Zweiter Auftritt


[46] Iphigenie. Arkas.


ARKAS.

Beschleunige das Opfer, Priesterin!

Der König wartet, und es harrt das Volk.

IPHIGENIE.

Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink,

Wenn unvermutet nicht ein Hindernis

Sich zwischen mich und die Erfüllung stellte.

ARKAS.

Was ist's, das den Befehl des Königs hindert?

IPHIGENIE.

Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind.

ARKAS.

So sage mir's, daß ich's ihm schnell vermelde:

Denn er beschloß bei sich der beiden Tod.

IPHIGENIE.

Die Götter haben ihn noch nicht beschlossen.

Der ältste dieser Männer trägt die Schuld

Des nahverwandten Bluts, das er vergoß.

Die Furien verfolgen seinen Pfad,

Ja, in dem innern Tempel faßte selbst

Das Übel ihn, und seine Gegenwart

Entheiligte die reine Stätte. Nun

Eil' ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere

Der Göttin Bild mit frischer Welle netzend,

Geheimnisvolle Weihe zu begehn.

Es störe niemand unsern stillen Zug!

ARKAS.

Ich melde dieses neue Hindernis

Dem Könige geschwind; beginne du

Das heil'ge Werk nicht eh', bis er's erlaubt.

IPHIGENIE.

Dies ist allein der Priestrin überlassen.

ARKAS.

Solch seltnen Fall soll auch der König wissen.

IPHIGENIE.

Sein Rat wie sein Befehl verändert nichts.

ARKAS.

Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt.

IPHIGENIE.

Erdringe nicht, was ich versagen sollte.

ARKAS.

Versage nicht, was gut und nützlich ist.

IPHIGENIE.

Ich gebe nach, wenn du nicht säumen willst.[46]

ARKAS.

Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager,

Und schnell mit seinen Worten hier zurück.

O könnt' ich ihm noch eine Botschaft bringen,

Die alles löste, was uns jetzt verwirrt:

Denn du hast nicht des Treuen Rat geachtet.

IPHIGENIE.

Was ich vermochte, hab' ich gern getan.

ARKAS.

Noch änderst du den Sinn zur rechten Zeit.

IPHIGENIE.

Das steht nun einmal nicht in unsrer Macht.

ARKAS.

Du hältst unmöglich, was dir Mühe kostet.

IPHIGENIE.

Dir scheint es möglich, weil der Wunsch dich trügt.

ARKAS.

Willst du denn alles so gelassen wagen?

IPHIGENIE.

Ich hab' es in der Götter Hand gelegt.

ARKAS.

Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten.

IPHIGENIE.

Auf ihren Fingerzeig kommt alles an.

ARKAS.

Ich sage dir, es liegt in deiner Hand.

Des Königs aufgebrachter Sinn allein

Bereitet diesen Fremden bittern Tod.

Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer

Und von dem blut'gen Dienste sein Gemüt.

Ja, mancher, den ein widriges Geschick

An fremdes Ufer trug, empfand es selbst,

Wie göttergleich dem armen Irrenden,

Umhergetriebnen an der fremden Grenze

Ein freundlich Menschenangesicht begegnet.

O wende nicht von uns, was du vermagst!

Du endest leicht, was du begonnen hast:

Denn nirgends baut die Milde, die herab

In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt,

Ein Reich sich schneller, als wo trüb und wild

Ein neues Volk, voll Leben, Mut und Kraft,

Sich selbst und banger Ahnung überlassen,

Des Menschenlebens schwere Bürden trägt.

IPHIGENIE.

Erschüttre meine Seele nicht, die du

Nach deinem Willen nicht bewegen kannst.

ARKAS.

Solang' es Zeit ist, schont man weder Mühe

Noch eines guten Wortes Wiederholung.

IPHIGENIE.

Du machst dir Müh, und mir erregst du Schmerzen;[47]

Vergebens beides: darum laß mich nun.

ARKAS.

Die Schmerzen sind's, die ich zu Hilfe rufe:

Denn es sind Freunde, Gutes raten sie.

IPHIGENIE.

Sie fassen meine Seele mit Gewalt,

Doch tilgen sie den Widerwillen nicht.

ARKAS.

Fühlt eine schöne Seele Widerwillen

Für eine Wohltat, die der Edle reicht?

IPHIGENIE.

Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt,

Statt meines Dankes mich erwerben will.

ARKAS.

Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es

An einem Worte der Entschuld'gung nie.

Dem Fürsten sag' ich an, was hier geschehn.

O wiederholtest du in deiner Seele,

Wie edel er sich gegen dich betrug

Von deiner Ankunft an bis diesen Tag!


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 46-48.
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