[538] Fabio, weiterhin Fernando.
FABIO tritt schüchtern und mit unstetem Blicke auf. Es ist doch ein närrisches Ding um die Furcht. Bey Tage konnte sie mir nichts anhaben; aber, seit dem Einbruche der Dunkelheit, fällt mir alles wieder ein, was mir hier seltsames begegnet ist, und – genug, es läßt mich nicht schlafen – Schäme dich, Fabio! – Bist du der Held, den seine Kameraden in Neapel sich zum Muster nahmen? Bist du der lose Bube, der dort mehr als einmahl das Gespenst spielte, um die Hüter seines Mädchens zu ängstigen? – Kann die Versetzung auf eine bezauberte Insel deine Natur so plötzlich verändern? – Nein, ich bin noch derselbe – Getäuschte Sehnsucht[538] tödtliche Langeweite – verliebte Ungeduld – das ists, was mich umherjagt. – Meinethalben mag es hier von Geistern und Kobolden wimmeln – wenn sie nur gesellig wären – meinethalben mag die Eigenthümerinn des Schleyers aussehen, wie sie will – wenn ich sie nur fände! –
Arie.
Wären lüsterne Najaden,
Oder kecke Oreaden,
Oder flüchtige Drpaden,
Oder launige Sylphiden
Zu Gespielen mir beschieden;
Ey mit Sorgenfreyem Sinn
Gäb ich ihrem Dienst mich hin.
Selbst bey häßlichen Guomiden
Fänd ich in der Einsamkeit
Mich, mit meinem Loos zufrieden,
Als ein Weiser in die Zeit.
Doch von allein abgeschieden,
Was mir nah am Herzen liegt –
Ohne Freund und ohne Mädchen –
Ach! da gräm ich mich zu Tode,[539]
Eh' ein zweyter Tag verstiegt.
Ja, ich gräme mich zu Tode,
War es gleich noch nirgends Mode,
Daß den Spleen ein Page kriegt.
Fernando tritt unter der letzten Strophe auf, und bleibt lauschend stehn.
Fernando. Fabio.
Duo.
FERNANDO in der Tiefe des Theaters.
Welche wohlbekannte Stimme
Tönt mir aus der Ferne her?
FABIO durch Fernandos Gesang aufmerksam ge macht.
Welche wohlbekannte Stimme
Tönt mir aus der Ferne her?
FERNANDO für sich.
Wenn mein Fabio noch lebte,
Ach, ich dächte: das ist er!
FABIO für sich.
Wenn mein armer Herr noch lebte,
Ach, ich dächte: das ist er.
ZUSAMMEN.
Eitler Wahn! er ist nicht mehr![540]
FERNANDO.
Immer lauter tönt die Stimme. –
FABIO.
Sein, o! sein ist diese Stimme.
FERNANDO.
Wenn sein Schatten mich umschwebte?
Auf, Fernando! Sey ein Mann!
Kömmt näher.
FABIO.
Wenn sein Schatten mich umschwebte? –
Muth gefaßt! ich red' ihn an.
Nähert sich ihm.
Bist du's selbst, o mein Gebieter?
Du, von mir als todt beweint!
FERNANDO sich ebenfalls nähernd.
Bist du's selbst, o mein Getreuer?
Du, von mir als todt beweint!
ZUSAMMEN.
Ich bins selber – o mein Freund!
Sie fallen einander in die Arme; die Musik drückt ihr stummes Entzücken aus.
Recitativ.
FABIO.
O namenlose Freude![541]
FERNANDO.
O unverhofftes Glück!
Mein Fabio! du lebst?
FABIO.
Mein neu geschenktes Leben
Empfind' ich dankbar erst, seit diesem Augenblick.
FERNANDO.
Bist du allein? Ward vom Geschick
Sonst keiner mir zurück gegeben?
FABIO.
Hör' und bewundere der blinden Göttin Wahl!
Nur drey, aus deiner ganzen Dienerrolle,
Erkohr sie sich zur Schutz geweihten Zahl:
Drey Tagediebe nur – den Flaschengeneral –
Den Präsidenten der Kastrolle –
Und mich unwerthen Edelknaben.
Die Uebrigen, trotz ihrer bessern Gaben[542]
Ließ die Verrätherinn den Sturm im Meer bearaben.
FERNANDO.
Da sie mir dich erhielt, so segn' ich ihre Wahl.
Arioso.
Ja, Freund, mein Busen athmet freyer,
Seit dich mein Auge wieder fand.
Umwebet gleich mit dichtem Schleyer
Noch meinen Pfad des Schicksals Hand;
Auf, laß wie sonst, voll Jugendfeuer,
Der Zukunft uns entgegen gehn,
Und Arm in Arm die Abentheuer,
Die unser warten, froh bestehn!
Fabio fällt in die zweyte Strophe, bey der Wiederholung ein.
Beyde Arm in Arm ab.
[543]
Buchempfehlung
Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro