Eins und Alles

[540] Im Grenzenlosen sich zu finden,

Wird gern der Einzelne verschwinden,

Da löst sich aller Überdruß;

Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,

Statt läst'gem Fordern, strengem Sollen

Sich aufzugeben ist Genuß.


Weltseele, komm, uns zu durchdringen!

Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen

Wird unsrer Kräfte Hochberuf.

Teilnehmend führen gute Geister,

Gelinde leitend, höchste Meister,

Zu dem, der alles schafft und schuf.
[540]

Und umzuschaffen das Geschaffne,

Damit sich's nicht zum Starren waffne,

Wirkt ewiges lebendiges Tun.

Und was nicht war, nun will es werden

Zu reinen Sonnen, farbigen Erden,

In keinem Falle darf es ruhn.


Es soll sich regen, schaffend handeln,

Erst sich gestalten, dann verwandeln;

Nur scheinbar steht's Momente still.

Das Ewige regt sich fort in allen:

Denn alles muß in Nichts zerfallen,

Wenn es im Sein beharren will.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 540-541.
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