Zwölfter Auftritt


[149] Die Vorigen. Der Richter. Görge. Bauern.


RICHTER hereindringend. Nein, nein, ich muß die Sache untersuchen.

GÖRGE ihn abhaltend. Es ist nichts.

MÄRTEN. Muß ich den Richter in meinem Hause sehen? Ich unglücklicher Mann!

RÖSE vortretend. Bemüh Er sich nicht, Herr Richter.

RICHTER. Kein Bemühen! Es ist Schuldigkeit. Wer hat Feuer geschrien?

RÖSE. Es war Spaß.

RICHTER. Man spaßt nicht so. Wer hat Hülfe gerufen?

RÖSE. Ich – Ich – neckte mich mit Görgen.

RICHTER. Necktet Euch?

RÖSE führt den Richter herum und erzählt, indem sie sich besinnt. Da hatt ich im Milchschranke einen schönen Topf saure Milch – und schloß den Schrank zu und ging weg – Da kam Görge – Warte nur, Görge! – Da kam Görge, und hatte Appetit – und brach den Schrank auf.

RICHTER. Ei! ei!

RÖSE. Und rahmte mir den Topf ab – und machte sich ein Frühstück zurecht – hier steht es noch – da kam ich nach Hause – und war böse – und – gab ihm eine Ohrfeige – da hascht er mich – und kitzelte mich, und da schrie ich –[149] und da balgten wir uns, und da warfen wir die Stühle um – und da fiel einer dem Vater auf die Füße – Nicht wahr, Vater?

MÄRTEN. Ihr seht, wie ich hinke.

RÖSE. Und da schrie ich noch ärger – und –

RICHTER. Und da log ich dem Richter was vor.

RÖSE. Ich lüge nicht.

RICHTER. Ich glaube, Ihr wißt es selbst nicht, so glatt geht's Euch vom Maule. Glaubt Ihr, daß unsereiner nicht besser aufpaßte?

GÖRGE. Wieso?

RICHTER zu Rösen. Gingt Ihr nicht eben vor meinem Hause vorbei?

RÖSE. Ja.

RICHTER. Begegnetet Ihr nicht diesen Leuten?

RÖSE. Ich erinnere mich's nicht.

RICHTER zu den Bauern. Ist sie euch nicht begegnet?

EIN BAUER. Ja! und sie hat mit uns gesprochen, und wir haben ihr gesagt, daß bei ihrem Vater großer Lärm wäre.

MÄRTEN. Nun ist's aus!

RÖSE. O verwünscht!

GÖRGE. So geht's mit dem Ausreden!

RICHTER. Da steht Ihr nun! Was sagt Ihr dazu?


Sie sehen einander an; der Richter geht auf und nieder und findet die Mütze.


Oho! Was ist das?

GÖRGE. Ich weiß nicht.

RICHTER sieht sich um und findet den Hut mit der Kokarde. Und das?

RÖSE. Ich versteh's nicht.

RICHTER hält sie Märten hin. Nun? Vielleicht wißt Ihr? Vielleicht versteht Ihr?

MÄRTEN für sich. Was soll ich sagen?

RICHTER. So werd ich's euch wohl erklären müssen. Das ist eine Freiheitsmütze. Das ist eine Nationalkokarde. Eine[150] schöne Entdeckung! Nun steht ihr da und verstummt, weil es zu deutlich ist. – In diesem Hause ist also der Klub der Verschwornen, die Zusammenkunft der Verräter, der Sitz der Rebellen? – Das ist ein Fund! das ist ein Glück! – Ihr habt euch gewiß untereinander veruneinigt, wie die Franzosen auch – und seid euch einander in die Haare gefallen – habt euch selbst verraten. So ist's schon recht! – Wir wollen weiter hören.

RÖSE. Lieber Herr Richter!

RICHTER. Sonst seid Ihr so schnippisch. Jetzt könnt Ihr bitten.

GÖRGE. Ihr müßt wissen –

RICHTER. Ich muß? – Ihr werdet bald anders reden.

MÄRTEN. Herr Gevatter!

RICHTER. Bin ich einmal wieder Gevatter?

RÖSE. Seid Ihr nicht mein Pate?

RICHTER. Seit der Zeit hat sich vieles geändert.

MÄRTEN. Laßt Euch sagen –

RICHTER. Schweigt! Ihr dürft mir gar nicht kommen! Habt ihr nicht etwa schon Anstalt zum Freiheitsbaum gemacht? Habt ihr nicht schon abgeredet, mich an den ersten besten Pfahl zu hängen? Man weiß, wie jetzt das unruhige Volk von seiner Obrigkeit spricht, wie es denkt! Es soll ihm übel bekommen. Es soll euch übel bekommen! Zu den Bauern. Fort mit ihnen! Und gleich zum Gerichtshalter! Es muß versiegelt werden, es muß inventiert werden. Es finden sich Waffen, Pulver, Kokarden! Das gibt eine Untersuchung. Fort! Fort!

MÄRTEN. Ich unglücklicher Mann!

RÖSE. So laßt Euch bedeuten, Herr Richter.

RICHTER. Etwa belügen, Mamsell Röschen? Fort! fort!

GÖRGE. Wenn's nicht anders ist, so soll Schnaps auch mit. Da muß sich die Sache aufklären.

RICHTER. Was sagt Ihr von Schnaps?

GÖRGE. Ich sage –

RÖSE am Fenster. Da kommt zum Glück der gnädige Herr.[151]

RICHTER. Der wird's zeitig genug erfahren.

GÖRGE. Ruf ihn!

RÖSE. Gnäd'ger Herr! Gnäd'ger Herr! Zu Hülfe! Zu Hülfe!

RICHTER. Schweigt nur! Er wird euch nicht helfen; er wird froh sein, daß solche Bösewichter entdeckt sind. Und dann ist es eine Polizeisache, eine Kriminalsache; die gehört für mich, für den Gerichtshalter, für die Regierung, für den Fürsten! Es muß ein Exempel statuiert werden!

MÄRTEN. Da haben wir das Exempel!


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 149-152.
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