[282] Eugenie. Hofmeisterin.
EUGENIE.
Mit welchen Ketten führst du mich zurück?
Gehorch' ich, wider Willen, diesmal auch!
Fluchwürdige Gewalt der Stimme, die[282]
Mich einst so glatt zur Folgsamkeit gewöhnte,
Die meines ersten bildsamen Gefühls
Im ganzen Umfang sich bemeisterte!
Du warst es, der ich dieser Worte Sinn
Zuerst verdanke, dieser Sprache Kraft
Und künstliche Verknüpfung; diese Welt
Hab' ich aus deinem Munde, ja, mein eignes Herz.
Nun brauchst du diesen Zauber gegen mich,
Du fesselst mich, du schleppst mich hin und wider,
Mein Geist verwirrt sich, mein Gefühl ermattet,
Und zu den Toten sehn' ich mich hinab.
HOFMEISTERIN.
O hätte diese Zauberkraft gewirkt,
Als ich dich dringend, flehentlich gebeten,
Von jenen hohen Planen abzustehn!
EUGENIE.
Du ahnetest solch ungeheures Übel
Und warntest nicht den allzu sichern Mut?
HOFMEISTERIN.
Wohl durft' ich warnen, aber leise nur
Die ausgesprochne Silbe trug den Tod.
EUGENIE.
Und hinter deinem Schweigen lag Verbannung!
Ein Todeswort, willkommner war es mir.
HOFMEISTERIN.
Dies Unglück, vorgesehen oder nicht,
Hat mich und dich in gleiches Netz verschlungen.
EUGENIE.
Was kann ich wissen, welch ein Lohn dir wird,
Um deinen armen Zögling zu verderben.
HOFMEISTERIN.
Er wartet wohl am fremden Strande mein!
Das Segel schwillt und fahrt uns beide hin.
EUGENIE.
Noch hat das Schiff in seine Kerker nicht
Mich aufgenommen. Sollt' ich willig gehn?
HOFMEISTERIN.
Und riefst du nicht das Volk zur Hilfe schon?
Es staunte nur dich an und schwieg und ging.
EUGENIE.
Mit ungeheurer Not im Kampfe, schien
Ich dem gemeinen Blick des Wahnsinns Beute.
Doch sollst du mir mit Worten, mit Gewalt
Den mut'gen Schritt nach Hilfe nicht verkümmern.
Die Ersten dieser Stadt erheben sich
Aus ihren Häusern dem Gestade zu,
Die Schiffe zu bewundern, die gereiht,
Uns unerwünscht, das hohe Meer gewinnen.[283]
Schon regt sich am Palast des Gouverneurs
Die Wache. Jener ist es, der die Stufen,
Von mehreren begleitet, niedersteigt.
Ich will ihn sprechen, ihm den Fall erzählen!
Und ist er wert, an meines Königs Platz
Den wichtigsten Geschäften vorzustehn,
So weist er mich nicht unerhört von hinnen.
HOFMEISTERIN.
Ich hindre dich an diesem Schritte nicht,
Doch nennst du keinen Namen, nur die Sache.
EUGENIE.
Den Namen nicht, bis ich vertrauen darf.
HOFMEISTERIN.
Es ist ein edler junger Mann und wird,
Was er vermag, mit Anstand gern gewähren.
Ausgewählte Ausgaben von
Die natürliche Tochter
|
Buchempfehlung
Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.
546 Seiten, 18.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro