Unbegrenzt

[28] Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß,

Und daß du nie beginnst, das ist dein Los.

Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe,

Anfang und Ende immerfort dasselbe,

Und was die Mitte bringt, ist offenbar

Das, was zu Ende bleibt und anfangs war.


Du bist der Freuden echte Dichterquelle,

Und ungezählt entfließt dir Well auf Welle.

Zum Küssen stets bereiter Mund,

Ein Brustgesang, der lieblich fließet,

Zum Trinken stets gereizter Schlund,

Ein gutes Herz, das sich ergießet.


Und mag die ganze Welt versinken!

Hafis, mit dir, mit dir allein

Will ich wetteifern! Lust und Pein

Sei uns, den Zwillingen, gemein!

Wie du zu lieben und zu trinken,

Das soll mein Stolz, mein Leben sein.
[28]

Nun töne, Lied, mit eignem Feuer!

Denn du bist älter, du bist neuer.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 28-29.
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