Der Paß-Rath

[57] Nachdem die Gräfin mir versetzt

Dies hohe Lied vom Passe,

Sprang sie, den eignen in der Hand,

Hinunter auf die Gasse,

Und schon nach Zehn Minuten stand

Vor mir, und artig und galant –

Das ist doch ein verkehrtes Land! –

Ein Paß-Rath erster Klasse.


Bei weitem Katze mehr als Mensch,

War er doch nicht verwildet,

Im Gegentheil: ein Gentleman,

Welt- und Salongebildet.

Er knickste dreimal, warf sich auf

Den Divan, den bequemen,

Und bat auf einer Hütsche mich

Gefälligst Platz zu nehmen.
[57]

Dann ließ er gnädig sich herab

Der Gräfin zuzuwinken,

Daß sie ein Frühstück bringe, aß

Ein Viertel Pfaffenschinken,

Ein delikates Herz-Ragout

Von Adlern und Hyänen,

Und einen Trüffel-Cacadu

Und feines Brod und trank dazu

Fünf Gläser Menschenthränen.


Und winkte Lotten wiederum,

Daß sie mit der Serviette

Ihm schuldigst säubre Kinn und Mund

Und Brust vom Frühstücks-Fette,

Und schnitt ihr ein Gesicht dann, ein

Halb lüsternes, halb frommes,

Als sie, den Bauch ihm klopfend, sprach:

»Herr Paß-Rath, wohl bekomm' es!«


Er steckte ihr aus Dankbarkeit

In's Mäulchen eine Trüffel,[58]

Und ging dann an das Paßgeschäft,

Entwerfend mit dem Griffel

Ein männlich Brustbild, das jedoch

Im Borsthaar eine Platte,

Und eine Nase stumpf und breit,

Und statt des Munds ein rundes Loch,

Kurz, nicht die kleinste Aehnlichkeit

Mit mir, dem Schönen, hatte.


Ich wollte, als er mein Porträt

Mir zeigte, mich erfrechen,

Ihm, hinsichtlich des Kunstwerths, mein

Bedenken auszusprechen,

Doch ließ sein strenger, ernster Blick

Kein Tädelchen mich wagen,

Und ganz bescheid'ne Antwort gab

Ich jetzt auf seine Fragen:


»Von Adel?«

Ja, vom edelsten!

»Verdienst?«

Es ruht im Grab mein's!

»Ihr kommet?«[59]

Von der Erde!

»Pfui!«

»Eu'r Vaterland?«

Ich hab' kein's!

»Eu'r Vater?«

Aller!

»Mutter?«

Witz!

»Charakter?«

Einen biedern!

»Der Name ist?«

Ernst Heiter!

»Stand?«

Herr von Humor und Liedern!

»Ah, Gutsbesitzer! Was noch sonst?«

Narr unter den Verrückten!

»Gedient bereits?«

Ja, treu und brav

Im Heer der Unterdrückten.

»Eu'r Glaube?«

Ist die Freiheit.

»Alt?«

Nur oben in dem Haare![60]

»Vermögen?«

Kein's, doch hab' ich Geld!

»Wie lang in der Verkehrten Welt

Währt Euer Aufenthalt?«

So gegen Vierzig Jahre.


»Jedwede Antwort«, sprach er jetzt,

Den Paß mir überreichend

Und mit Beamtenwürde sich

Den Katzen-Schnautzbart streichend,

»Jedwede Antwort, welche Ihr

Gegeben, ist Beweis mir,

Daß Ihr ein dummer Kerl seid, dem,

Wenn er mit allem Fleiß hier

Die theuern Steuern zahlt und sich

Fern hält von allem Denken,

Der Sultan Pampel sicherlich

Wird seine Gnade schenken,

Höchstselbst, wie's hier zu Land Gebrauch

Auf Euern vielverzeh'rnden Bauch

Ein Loblied wird verfassen,

Und Euch zuletzt das Tragen auch

Des Ordens wird erlassen!«
[61]

Nachdem für sein Vertrauen ich

Bedankt mich, sprach er weiter:

»Es ist nun meines Amtes Pflicht,

Herr Unterthan Ernst Heiter« –

Bei diesen Worten zog er aus

Die purpurrothen Handschuh' –

»Euch hier mit diesem allerdickst-

Geflocht'nen Sultans-Kantschu

So lange durchzuhau'n bis zwei

Pott Blut von Euch geflossen,

Die Euch dann werden günstigenfalls,

Wenn Ihr nicht schreit, notiret als

Für's Vaterland vergossen.


Dies wäre, sag' ich, meine Pflicht,

Doch laß' ich mit mir sprechen,

Und mich durch landesübliche

Münzsorten gern bestechen.

Gesetzt, Ihr fühltet keinen Drang

Den Kantschu zu genießen,

Und wolltet Euer Blut nicht gern

Für's Vaterland vergießen:

Ganz gut! Drei Pampelsd'ore mir,[62]

Sechs meinen Vorgesetzten!

Bewahre Ego uns, daß wir

Den Körper Euch verletzten!

Ja gebt Ihr noch ein Goldstück mehr

Für unsern Ober-Mufti her,

So preiset die Bestechung Der

Und giebt Euch ihretwegen,

Falls Euch daran gelegen,

Noch seinen heiligen Segen.«


Da er nach diesen Worten schon

Die rechte Hand sich netzte,

Und in die Amtspflicht-Positur,

Die drohende, sich setzte,

Auch mein unritterlicher Sinn

Das Heil nicht konnte fassen,

Sich so Staatsimpfen, Thadden-Trie-

Glaff-Gerlachen zu lassen:

So nahm ich Abstand schnell von den

Kantschuigen Staatsstreichen,

Bat Lotten, Neun Stück Pampelsd'or

Dem Paß-Rath darzureichen,[63]

Und schwur dabei dem Ehrenmann

Bei allen Göttern, daß mir an

Des Ober-Mufti's Segen

Durchaus gar Nichts gelegen.

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 57-64.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Verkehrte Welt
Die Verkehrte Welt: Eine Komisches Gedicht (German Edition)

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon