Sechstes Kapitel

[94] Ein Kindlein kommt und wird getauft


Unwiderstehlich rücken die Tage vor, einer nach dem andern, unerwartet kommt der rechte, der die Entscheidung bringt, Leben oder Tod, Weh oder Freude hält in seiner Hand und eben darum ein so banger ist, weil man nicht weiß, welches von beiden er birgt in der verschlossenen Hand. So kam er auch unerwartet auf der Glungge, eben als Vreneli noch eine kleine Wäsche abtun wollte, damit die Knechtlein wieder was Sauberes am Leibe hätten. Er brachte weder Weh noch Tod, sondern ein klein Mägdelein, das mörderlich schrie, den Mund aufriß bis hinter die Ohren, von welchem jedoch die Base versicherte, daß sie ein so hübsches nie gesehen hätte. Elisi sei auch hübsch gewesen und kein Mensch würde gedacht haben, daß es am Ende nur so zu einem dürren Birnenstiel auswachse, aber gegen dieses sei es doch nur ein Schatten gewesen. Die Freude war groß bei Uli und Vreneli, doch konnte Uli sich nicht enthalten, merken zu lassen, wie er lieber einen Buben gehabt, wegen der Hülfe. So ein Bub könne man gar früh brauchen und glaube nicht, wie kommod er einem Vater komme. »Warte nur, du wirst noch Buben genug kriegen, darum hat dir Gott das Kindermädchen vorausgesandt,« sagte die Base. »Mit den Buben ist es halt nichts, als daß sie in allem sind und man ganze Tage ihnen abwehren muß. Mädchen hangen der Mutter an der Schürze, und wie sie auf den Füßchen stehen können, hat man Hülfe von ihnen; sie heben was auf, sie tragen was nach, sie sehen zur Milch auf dem Feuer, daß sie nicht überläuft, zum Kraut im Hafen, daß es nicht anbrennt. Klein können sie es, groß vergessen sie es manchmal,« setzte sie seufzend bei.[94]

Die Base war der Wächter über Mutter und Kind. Sie sorgte, daß Beide das Nötige erhielten zu rechter Zeit, Vreneli sich nicht selbst darum mühen mußte oder sonst zu früh in Anspruch genommen würde. Da Mädi bereits bei der Base gedient, so gab es keine Kompetenzstreitigkeiten, wie sie bei ähnlichen Gelegenheiten sonst nicht selten sind, namentlich zwischen einer allfälligen Frau Schwiegermutter, welche in solchen Fällen eigens herkommt, und dem Gesindepersonal. Es mußte schon mancher arme Schwiegersohn taufen lassen über Hals und Kopf, damit er der mit aller Welt im Kriege liegenden Schwiegermutter los und wieder zu Frieden käme. Solch ein vernünftiger Wächter täte jeder Wöchnerin wohl, aber eben ein friedlicher, der nicht mit Krieg und Kriegsgeschrei sie in neue Nöten und gefährliche Fieber bringt. Diese Wächter müssen sich aber freiwillig eben in befreundeten Personen finden, fremde irren, allfällige Vereine sind auf dem Lande was Treibhauspflanzen, versetzt in bäuerische Gärtchen. Solche Wächter finden sich auf dem Lande unter den älteren Frauen, soweit es ihre Geschäfte erlauben. Wie alte Offiziere immer bereit sind, Freiwillige vorzustellen, und wenn das nicht mehr möglich ist, doch gar zu gerne ihre alten Kriegszüge repetieren und sich dieselben so recht lebendig vergegenwärtigen, so lieben Weiber, welche die Zeit unbarmherzig über die Tage der Kindbetten hinausgetragen, die Betten junger Weiber und erquicken sich dabei an der Vergegenwärtigung der eigenen Feldzüge.

Die Base war wirklich da wie der gute Engel, und wenn Joggeli schon brummte, sie täte dümmer als eine Großmutter und wenn er sterben täte, sie merkte es kaum, so nahm sie es kaltblütig hin und tat, was ihr not schien. Mehr ärgerte sie sich über Uli, der ihr alles zu kaltblütig nahm und so in seinem Treiben und Jagen befangen war, daß er weder Zeit nahm zu besonderen Vaterfreuden noch recht Zeit, der Sache,[95] wie man zu sagen pflegt, nachzulaufen, und doch war es Winter. Kaum daß er Zeit hatte, die Taufzeugen auswählen zu helfen. Begreiflich war Patin die Base, des Bodenbauern Frau die zweite, mit der Wahl des Paten hatte es Not. Endlich ward dazu ein alter Vater erwählt, von dem die Base sagte: Der müsse doch einmal auch herbei, wüst getan habe der sein Lebtag. Es nehme sie wunder, was der für ein Gesicht mache und ob er daran denke, eins zuwege zu bringen, welches er dem lieben Gott zeigen dürfe, von wegen in Sinn werde es dem doch kommen, daß wenn man siebenzig Jahre alt sei, das Abmarschieren nicht mehr fern sein könne.

Vreneli schüttelte den Kopf dazu, dies Gesicht hätte es lieber nicht gesehen. Von diesem Manne hatte es immer nur mit dunkeln Worten reden gehört als wie von einem Gespenst, und wenn es weiterfragen wollte, so hatte man gesagt: »Das ist ein Wüster, am besten ists, man rede nicht von ihm.« »Ein Unflat war er, du hast recht.« sagte die Base, »und ich werde das Unservater auch zweimal statt nur einmal beten an selbem Tag, wo ich ihn sehen muß. Aber sieh, vielleicht kommt es ihm in Sinn, gut zu machen, vielleicht denkt er dabei an seine Sünden und an ein Gesicht, welches unser Herrgott gerne sieht, und es fehlt ihm die Gelegenheit dazu; die wollen wir ihm geben, er hat doch dann keinen Vorwand, wenn der Richter ihn frägt: Hans! Und Vreneli? Tut er dann nicht darum, je nun so dann, so haben wir doch das Unsere getan.«

»Aber Base,« sagte Vreneli, »wer soll ihn zu Gevatter bitten,« »Uli, versteht sich,« sagte die Base. »Nein, Base,« sagte Vreneli, »dies darf ich Uli doch wirklich nicht zumuten, er könnte mich dauern, das Gevatterbitten ist ihm ohnehin schrecklich zuwider. Sehet nur, was er für ein Gesicht macht, wenn er Euch die Sache vorbringt, und sieht Euch doch alle[96] Tage und hält Euch fast für die Mutter. Auch zu Bodenbauers Frau zu gehen, macht ihm Kummer. Erst dann noch zu dem Vetter, den er nicht kennt, der sein Lebtag nie was von mir wissen wollte, der jagt ihn mit dem Stock vom Hause weg. Jahrelang vergißt mir Uli das nicht, wenn wir ihn an einen solchen Ort schicken.« »Schweige nur, er muß gehen, das tut ihm nur wohl; die Manne müssen nicht meinen, daß sie nur das zu machen hätten, was ihnen anständig ist und für gut dünkt.« sagte die Base. »Wofür hätte man sie sonst, die Tabakstinker, wenn man sie nicht zuweilen an etwas hinschicken könnte, welches man nicht selbst anrühren mag?« »Aber Uli geht Euch nicht, Base, und warum ihn böse machen so für nichts und wieder nichts?« sagte Vreneli. »Das verstehst du nicht,« sagte die Base. »Uli geht, man muß es nur machen wie der Tüfel mit den Menschen, zu guten Sachen wird das wohl erlaubt sein. Man muß ihn bei der schwachen Seite nehmen. Da kömmt er. Will dir gleich zeigen, wie man das macht.«

Vreneli wollte noch einreden, wie das ihm auch nicht anständig sei, aber Uli trat schon ein, und die Base sprach: »Du hast mich noch nicht zu Gevatter gebeten, und die Leute sagen doch, ich solle Pate sein; laß doch sehen, wie kannst du das und was für ein Gesicht machst du dazu?«

»Wenn Ihr das verrichten wolltet, so wäre es mir grausam anständig, und daß Ihr Euch deretwegen gar verköstigen solltet, selb meinten wir nicht,« sagte Uli. »He nun, kurz und gut, es ist immer besser als so ein Gestürm, wo man nicht weiß, was hinten, was vornen ist,« sagte die Alte. »Die andern Male machst es schon besser, besonders beim Pate mußt anwenden.« »Wenn wir nur schon einen hätten.« sagte Uli, »das Andere würde sich schon machen. Wir haben uns schon die Köpfe kraus gedacht, und Keinen brachten wir heraus, bei dem nicht ein Wenn oder ein Aber war.« »So geht es gerne beim[97] Ersten« sagte die Base, »später nimmt man es schon nicht halb so genau mehr. Wir haben schon an einen gedacht, rate mal.«

Uli riet, aber erriet nichts. »Hagelhans im Blitzloch« sagte endlich die Base, »nicht wahr, an den hättest nicht gedacht?« »Ihr vexiert, Base,« sagte Uli, »das soll ja der größte Unflat sein, und mit dem werdet Ihr nicht begehren zu Gevatter zu stehen.« »Euretwegen wohl,« sagte die Base. »Er ist eigentlich Vrenelis nächster Verwandter, hat keine Kinder, und man weiß nie, was solchem Menschen am Ende noch ins Gewissen kommt. Man hat Beispiele von Exempeln, wie die Wüstesten lind wurden, wenn es zum Abfahren ging. Man ists seinen Kindern schuldig, den Verwandten sich zu zeigen und daß man noch an sie denkt. Und wer weiß, wenn er dich mal kennt, könnte er dir auch noch kommod kommen mit seinem Gelde, man kann nie wissen, was so einem grauen Hagelhans durch den Kopf fahren kann. Daneben ists auch möglich, daß er dich mit dem Stock vom Hause wegjagt, aber fressen wird er dich nicht, und wenn er in Kurzem sterben sollte, so brauchst doch nicht in den Haaren zu kratzen und zu sagen: Wer weiß, wenn ich gegangen wäre, käme jetzt auch was an mich. Aber ich machte den Kopf, bin jetzt reuig, gefressen hätte er mich allweg nicht, und einen Verwandten zu Gevatter bitten ist noch lange nicht gebettelt.«

»He ja, wenn Ihr meint. Base,« sagte Uli zu Vrenelis großer Verwunderung, »so könnte ich probieren. Zuwider ists mir, aber der Kinder wegen wird man sich noch Manches gefallen lassen müssen, habe ich mir sagen lassen, und wenn dies das Ärgste wäre, so wollte ich nicht klagen; es ist mir nur, daß ich deretwegen einen ganzen Tag versäumen muß.« »Ach Base,« sagte Vreneli, als Uli nach abgemachter Sache wieder gegangen war, »ich sollte lachen und das Weinen ist mir zuvorderst. Das hätte ich von Uli nicht erwartet, und[98] daß das arme Kindlein den Hagelhans zum Paten haben soll, das, Base, ist doch wahrlich nicht recht, von ganzem Herzen erbarmt es mich; sehen mag ich ihn nicht, ich bleibe im Bett.«

»Dies wäre kurios, wäre das erstemal, daß du vor einem Menschen dich nicht zeigen dürftest. Der liebe Gott gibt ganz schlechten Eltern Kinder, daß man es gar nicht begreifen kann, warum er das den armen Würmchen zuleide tut. Man muß sich damit trösten, daß er am besten weiß, warum er es macht, aber darum wird es wohl erlaubt sein, einem Kind einen Paten zu geben, der nicht der Sauberste ist; bin doch ich noch da und die Bodenbäuerin, du, Uli, da wird doch Hagelhans am Kind wenig machen können, und läßt Gott es zu, nimmt er die Gevatterschaft an, so weiß niemand, für was das gut ist, vielleicht daß es Hagelhans herumführt und zum Frieden bringt. Darum laß es jetzt gehen, wie es angesponnen ist, mach mir Uli nicht etwa abwendig, hörst!« Vreneli gehorchte, Uli ging. Das Blitzloch, wo Hagelhans wohnte, war von der Glungge ungefähr fünf Stunden entfernt und lag in einer Gegend, welche ziemlich unbekannt ist, aus einem großen Hügelknäuel besteht, durch den keine Heerstraße führt, aber von Metzgern, Fürkäufern, Hühnerträgern, Taubenkrämern und Haberhändlern fleißig besucht wird, denn da kriegt, wer Geld hat, zu kaufen, was er an Landesprodukten sucht, zum Handel oder eignen Gebrauch. Uli war noch nie in der Gegend gewesen, geschweige denn im Blitzloch selbst. Anfänglich marschierte er wie ein Pfarrer, der seiner Predigt noch nicht recht sicher ist und sie auf dem Kirchweg noch einmal probiert, halblaut und mit Händeverwerfen. Er studierte seine Gevatterbitte ein, sagte die Worte bald so, bald anders, und war er hinten aus, so wußte er nicht, wie er angefangen hatte, mußte frisch an das Studieren. Nun kennt ein Pfarrer seinen Kirchweg, die Steinchen[99] alle sind ihm wohlbekannt, er verirrt sich nicht, er stolpert kaum mit den Beinen. Uli aber kannte weder den Weg noch viel weniger die Steine auf demselben, daher er tapfer stolperte, seine Nase bedenklich gefährdete und am Ende noch verirrte. Er war genötigt, sein Studieren zu lassen und auf den Weg zu achten, denn wo keine Heerstraße ist, da laufen desto mehr kleine Wege durcheinander, und in einem Hügellande verliert man auch die Richtung leicht.

Das Blitzloch war ein großer Hof, lag, wie es sich von selbst versteht, in einem Loch und hatte seinen Namen daher, weil vor hundert Jahren, als der Hügel gegen Westen abgeholzt war, fast alle Jahre der Blitz dort eingeschlagen hatte, so daß man sich lange nicht mehr getraute, ein Haus daselbst aufzurichten. Hagelhans war ein Bauer, groß von Statur und reich an Geld, hatte Knochen wie ein Ochs, ein Gesicht wie ein Löwe und Augen wie eine Katze, wenn weder Sonne, Mond noch Sterne am Himmel stehen. Lieb war er, so weit man wußte, niemanden, kam er in einen Stall, so schlotterte das Vieh, sah ihn ein armer Mensch auf der Straße, so floh er über alle Zäune weg, kam er in ein Wirtshaus, so floh das Stubenmädchen auf den Estrich und rief den Wirt, als täte es am Messer stecken; einen Hund hatte er, groß wie ein vierteljährig Kalb, der begleitete ihn Tritt für Tritt, und Tauben trippelten furchtlos um seine Füße.

Uli kannte ihn nicht, aber was er von ihm gehört, veranlaßte ihn, stillezustehen und sich bestmöglichst zu fassen, als er auf der Höhe stund, wo man ihm das Blitzloch zu seinen Füßen gezeigt. Er repetierte seine Rede, aber er mußte zwischendurch auch seinen Augen Gehör geben, welche das Blitzloch musterten, und darum kam er mit dem Repetieren nicht weit. Im Blitzloch sah es schön aus, das heißt für eines Landmanns Augen, nicht für Herren, oder eines Dämchens Augen. Die Gebäulichkeiten aller Art waren nicht elegant,[100] aber Uli sagte für sich: Verdammt kommod. Was er sah an Äckern und Wiesen, Bäumen und Zäunen, war so, daß er sagte: Da könnte man noch was lernen. Er vergaß endlich seine Rede ganz und gar und schaute sich das Ding da unten an wie ein Künstler ein Gemälde, ein Liebhaber eine Dame. »Wo willst?« erscholl plötzlich eine tiefe Stimme neben ihm. Erschrocken fuhr er auf, sah sich um, sah hinter einem Haselzaun eine Gestalt, welche die seine fast um Kopfslänge überragte, und zwischen den grünen Blättern ein grau Gesicht, mächtig wie ein Löwengesicht. Zollang stund ein grauer Bart im Gesichte, nicht nach Wiedertäuferart, sondern weil es dem Eigentümer beliebte, denselben bloß alle Monate oder alle sechs Wochen herunterzuholen. »Wo willst, oder hast im Sinn, das Gschickli zu kaufen?« frug noch einmal das graue Gesicht, und ein großer Hund legte seine vordern Tatzen auf den Zaun, tat das Maul auf und sah seinen Herrn an.

Da fand Uli, es sei Zeit zu reden, und sagte: Er habe sich umgesehen, ob er wohl recht gegangen sei? Er wolle ins Blitzloch zum Bauer.

»Was willst bei ihm?« frug das graue Gesicht und über, blitzte Uli mit seinen kuriosen Augen, daß Uli alsbald wußte, wen er vor sich hatte. »Seid Ihr ihn etwa selbst?« frug er. »Was willst?« frug der Alte, dumpf knurrte der Hund. »Ich hätte einen Paten gemangelt und hätte fragen wollen, ob Ihr die Sache verrichten wollet?« sagte Uli erschrocken und ganz außer allem Gestudierten. »Du Hagels Lümmel! Habe ich den Leuten dies noch nicht sattsam vertrieben?« sagte er. »Ist immer noch einer dumm genug und kommt mit der alten Bettelei?« sagte der Alte mit einer Stimme wie dumpfer Donner; laut schlug der Hund an und rüstete sich zum Sprung.

Das fuhr Uli in die Glieder, er stellte sich fest, denn er gehörte[101] zu den Leuten, welchen der Mut mit der Gefahr kömmt, und nicht zu denen, welche Helden sind, solange keine Gefahr da ist, denen es aber geht, sobald die Gefahr kommt, wie Schönen, welche eine ungeheure Keuschheit zu Felde tragen, solange keine Gelegenheit zur Sünde sich zeigt. Uli stellte sich fest und sagte: Er sei nicht zum Betteln da, sondern um einen Paten zu suchen, wie es üblich sei unter Verwandten.

»Verwandten?« sagte der Alte, »wer bist?« »Bin Pächter auf der Glungge, habe dort das Mädchen geheiratet, welches sie auferzogen,« antwortete Uli. »Die Base läßt Euch grüßen, Ihr werdet sie wohl noch kennen, hat sie gesagt.« »So, erinnert sich die noch an mich?« sagte der Mann, nachdem er Uli scharf betrachtet hatte, »und du willst dem Mädchen, welches sie auferzogen, sein Mann sein, so? Wenn du doch ein Vetter sein willst und nicht ein Bettler, so kannst hinunterkommen.«

Somit stellte der Alte seinen Stock über den Zaun, ergriff zwei Zaunstecken, und ohne mit einem Fuß den wenigstens fünf Fuß hohen Zaun zu berühren, hob er sich hinüber, wie kaum ein Zwanzigjähriger es ihm nachgetan hätte; in hohem Satze sprang der Hund ihm nach. Wie ein alter Riese wandelte Hagelhans schweigend seinem Gehöfte zu, Uli unbehaglich hintendrein, ungewiß, ob er als Vetter oder Bettler behandelt werden solle. Ein andermal, dachte er bei sich, könne die Base selbsten gehen; das sei gar kommod, zu befehlen und dann daheim zu bleiben.

Der Weg, fest und eben, wie man bei Schlössern sieht, führte durch einen prächtigen Baumgarten, wo die Bäume in guter Ordnung sauber und reinlich stunden, schöner als manch Regiment, wenn es zur Musterung zieht. Ungewöhnlich groß war das Haus und still wie das Grab lag es da, kein Leben schien dasselbe zu bergen, wenn nicht Tauben[102] es rings umflattert hätten. Tauben saßen auf dem Dache an der Sonne, Tauben stunden auf dem Brunnen und nippten den köstlichen, süßen Trank, Tauben beinelten rund ums Haus. Uli sah Mägde spinnen in der Stube, aber keine drehte ihre neugierige Nase dem Fenster zu oder streckte sogar das ganze Gesicht durch das Schiebfensterchen; sie spannen emsig, wußten es, daß es sie hell nichts anging, kam einer oder ging einer.

Blank wars im Hause, aber düster sah es aus; keine Art von Schmuck war in der weiten Stube, in welche Hagelhans ihm voranging, kein Glasschrank, kein Geräte irgend einer Art, nicht einmal der große Ofen trug einen Zierat, einen eingebrannten Spruch oder ein eingehauen Bild. Da hieß Hans ihn absitzen, klopfte mit dem Stocke; ein Gesicht erschien unter der Türe, nach einem kurzen Befehl ging es, kam bald wieder mit Brot, Käs und Schnaps, verschwand dann wieder, ohne einen Laut von sich gegeben zu haben.

»Also Pächter auf der Glungge bist?« unterbrach der Alte endlich das unheimliche Schweigen und begann nun eine Art von Examen trotz dem besten Professor. Wie ein alter Edelmann die Geschlechter kennt und mehr oder weniger um den Bestand der Familien sich kümmert, so hatte es auch Hagelhans, lebte aber geschieden von der Welt, suchte Gelegenheit, Bericht einzuziehen, nicht; kam sie aber zufällig, benutzte er sie. Lange hatte er von der Gegend, woher Uli kam, nichts vernommen, daher war ihm das Meiste neu, was Uli berichtete. Aber ob er an dem Einen oder dem Andern mehr oder weniger Anteil nehme, verriet er weder mit einem Wort noch einer Miene. Er lachte nicht einmal, als Uli vom Elisi und dem Baumwollenhändler erzählte, von der Trinette und dem Johannes, er nahm es mit der gleichen Gleichgültigkeit hin wie den Ruhm, den Uli seinem Vreneli spendete und der Base, sagte zu allem nichts als endlich: Es sei ein[103] verwegen Stücklein, mit keinen Mitteln eine so große Pacht zu übernehmen. Aber so sei es halt, jeder mache, was er könne, denke, er sei nicht der Erste, der über nichts komme, ob einer mehr oder minder, sei ja gleichgültig. Nun legte sich Uli des Langen aus, wie er das nicht so habe, wie er es zu machen gedenke, daß es ihm nicht so gehe. Während er erzählte, schielte er so unvermerkt als möglich nach der Türe, der Magd gewärtig, welche warmes Essen bringe. Aber er spähte umsonst, es erschien keine Magd. Da sagte er endlich, er müsse machen und gehen, der Weg sei lang, die Tage kurz. »Kannst mich einschreiben lassen,« sagte endlich der Alte. »Aber um es zu verrichten, bestelle jemand anders oder mache es selbst, ich habe keine Kutte für die Kirche.« »Werde der Base Euern Gruß ausrichten sollen?« fragte Uli. »Selb mach, wie du willst, aber das sage ihr, daß wenn sie mir wieder jemanden zusende, mich nicht ruhig lasse, Hagelhans noch immer der gleiche Unflat sei.« Mit diesem Bescheid entließ er Uli, und er und sein Hund sahen ihm nach, bis er oben am Hügelrand verschwunden war.

Mißmutiger, ärgerlicher war Uli kaum je von einem Hause weggegangen als jetzt vom Blitzloch. So behandelt hatte man ihn wirklich lange nie, und einen zum Paten einschreiben lassen zu müssen, der ihm kein gut Wort gegeben, ihn wie einen Bettler gehalten statt wie einen Vetter, selb kam ihm in den Hals fast wie eine Kannebirne, welche bekanntlich die würgende Kraft haben, an welcher Kinder wohl leben, aber nicht erwachsene Leute. Daß das Gevatterbitten nicht eben die angenehmste Verrichtung sei, hatte er immer gehört, aber sich doch nicht vorgestellt, daß man dabei wie ein Hund behandelt werde. Ein andermal könne dann wer anders gehen, und wenn die Base befehlen wolle, so könne sie es auch ausrichten. Nicht einmal was Warmes anbieten und noch dazu über Mittag und noch dazu einem Vetter, selb war[104] unerhört. War er doch nur Pächter und hätte sich sein Lebtag geschämt, wenn er jemanden, der um diese Zeit zu ihm gekommen, ohne was Warmes aus dem Hause gelassen. Uli dachte nicht, daß die Vettern von links nicht gleich wert kommen wie die Vettern von rechts und daß man ihnen nicht die gleichen Ansprüche zugesteht. Er dachte ferner nur, was man dem Uli schuldig sei, und nicht, was bei Hagelhans bräuchlich sei. Wäre der heilige Bastian gekommen oder eine lebendige Majestät, Papst oder Kaiser, was Warmes hätten sie im Blitzloch nicht gekriegt, und es ist hohe Frage, ob Hagelhans so höflich gegen sie gewesen wie gegen Uli und sie hätte heißen in die Stube kommen. Hagelhans war Hagelhans, und wegen irgend einem Menschenkinde tat er keinen Schritt mehr oder weniger, machte eine Miene anders, er frug allen den Teufel gleich viel nach. Wir ihm am nächsten kam, war ihm am widerlichsten, gleich viel ob Bettler oder Kaiser. So war Hagelhans und so konnte er sein, denn er wollte nichts, bedurfte nichts, mit den Menschen hatte er ab- und ausgerechnet ein, für allemal, wie er glaubte.

Was Warmes müsse er haben, machte Uli bei sich aus, und im nächsten Wirtshause kehrte er ein. »Einen Schoppen, Suppe und sonst noch was auf einem Teller« befahl er. Der Wirt war selbst daheim, ein schwerer Mann am Leibe; sein Schritt war so gewichtig, daß es den Gästen allemal angst wurde, wenn er ihretwegen einen Tritt versetzte, sie müßten ihn bezahlen, eben weil er so gewichtig war. Sein Geldbeutel und sein Ansehen waren desto leichter, daran aber dachte Uli nicht; er war noch so gewohnt, von der äußern Schwere auf die innere zu schließen und von einem doppelten Kinn auf einen doppelten Geldsack, hier voll Silber, dort voll Gold. Große, aber hohle Bäuche, außen fix und innen nix, war damals noch nicht so gebräuchlich.

»Gar weit seid Ihr nicht gewesen?« sprach der stattliche[105] Wirt mit einem Gesicht wie ein klösterlicher Kellerherr oder ein oberkeitlicher Korn- oder Amtsschaffner ihn an. »Ich sah Euch diesen Morgen vorbeigehen.« »Nein,« sagte Uli, »ganz zunächst, nur im Blitzloch oder wie man sagt.« »Potz,« sagte der Wirt. »Nehmt es nicht übel, aber besehen muß ich Euch, ob Ihr noch ganze Knochen habt, von den Kleidern will ich nichts sagen. Mit ganzen Beinen kömmt selten einer aus dem Blitzloch, oder wenn die Beine ganz, so ist er doch halb gefressen, bsunderbar wenn er wohl am Leibe ist. Um Verlaub zu fragen: was habt Ihr mit Hagelhans wollen? Kauscher bei dem ists nicht.« Er hätte eine Verrichtung gehabt, von einer Base von Hans, sagte Uli, aber es wäre ihm auch lieber, er wäre nicht gegangen, obgleich er ungeschlagen und ungebissen davongekommen. »Ja, das ist einer,« sagte der Wirt, »zwei Solche laufen nicht auf der Welt herum. Nicht daß ich meine, daß ich alles glauben müsse, was die Pfaffen stürmen, selb ist nicht; aber wenn ein Teufel ist, so glaube ich, Hagelhans mache Halbpart mit ihm, wenn er ihn nicht selbsten ist. Allweg mit rechten Dingen geht das nicht zu. Keinem Menschen gibt er ein gut Wort, keinem armen Menschen ein Almosen. Geld hat er wie Steine, sein Hof wird gearbeitet wie keiner, er selbst tut keinen Streich. Sein Gesinde hält er wie Sklaven, und doch läuft selten jemand fort und klagen wird Keins, wie bös sie es auch haben und wie gut man es mit ihnen auch meint und es ihnen auf die Zunge legt. Aber es heißt, wie man es mit den Hunden mache, welche man kauft, daß sie nicht fortlaufen, mache es Hagelhans auch mit den Dienstboten. Es nimmt mich ds Tüfels wunder, was seine Dienstboten für ein Trank trinken müssen, daß sie so bei ihm aushalten, oder ob sie sich gleich verschreiben müssen mit Leib und Seele, wie man sagt, daß es der Teufel im Brauch habe. Wenn er einem Menschen aus der Not helfen könnte, er ließ sich eher schinden, als daß ers[106] täte. Wie wüst der ist, es glaubt es kein Mensch, ein jedes Kind auf der Gasse weiß Euch hundert Proben davon. Nur für Euch ein Beispiel zu sagen. Wer in Handel und Wandel ist, weiß, wie es geht: das Geld geht aus und zahlen sollte man doch, wenn die Termine um sind. Es gibt immer Leute, welche keinen Verstand haben, wie gut Freund sie auch sind, solange man zahlen kann, und wenn man schon hundertmal reicher ist als sie und hundertfach Unterpfänder hätte, so kommen sie einem nicht daran und wollen Geld, und aus Land und Häusern kann man nicht Geld machen, versteht sich! Nun wie geht es mir? Ich bin stark im Handel, wie bekannt, und so ein Großkopf sagt einst zu mir: Andreas, wenn du Geld mangelst, so komm zu mir, habe zweitausend Gulden liegen daheim, weiß nicht wo aus damit, würde sie niemanden lieber geben als dir, und wegen Wiedergeben brauchst nicht Kummer zu haben. Mir war es anständig, war damals gerade gut was zu machen, wenn man Geld hatte. Ich, dumm genug, nehme es, dachte nicht daran, daß das mich je plagen werde. Aber was macht mir der Schelm? Dem kömmt es anders in Kopf, will das Geld plötzlich wiederhaben; ich konnte es weiß Gott nicht aus den Steinen schlagen, und er, nicht faul, läßt mich betreiben darum. Das werde nicht alles machen, dachte ich, Geld, für den zu zahlen, werde genug im Lande sein. Aber wohl, da habe ich es erfahren, was es heißt, Geld suchen in der Not; die, welche es haben, haben es, die Andern können zusehen, wo sie es nehmen und wie sie es machen. Ich wußte, daß Hagelhans manchtausend Gulden im Hause hatte, und dachte, es werde doch erlaubt sein darum zu fragen, und dann nicht etwa auf die nackte Hand, sondern gegen Versicherung, wo jeder Vernünftige sich hätte ersättigen können. Ich hinauf an einem schönen Morgen, hatte noch eine Flasche vom Besten in der Tasche, unter dem Vorwand, ich wollte ihm den zum Versuchen bringen, wenn[107] er wieder etwa kaufen wollte. Dachte, der werde ihm den Mund schon süß machen, und er hätte es gewiß gemacht, wenn es dazu gekommen wäre. Aber ich kam eben nicht in die Stube; vor dem Hause ist er gestanden, so breit wie eine Stallstüre, und neben ihm der verfluchte Hund. Ich mache mein Kompliment und zwar honett, wie es nur immer der Brauch ist, und sage, ich hätte was mit ihm wollen. Aber er nichts mit mir, sagte er mir gleich an den Kopf heraus. Ich dachte nicht daran, daß das so gröblich Ernst sei, sondern sagte: Es werde doch erlaubt sein, ein paar Worte mit ihm zu reden. Du hast es gehört, sagte er, ich will nichts mit dir, und jetzt streiche dich, rate ich dir. Das kam mir in Kopf, daß er mich so wegjagte wie einen Hund oder Bettler, ich sagte: Schon mit manchem vornehmen Herrn hätte ich geredet, Gehör hätte mir jeder gegeben, abgehen werde ihm nichts an seiner Hübsche, wenn er schon ein paar Worte höre. Und jetzt packe dich, sagte er, und so stark als du magst. Ich komme auch nicht, dich zu plagen, darum laß auch mich in Ruhe, du Lumpenwirt, willst dich packen oder nicht? Mein Seel, gerade so sprach er zu mir, und mit dem ists nicht genug gewesen. Der verfluchte Hund kam langsam auf mich zu, mit aufgehobenem Schwanze und brummend wie ein Ochse. Ich wollte mich nicht erschrecken lassen und vom Hause weg wie ein Dieb. Ich sagte ihm, wie er ein wüster Mann sei und dies keine Manier. Da mir nichts dir nichts schießt mir der Hund ins Gesicht und kriegt mich zu Boden. Das ging so ungesinnet, ich konnte nichts dazu sagen. Ich will auch auf den Hund dar. Pump, liege ich wieder am Boden, mit der Nase tief in der Erde, und allemal, wenn ich aufstehen wollte, schoß der Hund mich nieder, aber ohne zu beißen. Wer auf allen Vieren vom Hause weg und den ganzen Hügel hinauf muß wie ein Unvernünftiges, das war ich, und erst als ich oben im Weg war, ließ mich der Ketzer aufstehen.[108]

Da wollte ich noch ein paar Worte sagen, aber wohl, ich hatte Zeit, zu gehen. Ja, die ganze Seite hinauf, auf allen Vieren, ich werde allemal krank vor Zorn, wenn ich daran denke. Es dünkt mich, es freue mich nicht zu sterben, wenn ich es Hagelhans nicht noch eingetrieben.«

So erzählte der Wirt, daß Uli sich sehr verwundern mußte, wie er ausnahmsweise mit Höflichkeit behandelt worden, indem er auf den Beinen sich habe entfernen dürfen. Der Wirt wußte nun eine Greueltat nach der andern zu erzählen und sagte oft: Es sei Mancher gehangen worden, er habe nicht die Hälfte getan, was der. Aber er sei mörderlich reich, und mit Geld habe man zu allen Zeiten viel gemacht und es dünke ihn, je länger je mehr. Je ärmer die Herren würden, desto besser gefiele ihnen das Geld.

Bei einem geschwätzigen Wirte hat man sich leicht länger versäumt, als man dachte. Es war schon ziemlich über Mittag, als Uli aufbrach. Die Gevatterrede war abgetan, und zwar kurz, die plagte Uli nicht mehr auf dem Heimweg, wohl aber der Ärger, für sein Mädchen einen solchen Paten zu haben, und das Werweisen, ob es nicht am besten wäre, den Hagelhans gar nicht einschreiben zu lassen, sondern einen andern zu suchen. Je mehr er darüber nachdachte, desto deutlicher kam es ihm vor, von dem wolle er nichts, und da er keinen andern Paten wußte, so kam es ihm als das Gescheuteste vor, sich selbsten einschreiben zu lassen. Es war nicht mehr Tag, als er durch das Pfarrdorf ging, doch noch zu einer Zeit, wo man zum Pfarrer darf, ohne Angst zu haben, ihn aus dem Bette herauszuklopfen. Bei weltlichen Beamteten wird man freilich auch um diese Zeit selten Audienz suchen, man setzt voraus, ob mit Grund oder ohne Grund lassen wir dahingestellt, sie seien anderswo als daheim.

Er klopfte also im Pfarrhause an, freundlich empfing ihn der Pfarrer und holte alsbald ein Buch hervor, fast größer als[109] der Pfarrer selbst. »Ich weiß schon,« sagte derselbe, »warum Ihr kömmt, am Sonntag wollt Ihr taufen lassen. Die Frau ist doch wohl, und was habt Ihr, einen Knaben oder ein Mädchen?« »Nur ein Mädchen.« »Nun, wenn es Eurer Frau gleicht, so habt Ihr bald viel Hülfe von ihm, und nur Geduld, die Buben werden schon noch nachkommen. Im Anfang hat man große Sehnsucht nach ihnen, aber zählt darauf, bald kommen sie einem lange schnell genug. Indessen wo rechte Eltern sind, sind Kinder immer eine reiche Gabe Gottes. Wo viele Kräfte tätig sind, recht gerichtet und im rechten Grunde gewurzelt, da bauen sie ein Haus, sind Säulen für die Eltern. Wen soll ich als Pate einschreiben?« »Denk mich selbst,« sagte Uli, »brauche dann niemanden weiter zu plagen.« »Es ist mir leid,« sagte der Pfarrer, die Feder niederlegend, »das darf ich nicht. Niemand kann sein eigener Bürge sein.« »Da weiß ich wahrhaftig nicht, was ich machen soll,« sagte Uli. »Hört, Herr Pfarrer, wie es mir heute gegangen ist.« Als Uli auserzählt hatte, sagte der Pfarrer: »Ich denke doch, ich schreibe den Hagelhans ein, ein schöner Name ist es freilich nicht für ein Kirchenbuch. Aber, Uli, die Sache ist so: Ihr habt es ihm gesagt, er hat es angenommen, und namentlich in solchen Dingen darf man nicht stürmen, da muß das einmal gegebene Wort gelten. Es ist leicht möglich, Hagelhans käme nicht darüber, aber würde er es vernehmen, denkt, was er glauben würde! Für einen Preller müßte er Euch halten. Ich kenne den Mann nicht und habe wenig von ihm gehört, aber selten ist einer so böse, daß er nicht noch Gutes an sich hat, und wie Viele schlechter sind, als sie scheinen, so ist doch auch hier und da einer besser, als er scheint. Ich täte es an Euerm Platze.« »Nun, wie Ihr meint, Herr Pfarrer, so schreibet, aber zuwider ists mir und das Kind kann mich dauern. Wenn ein Vater oder eine Mutter im Zuchthaus waren oder am Galgen starben, als das Kind noch in der Wiege[110] war, so sagt man es dem Kinde auch nicht gerne, wer Vater oder Mutter gewesen sind; so wird es mir mit dem Paten gehen, wenn das Kind nach ihm frägt.« »Wer weiß,« sagte der Pfarrer. »Manchmal geht es ganz anders, als man denkt. Die Mutter wird wohl ihre Gründe gehabt haben, als sie Euch sandte.« »Weiß es nicht.« sagte Uli. »Manchmal zwingen die Weiber was, nur um das Mannevolk zu plagen, und ich glaube schier, die Base habe es auch so gehabt und hat nur so aus Bosheit mich an den Vetter gehetzt, gegen den sie einen Zahn zu haben scheint, so wie er gegen sie.« »Man muß immer das Bessere glauben. Uli,« sagte der Pfarrer. »Vielleicht wollte sie eine Gelegenheit zur Versöhnung suchen.« »Ja, ja, man sollte,« sagte Uli, »aber man kann nicht immer.«

Die Sache war also verrichtet, aber einen zufriedenen Bericht brachte Uli nicht heim und der Base gab er manchen Tag kein gut Wort, und nur hintenum durch Vreneli vernahm sie, wie es Uli ergingen. »Ihr hättet das Uli nicht anrichten sollen,« setzte Vreneli bei. »Warum nicht?« antwortete die Base, »einen Paten mußtet ihr haben und gefressen hat er Uli nicht. Mich nahm aber wunder, mal wieder was von ihm zu vernehmen, dem Unflat. Er ist scheints immer der Gleiche; schade ists um ihn, wäre der anders ausgefallen, aus dem wäre was geworden, einen Kaiser hätte er abgegeben wegen Befehlen und Regieren, aber dann hätte der liebe Gott den Leuten die Köpfe anders befestigen müssen, sonst wäre in Hanse Reich bald keiner mehr auf einem Halse gestanden.« Der Tauftag eines Kindes ist in all Wege immer ein sehr feierlicher Tag. Die Eltern heiligen ein Pfand der Gnade Gottes und drücken damit öffentlich das Bewußtsein aus, daß sie es von Gott empfangen und daß es einst aus ihrer Hand wieder werde gefordert werden; sie drücken ihre Freude aus, denn wo gibt es auf Erden reinere und süßere Freuden, als aus einem Kinde erblühen können, aber zugleich[111] auch die Überzeugung, daß wie Gottes Hand und Macht auf dem Acker walten müssen, wenn der Same gesegnet sein und zur reichen Ernte reifen soll, so auch seine Huld und Gnade über dem Kinde, wenn es zum Weinstocke erwachsen soll, von welchem die Eltern Trauben lesen können, und nicht zum Dornenstrauch, an welchem die Dornen wachsen, an welchem so gern elterliche Herzen verbluten.

Der Täufling ward an diesem Tage zum kleinen Herzkäfer, den ganzen Tag ließ er keinen einzigen Schrei aus, bloß hier und da machte er ein kleines Dureli, wie man zu sagen pflegt, sonst allezeit das lieblichste Mieneli von der Welt, daß alle die größte Freude dran hatten. Ein bsonderbar Kind sei das, meinte die Bodenbäuerin, sie hätte noch keins so gesehen, es sei akkurat, als ob das mit Freundlichkeit gut machen solle, was Hagelhans mit Sauersehen sich versündige. »Mich nimmt nur wunder, was der für ein Gesicht machen würde, wenn das Kind ihm unter die Augen käme, ob er auch den Hund an ihns hin hetzen würde? Was hat er geschickt zum Einbund und sonst?« frug sie halblaut die Base. »Nichts, gar nichts« sagte die Base, »das macht mich eben so böse, er ist noch ein ärgerer Unflat, als ich dachte.« »Hans tat nie wie andere Leute,« sagte die Bodenbäuerin; »je nun, man kann immer nachbessern, seinetwegen sollen sie nicht in Schaden kommen, und lieber ists mir, er sei nicht etwa selbst gekommen mit seinem Hunde, ich wäre den ganzen Tag in Angst gewesen, was für ein Zeichen er tun werde und hoffentlich muß ich ihn nie sehen, habe am Hören schon zu viel.«

Der Bodenbauer war Uli sehr willkommen, er dürstete ordentlich nach dessen reifen Räten, die gar gediegen kamen aus dessen reicher Erfahrung. Vor allem aus sollte derselbe ihm sagen, ob er Korn verkaufen oder sein Geld einziehen solle? Gegeben müsse der Zins werden, es ließe Joggeli nicht leben,[112] wenn derselbe nur einige Tage ausstünde. Überdem glaube er, jetzt habe derselbe das Geld nötig. »Ich an deinem Platz täte das Korn verkaufen,« sagte der Bodenbauer, »solange du nicht reicher bist, darfst mit Spekulieren dich nicht befassen; Spekulieren ist gar ein seltsam Ding, ungesühnt schlägt es einem das Bein unter; das Geld hast du sicher, über das Korn kann dir gar allerlei gehen. Zudem, wer sagt dir, daß übers Jahr das Korn teurer ist und nicht wohlfeiler? Dann mußt du doch in alle Wege verkaufen, denn für zwei Zinse reicht dein Vermögen kaum aus, was hast du dann gewonnen? Verkaufe, was du mußt, hast übrig, so behalte es, betrachte es als Vorschlag und Sparbüchse, womit du dir aus, helfen kannst, wenn dir sonst was anderes fehlt. Es ist sehr gut, wenn man so nach und nach in einem Hause zu recht vielen Vorräten von allem, was das Land bringt, kömmt. Das macht sich so nach und nach, man weiß nicht wie, rechnet es nicht, aber wenn Zeiten kommen, wo man die Sachen braucht, oder Zeiten, wo man Geld nötig hat, so hat man einen Schatz im Hause, den man gesammelt, ohne es zu merken; das ganze Haus ist gleichsam eine Schatzkammer, in allen Ecken findet man Schätze, und wenn man alles zusammenträgt, so hat man einen großen Reichtum, an den man kaum dachte. Dagegen, wenn man alle Jahre aufräumt, das Entbehrliche alles zu Gelde macht, so scheint kein Segen in den Sachen zu sein, man ist mit allem immer fertig, und wenn mal ein Fehljahr kömmt, so kann man dreifach wie, der ausgeben, was man einfach eingenommen, ist übel dabei in Not und Sorge. Ich hasse die Hudelwirtschaften, wo oben und unten nichts Vorrätiges ist, die Mäuse die Schwindsucht kriegen und elendiglich verkümmern.« Uli sagte nicht viel zu dieser Predigt, er dachte bloß, es sei gut, daß Vreneli sie nicht höre.

Dem Vetter Johannes gefiel es sonst wohl in den Ställen, nur[113] warf er einige seltsame Blicke durch die Gänge in den Ställen und ums Haus. Uli faßte diese Blicke beschämt auf und sagte: »Ja, wenn man nicht immer hinten und vornen ist, so machen sie auf und davon, und obs allenthalben aussieht wie in einem Schweinestall, dem fragen sie nichts nach, wenn nur der Tag umgeht und zu rechter Zeit das Essen auf dem Tische steht; es ist ein Leiden mit dem Lumpenpack, man glaubt es nicht.« »Hast geändert auf Weihnacht?« frug Johannes. »Getroffen,« antwortete Uli, »ich habe müssen,« und erzählte nun des Langen und Breiten, wie er es gemeint und wie er gerechnet. »Hast baß gemacht?« frug Johannes. Uli gestund den Irrtum in seiner Rechnung nicht ein, sondern erzählte bloß, wie übel er es getroffen, wie an seinen Bürschchen nichts sei als Hochmut; trügen die Nasen so hoch, als wollten sie die Sterne vom Himmel runterstüpfen, und was das Ärgste von allem sei, sie wollten sich gar nicht weisen lassen, meinten, sie verstünden alles, sie seien so viel als er der ja auch nur Knecht gewesen. So einer, dächten sie, wie er wohl merke, solle nicht kommen und sie kujonieren wollen, so einem stehe es übel an. Habe geglaubt, er könne auch was verdienen, daß er halbbatzige Bürschchen zu brauchbaren Knechten mache. »Das wäre wohl gut,« sagte Johannes, »aber du wolltest es nur zu gut machen. Für Plätze, wie du sie hast stelltest du die Bürschchen viel zu leicht an; sie begreifen, wie es scheint, gar nicht, was sie versehen sollen, sondern bloß, daß sie Karrer und Melker sind. Wo einer nicht weiß, was er zu tun hat, sieht er alles Zurechtweisen als Kujonieren an. Nimm ein Mensch, welches sein Lebtag nur den Schweinen gekocht hat, und stelle es in eine Herrenküche als Köchin, so wird es Jahre gehen, ehe es begreift, daß ein Unterschied ist zwischen einem Schweinetrog und einem Herrentisch, und die Frage ist, ob es je dahin kömmt, menschlich zu kochen für die Herrschaft. Das Gleiche hast mit dem Handwerker. Am übelsten[114] fährst immer mit denen, welche aus Lehrjungen sich eigenmächtig zu Meistern avancierten. So hast du es allenthalben. Mache aus einem gemeinen Schreiber oder Schreibersknecht einen Staatsrat oder einen Kreispräsidenten, so wird er sein Lebtag nie lernen, was er soll, nie die rechte Würde kriegen, sondern nur Hochmut und eine Anmaßung vom Teufel.« »Ja, ja,« sagte Uli, »ich hatte nicht Glück, ein andermal hoffentlich geht es mir besser.« Wetter, dachte Johannes, ist der auch schon so avanciert, daß er seine Böcke nicht mehr für Böcke ansehen kann?

Übrigens hatten sie einen recht gemütlichen, heimeligen Tag. Sie hatten das Taufemahl daheim, besondere Gäste waren nicht geladen; was auf die Zunge kam, handelte man traulich ab, wurde nicht alle Augenblicke gezwungen, die besten Faden im Gespräche abzureißen, weil Unberufene in die Stube stürmten. Gut und währschaft wartete Vreneli auf, daß selbst Vetter Joggeli sagte, eine Wirtin hätte es werden sollen, es verstünde es und dazu stehe es ihm noch wohl an, zwei Dinge, die nicht immer beisammen seien. Die Bodenbäurin erzählte viel von ihren Kindern, namentlich von der ältesten Tochter, welche am Heiraten war. Eine Mutter kann nie glücklicher sein, selbst an ihrem eigenen Hochzeittage nicht, als wenn sie ihrer Tochter die Hochzeitpredigt halten kann; ohne Tränen geht sie nie ab, das reinste Glück preßt bei echt weiblichen Herzen immer Tränen aus den Augen. Wie am herrlichsten im Himmelstau die Blumen funkeln, so weibliche Augen in Tränen der Wonne.

So eine rechte mütterliche Hochzeitpredigt hat unabänderlich drei Teile. Im ersten Teile laufen die Augen an, im zweiten trocknen sie wieder, im dritten laufen sie über. Es gibt aber auch selten schönere, herzlichere Predigten als die, welche quellen aus treuen Mutterherzen. Im ersten Teile erzählt die Mutter, wer ihre Tochter sei, was sie sei und was[115] sie könne. Sie erzählt, wie sie einstehe in der Haushaltung, keine Magd wert sei, ihr die Schuhriemen aufzulösen, unverdrossen früh und spät, und wenn sie an etwas sinne, so sei es schon gemacht. Sie rühmt aber ganz besonders ihren Verstand, wie sie auf Frieden halte, das Klapperwerk hasse, den Vater nie böse mache, und wenn sie sehe, daß irgendwo was Ungerades sei, sie nicht ruhe, bis sie dasselbe ausgeebnet und gerade gemacht. Sie könne nichts weniger leiden, als wenn irgendwer im Hause, und sei es nur der Roßjunge, nicht zufrieden sei. Aber erst wenn jemand was fehle, erfahre man, was das für ein Kind sei. Von weitem sehe es einem an den Augen es an, wenn man nicht wohl sei, und plage einem da nicht mit Frägeln und Reden. Es wisse, was man nötig hätte, und bringe es einem ungesinnet und ungeheißen. Es sage bloß: »Mutter, jetzt laß mich machen, gehe und halte dich still, schlafen täte dir gut. Habe nicht etwa Kummer, daß was vergessen werde, du weißt ja, ich habe das schon oft gemacht.« Wenn sie dann nachsehe, so sei es so, sie wüßte nichts zu verbessern. Dem Vater mache sie es gerade so; er sage oft, er hätte gemeint, nur an Buben könne man Freude haben, was ein rechtes Mädchen sein könne, das habe er nicht gewußt. Er müsse sagen, er tauschte das seine nicht an ein Dutzend Buben. »Es war aber auch berühmt, es sahen noch andere Leute, was mit ihm ist; wenn es unser einzig Kind wäre und wir noch einmal so reich, es hätte nicht stärker um ihns gehen können und dazu von vornehmer Seite her, wo ich nicht daran hätte denken dürfen. Aber darauf hat es nicht gesehen, und wir ließen ihns machen, wir dachten, es hätte den Verstand selbst. Und Gottlob, als es ihm war, den möchte es jetzt und keinen Andern, da kam es und sagte, es möchte Vater und Mutter was sagen aber es dürfe fast nicht, der und der setze ihm stark nach und wolle nicht nachlassen, und es müsse es sagen, wenn[116] es einmal einen möchte, so sei es diesen. Aber es wolle uns dieses zuerst sagen; wenn wir im Geringsten etwas dawider hatten, so sollten wir es nur sagen, es sei nicht, daß es meine, das müsse sein, es wolle sich uns unterziehen. Es hat meinen Alten selbst gedünkt, es hätte keine Art, wie das Meitschi sich unterzog und alles in unsere Hand legte. Wenn sie alle so wären, es würde weniger Unglück geben, hat er gesagt. Was wollten wir dagegen sagen? Es las aus, wir selbst könnten es nicht besser, und daß es bloß unseretwegen ledig bleiben solle, das meinen wir nicht, das wäre ja gottlos. Es ist ein Bursche von den bravsten und hübschesten einer, hat einen bezahlten Hof, versteht das Bauernwesen aus dem Fundament, ist selbst dabei früh und spät und selbst voran. Zu scheuen ist nichts in der Familie, weder leiblich noch geistlich, wir haben gute Nachfrage gehalten und lauter gut Lob gehört. Es sei eine berühmte Familie gewesen, solange man sich erinnern möge. Nur die Mutter lebt noch, bsunderbar eine brave Frau; sie hat gesagt, sie möge die Stunde nicht er, warten, bis mein Meitschi ihr ins Haus komme, dann solle es Meisterfrau sein vom ersten Augenblick an. Sie habe genug regiert, danke Gott, wenn sie abgeben könne. Nein, besser hätte das Kind es nie machen können! Aber wie es dann bei uns gehen soll, das weiß ich nicht, nein, ich weiß es nicht, darf nicht daran denken, wie übel es mir geht, niemanden es sagen.« Da nun geht das Überlaufen recht an, und doch ist der Schmerz ein süßer. Zweifacher Trost steht ihm zur Seite, das Bewußtsein, eine solche Tochter zu haben, und die Hoffnung auf ein jüngeres Mädchen, das zwar noch nicht Verstand hat an der ganzen Hand, was jenes am kleinen Finger, das aber einsehen werde, was jetzt an ihm sei, und so viel Gedanken, daß es der Schwester nicht ganz werde nachstehen wollen. »Aber« usw.!

Das war die Hochzeitpredigt, welche die Bodenbäurin aus[117] der Fülle ihres Herzens hielt und welcher die Glunggenbäurin in rührender Andacht zuhörte. Sie konnte keine solche halten, die arme Frau. Sie wünschte Glück von ganzem Herzen, sagte aber auch aufrichtig, sie erfahre das Gegenteil. Wenn die Bodenbäurin ihre Tochter einmal sehen werde daherfahren mit ihrem Manne, werde sie absitzen müssen vor Freude, sehe sie aber Elisi und seinen Mann dahergefahren kommen, so müsse sie absitzen vor Kummer und Angst. Das Elisi könne sie aber doch erbarmen von ganzem Herzen, an allem sei es nicht schuld; es sei ihnen zu wert gewesen von Jugend auf, und kränklich sei es auch gewesen, darum habe man es mit Arbeit verschont, dummerweise, sie hätten den Verstand nicht besser gehabt. Man habe ihnen gesagt, Elisi müsse gebildet werden mit Welsch und Brodieren, dann könne es eine vornehme, gebildete Frau werden und brauche nicht zu arbeiten, dazu sei es zu zart, und wer reich sei, solle eigentlich gut haben und Andere machen lassen um den Lohn. Es hätte ihr geschienen, etwas sei an der Sache. Wenn sie so oft des Abends mit müden Beinen abgesessen sei und fast nicht mehr habe aufstehen können vor Schmerzen, sei es ihr oft vorgekommen, es sei dumm, sich so zu mühen, wenn man das Geld hätte, jemand den Lohn zu geben, daß er es für einen mache. Da habe sie gedacht, man könne das mit Elisi so probieren; wenn die Schulmeister und sonst die Gelehrtesten es so meinten, so werde es wohl auch so sein. »Wie dumm man ist, kann ich jetzt erfahren, und wie es einem geht, wenn man Gottes Wort nicht achtet und auf das Klügeln der Menschen hört. Es heißt: Sechs Tage sollst du arbeiten, und: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen, und da heißt es nicht von Reich und Arm, von Zart und Grob, es heißt: Du sollst. Und das wird wohl alle angehen, nenne man eine Elisi oder Lisi. Wenn eines nicht arbeiten kann, so ist es der ärmste Tropf von der Welt. Nicht von wegen dessen, weil niemand weiß,[118] wie es ihm noch einmal gehen kann, daß Gott erbarm, sondern weil eines nicht befehlen kann, wenn es nicht weiß, wie etwas gemacht werden muß. Eine Frau ist der ärmste Tropf von der Welt, wenn sie nicht in jedem Augenblick die Magd vorstellen kann. Weiß sie nicht, wie man eine Sache macht, so hat keine Magd Respekt vor ihr, hält sie zum Besten. Sie ist nicht bloß am schlechtesten bedient, hat das ganze Jahr das Herz voll Verdruß und Gift, sondern sie muß sich auch verschreien lassen in der ganzen Welt als die böseste Hexe, welche je dem Teufel von dem Karren gefallen. Ach Gott, das erfahre ich an Elisi. Ich mag ihm Mägde herbeischaffen, so viele ich will, es plagen ihns alle, es verschreien ihns alle; es klagt und jammert oft darüber, hat schrecklich böse dabei, und ich weiß in Gottes Namen nicht zu helfen. Wenn ich schon sehe, wo der Fehler ist, so kann ich doch nichts daran machen, so wenig als bei Johannes Frau, die auch ein Narr ist vom Kopf bis zu den Zehn. Die wäre grob genug zur Arbeit, aber man hat sie auch nichts gelernt als den Narren zu machen, daß Gott erbarm!«

So ergoß sich die Glunggenbäurin, und daß auch ihre Augen nicht trocken blieben, versteht sich. Aber weder neidisch auf die Bodenbäurin noch unglücklich war sie dabei. Wer hat nicht schon erfahren, wie durch eine flotte Herzensergießung in gemütlicher Traulichkeit der Geist sich erleichtert und aufheitert wie nach strömendem Regen der Himmel? Die Zeit schwand wie den Seligen die Ewigkeit, unbemerkt, und dunkel wards, ehe jemand daran gedacht. Entschieden weigerten sich der Bodenbauer und seine Frau, über Nacht zu bleiben. Es sei ihnen nicht wohl an einem andern Orte, sagten sie, über Nacht. Solange sie verheiratet seien, seien sie nie Beide mit einander außerhalb dem Hause über Nacht gewesen und Eins ohne das Andere nicht oft. Man wisse nie, was es geben könne. Dieses Gefühl, welches heimzieht an allen Haaren,[119] dem Manne Kraft gibt, daß er jeder Überredung unzugänglich wird, an allen Wirtshäusern vorüberwandelt, die Müdigkeit der Glieder überwindet und heimkehrt, wenn auch erst nach Mitternacht, ist ein eigentümliches, es ist ein Kind der Treue, welche auf dem einmal erkornen Posten stehen will in der Nacht, die niemandes Freund ist.

Solche in trauter Gemütlichkeit verbrachte Tage, wo Sterblichen die Zeit verrann wie Seligen die Ewigkeit, glänzen durchs Leben wie ein goldenes Gestirn am hohen Himmelsbogen, weite Räume erhellen sie, und einmal erlebt, werden sie nicht wieder vergessen. Solche Tage sind manchmal eingestreut ins Leben wie am Himmel die Sterne, manchmal gleichen sie der klaren Morgensonne, welche einen hellen Tag bringt, manchmal der Abendsonne, nach welcher die Nacht kömmt und nach der Nacht stürmische Tage.

Diesmal war dieser Tag wirklich der Abendsonne ähnlich, welcher erst die Nacht, dann wilde, trübe Zeiten folgen.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 94-120.
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