auch die junge Kuh, die mit dem Fächer weht,

Uebt, hinter ihr, sich schon im Coquettiren,

Nimmt knixend an von einem alten, welken,

Verliebten Ochsen einen Strauß von Nelken,

Und läßt dafür sich ein Glas Milch abmelken.
[17]

Die Straßen reinigen nun die Rentiers;

Hoffräuleins rufen Grünes aus und Eier;

Es betteln rings die hungrigen Banquiers,

(Dem Einen, Rothschild hieß er, schenkt' ich einen Dreier)

Der Arzt haut mit dem Stocke, schimpft und flucht

Auf alle Kranken, fährt nur zu Gesunden;

Der Fiscus in der Uniform besucht

Flinklaufend mit dem Scheersack seine Kunden;

Es gehen die Minister Haus zu Haus

Durch alle Straßen, alle Gassen,

Und tragen die Regierungszeitung aus,

In der sie für des Bürgers Geld –

O, über die verkehrte Welt! –

Sich und ihr Treiben täglich loben lassen.


Ein Handelsherr, ein aufgeblas'ner, reicher,

Löscht seinen Dämpfer »Liebe« an der See,

Wirft schwarze importirte Menschen in den Speicher,

Männer und Frauen premiere qualité,

Und exportirt daneben weiße Menschenwaare,

Die, hier gedrückt, gemartert und geprellt,

Den letzten Fluch flucht und die letzten Jahre

Verleben will fern der verkehrten Welt.
[18]

Dort courbettirt ein eitles Pferd, ein Schimmel,

Auf einem wieh'rnden Vollbluts-Lieutenant

Vor einer Bayadere, die dem Himmel

Schmerzvoll ihr frommes Auge zugewandt;

Barmherz'ge Schwestern, wein- und liebesüchtig,

Schnauzbärtig und mit Schmarren ruhmbedeckt,

Die sitzen vor der Kneipe, kneipen tüchtig

Und singen, lang die Beine ausgestreckt.

Studenten, die vorbeigehn, halten züchtig

Ihr Köpfchen unterm Sonnenschirm versteckt.


Hier ehrt man Einen mit des Mordes Brandmal,

Dort schleppt man einen edeln Dichter fort;

Hier stellt man einen Bürger auf am Schandpfahl,

Weil er gehalten streng sein Manneswort;

Dort prügelt ihren Prior eine Nonne,

Weil er das schöne Kind zu selten küßt,

Und hier den alten Grafen dessen Bonne,

Weil er Nichts lernt und ungezogen ist,

Den Müller dort der weiße Schornsteinfeger,

Weil jener ihm die Atlasschuh' beschmiert,

Und hier der Autor wüthend den Verleger,

Weil dieser ihn zu hoch stets honorirt!
[19]

Verdammter Unsinn ist dieß Alles, ja!

Schier um uns den Verstand zu rauben!

Und hätt ich eh'dem größern nicht gesehen,

Ich würde Das, was hier geschehen,

Mir selber nicht, der ich doch selbst es sah,

Geschweige irgend einem Andern glauben.

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 11-20.
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