[287] Die Vorigen. Äbtissin. Zwei Nonnen.
EUGENIE.
Betäubt, verworren, mit mir selbst entzweit
Und mit der Welt, verehrte heil'ge Jungfrau,
Siehst du mich hier. Die Angst des Augenblicks,
Die Sorge für die Zukunft treiben mich
In deine Gegenwart, in der ich Lindrung
Des ungeheuren Übels hoffen darf.
ÄBTISSIN.
Wenn Ruhe, wenn Besonnenheit und Friede
Mit Gott und unserm eignen Herzen sich
Mitteilen läßt, so soll es, edle Fremde,
Nicht fehlen an der Lehre treuem Wort,
Dir einzuflößen, was der Meinen Glück
Und meins, für heut' so wie auf ewig, fördert.
EUGENIE.
Unendlich ist mein Übel, schwerlich möcht'
Es durch der Worte göttliche Gewalt
Sogleich zu heilen sein. O nimm mich auf
Und laß mich weilen, wo du weilst, mich erst
In Tränen lösen diese Bangigkeit
Und mein erleichtert Herz dem Troste weihen![287]
ÄBTISSIN.
Wohl hab' ich oft im heiligen Bezirk
Der Erde Tränen sich in göttlich Lächeln
Verwandeln sehn, in himmlisches Entzücken,
Doch drängt man sich gewaltsam nicht herein:
Gar manche Prüfung muß die neue Schwester
Und ihren ganzen Wert uns erst entwickeln.
HOFMEISTERIN.
Entschiedner Wert ist leicht zu kennen, leicht,
Was du bedingen möchtest, zu erfüllen.
ÄBTISSIN.
Ich zweifle nicht am Adel der Geburt,
Nicht am Vermögen, dieses Hauses Rechte,
Die groß und wichtig sind, dir zu gewinnen.
Drum laßt mich bald vernehmen, was ihr denkt.
EUGENIE.
Gewähre meine Bitte, nimm mich auf!
Verbirg mich vor der Welt, im tiefsten Winkel,
Und meine ganze Habe nimm dahin.
Ich bringe viel und hoffe mehr zu leisten.
ÄBTISSIN.
Kann uns die Jugend, uns die Schönheit rühren,
Ein edles Wesen, spricht's an unser Herz,
So hast du viele Rechte, gutes Kind.
Geliebte Tochter! komm an meine Brust!
EUGENIE.
Mit diesem Wort, mit diesem Herzensdruck
Besänftigst du auf einmal alles Toben
Der aufgeregten Brust. Die letzte Welle
Umspielt mich weichend noch. Ich bin im Hafen.
HOFMEISTERIN dazwischentretend.
Wenn nicht ein grausam Schicksal widerstünde!
Betrachte dieses Blatt, uns zu beklagen.
Sie reicht der Äbtissin das Blatt.
ÄBTISSIN die gelesen.
Ich muß dich tadeln, daß du wissentlich
So manch vergeblich Wort mit angehört.
Ich beuge vor der höhern Hand mich tief,
Die hier zu walten scheint.[288]
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