Erster Auftritt


[150] Garten.

Alfons. Antonio.


ANTONIO.

Auf deinen Wink ging ich das zweitemal

Zu Tasso hin, ich komme von ihm her.

Ich hab ihm zugeredet, ja gedrungen,

Allein er geht von seinem Sinn nicht ab,

Und bittet sehnlich daß du ihn nach Rom

Auf eine kurze Zeit entlassen mögest.

ALFONS.

Ich bin verdrießlich, daß ich dir's gestehe,

Und lieber sag ich dir, daß ich es bin,

Als daß ich den Verdruß verberg und mehre.

Er will verreisen; gut, ich halt ihn nicht,

Er will hinweg, er will nach Rom, es sei!

Nur daß mir Scipio Gonzaga nicht,

Der kluge Medicis ihn nicht entwende!

Das hat Italien so groß gemacht,

Daß jeder Nachbar mit dem andern streitet,

Die Bessern zu besitzen, zu benutzen.

Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst,

Der die Talente nicht um sich versammelt.

Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt,

Ist ein Barbar, er sei auch wer er sei.

Gefunden hab ich diesen und gewählt,

Ich bin auf ihn als meinen Diener stolz,

Und da ich schon für ihn so viel getan,

So möcht ich ihn nicht ohne Not verlieren.

ANTONIO.

Ich bin verlegen, denn ich trage doch

Vor dir die Schuld von dem was heut geschah;

Auch will ich meinen Fehler gern gestehn,

Er bleibet deiner Gnade zu verzeihn;

Doch wenn du glauben könntest, daß ich nicht

Das Mögliche getan ihn zu versöhnen,

So würd ich ganz untröstlich sein. O! sprich[150]

Mit holdem Blick mich an, damit ich wieder

Mich fassen kann, mir selbst vertrauen mag.

ALFONS.

Antonio nein, da sei nur immer ruhig,

Ich schreib es dir auf keine Weise zu;

Ich kenne nur zu gut den Sinn des Mannes,

Und weiß nur allzuwohl was ich getan,

Wie sehr ich ihn geschont, wie sehr ich ganz

Vergessen, daß ich eigentlich an ihn

Zu fordern hätte. Über vieles kann

Der Mensch zum Herrn sich machen, seinen Sinn

Bezwinget kaum die Not und lange Zeit.

ANTONIO.

Wenn andre vieles um den einen tun,

So ist's auch billig, daß der eine wieder

Sich fleißig frage was den andern nützt.

Wer seinen Geist so viel gebildet hat,

Wer jede Wissenschaft zusammen geizt

Und jede Kenntnis die uns zu ergreifen

Erlaubt ist, sollte der, sich zu beherrschen,

Nicht doppelt schuldig sein? Und denkt er dran?

ALFONS.

Wir sollen eben nicht in Ruhe bleiben!

Gleich wird uns, wenn wir zu genießen denken,

Zur Übung unsrer Tapferkeit ein Feind,

Zur Übung der Geduld ein Freund gegeben.

ANTONIO.

Die erste Pflicht des Menschen, Speis und Trank

Zu wählen, da ihn die Natur so eng

Nicht wie das Tier beschränkt, erfüllt er die?

Und läßt er nicht vielmehr sich wie ein Kind

Von allem reizen was dem Gaumen schmeichelt?

Wann mischt er Wasser unter seinen Wein?

Gewürze, süße Sachen, stark Getränke,

Eins um das andre schlingt er hastig ein,

Und dann beklagt er seinen trüben Sinn,

Sein feurig Blut, sein allzuheftig Wesen,

Er schilt auf die Natur und das Geschick.

Wie bitter und wie töricht hab ich ihn

Nicht oft mit seinem Arzte rechten sehn;

Zum Lachen fast, wär irgend lächerlich

Was einen Menschen quält und andre plagt.

»Ich fühle dieses Übel«, sagt er bänglich[151]

Und voll Verdruß! »Was rühmt Ihr Eure Kunst?

Schafft mir Genesung!« – Gut, versetzt der Arzt,

So meidet das und das – »Das kann ich nicht« –

So nehmet diesen Trank – »O nein! der schmeckt

Abscheulich, er empört mir die Natur«

So trinkt denn Wasser – »Wasser? nimmermehr!

Ich bin so wasserscheu als ein Gebißner« –

So ist Euch nicht zu helfen – »Und warum?« –

Das Übel wird sich stets mit Übeln häufen,

Und, wenn es Euch nicht töten kann, nur mehr

Und mehr mit jedem Tag Euch quälen – »Schön!

Wofür seid Ihr ein Arzt? Ihr kennt mein Übel,

Ihr solltet auch die Mittel kennen, sie

Auch schmackhaft machen, daß ich nicht noch erst,

Der Leiden los zu sein, recht leiden müsse.«

Du lächelst selbst und doch ist es gewiß,

Du hast es wohl aus seinem Mund gehört?

ALFONS.

Ich hab es oft gehört und oft entschuldigt.

ANTONIO.

Es ist gewiß, ein ungemäßigt Leben,

Wie es uns schwere wilde Träume gibt,

Macht uns zuletzt am hellen Tage träumen.

Was ist sein Argwohn anders als ein Traum?

Wohin er tritt, glaubt er von Feinden sich

Umgeben. Sein Talent kann niemand sehn

Der ihn nicht neidet, niemand ihn beneiden

Der ihn nicht haßt und bitter ihn verfolgt.

So hat er oft mit Klagen dich belästigt:

Erbrochne Schlösser, aufgefangne Briefe,

Und Gift und Dolch! Was alles vor ihm schwebt!

Du hast es untersuchen lassen, untersucht,

Und hast du was gefunden? Kaum den Schein.

Der Schutz von keinem Fürsten macht ihn sicher,

Der Busen keines Freundes kann ihn laben.

Und willst du einem solchen Ruh und Glück,

Willst du von ihm wohl Freude dir versprechen?

ALFONS.

Du hättest recht, Antonio, wenn in ihm

Ich meinen nächsten Vorteil suchen wollte!

Zwar ist es schon mein Vorteil, daß ich nicht

Den Nutzen grad und unbedingt erwarte.[152]

Nicht alles dienet uns auf gleiche Weise;

Wer vieles brauchen will, gebrauche jedes

In seiner Art, so ist er wohl bedient.

Das haben uns die Medicis gelehrt,

Das haben uns die Päpste selbst gewiesen.

Mit welcher Nachsicht, welcher fürstlichen

Geduld und Langmut trugen diese Männer

Manch groß Talent, das ihrer reichen Gnade

Nicht zu bedürfen schien und doch bedurfte!

ANTONIO.

Wer weiß es nicht, mein Fürst, des Lebens Mühe

Lehrt uns allein des Lebens Güter schätzen.

So jung hat er zu vieles schon erreicht

Als daß genügsam er genießen könnte.

O sollt er erst erwerben was ihm nun

Mit offnen Händen angeboten wird,

Er strengte seine Kräfte männlich an

Und fühlte sich von Schritt zu Schritt begnügt.

Ein armer Edelmann hat schon das Ziel

Von seinem besten Wunsch erreicht, wenn ihn

Ein edler Fürst zu seinem Hofgenossen

Erwählen will und ihn der Dürftigkeit

Mit milder Hand entzieht. Schenkt er ihm noch

Vertraun und Gunst, und will an seine Seite

Vor andern ihn erheben, sei's im Krieg,

Sei's in Geschäften oder im Gespräch:

So dächt ich, könnte der bescheidne Mann

Sein Glück mit stiller Dankbarkeit verehren.

Und Tasso hat zu allem diesem noch

Das schönste Glück des Jünglings: daß ihn schon

Sein Vaterland erkennt und auf ihn hofft.

O glaube mir, sein launisch Mißbehagen

Ruht auf dem breiten Polster seines Glücks.

Er kommt, entlaß ihn gnädig, gib ihm Zeit

In Rom und in Neapel, wo er will,

Das aufzusuchen was er hier vermißt

Und was er hier nur wiederfinden kann.

ALFONS.

Will er zurück erst nach Ferrara gehn?

ANTONIO.

Er wünscht in Belriguardo zu verweilen.[153]

Das Nötigste was er zur Reise braucht,

Will er durch einen Freund sich senden lassen.

ALFONS.

Ich bin's zufrieden. Meine Schwester geht

Mit ihrer Freundin gleich zurück, und reitend

Werd ich vor ihnen noch zu Hause sein.

Du folgst uns bald, wenn du für ihn gesorgt.

Dem Kastellan befiehl das Nötige,

Daß er hier auf dem Schlosse bleiben kann

So lang er will, so lang bis seine Freunde

Ihm das Gepäck gesendet, bis wir ihm

Die Briefe schicken die ich ihm nach Rom

Zu geben willens bin. Er kommt! Leb wohl!


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 150-154.
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