1812, Anfang (?).
Das aufgeführte Stück wurde in der gebildeten Gesellschaft viel besprochen, wobei denn auch die Bedeutung desselben für das Christenthum nicht unberührt bleiben konnte. Ein geistreicher junger Gelehrter [Johann Schulze?] ließ sogar eine Broschüre darüber erscheinen, in welcher er die christlichen Tiefen dieses Dramas aufschloß. Diese Äußerungen über das dramatische Werk wurden von Goethe mit Befremden aufgenommen. Aus einem Gespräch, welches er mit mehreren Personen darüber geführt hatte, welche diese religiöse Bedeutung hervorgehoben hatten, hörte ich [Friedrich Schubart], daß er gegen dieselben seine Verwunderung darüber ausgesprochen habe, daß man auf diesen stofflichen Inhalt so viel Gewicht lege. Er habe in dem standhaften Prinzen, den man für einen christlichen Märtyrer ausgeben wolle, nichts anderes gesehen, als einen christlichen Regulus.[35]
562.*
1812, Mitte Januar.
Vor vierzehn Tagen ungefähr lebte ich noch ganz fremd und entfremdet mit dem Meister und liebte ihn,[35] wie man die Natur liebt, ohne zu begreifen, daß sie einen ansieht, wenn wir sie segnen. Unsre Freundin St(ein) gerieth auf die Gedanken, alle Papiere, die sie [Erbprinzeß Caroline von Mecklenburg-Schwerin] auch sehen möchten oder sahen, zu zeigen. Ich durchblickte dieses wunderbare menschliche Wesen und klagte über das Schicksal unserer Freundin und lebte recht in der Vergangenheit mit ihr, und es war, als schlösse sich mein Herz mit den leisesten Fäden an das ihre an, und ich gelobte ihr, sie nie zu verlassen, und meine Liebe solle ihr folgen bis ins Grab. Ich komme von dem Lesen in eine Gesellschaft zu Fr. v. R., die ihn mit der dicken Hälfte bat, und er fing an so von der Vergangenheit zu sprechen, erzählte plötzlich von Sachen, die ich eben gelesen, von denen er historisch in den Briefen sprach, weil er eine Reise beschrieb, von der Familie Ihrer Frau Großmutter zum Beispiel,1 daß es mich unaussprechlich wunderte. Ich hatte ihm die hübsche Art erzählt, wie Henriette [v. Knebel] über sein Leben geschrieben. Ich gehe, um meinen Mantel umzunehmen; da kommt er, faßt mich bei der Hand, dankt noch einmal für die Mittheilung, sagt, daß es ihm wohl sei, mit jemandem zu sein, der seine Sprache verstehe, wie ich, die ich ihn so lange kenne, daß wir uns nie fremd, noch fern sein könnten, und sagte noch: »wissen Sie noch, wie lange wir schon von einander wußten, wie Sie noch da über den Bergen waren, über Kochberg hinaus?« (In diesem Augenblick hätte er gewiß[36] auch die alte treue Freundin erkannt.) Ich wurde so weich, daß die Thränen mir kamen, und fühlte auch, daß ich ihn nicht verlieren kann. Aber diese sonderbare Stimmung gerade da, wo ich so recht in ihm lebte, seine Verhältnisse zu Fr. V. St. fühlte, das ist mir lieb und tröstlich; denn die Seelen kennen eine Sprache, die nie verstummt, wenn sie rein einst klang. Seit der Zeit sah ich ihn in dieser Woche öfter, auf der Redoute am Sonntag, und immer war er gleich freundlich und gemüthlich.
1 Das herzoglich Braunschweigische Haus.[37]
563.*
1812, 9. Februar.
Den vorigen Sonntag war die feierliche Einführung des [französischen] Herrn Gesandten [de St. Aignan] ..... Es war Souper statt des Hofdiner, und der Meister sowie die Höheren blieben. Der Meister war gesprächig und hat mir [Charlotte] und Tinette vom Tempel der Diana von Ephesus erzählt, der dasselbe Verhältniß wie der Saal hatte, die Säulen nämlich in der Breite; ihre Höhe war aber statt zwanzig sechzig Fuß ..... Der Meister ist sehr erweckt und freut sich, daß Mr. de St. Aignon so gebildet ist und sehr schöne Sachen über die französische Literatur sprechen soll .... Die schöne Marschallin [Lannes], die einst[37] bei ihm logirte, hatte ihm ein prächtig Tintenfaß geschickt durch die Gelegenheit.[38]
564.*
1812, Anfang April (?).
Welche Sensation erregt Ihr Buch, bester Schelling! In Jena hat es eine solche Bewegung in die Gemüther gebracht, daß seit seiner Erscheinung an nichts anderes gedacht, von nichts anderem geredet und nur für und wider gefochten und gestritten wird. Der größte Theil schlägt sich mit Feuer und Flamme zu Ihrer Fahne, und nur wenige ergreifen Jacobi's Partei. Auch Goethe soll sich freuen, daß die Wahrheit siegt. Neulich hat er als Tischgespräch scherzhaft geäußert: Ihren Gott begriff' er zwar nicht, aber der Gott, der sich mit dem alten Jacobi und seinen beiden Schwestern amüsiren könnte, müßte doch ein kläglicher Gott sein.[38]
1504.*
1812, Mitte April.
Die Zeichnung zum ›Egmont‹ von Naeke ist allerliebst; Goethe, dem ich sie zeigte, und der das Bemühen Naeke's auf's dankbarste anerkennt, äußerte bloß den Wunsch, daß es dem jungen genievollen und gemüthvollen Künstler gefallen möge, ihm die Sachen ehe sie fertig und im Umriß zuzuschicken, wo liebevolle Erinnerungen eines freundlichen Mannes kleinen Irrthümern zuvorkommen und oft mit einpaar Strichen abhelfen können. So z.B. an der Lage der Hand des Clärchen im ›Egmont‹ hat der junge Künstler in der Unschuld seines Herzens kein Ärgerniß genommen; Goethen fiel dies sogleich auf, und der hiesige französische Gesandte [St. Aignan], der die Zeichnung von ungefähr sah und ungemein damit zufrieden war, bemerkte unverabredet: que c'était hors de la convenance.[313]
1505.*
1812, gegen Mitte Mai.
Der böhmische Edelmann... [Simon v. Laemel] befand sich gleichzeitig mit Goethe in dem Kurorte [Karlsbad] und pflegte auf einer im einsamen Walde gelegenen Bank auszuruhen. Goethe, der vorüberkam, gesellte sich grüßend zu ihm. Hr. v. L. that, als ob er den Dichter nicht kenne, und erwähnte, um dies in Karlsbad, wo Goethe von aller Welt gekannt wurde, glaubwürdig zu machen, daß er erst hier angekommen sei. Goethe mochte an dem lebenserfahrenen Gespräche des feingeistigen Mannes, der in seiner Aussprache die jüdische Herkunft merken ließ, Gefallen gefunden haben. Sie fanden sich ohne Verabredung öfters an derselben Stelle und zu gleicher Stunde zusammen. »Erst jetzt« – äußerte Hr. V. L. – »weiß ich, daß ich die seltene Ehre habe, mit Sr. Excellenz, dem Herrn Minister v. Goethe zu sprechen.« Dabei stand er auf und verneigte sich tief: »Ich bin der Banquier Lämmel aus Prag.« – »Eine ausnehmend merkwürdige Stadt!« sagte Goethe, ohne auf die Erkennungsscene einzugehen und sich niederlassend. »Die Synagoge, wenn sie auch nicht so alt ist, wie die gerne übertreibenden Juden meinen, ist ein interessanter gothischer Bau, vielleicht aus dem zwölften Jahrhunderte. Und der Friedhof mit seinen ehrwürdigen Monumenten! Er verdiente[314] gezeichnet und die Inschriften erhalten zu werden. Im Laufe der Zeiten geht so Ehr- und Denkwürdiges doch verloren.« – Ein jüdisches Thema war so angeklungen und Hr. v. L. sagte ohne jede Vermittlung: »Der Schiller, Ew. Excellenz, hat uns Juden mit seiner Abhandlung, ›Die Sendung Moses‹ sehr wehgethan, und was das Schlimmste ist, er hat uns gekränkt, weil er die Sache gar nicht verstanden hat.« – Goethe, ohne in eine Meinungsäußerung einzugehen, doch bei dem Thema bleibend, äußerte: »Der Eindruck, den ich in früher Jugend in meiner Vaterstadt empfing, war mir ein mehr erschreckender. Die Gestalten der engen und finstern Judenstadt waren mir gar sehr befremdliche und unverständliche Erscheinungen, die meine Phantasie beschäftigten, und ich konnte gar nicht begreifen, wie dieses Volk das merkwürdigste Buch der Welt aus sich herausgeschrieben hat. Was sich allerdings in meiner frühern Jugend als Abscheu gegen die Juden in mir regte, war mehr Scheu vor dem Räthselhaften, vor dem Unschönen. Meine Verachtung, die sich wohl zu regen pflegte, war mehr der Reflex der mich umgebenden christlichen Männer und Frauen. Erst später, als ich viele geistbegabte, feinfühlige Männer dieses Stammes kennen lernte, gesellte sich Achtung zu der Bewunderung, die ich für das bibelschöpferische Volk hege, und für den Dichter, der das hohe Liebeslied gesungen hat. Beide [?] Bücher haben mich mannigfach beschäftigt.«[315]
1506.*
1812, Juni (?).
Ich beschloß die Briefe [von Zelter u.a. an Goethe] dem Dr. John, Goethes Privatsecretär zu überbringen und ihn durch diesen zu bitten, mir eine Empfangsstunde nach Durchlesung der Briefe zu bestimmen. Nur eine halbe Stunde war vergangen, als Dr. John kam, – ein wackerer und recht verständiger junger Mann, dessen Bekanntschaft mir angenehm gewesen ist – um mich zu ihm abzuholen.
Ich stand nun vor ihm. Er empfing mich freundlich; ich war eine Viertelstunde da, dann machte er eine Verbeugung und ließ mich gehen. Was ich mit ihm redete, hatte nicht viel zu sagen; es vergeht ja schon einige Zeit damit, zu sagen woher man kommt und wohin man geht. Zumtheil drehte sich das Gespräch um die neue Universität in Norwegen, welche mir überhaupt ein bequemer Gegenstand ist, der immer eine Einleitung giebt. Von meiner Begeisterung für ihn sagte ich kein Wort; das wagte ich nicht. Ich stand mit ihm nahe am Fenster; da stand er hoch und kraftvoll, in einem blauen Rock, in welchem er auch am gestrigen Tag gekleidet gewesen war ....
Wenn ich nun von weitem einen blauen Rock und eine hohe ansehnliche Gestalt sah, gerieth ich gleich in[316] Bewegung, und das noch mehr, als ich einpaar Tage später wirklich Goethe auf der Straße begegnete, und er mich freundlich anredete: »Wie geht's?«
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen geschrieben habe, daß Goethe mir unter anderm erzählte, daß er einmal ›Hakon Jarl‹ [von Oehlenschläger] in Weimar hatte geben wollen und schon mit Riemer das Costume verabredet hatte; dann kam aber eben die Zeit, wo man nicht mit Kronen auf dem Theater spielen durfte.[317]
1659.*
1812, Juni . (?)
Was Sie [Böttiger] über Goethe's »Leben« II sagen, stimmt fast gänzlich mit meinem [Rochlitzens] Urtheil zusammen, auch in Ansehung der Stellen über den Katholicismus. Sie ist meiner Einsicht nach nicht einmal durchgehends wahr, und daß sie eben jetzt, eben von diesem Manne ebenso dreist und überraschend ausgesprochen worden, muß von vielen und auf Schwache von sehr üblen Folgen sein. Goethen war, wie ich gewiß weiß, schon vor dem Druck manche Vorstellung über diese Stelle gemacht worden; er hat sie alle zurückgewiesen, weil, wer einmal mit einem solchen Buche auftrete, auch alle seine Ansichten und Überzeugungen ohne Rücksicht auf irgend etwas außer der Sache selbst heraussagen müsse; jenes sei aber wirklich seine Überzeugung.[68]
565.*
1812, Mitte Juni.
In Karlsbad empfahl und lieh mir Goethe den ersten Theil von Jacobi's Schrift, auf daß ich Hamann's Briefe lesen möchte, von denen Goethe mit Bewunderung[38] sprach, wie sie es auch verdienen. Aber ist es nicht sonderbar, daß Goethe mich damit bekannt machen mußte und sie so anpries?[39]
1660.*
1812, 28. Juli.
Ich [Charlotte v. Schiller] will Ihnen [Erbgroßherzogin Caroline von Mecklenburg-Schwerin] gleich[68] Bericht erstatten von dem Stück, das der Meister durch sein Spiel verherrlichen sollte. Es ist wol wahr, und nach der Aussage der Frau Geheimräthin [v. Goethe], die es meiner Schwester [Caroline v. Wolzogen] anvertraut hat, hat ein Gespräch die Veranlassung gegeben über die Materie, welches der beiden Geschlechter das Recht hätte, zuerst die Liebe zu gestehen. Man ist so weit gekommen, es auszumalen, und der Meister hat eine Geschichte darüber erzählt. Die Kaiserin hat gemeint, man könnte sie dramatisch behandeln und hat sich eine ganze Nacht hingesetzt und das Stück verfertigt, worin der Meister die Rolle eines alten Onkels machen sollte. Er hatte schon eine große Allongenperrücke bestellt, als er krank wurde, und es unterblieb.[69]
1507.*
1812, Sommer (?).
Wenn... im weimarischen Publicum die Rede ging, daß Frau v. Goethe... in der Regellosigkeit so ungemessen fortgegangen sei, daß sie sogar einmal den Verkauf der Equipage eingeleitet habe, um einen Ball zu geben, so mag die Wahrheit dieser Rede dahin gestellt sein, wohl aber trage ich [F. Schubart] in sicherer Erinnerung, was mir ein, dem Dichter damals sehr nahe stehender Mann, sein Secretär John erzählt hat. Derselbe verweilte mit ihm in Karlsbad, als Goethe dort erkrankte. Mein alter Freund John saß gerade vor dem Krankenbette des Dichters, als Briefe aus Weimar anlangten, die leider traurige Nachrichten[317] über seinen dortigen Hausstand brachten und ihn mit Zerrüttungen und pecuniären Verlegenheiten seines Hauses bekannt machten, die ihm bis jetzt verborgen geblieben waren. Mein Freund schilderte mir den Eindruck, welchen er empfunden habe, als diese niederbeugenden Mittheilungen den hochsinnigen Mann ergriffen und ihn jetzt im Krankheitszustande auch noch den Druck der äußeren Lebensnoth empfinden ließen. Mit Anstrengung suchte er sich zu erheben und der beklommenen, auf- und abwogenden Brust Luft zu verschaffen, aber nachdem dieser Kampf einige Zeit gedauert hatte, trat auch in dieser Lage jene geistesstarke Thätigkeit an ihm hervor, welche er als eine, von Jugend auf gepflegte Gewohnheit von sich bekannt hat. Ungehemmt bewegte er sich wieder in der Kraft seiner darstellenden Rede, und der vor seinem Krankenbette sitzende Freund hörte jetzt von seinem Munde eine so wohl gedachte und schön gefügte Lobrebe auf den Geiz, daß er mir nachher sein Bedauern darüber aussprach, daß er sie nicht sofort habe aufzeichnen können.[318]
566.*
1812, Mitte September (?).
An dem Tage nun, da ich... mit Goethe in Knebel's Garten ging, lag mir gewiß kaum ein Gedanke ferner, als der Gedanke an den Herzog Bernhard [den Großen von Weimar]. Kaum aber hatten wir einige Schritte gemacht, so fing Goethe an: »Es ist mir lieb, Sie einmal allein zu sprechen. Ich hätte längst gern über eine Sache mit Ihnen geredet, die auch mich einst beschäftigt hat, und wir wollen den Augenblick benutzen. Wie steht es mit Ihrer Biographie des Herzogs Bernhard?« – Sind Ew. Excellenz auch mit dieser Sache bekannt? – »Wie sollte ich nicht? Freilich!« – Leider steht es nicht gut, oder vielmehr es steht gar nicht. – »Wie so?« – Und nun begann ein freundliches Gespräch, in welchem Goethe anfangs der Fragende und ich der Antwortende war, welches aber bald in eine wahre Conversation überging. Ich will indeß, um die Weitläufigkeit des Gesprächs zu vermeiden, lieber zusammenstellen, was im Wesentlichen gesagt worden ist. Ich[39] will nicht läugnen, sagte ich, daß ich den Vorschlag des Herrn [Staatsminister] V. Voigt gern an nahm und daß ich nicht ohne Liebe ans Werk ging. Der Herzog war mir in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges immer als eine glänzende Heldengestalt entgegengetreten und mit Lust und Freude hatte ich wie in Tagen des Sieges so in Tagen des Unglücks auf den jungen Fürsten des Vatertandes hingeblickt. Deßwegen faßte ich die Hoffnung, er werde eingerahmt und aus dem großen Gemälde herausgenommen, mit einer Umgebung, die als würdiger Hintergrund ihn nur noch mehr heben mußte, sich in einer solchen Weise darstellen lassen, daß er als Held des Glaubens und des Vaterlandes ein Muster und Beispiel sein könnte für Hohe und für Geringe. Sowie ich aber den Versuch machte, fielen von allen Seiten – wenn das anders nicht falsch gesprochen ist – Schatten auf mein Bild, die mir das Licht verschoben oder verdarben. Wie ich ihn auch stellen mochte, er bekam weder Schnitt noch Farbe. Zwar blieb er ein ausgezeichneter Kriegsfürst, tüchtig, einsichtig, tapfer und kühn; zwar war er auch ein frommer Mann und bewahrte stets ein tiefes Ehrgefühl und eine hohe fürstliche Gesinnung; aber ein bloßes Aufzählen seiner Thaten und Fahrten gewährte mir kein hinlängliches Interesse; als bloßen Soldaten konnte und mochte ich ihn nicht darstellen. Er stand allerdings nicht niedriger, als alle Übrigen, die in diesem unglückseligsten aller Kriege, in diesem[40] heillosen Heuchelkriege hervorragten, aber auch eben nicht höher. Denn ein Heuchelkrieg war es, und wenn man auch das Bild der Religion auf dieser Seite wie auf jener vor sich her trug, so galt es doch nur um irdische Interessen, die man durch religiöse Mittel zu fördern suchte. Gustav Adolf's Haupt hat man mit einem Heiligenschein zu umgeben gesucht und diesen Schein hat noch niemand unter den Protestanten zu zerstören oder zu verwerfen gewagt; da er so früh seinen Tod fand, so ist er als »ein Kämpfer des Herrn« gefallen und die Wahrheit ist von der Geschichte entfernt geblieben. Dem Herzog Bernhard ist dieser Heiligenschein zu gute gekommen: es war genug, daß er an der Seite dieses Kämpfers des Herrn gestanden hatte; niemand fragte nach der eigentlichen Natur der Verbindung beider Fürsten, und das Herzogthum Franken wurde kaum beachtet. Selbst sein Anschließen an Frankreich, das doch eben nicht für den Protestantismus besonders enthusiasmirt war, hat eben deßwegen seine Lobredner gefunden. Mit Einem Worte: mir kam vor, als müsse der Herzog seine Stellung in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges behalten; wenigstens trauete ich mir nicht, eine Biographie desselben zu schreiben.
Was Goethe sagte, lief auf Folgendes hinaus: »Wir sind ganz einig; Ihre Geschichte ist in diesem Falle die meinige. Ich bin fast in derselben Weise wie Sie zu dem Versuche einer Biographie des Herzogs[41] bewogen worden; auch habe ich in der That den Willen gehabt, das Buch zu schreiben, und die Hoffnung, es werde sich etwas Erfreuliches und Heiteres machen lassen. Aber ich erkannte bald, daß es schwer, wenn nicht unmöglich sein würde, dem Helden eine bestimmte anständige Physiognomie zu geben. Zwar bin ich auf das Kirchliche und Politische nicht eingegangen: das Kirchliche gehört der Zeit an; es war der Firniß, mit welchem man Leidenschaften und Bestrebungen überstrich, um andere und sich selbst zu täuschen. Auf jener Seite wie auf dieser hat es Glaubenshelden gegeben; auf jener Seite wie auf dieser hat man sich selbst eingebildet und sich von anderen vorsagen lassen, Kämpfer des Herrn zu sein. Das Politische aber habe ich zur Seite geschoben: es gab keine andere Politik, als die Lust zu rauben, zu plündern, zu erobern. Das Reich war dahin und bestand nur noch in einer verblaßten überlieferten Vorstellung. Welcher Fürst bekümmerte sich um den Kaiser und das Reich anders, als indem er seinem Vortheile nachlief? Die Gedanken Vaterland und Nationalität waren dem Zeitalter fremd und sind den späteren Zeiten fremd geblieben, wie sie denn auch wohl früher selten wirksam gewesen sein mögen. Darum ist niemandem zum Vorwurf zu machen, daß er nicht vaterländisch oder national handelte; es ist niemandem zu verdenken, daß er sich nach allen Seiten wandte, um die Stellung zu erhalten, in welcher er größeren Einfluß gewinnen konnte, und kein Geschenk zurückwies,[42] das er zu besitzen wünschte, gleichviel ob es ihm vom Norden her geboten ward, oder vom Süden. Deßwegen glaubte ich auch, den Herzog Bernhard nur als Heerführer und Held beachten und ihn in jedem Verhältniß aufnehmen zu müssen, in welchem ich ihn fand und wie ich ihn fand, ohne die Gründe zu beurtheilen, die ihn in dieses Verhältniß gebracht haben mochten. Aber selbst in dieser Beschränkung, in welcher doch keine ungebührlichen Anforderungen gemacht wurden, gerieth ich in Verlegenheit. Von dem Früheren kann, da der Herzog noch so jung und untergeordnet war, keine Rede sein, aber der Tag bei Lützen war schön und könnte wohl Begeisterung erregen. Sie haben recht: Gustav Adolf verdankte den Heiligenschein seinem Tod in dieser Schlacht. Hätte er länger gelebt, so möchte allerdings das Urtheil, ich will nicht sagen der Geschichte, sondern der Geschichtschreiber anders geworden sein; denn er würde sich wahrscheinlich in so wirre Dinge verstrickt haben, daß es ihm weder möglich gewesen wäre, seinem Wesen getreu zu bleiben, noch den Schein zu retten. Wenn, wie der König im Anfange der Schlacht, so der Herzog im Augenblicke des Sieges, als Wallenstein schon auf dem Rückzug oder auf der Flucht war, gefallen wäre, so würde auch er mit dem Heiligenschein in der Geschichte stehen; er würde wie ein Held ohnegleichen gefeiert werden, der schnell der Sache ein Ende gemacht und all das Unglück abgewendet haben würde, das später über die Welt gekommen ist; denn die[43] Menschen sind gar sehr geneigt, einem jungen Manne, der rasch aus dem Leben hinweggerissen wird, alle Hoffnungen als Erfüllung anzurechnen. Und ein Götze ist ihnen immer Bedürfniß. Aber was ist mit Nördlingen anzufangen? Eine Gardine ist nicht niederzulassen, ein Schleier nicht darüber zu werfen. Und wenn auch der Dichter noch wohl einen Ausweg fände, so kommt ihr Historiker mit dem, was Ihr Wahrheit nennt, und treibt des Dichters Werk auseinander. Und so habe ich mich denn zurückgezogen und die Sache aufgegeben, wie Sie.«
Inzwischen war Knebel herzugekommen, und durch ihn wurde dem Gespräch eine andere Wendung gegeben.[44]
567.*
1812, 23. October.
Am 23. October 1812 wollte Goethe mit mir einen Besuch bei dem französischen Gesandten Baron v. St. Aignan abstatten. Wir trafen ihn aber nicht zu Hause. Im Heimgehen kamen wir auf seine Kupferstichsammlungen zu sprechen, wie er denn auserlesene Blätter daraus alle Sonntags Morgen jenem kunstliebenden Freunde und mir vorzuzeigen und zu erläutern pflegte. »Mir ist der Besitz nöthig,« äußerte er, »um den richtigen Begriff der Objecte zu bekommen. Frei von den[44] Täuschungen, die die Begierde nach einem Gegenstand unterhält, läßt erst der Besitz mich ruhig und unbefangen urtheilen. Und so liebe ich den Besitz, nicht der besessnen Sache, sondern meiner Bildung wegen und weil er mich ruhiger und dadurch glücklicher macht. Auch die Fehler einer Sache lehrt mich erst der Besitz, und wenn ich z.B. einen schlechten Abdruck für einen guten kaufe, so gewinne ich unendlich an Einsicht und Erfahrung. Einst verkaufte mir ein bekannter Kunstkenner eine angebliche Antike, die er innerlich für ein modernes Product hielt; es fand sich aber, daß es eine wirkliche Antike war; so erschien er bestraft, ich aber für meinen guten Glauben belohnt.«
Wir setzten das Gespräch in Goethes Garten fort und es fiel bald auf die neueste Literatur. Die meisten neuen Schriften, die man mir sendet, sagte er, stelle ich hin und lese sie erst nach einigen Jahren. Dann habe ich das geläutertere Urtheil der Zeitgenossen und das Werk selbst zugleich vor mir.
»Tieck, Arnim und Consorten haben ganz recht, daß sie aus früheren Zeiten herrliche Motive hervorziehen und geltend machen. Aber sie verwässern und versauern sie nur gewaltig und lassen oft gerade das Beste weg. Soll ich alle ihre Thorheiten mitschlucken? Es hat mich genug gekostet, zu werden wie ich bin; soll ich mich immer von Neuem beschmutzen, um diese Thoren aus dem Schlamm zu ziehen, worein sie sich muthwillig stürzen? Oehlenschläger war wüthend, weil ich[45] seinen Correggio nicht aufführen ließ. Zwar hatte ich Wanda aufgenommen, – aber muß man denn zehn dumme Streiche machen, weil man einen gemacht hat?«[46]
568.*
1812, November.
»Die Welt ist größer und kleiner als man denkt. – Wer sich bewegt, berührt die Welt, und wer ruht, den berührt sie; deswegen müssen wir immer bereit sein, zu berühren oder berührt zu werden. – –
Wir können uns jetzt alle als Strandbewohner ansehen und täglich erwarten, daß einer vor unserer Hüttenthür, wo nicht mit seiner Existenz, doch mit seinen Hoffnungen scheitert. –
Die Weltgeschichte sammelt auf unsere Kosten sehr große Schätze.«
»Wer die Technik nicht versteht, kann über poetische Produkte nicht schreiben. Die Figuren der Poesie sind ja keine historischen Personen, die man als nothwendige zu beurtheilen hätte, wie man ja ein historisches Bild nicht moralisch als eine wirkliche Handlung beurtheilen darf.« –[46]
569.*
1812, Ende November.
[Knebel's in Jena studirender Sohn hatte mit einem andern Studenten, einem vom Herzog unterstützten Grafen, Ehrenhändel gehabt und war deshalb ins Karzer gekommen, was Knebel ihm angeblich feindselig gesinnten Personen zur Last legte. Er erzählt nun weiter:]
Ich .... lief zu Goethe. Er besann sich eine Weile, weil er sagte: diesem schlechten Volke sei nicht zu trauen. Er dictirte mir endlich einen Brief an den Herzog, den er mit dem seinigen begleiten wollte .... Des andern Morgens, als Karl seiner Mutter sagen ließ, er erwarte von ihr seine Erlösung, konnte ich sie nicht mehr halten; sie heulte, sie schrie, sie wolle ihr Kind erretten. Ich mußte ihr erlauben, nach Weimar zu fahren. Der Herzog empfing sie auf's Gutmüthigste und Gnädigste. Sie fuhr gegen Mittag hier ab, und Abends um 6 Uhr war sie schon wieder zurück mit dem Befehl, den Karl loszulassen, wie auch den Grafen. Die Freude hättest Du [Henriette] sehen sollen! Selbst Goethe war wie ein Kind vor Freude .....
Du wirst vielleicht glauben, meine Liebe, ich hätte Dir heute nichts als unglückliche Geschichten zu erzählen. Es ist aber doch nicht ganz so. Mit Recht sagte Goethe: »Gebt nur acht, Kinder! Wo zuweilen das Unglück[47] hereinzukommen droht, da drehet sich oft etwas zum Glück!« So ist es in der That auch hier. Der Herzog hat nicht allein, als meine Frau in Weimar bei ihm war, vieles sich nach unsern Umständen mit großer Güte erkundigt, sondern auch ihr versprochen, für meinen Karl, wenn es Zeit sein würde, zu sorgen. Überhaupt scheint er, wie mir auch Goethe versichert hat, sehr geneigt für uns zu denken ..... Als er [Karl] aus dem Gefängniß kam, gab er mir die [poetischen] Zeilen, die Du hier beigelegt finden wirst, und den andern Tag verfertigte er in der Freude seines Herzens noch mehrere, von denen er noch ein paar hier beigelegt hat. Goethe hat sie gesehen und hat große Freude darüber gehabt. Auch nahm er ihn nun alle Morgen zu sich, dictirte ihm Briefe und dergleichen, um ihn fertiger im Schreiben zu machen. Dieses Zutrauen erweckte den jungen Menschen. Er wollte ihn auch in seinem Gefängniß besuchen. Überhaupt kann ich nicht sagen, welche Liebe und welche zarte Sorgfalt Goethe bei dieser Gelegenheit und während seines ganzen Hierseins – gestern [25. November] ist er wieder abgereist – für mich und die Meinigen bezeugt hat. Er hat auch vorzüglich meinen jähen Eifer zurückzuhalten gesucht, wofür ich ihm danken muß.[48]
570.*
1812, 12. December.
»Die Deutschen haben von jeher die Art, daß sie es besser wissen wollen als der, dessen Handwerk es ist, daß sie es besser verstehen als der, der sein Leben damit zugebracht.«[49]
571.*
1812,16. December.
Alles verkündet Dich,
Nahst Du im Morgenlicht,
Eilet die Sonne hervor.
Zeigst Du im Garten Dich
Bist Rose der Rosen. Du,
Lilie der Lilien zusammt.
Neigst Du am Tage Dich,
Drehn die Gestirne all'
Im Kreis sich um Dich,
Kehrt die Nacht, o wär' sie da,
Überstrahlst Du des Mondes
Lieblich einladenden Glanz.
Ladend und lieblich bist Du,
Sonne, Blume, Mond und Sterne
Huldigen nur Dir.
Tagschaft Du, Nachtschaft mir,
Leben und Ewigkeit ist's.
So ohngefähr, aber gewiß noch viel schöner, als ich es im Gedächtniß behielt, war das Lied, welches Goethe[49] mir heute von Dem. Engels zur Guitarre singen ließ. Er hatte es nach »Namen, ich nenne Dich nicht1 etc.« gedichtet, weil ihm dieser Text mit seinen ewigen Negationen und Verheimlichungen zu unlyrisch, ja verhaßt war.
Die heutige Bedeckung des Aldebarans, jenes schönen Fixsternes im Zeichen des Widders, durch den Mond hatte ihn sehr feierlich und heiter gestimmt. Es war, als ob ihm selbst etwas höchst Bedeutendes widerführe. Da war er denn zu Anerkennung jedes Ausgezeichneten doppelt gestimmt. Er rühmte Riemer's Tüchtigkeit, der ein für allemal nichts, »bloß um die Sache abzufertigen« thue. So strich er auch Zelters Großheit und männliche Fassung tiefsten Schmerz bei dem Selbstmord seines Sohnes2, frei von aller kleinlichen Sentimentalität, ungemein heraus.
»Die Astronomie,« äußerte er, »ist mir deßwegen so werth, weil sie die einzige aller Wissenschaften ist, die auf allgemein anerkannten, unbestreitbaren Basen ruht, mithin mit voller Sicherheit immer weiter durch die Unendlichkeit fortschreitet. Getrennt durch Länder und Meere theilen die Astronomen, diese geselligsten aller Einsiedler, sich ihre Elemente mit und können darauf wie auf Felsen fortbauen.«
Er kam sodann auf A. v. Steigentesch's Angriff[50] gegen deutsche Literatur im Schlegel'schen Museum3 zu sprechen, der ihn sehr indignirte. Schlegel ist gegen besseres Wissen bloß durch Steigentesch's lockre Tafel dazu verführt worden, diesen verruchten Aufsatz aufzunehmen. Die bessern Wiener wissen das recht gut. So heiter hatte ihn jene astronomische Erscheinung gestimmt, daß er den Gedanken faßte, die musikalischen Vereine, die bekanntlich früher der Neid der Jagemann gestört hatte, für den Sonntag Morgen wieder aufzunehmen. Sein ganzes Herz schien daran zu hängen.
1 Richtiger: Namen nennen Dich nicht (Lied v. W. Ueltzen).
2 Stiefsohn J. Fr. Zelters.
3 Jahrg. 1812 3. Heft in dem Aufsatze: Ein Wort über deutsche Literatur und deutsche Sprache. S. 197-221.[51]
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