Parsi Nameh

Buch des Parsen


Vermächtnis

altpersischen Glaubens


Welch Vermächtnis, Brüder, sollt euch kommen

Von dem Scheidenden, dem armen Frommen,

Den ihr Jüngeren geduldig nährtet,

Seine letzten Tage pflegend ehrtet?


Wenn wir oft gesehn den König reiten,

Gold an ihm und Gold an allen Seiten,

Edelstein' auf ihn und seine Großen

Ausgesät wie dichte Hagelschloßen,


Habt ihr jemals ihn darum beneidet?

Und nicht herrlicher den Blick geweidet,

Wenn die Sonne sich auf Morgenflügeln

Darnawends unzähl'gen Gipfelhügeln


Bogenhaft hervorhob? Wer enthielte

Sich des Blicks dahin? Ich fühlte, fühlte

Tausendmal, in so viel Lebenstagen,

Mich mit ihr, der kommenden, getragen,


Gott auf seinem Throne zu erkennen,

Ihn den Herrn des Lebensquells zu nennen,

Jenes hohen Anblicks wert zu handeln

Und in seinem Lichte fortzuwandeln.


Aber stieg der Feuerkreis vollendet,

Stand ich als in Finsternis geblendet,[139]

Schlug den Busen, die erfrischten Glieder

Warf ich, Stirn voran, zur Erde nieder.


Und nun sei ein heiliges Vermächtnis

Brüderlichem Wollen und Gedächtnis:

Schwerer Dienste tägliche Bewahrung,

Sonst bedarf es keiner Offenbarung.


Regt ein Neugeborner fromme Hände,

Daß man ihn sogleich zur Sonne wende,

Tauche Leib und Geist im Feuerbade!

Fühlen wird es jeden Morgens Gnade.


Dem Lebend'gen übergebt die Toten,

Selbst die Tiere deckt mit Schutt und Boden,

Und, so weit sich eure Kraft erstrecket,

Was euch unrein dünkt, es sei bedecket.


Grabet euer Feld ins zierlich Reine,

Daß die Sonne gern den Fleiß bescheine;

Wenn ihr Bäume pflanzt, so sei's in Reihen,

Denn sie läßt Geordnetes gedeihen.


Auch dem Wasser darf es in Kanälen

Nie am Laufe, nie an Reine fehlen;

Wie euch Senderud aus Bergrevieren

Rein entspringt, soll er sich rein verlieren.


Sanften Fall des Wassers nicht zu schwächen,

Sorgt, die Gräben fleißig auszustechen;

Rohr und Binse, Molch und Salamander,

Ungeschöpfe, tilgt sie miteinander!


Habt ihr Erd und Wasser so im Reinen,

Wird die Sonne gern durch Lüfte scheinen,

Wo sie, ihrer würdig aufgenommen,

Leben wirkt, dem Leben Heil und Frommen.
[140]

Ihr, von Müh zu Mühe so gepeinigt,

Seid getrost, nun ist das All gereinigt,

Und nun darf der Mensch als Priester wagen,

Gottes Gleichnis aus dem Stein zu schlagen.


Wo die Flamme brennt, erkennet freudig,

Hell ist Nacht, und Glieder sind geschmeidig.

An des Herdes raschen Feuerkräften

Reift das Rohe Tier- und Pflanzensäften.


Schleppt ihr Holz herbei, so tut's mit Wonne,

Denn ihr tragt den Samen ird'scher Sonne;

Pflückt ihr Pambeh, mögt ihr traulich sagen:

Diese wird als Docht das Heil'ge tragen.


Werdet ihr in jeder Lampe Brennen

Fromm den Abglanz höhern Lichts erkennen,

Soll euch nie ein Mißgeschick verwehren,

Gottes Thron am Morgen zu verehren.


Da ist unsers Daseins Kaisersiegel,

Uns und Engeln reiner Gottesspiegel,

Und was nur am Lob des Höchsten stammelt,

Ist in Kreis' um Kreise dort versammelt.


Will dem Ufer Senderuds entsagen,

Auf zum Darnawend die Flügel schlagen,

Wie sie tagt, ihr freudig zu begegnen

Und von dorther ewig euch zu segnen.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 137-141.
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