Zehnter Gesang

[540] »O mein König!« sagte darauf der listige Redner;

»Laßt mich, edelster Fürst, vor meinen Freunden erzählen,

Was Euch alles von mir an köstlichen Dingen bestimmt war.

Habt Ihr sie gleich nicht erhalten, so war mein Wille doch löblich.«

»Sage nur an«, versetzte der König, »und kürze die Worte.«


»Glück und Ehre sind hin! Ihr werdet alles erfahren«,

Sagte Reineke traurig. »Das erste köstliche Kleinod

War ein Ring; ich gab ihn Bellynen, er sollt ihn dem König

Überliefern. Es war auf wunderbarliche Weise

Dieser Ring zusammengesetzt und würdig, im Schatze

Meines Fürsten zu glänzen, aus feinem Golde gebildet.

Auf der inneren Seite, die nach dem Finger sich kehret,

Standen Lettern gegraben und eingeschmolzen; es waren

Drei hebräische Worte von ganz besonderer Deutung.

Niemand erklärte so leicht in diesen Landen die Züge;

Meister Abryon nur von Trier, der konnte sie lesen.

Es ist ein Jude, gelehrt, und alle Zungen und Sprachen

Kennt er, die von Poitou bis Lüneburg werden gesprochen;

Und auf Kräuter und Steine versteht sich der Jude besonders.


Als ich den Ring ihm gezeigt, da sagt' er: ›Köstliche Dinge

Sind hierinnen verborgen. Die drei gegrabenen Namen

Brachte Seth, der Fromme, vom Paradiese hernieder,

Als er das Öl der Barmherzigkeit suchte; und wer ihn am Finger

Trägt, der findet sich frei von allen Gefahren. Es werden

Weder Donner noch Blitz, noch Zauberei ihn verletzen.‹

Ferner sagte der Meister: er habe gelesen, es könne,

Wer den Ring am Finger bewahrt, in grimmiger Kälte[540]

Nicht erfrieren; er lebe gewiß ein ruhiges Alter.

Außen stand ein Edelgestein, ein heller Karfunkel,

Dieser leuchtete nachts und zeigte deutlich die Sachen.

Viele Kräfte hatte der Stein: er heilte die Kranken;

Wer ihn berührte, fühlte sich frei von allen Gebrechen,

Aller Bedrängnis, nur ließ sich der Tod allein nicht bezwingen.

Weiter entdeckte der Meister des Steines herrliche Kräfte:

Glücklich reist der Besitzer durch alle Lande, ihm schadet

Weder Wasser noch Feuer; gefangen oder verraten

Kann er nicht werden, und jeder Gewalt des Feindes entgeht er.

Und besieht er nüchtern den Stein, so wird er im Kampfe

Hundert überwinden und mehr. Die Tugend des Steines

Nimmt dem Gifte die Wirkung und allen schädlichen Säften.

Ebenso vertilgt sie den Haß, und sollte gleich mancher

Den Besitzer nicht lieben, er fühlt sich in kurzem verändert.


Wer vermöchte die Kräfte des Steines alle zu zählen,

Den ich im Schatze des Vaters gefunden und den ich dem König

Nun zu senden gedachte? Denn solches köstlichen Ringes

War ich nicht wert; ich wußt es recht wohl; er sollte dem einen,

Der von allen der Edelste bleibt, so dacht ich, gehören:

Unser Wohl beruht nur auf ihm und unser Vermögen,

Und ich hoffte, sein Leben vor allem Übel zu schützen.


Ferner sollte Widder Bellyn der Königin gleichfalls

Kamm und Spiegel verehren, damit sie meiner gedächte.

Diese hatt ich einmal zur Lust vom Schatze des Vaters

Zu mir genommen, es fand sich auf Erden kein schöneres Kunstwerk.

O wie oft versucht' es mein Weib und wollte sie haben!

Sie verlangte nichts weiter von allen Gütern der Erde,

Und wir stritten darum; sie konnte mich niemals bewegen.

Doch nun sendet ich Spiegel und Kamm mit gutem Bedachte

Meiner gnädigen Frauen, der Königin, welche mir immer

Große Wohltat erwies und mich vor Übel beschirmte;

Öfters hat sie für mich ein günstiges Wörtchen gesprochen;

Edel ist sie, von hoher Geburt, es ziert sie die Tugend,[541]

Und ihr altes Geschlecht bewährt sich in Worten und Werken:

Würdig war sie des Spiegels und Kammes! die hat sie nun leider

Nicht mit Augen gesehn, sie bleiben auf immer verloren.


Nun vom Kamme zu reden. Zu diesem hatte der Künstler

Pantherknochen genommen, die Reste des edlen Geschöpfes,

Zwischen Indien wohnt es und zwischen dem Paradiese.

Allerlei Farben zieren sein Fell, und süße Gerüche

Breiten sich aus, wohin es sich wendet, darum auch die Tiere

Seine Fährte so gern auf allen Wegen verfolgen;

Denn sie werden gesund von diesem Geruche, das fühlen

Und bekennen sie alle. Von solchen Knochen und Beinen

War der zierliche Kamm mit vielem Fleiße gebildet,

Klar wie Silber und weiß von unaussprechlicher Reinheit,

Und des Kammes Geruch ging über Nelken und Zimmet.

Stirbt das Tier, so fährt der Geruch in alle Gebeine,

Bleibt beständig darin und läßt sie nimmer verwesen,

Alle Seuche treibt er hinweg und alle Vergiftung.


Ferner sah man die köstlichsten Bilder am Rücken des Kammes

Hocherhaben, durchflochten mit goldenen zierlichen Ranken

Und mit rot und blauer Lasur. Im mittelsten Felde

War die Geschichte künstlich gebildet, wie Paris von Troja

Eines Tages am Brunnen saß, drei göttliche Frauen

Vor sich sah, man nannte sie Pallas und Juno und Venus.

Lange stritten sie erst, denn jegliche wollte den Apfel

Gerne besitzen, der ihnen bisher zusammen gehörte;

Endlich verglichen sie sich: es solle den goldenen Apfel

Paris der Schönsten bestimmen, sie sollt allein ihn behalten.


Und der Jüngling beschaute sie wohl mit gutem Bedachte.

Juno sagte zu ihm: ›Erhalt ich den Apfel, erkennst du

Mich für die Schönste, so wirst du der erste vor allen an Reichtum.‹

Pallas versetzte: ›Bedenke dich wohl und gib mir den Apfel,

Und du wirst der mächtigste Mann; es fürchten dich alle,

Wird dein Name genannt, so Feind' als Freunde zusammen.‹[542]

Venus sprach: ›Was soll die Gewalt? was sollen die Schätze?

Ist dein Vater nicht König Priamus? deine Gebrüder,

Hektor und andre, sind sie nicht reich und mächtig im Lande?

Ist nicht Troja geschützt von seinem Heere? und habt ihr

Nicht umher das Land bezwungen und fernere Völker?

Wirst du die Schönste mich preisen und mir den Apfel erteilen,

Sollst du des herrlichsten Schatzes auf dieser Erde dich freuen.

Dieser Schatz Ist ein treffliches Weib, die Schönste von allen,

Tugendsam, edel und weise, wer könnte würdig sie loben?

Gib mir den Apfel, du sollst des griechischen Königs Gemahlin,

Helena mein ich, die Schöne, den Schatz der Schätze, besitzen.‹


Und er gab ihr den Apfel und pries sie vor allen die Schönste.

Aber sie half ihm dagegen die schöne Königin rauben,

Menelaus' Gemahlin, sie ward in Troja die Seine.

Diese Geschichte sah man erhaben im mittelsten Felde.

Und es waren Schilder umher mit künstlichen Schriften;

Jeder durfte nur lesen, und so verstand er die Fabel.


Höret nun weiter vom Spiegel! daran die Stelle des Glases

Ein Beryll vertrat von großer Klarheit und Schönheit;

Alles zeigte sich drin, und wenn es meilenweit vorging,

War es Tag oder Nacht. Und hatte jemand im Antlitz

Einen Fehler, wie er auch war, ein Fleckchen im Auge,

Durft er sich nur im Spiegel besehn, so gingen von Stund an

Alle Mängel hinweg und alle fremden Gebrechen.

Ist's ein Wunder, daß mich es verdrießt, den Spiegel zu missen?

Und es war ein köstliches Holz zur Fassung der Tafel,

Sethym heißt es, genommen, von festem, glänzendem Wuchse,

Keine Würmer stechen es an und wird auch, wie billig,

Höher gehalten als Gold, nur Ebenholz kommt ihm am nächsten.

Denn aus diesem verfertigt' einmal ein trefflicher Künstler

Unter König Krompardes ein Pferd von seltnem Vermögen,

Eine Stunde brauchte der Reiter und mehr nicht zu hundert

Meilen. Ich könnte die Sache für jetzt nicht gründlich erzählen,

Denn es fand sich kein ähnliches Roß, solange die Welt steht.[543]

Anderthalb Fuß war rings die ganze Breite des Rahmens

Um die Tafel herum, geziert mit künstlichem Schnitzwerk,

Und mit goldenen Lettern stand unter jeglichem Bilde,

Wie sich's gehört, die Bedeutung geschrieben. Ich will die Geschichten

Kürzlich erzählen. Die erste war von dem neidischen Pferde:

Um die Wette gedacht es mit einem Hirsche zu laufen;

Aber hinter ihm blieb es zurück, das schmerzte gewaltig;

Und es eilte darauf, mit einem Hirten zu reden,

Sprach: ›Du findest dein Glück, wenn du mir eilig gehorchest.

Setze dich auf, ich bringe dich hin, es hat sich vor kurzem

Dort ein Hirsch im Walde verborgen, den sollst du gewinnen:

Fleisch und Haut und Geweih, du magst sie teuer verkaufen,

Setze dich auf, wir wollen ihm nach!‹ – ›Das will ich wohl wagen!‹

Sagte der Hirt und setzte sich auf, sie eilten von dannen.

Und sie erblickten den Hirsch in kurzem, folgten behende

Seiner Spur und jagten ihm nach. Er hatte den Vorsprung,

Und es ward dem Pferde zu sauer, da sagt' es zum Manne:

›Sitze was ab, ich bin müde geworden, der Ruhe bedarf ich.‹

›Nein! wahrhaftig‹, versetzte der Mann, ›du sollst mir gehorchen,

Meine Sporen sollst du empfinden, du hast mich ja selber

Zu dem Ritte gebracht‹; und so bezwang es der Reiter.

Seht, so lohnet sich der mit vielem Bösen, der, andern

Schaden zu bringen, sich selbst mit Pein und Übel beladet.


Ferner zeig ich Euch an, was auf dem Spiegel gebildet

Stand: Wie ein Esel und Hund bei einem Reichen in Diensten

Beide gewesen! so war denn der Hund nun freilich der Liebling,

Denn er saß beim Tische des Herrn und aß mit demselben

Fisch und Fleisch und ruhte wohl auch im Schoße des Gönners,

Der ihm das beste Brot zu reichen pflegte; dagegen

Wedelte mit dem Schwanze der Hund und leckte den Herren.


Boldewyn sah das Glück des Hundes, und traurig im Herzen

Ward der Esel und sagte bei sich: Wo denkt doch der Herr hin,

Daß er dem faulen Geschöpfe so äußerst freundlich begegnet?[544]

Springt das Tier nicht auf ihm herum und leckt ihn am Barte!

Und ich muß die Arbeit verrichten und schleppe die Säcke.

Er probier es einmal und tu mit fünf, ja mit zehen

Hunden im Jahre so viel, als ich des Monats verrichte!

Und doch wird ihm das Beste gereicht, mich speist man mit Stroh ab,

Läßt auf der harten Erde mich liegen, und wo man mich hintreibt

Oder reitet, spottet man meiner. Ich kann und ich will es

Länger nicht dulden, will auch des Herren Gunst mir erwerben.


Als er so sprach, kam eben sein Herr die Straße gegangen;

Da erhub der Esel den Schwanz und bäumte sich springend

Über den Herren und schrie und sang und plärrte gewaltig,

Leckt' ihm den Bart und wollte nach Art und Weise des Hundes

An die Wange sich schmiegen und stieß ihm einige Beulen.

Ängstlich entsprang ihm der Herr und rief: ›O! fangt mir den Esel,

Schlagt ihn tot!‹ Es kamen die Knechte, da regnet' es Prügel,

Nach dem Stalle trieb man ihn fort: da blieb er ein Esel.


Mancher findet sich noch von seinem Geschlechte, der andern

Ihre Wohlfahrt mißgönnt und sich nicht besser befindet.

Kommt dann aber einmal so einer in reichlichen Zustand,

Schickt sich's grad, als äße das Schwein mit Löffeln die Suppe,

Nicht viel besser fürwahr. Der Esel trage die Säcke,

Habe Stroh zum Lager und finde Disteln zur Nahrung.

Will man ihn anders behandeln, so bleibt es doch immer beim alten

Wo ein Esel zur Herrschaft gelangt, kann's wenig gedeihen.

Ihren Vorteil suchen sie wohl, was kümmert sie weiter?


Ferner sollt Ihr erfahren, mein König, und laßt Euch die Rede

Nicht verdrießen, es stand noch auf dem Rahmen des Spiegels

Schön gebildet und deutlich beschrieben, wie ehemals mein Vater

Sich mit Hinzen verbündet, auf Abenteuer zu ziehen,

Und wie beide heilig geschworen, in allen Gefahren

Tapfer zusammenzuhalten und jede Beute zu teilen.

Als sie nun vorwärts zogen, bemerkten sie Jäger und Hunde

Nicht gar ferne vom Wege; da sagte Hinze, der Kater:[545]

›Guter Rat scheint teuer zu werden!‹ Mein Alter versetzte:

›Wunderlich sieht es wohl aus, doch hab ich mit herrlichem Rate

Meinen Sack noch gefüllt, und wir gedenken des Eides,

Halten wacker zusammen, das bleibt vor allem das erste.‹

Hinze sagte dagegen: ›Es gehe, wie es auch wolle,

Bleibt mir doch ein Mittel bekannt, das denk ich zu brauchen.‹

Und so sprang er behend auf einen Baum, sich zu retten

Vor der Hunde Gewalt, und so verließ er den Oheim.

Ängstlich stand mein Vater nun da; es kamen die Jäger.

Hinze sprach: ›Nun, Oheim? Wie steht's? so öffnet den Sack doch!

Ist er voll Rates, so braucht ihn doch jetzt, die Zeit ist gekommen.‹

Und die Jäger bliesen das Horn und riefen einander.

Lief mein Vater, so liefen die Hunde, sie folgten mit Bellen,

Und er schwitzte vor Angst, und häufige Losung entfiel ihm;

Leichter fand er sich da, und so entging er den Feinden.


Schändlich, Ihr habt es gehört, verriet ihn der nächste Verwandte,

Dem er sich doch am meisten vertraut. Es ging ihm ans Leben,

Denn die Hunde waren zu schnell, und hätt er nicht eilig

Einer Höhle sich wieder erinnert, so war es geschehen;

Aber da schlupft' er hinein, und ihn verloren die Feinde.

Solcher Bursche gibt es noch viel, wie Hinze sich damals

Gegen den Vater bewies: wie sollt ich ihn lieben und ehren?

Halb zwar hab ich's vergeben, doch bleibt noch etwas zurücke.

All dies war auf dem Spiegel geschnitten mit Bildern und Worten.


Ferner sah man daselbst ein eignes Stückchen vom Wolfe,

Wie er zu danken bereit ist für Gutes, das er empfangen.

Auf dem Anger fand er ein Pferd, woran nur die Knochen

Übrig waren; doch hungert' ihn sehr, er nagte sie gierig,

Und es kam ihm ein spitziges Bein die Quer in den Kragen;

Ängstlich stellt' er sich an, es war ihm übel geraten.

Boten auf Boten sendet' er fort, die Ärzte zu rufen;

Niemand vermochte zu helfen, wiewohl er große Belohnung

Allen geboten. Da meldete sich am Ende der Kranich,

Mit dem roten Barett auf dem Haupt. Ihm flehte der Kranke:[546]

›Doktor, helft mir geschwind von diesen Nöten! ich geb Euch,

Bringt Ihr den Knochen heraus, soviel Ihr immer begehret.‹


Also glaubte der Kranich den Worten und steckte den Schnabel

Mit dem Haupt in den Rachen des Wolfes und holte den Knochen.

›Weh mir!‹ heulte der Wolf, ›du tust mir Schaden! es schmerzet!

Laß es nicht wieder geschehn! Für heute sei es vergeben.

Wär es ein andrer, ich hätte das nicht geduldig gelitten.‹

›Gebt Euch zufrieden‹, versetzte der Kranich, ›Ihr seid nun genesen;

Gebt mir den Lohn, ich hab ihn verdient, ich hab Euch geholfen.‹

›Höret den Gecken!‹ sagte der Wolf; ›ich habe das Übel,

Er verlangt die Belohnung und hat die Gnade vergessen,

Die ich ihm eben erwies. Hab ich ihm Schnabel und Schädel,

Den ich im Munde gefühlt, nicht unbeschädigt entlassen?

Hat mir der Schäker nicht Schmerzen gemacht? Ich könnte wahrhaftig,

Ist von Belohnung die Rede, sie selbst am ersten verlangen.‹

Also pflegen die Schälke mit ihren Knechten zu handeln.


Diese Geschichten und mehr verzierten, künstlich geschnitten,

Rings die Fassung des Spiegels und mancher gegrabene Zierat,

Manche goldene Schrift. Ich hielt des köstlichen Kleinods

Mich nicht wert, ich bin zu gering, und sandt es deswegen

Meiner Frauen, der Königin, zu. Ich dachte, durch solches

Ihr und ihrem Gemahl mich ehrerbietig zu zeigen.

Meine Kinder betrübten sich sehr, die artigen Knaben,

Als ich den Spiegel dahingab. Sie sprangen gewöhnlich und spielten

Vor dem Glase, beschauten sich gern, sie sahen die Schwänzchen


Hängen vom Rücken herab und lachten den eigenen Mäulchen.

Leider vermutet ich nicht den Tod des ehrlichen Lampe,

Da ich ihm und Bellyn auf Treu und Glauben die Schätze

Heilig empfahl; ich hielt sie beide für redliche Leute,

Keine besseren Freunde gedacht ich jemals zu haben.

Wehe sei über den Mörder gerufen! Ich will es er fahren,

Wer die Schätze verborgen, es bleibt kein Mörder verhohlen.

Wüßte doch ein und andrer vielleicht im Kreis hier zu sagen,

Wo die Schätze geblieben und wie man Lampen getötet![547]

Seht, mein gnädiger König, es kommen täglich so viele

Wichtige Sachen vor Euch; Ihr könnt nicht alles behalten;

Doch vielleicht gedenket Ihr noch des herrlichen Dienstes,

Den mein Vater dem Euren an dieser Stätte bewiesen.

Krank lag Euer Vater, sein Leben rettete meiner,

Und doch sagt Ihr, ich habe noch nie, es habe mein Vater

Euch nichts Gutes erzeigt. Beliebt, mich weiter zu hören.

Sei es mit Eurer Erlaubnis gesagt: Es fand sich am Hofe

Eures Vaters der meine bei großen Würden und Ehren

Als erfahrener Arzt. Er wußte das Wasser des Kranken

Klug zu besehn; er half der Natur; was immer den Augen,

Was den edelsten Gliedern gebrach, gelang ihm zu heilen;

Kannte wohl die emetischen Kräfte, verstand auch daneben

Auf die Zähne sich gut und holte die schmerzenden spielend.

Gerne glaub ich, Ihr habt es vergessen; es wäre kein Wunder,

Denn drei Jahre hattet Ihr nur. Es legte sich damals

Euer Vater im Winter mit großen Schmerzen zu Bette,

Ja, man mußt ihn heben und tragen. Da ließ er die Ärzte


Zwischen hier und Rom zusammenberufen, und alle

Gaben ihn auf; er schickte zuletzt, man holte den Alten;

Dieser hörte die Not und sah die gefährliche Krankheit.


Meinen Vater jammert' es sehr, er sagte: ›Mein König,

Gnädiger Herr, ich setzte, wie gern! mein eigenes Leben,

Könnt ich Euch retten, daran! Doch laßt im Glase mich Euer

Wasser besehn.‹ Der König befolgte die Worte des Vaters,

Aber klagte dabei, es werde je länger, je schlimmer.

Auf dem Spiegel war es gebildet, wie glücklich zur Stunde

Euer Vater genesen. Denn meiner sagte bedächtig:

›Wenn Ihr Gesundheit verlangt, entschließt Euch ohne Versäumnis,

Eines Wolfes Leber zu speisen, doch sollte derselbe

Sieben Jahre zum wenigsten haben; die müßt Ihr verzehren.

Sparen dürft Ihr mir nicht, denn Euer Leben betrifft es.

Euer Wasser zeuget nur Blut, entschließt Euch geschwinde!‹[548]

In dem Kreise befand sich der Wolf und hört' es nicht gerne.

Euer Vater sagte darauf: ›Ihr habt es vernommen,

Höret, Herr Wolf, Ihr werdet mir nicht zu meiner Genesung

Eure Leber verweigern.‹ Der Wolf versetzte dagegen:

›Nicht fünf Jahre bin ich geboren! was kann sie Euch nutzen?‹

›Eitles Geschwätz!‹ versetzte mein Vater, ›es soll uns nicht hindern,

An der Leber seh ich das gleich.‹ Es mußte zur Stelle

Nach der Küche der Wolf, und brauchbar fand sich die Leber.

Euer Vater verzehrte sie stracks. Zur selbigen Stunde

War er von aller Krankheit befreit und allen Gebrechen.

Meinem Vater dankt' er genug, es mußt ihn ein jeder

Doktor heißen am Hofe; man durft es niemals vergessen.


Also ging mein Vater beständig dem König zur Rechten.

Euer Vater verehrt' ihm hernach, ich weiß es am besten,

Eine goldene Spange mit einem roten Barette,

Sie vor allen Herren zu tragen; so haben ihn alle

Hoch in Ehren gehalten. Es hat sich aber mit seinem

Sohne leider geändert, und an die Tugend des Vaters

Wird nicht weiter gedacht. Die allergierigsten Schälke

Werden erhoben, und Nutz und Gewinn bedenkt man alleine,

Recht und Weisheit stehen zurück. Es werden die Diener

Große Herren, das muß der Arme gewöhnlich entgelten.

Hat ein solcher Macht und Gewalt, so schlägt er nur blindlings

Unter die Leute, gedenket nicht mehr, woher er gekommen;

Seinen Vorteil gedenkt er aus allem Spiele zu nehmen.

Um die Großen finden sich viele von diesem Gelichter.

Keine Bitte hören sie je, wozu nicht die Gabe

Gleich sich reichlich gesellt, und wenn sie die Leute bescheiden,

Heißt es: Bringt nur! und bringt! zum ersten, zweiten und dritten.


Solche gierige Wölfe behalten köstliche Bissen

Gerne für sich, und wär es zu tun, mit kleinem Verluste

Ihres Herren Leben zu retten, sie trügen Bedenken.

Wollte der Wolf doch die Leber nicht lassen, dem König zu dienen!

Und was Leber! Ich sag es heraus! Es möchten auch zwanzig[549]

Wölfe das Leben verlieren, behielte der König und seine

Teure Gemahlin das ihre, so wär es weniger Schade.

Denn ein schlechter Same, was kann er Gutes erzeugen?

Was in Eurer Jugend geschah, Ihr habt es vergessen;

Aber ich weiß es genau, als wär es gestern geschehen.

Auf dem Spiegel stand die Geschichte, so wollt es mein Vater;

Edelsteine zierten das Werk und goldene Ranken.

Könnt ich den Spiegel erfragen, ich wagte Vermögen und Leben.«


»Reineke«, sagte der König, »die Rede hab ich verstanden,

Habe die Worte gehört und was du alles erzähltest.

War dein Vater so groß hier am Hofe und hat er so viele

Nützliche Taten getan, das mag wohl lange schon her sein.

Ich erinnre mich's nicht, auch hat mir's niemand berichtet.

Eure Händel dagegen, die kommen mir öfters zu Ohren,

Immer seid Ihr im Spiele, so hör ich wenigstens sagen;

Tun sie Euch Unrecht damit und sind es alte Geschichten,

Möcht ich einmal was Gutes vernehmen; es findet sich selten.«


»Herr«, versetzte Reineke drauf, »ich darf mich hierüber

Wohl erklären vor Euch, denn mich betrifft ja die Sache.

Gutes hab ich Euch selber getan! es sei Euch nicht etwa

Vorgeworfen; behüte mich Gott! ich erkenne mich schuldig,

Euch zu leisten, soviel ich vermag. Ihr habt die Geschichte

Ganz gewiß nicht vergessen. Ich war mit Isegrim glücklich

Einst, ein Schwein zu erjagen, es schrie, wir bissen es nieder,

Und Ihr kamt und klagtet so sehr und sagtet: es käme

Eure Frau noch hinter Euch drein, und teilte nur jemand

Wenige Speise mit Euch, so wär Euch beiden geholfen.

›Gebet von Eurem Gewinne was ab!‹ so sagtet Ihr damals.

Isegrim sagte wohl: ›Ja!‹, doch murmelt' er unter dem Barte,

Daß man kaum es verstand. Ich aber sagte dagegen:

›Herr! es ist Euch gegönnt, und wären's der Schweine die Menge.

Sagt, wer soll es verteilen?‹ – ›Der Wolf!‹ versetztet Ihr wieder.

Isegrim freute sich sehr; er teilte, wie er gewohnt war,

Ohne Scham und Scheu, und gab Euch eben ein Vierteil,[550]

Eurer Frauen das andre, und er fiel über die Hälfte,

Schlang begierig hinein und reichte mir außer den Ohren

Nur die Nase noch hin und eine Hälfte der Lunge;

Alles andre behielt er für sich, Ihr habt es gesehen.

Wenig Edelmut zeigt' er uns da. Ihr wißt es, mein König!

Euer Teil verzehrtet Ihr bald, doch merkt ich, Ihr hattet

Nicht den Hunger gestillt, nur Isegrim wollt es nicht sehen,

Aß und kaute so fort und bot Euch nicht das Geringste.

Aber da traft Ihr ihn auch mit Euren Tatzen gewaltig

Hinter die Ohren, verschobt ihm das Fell, mit blutiger Glatze

Lief er davon, mit Beulen am Kopf, und heulte vor Schmerzen.

Und Ihr rieft ihm noch zu: ›Komm wieder, lerne dich schämen!

Teilst du wieder, so triff mir's besser, sonst will ich dir's zeigen.

Jetzt mach eilig dich fort und bring uns ferner zu essen!‹

›Herr! gebietet Ihr das?‹ versetzt ich, ›so will ich ihm folgen,

Und ich weiß, ich hole schon was.‹ Ihr wart es zufrieden.

Ungeschickt hielt sich Isegrim damals; er blutete, seufzte,

Klagte mir vor; doch trieb ich ihn an, wir jagten zusammen,

Fingen ein Kalb! Ihr liebt Euch die Speise. Und als wir es brachten,

Fand sich's fett; Ihr lachtet dazu und sagtet zu meinem

Lobe manch freundliches Wort; ich wäre, meintet Ihr, trefflich

Auszusenden zur Stunde der Not, und sagtet daneben:

›Teile das Kalb!‹ Da sprach ich: ›Die Hälfte gehöret schon Euer!

Und die Hälfte gehört der Königin; was sich im Leibe

Findet, als Herz und Leber und Lunge, gehöret, wie billig,

Euern Kindern; ich nehme die Füße, die lieb ich zu nagen,

Und das Haupt behalte der Wolf, die köstliche Speise.‹


Als Ihr die Rede vernommen, versetztet Ihr: ›Sage, wer hat dich

So nach Hofart teilen gelehrt? ich möcht es erfahren.‹

Da versetzt ich: ›Mein Lehrer ist nah, denn dieser mit rotem

Kopfe, mit blutiger Glatze, hat mir das Verständnis geöffnet.

Ich bemerkte genau, wie er heut frühe das Ferkel

Teilte, da lernt ich den Sinn von solcher Teilung begreifen;

Kalb oder Schwein, ich find es nun leicht und werde nicht fehlen.‹[551]

Schaden und Schande befiel den Wolf und seine Begierde.

Seinesgleichen gibt es genug! Sie schlingen der Güter

Reichliche Früchte zusamt den Untersassen hinunter.

Alles Wohl zerstören sie leicht, und keine Verschonung

Ist zu erwarten, und wehe dem Lande, das selbige nähret!


Seht! Herr König, so hab ich Euch oft in Ehren gehalten.

Alles, was ich besitze und was ich nur immer gewinne,

Alles widm' ich Euch gern und Eurer Königin; sei es

Wenig oder auch viel, Ihr nehmt das meiste von allem.

Wenn Ihr des Kalbes und Schweines gedenkt, so merkt Ihr die Wahrheit

Wo die rechte Treue sich findet. Und dürfte wohl etwa

Isegrim sich mit Reineken messen? Doch leider im Ansehn


Steht der Wolf als oberster Vogt, und alle bedrängt er.

Euren Vorteil besorgt er nicht sehr; zum Halben und Ganzen

Weiß er den seinen zu fördern. So führt er freilich mit Braunen

Nun das Wort, und Reinekens Rede wird wenig geachtet.


Herr! es ist wahr, man hat mich verklagt, ich werde nicht weichen,

Denn ich muß nun hindurch, und also sei es gesprochen:

Ist hier einer, der glaubt zu beweisen, so komm er mit Zeugen,

Halte sich fest an die Sache und setze gerichtlich zum Pfande

Sein Vermögen, sein Ohr, sein Leben, wenn er verlöre,

Und ich setze das gleiche dagegen: so hat es zu Rechte

Stets gegolten, so halte man's noch, und alle die Sache,

Wie man sie für und wider gesprochen, sie werde getreulich

Solcherweise geführt und gerichtet; ich darf es verlangen!«


»Wie es auch sei«, versetzte der König, »am Wege des Rechtes

Will und kann ich nicht schmälern, ich hab es auch niemals gelitten.

Groß ist zwar der Verdacht, du habest an Lampens Ermordung

Teilgenommen, des redlichen Boten! Ich liebt ihn besonders

Und verlor ihn nicht gern, betrübte mich über die Maßen,

Als man sein blutiges Haupt aus deinem Ränzel herauszog;

Auf der Stelle büßt' es Bellyn, der böse Begleiter:

Und du magst die Sache nun weiter gerichtlich verfechten.
[552]

Was mich selber betrifft, vergeb ich Reineken alles,

Denn er hielt sich zu mir in manchen bedenklichen Fällen.

Hätte weiter jemand zu klagen, wir wollen ihn hören:

Stell er unbescholtene Zeugen und bringe die Klage

Gegen Reineken ordentlich vor, hier steht er zu Rechte!«


Reineke sagte: »Gnädiger Herr! ich danke zum besten.

Jeden hört Ihr, und jeder genießt die Wohltat des Rechtes.

Laßt mich heilig beteuern, mit welchem traurigen Herzen

Ich Bellyn und Lampen entließ: mir ahnete, glaub ich,

Was den beiden sollte geschehn, ich liebte sie zärtlich.«


So staffierte Reineke klug Erzählung und Worte.

Jedermann glaubt' ihm; er hatte die Schätze so zierlich beschrieben,

Sich so ernstlich betragen, er schien die Wahrheit zu reden.

Ja, man sucht' ihn zu trösten. Und so betrog er den König,

Dem die Schätze gefielen; er hätte sie gerne besessen,

Sagte zu Reineken: »Gebt Euch zufrieden, Ihr reiset und suchet

Weit und breit, das Verlorne zu finden, das Mögliche tut Ihr;

Wenn Ihr meiner Hülfe bedürft, sie steht Euch zu Diensten.«


»Dankbar«, sagte Reineke drauf, »erkenn ich die Gnade;

Diese Worte richten mich auf und lassen mich hoffen.

Raub und Mord zu bestrafen ist Eure höchste Behörde.

Dunkel bleibt mir die Sache, doch wird sich's finden; ich sehe

Mit dem größten Fleiße darnach und werde des Tages

Emsig reisen und nachts und alle Leute befragen.

Hab ich erfahren, wo sie sich finden, und kann sie nicht selber

Wiedergewinnen, wär ich zu schwach, so bitt ich um Hülfe,

Die gewährt Ihr alsdann, und sicher wird es geraten.

Bring ich glücklich die Schätze vor Euch, so find ich am Ende

Meine Mühe belohnt und meine Treue bewähret.«


Gerne hört' es der König und fiel in allem und jedem

Reineken bei, der hatte die Lüge so künstlich geflochten.

Alle die andern glaubten es auch; er durfte nun wieder

Reisen und gehen, wohin ihm gefiel und ohne zu fragen.[553]

Aber Isegrim konnte sich länger nicht halten, und knirschend

Sprach er: »Gnädiger Herr! So glaubt Ihr wieder dem Diebe,

Der Euch zwei- und dreifach belog? Wen sollt es nicht wundern

Seht Ihr nicht, daß der Schalk Euch betriegt und uns alle beschädigt?

Wahrheit redet er nie, und eitel Lügen ersinnt er.

Aber ich laß ihn so leicht nicht davon! Ihr sollt es erfahren,

Daß er ein Schelm ist und falsch. Ich weiß drei große Verbrechen,

Die er begangen; er soll nicht entgehn, und sollten wir kämpfen.

Zwar man fordert Zeugen von uns, was wollte das helfen?

Stünden sie hier und sprächen und zeugten den ganzen Gerichtstag,

Könnte das fruchten? Er täte nur immer nach seinem Belieben.

Oft sind keine Zeugen zu stellen, da sollte der Frevler

Nach wie vor die Tücke verüben? Wer traut sich zu reden?

Jedem hängt er was an, und jeder fürchtet den Schaden.

Ihr und die Euren empfinden es auch und alle zusammen.

Heute will ich ihn halten, er soll nicht wanken noch weichen,

Und er soll zu Rechte mir stehn, nun mag er sich wahren!«
[554]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 540-555.
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Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

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