Beim Ober-Mufti

[109] Von dem zopf'gen Ober-Mufti

Lumpel-Lampel in persona

(Was mich höchlich überraschte)

Eines Tages vorgefordert:

Ließ von meiner Gräfin, welche

Auch bei meiner Haus-Chatulle

Gern mir ihre Dienste weihte,

Ich mir holen eine Pulle

»Grüneberger Schattenseite.«


Denn es ist hier Pflicht und Sitte

Jedem, den der Ober-Mufti

Lampel durch Audienz beehret,

Eine solche theure Pulle

Von dem köstlichsten der Weine

Der gepreßt hier wird und welchen[109]

Eine goldne Etiquette

Titelt »Herber Himmelssegen,«

Auf den Altar des Pallastes

Seiner Zopfigkeit zu legen.


Das Portal des mächtig-prächt'gen

Marmorschlosses Lumpel-Lampels,

Das dem braven Dummdummdummer

Volk, bei dem man immer frommen

Und erbauungslust'gen Sinn trifft:

Ueber eine Million

Beutel Goldes einst gekostet,

Trug in Zeichen, schon verrostet,

Diese demuthvolle Inschrift:

»Hier Entbehrung, dort der Lohn!«


Als ich durch die hochgewölbten

Weiten, kalten Hallen schritt,

Nahm es Anfangs mich Erstaunen,

Daß die kolossalen Statuen

All' der frühern Ober-Mufti's

Und der frühern hohen Sultans

(Andere Personen durften[110]

Hier nicht ausgehauen werden),

Welche ich als Meisterwerke

Der Sculptur bewundern mußte:

Sich hier sämmtlich präsentirten

Mit grellblauen oder schwarzen

Augen, lebensrothen Backen,

Dunkeln oder grauen Haaren,

Bunten Mänteln, Hosen, Jacken!

Kurzum: coloriret waren.


Aber bald erkannt ich freudigst,

Daß die Künstler dieses Sternes

Unsre ird'schen Griechenschüler

So an äußerlicher Klarheit,

Wie an Tiefe und an Wahrheit

Kirchthurmartig überragen

Und, was mehr noch, vom Gemeinen

Fern sich haltend, nie den feinen

Anstand zu beleid'gen wagen.


Denn daß diese Griechenschüler

Weiß uns machen möchten: unsre

Großen und berühmten Männer,[111]

Die sie durch den Meißel schaffen,

Wären immer ohne Halstuch,

Mit so leichenblassem Antlitz

Und mit so schneeweißem Schlafrock,

Stiefel, Beinkleid, Rock und Mantel

In der Welt umhergegangen:

Das muß doch der kleinste Junge

Lächerlich und albern finden!

Und daß gar die Griechenschüler

Sich die Blöße geben, große

Frau'n und Männer so zu meißeln,

Als ob sie stets alle Sitte

Und mit ihr zugleich bei Seite

Unterröcke, Schuh' und Strümpfe,

Hosen, falsche Cul's, Manchetten,

Hemden und Corsetts geworfen,

Und zuletzt, just solche zeigend,

Alle Scham vergessen hätten:

Das muß jeden Jüngling, jede

Dame, Demoiselle, jedes

Fräulein, darauf möcht' ich schwören

(Nach geschehener Betrachtung)

Jach erfüllen mit Verachtung

Und im Innersten empören.
[112]

Selbst, daß diese Steingestalten

Todtbezwung'ner Herrschgewalten.

Sich nicht hier im bloßen, weißen

Haupte zeigten, sondern Fezze

Und bequeme Hüte trugen,

Mußte kritisch gut ich heißen,

Da nach höchstem Kunstgesetze

All' sie sollten sein doch möglichst

Aehnlich den Originalen,

Und sich diese, barhaupt weilend

Hier in diesen kühlen Stätten,

Sicher einen kolossalen

Schnupfen zugezogen hätten.


Auch die Maler mußt' ich ehren,

Deren große Essig-Bilder

(Denn hier malt man nicht in Oel)

Goldgerahmt Plafonds und Wände

Reicher, hoher Säle schmückten,

Die, geführt von zween sehr jungen

Blonden Müft'chen ich durchschritt.

Nicht des Menschengeist's vulgärer,

Destruktiv-unritterlicher[113]

Drang und Kampf nach Licht und Freiheit,

Offenbart durch die Geschichte!

Nicht die wild-konstablerlose

Urkraft der Natur und ihre

Sinnlich-unmoral'sche Schönheit!

Nicht der Witz und Sinn des Tages,

Der aus Handel und Verkehr blitzt!

Nicht der lebenden Geschlechter

Geistige Belagerung

Jener alt-ehrwürd'gen Zwingburg,

Die das Vorrecht den Plebegern

Gegenüber aufgerichtet:

Alles Dies, wiewohl verführbar

Für des Künstlers hohe Seele,

Gab den sehr verehrungswürd'gen,

Braven, pinselnden Talenten

Hier nicht Stoff zu ihren Werken!

Nein, vermeidend jeden Vorwurf –

Solcher Art – der leicht begeistert,

Wählten sie vielmehr sich Stöffe,

Denen gegenüber jeder

Anreiz, jeder Aufschwung selber

Schon ein Kunststück war, ein schweres.
[114]

Wählten sie sich lauter laut're,

Alt-naive, lobenswerthe,

Wunderreiche Traditionen,

Die seit langen, langen Jahren

In den Odem alles Lebens,

(Des verkehrten und profanen)

Segensvollen Staub einbliesen;

Die, gottlob, den tollen Geist meist

Schon geknebelt und gebunden,

Und der radicalste meist heißt:

Abgelebt und überwunden!

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 109-115.
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