Dritter Auftritt

[125] LEONORE.

Wie jammert mich das edle schöne Herz!

Welch traurig Los das ihrer Hoheit fällt!

Ach sie verliert – und denkst du zu gewinnen?

Ist's denn so nötig, daß er sich entfernt?

Machst du es nötig, um allein für dich

Das Herz und die Talente zu besitzen,

Die du bisher mit einer andern teilst

Und ungleich teilst? Ist's redlich so zu handeln?

Bist du nicht reich genug? Was fehlt dir noch?

Gemahl und Sohn und Güter, Rang und Schönheit,

Das hast du alles, und du willst noch ihn

Zu diesem allen haben? Liebst du ihn?

Was ist es sonst, warum du ihn nicht mehr

Entbehren magst? Du darfst es dir gestehn.

Wie reizend ist's, in seinem schönen Geiste

Sich selber zu bespiegeln! Wird ein Glück

Nicht doppelt groß und herrlich, wenn sein Lied

Uns wie auf Himmelswolken trägt und hebt?

Dann bist du erst beneidenswert! Du bist,

Du hast das nicht allein, was viele wünschen,

Es weiß, es kennt auch jeder, was du hast!

Dich nennt dein Vaterland und sieht auf dich,

Das ist der höchste Gipfel jedes Glücks.

Ist Laura denn allein der Name, der

Von allen zarten Lippen klingen soll?

Und hatte nur Petrarch allein das Recht,

Die unbekannte Schöne zu vergöttern?

Wo ist ein Mann, der meinem Freunde sich

Vergleichen darf? Wie ihn die Welt verehrt,

So wird die Nachwelt ihn verehrend nennen.

Wie herrlich ist's, im Glanze dieses Lebens

Ihn an der Seite haben! so mit ihm[125]

Der Zukunft sich mit leichtem Schritte nahn!

Alsdann vermag die Zeit, das Alter nichts

Auf dich, und nichts der freche Ruf,

Der hin und her des Beifalls Woge treibt:

Das was vergänglich ist, bewahrt sein Lied.

Du bist noch schön noch glücklich, wenn schon lange

Der Kreis der Dinge dich mit fortgerissen.

Du mußt ihn haben, und ihr nimmst du nichts:

Denn ihre Neigung zu dem werten Manne

Ist ihren andern Leidenschaften gleich.

Sie leuchten, wie der stille Schein des Monds

Dem Wandrer spärlich auf dem Pfad zu Nacht;

Sie wärmen nicht und gießen keine Lust

Noch Lebensfreud umher. Sie wird sich freuen,

Wenn sie ihn fern, wenn sie ihn glücklich weiß,

Wie sie genoß, wenn sie ihn täglich sah.

Und dann, ich will mit meinem Freunde nicht

Von ihr und diesem Hofe mich verbannen;

Ich komme wieder, und ich bring ihn wieder.

So soll es sein! – Hier kommt der rauhe Freund,

Wir wollen sehn, ob wir ihn zähmen können.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 125-126.
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