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[297] Nach der Angst kommt der Tod
»Lenore fuhr ums Morgenrot empor aus schweren Träumen,« so gings auch Vreneli. Vom Brennen hatte es geträumt, hatte seine Kinder in den Flammen gesehen, zu ihnen gewollt und nicht gekonnt, war wie in Ketten und Banden gelegen. Ein heftiges Klopfen am Fenster brach den Bann, mit einem Satze war Vreneli mitten im Zimmer, riß die Augen auf, stockfinster wars; ob es geträumt oder nicht, war ihm nicht klar. Da klopfte es noch heftiger; rasch riß es das Fensterchen auf und rief: »Wo brennts?« »Komm geschwind, die Frau will sterben, sie kommt nicht mehr fort mit dem Reden; sie wollte nie machen, was ich angab, drum gehts ihr jetzt so; hätte sie gehorcht, sie hätte es noch lange machen können, so wohl am Leibe, wie sie war.« Es war Joggeli, der so sprach. Ehe er wieder beim Stock war, war Vreneli hinter ihm, vor ihm in der Stube und fand die gute Base im Sterben. Nach Tropfen und Salben griff es schnell; die Base tat wohl die Augen auf, tappte nach seiner Hand, strengte sich augenscheinlich an, etwas zu sagen, brachte bloß undeutliche Töne hervor, man wußte nicht, wollte sie Haus oder Geld oder Hand sagen, und wenn man nach diesem oder jenem deutete,[297] schüttelte sie den Kopf und deutete auch, aber man wußte nicht, nach was. Bei allem, was man ihr vorwies oder sagte, schüttelte sie den Kopf, seufzte tief auf, schloß die Augen und öffnete sie hienieden nimmer wieder.
Sie habe die Sache nie zu rechter Zeit sagen können, und man habe eigentlich nie recht gewußt, was sie meine; wenn man geglaubt, jetzt sei es ihr einmal das Rechte, so sei es ihr eben nicht recht gewesen; wenn sie auf ihn gehört, sie lebte noch, aber sie hätte es immer so gehabt; was er gesagt, habe nie etwas bei ihr gegolten. Daneben sei sie eine rechte Frau gewesen, und niemanden sei es übler gegangen als ihm; sie seien an einander gewöhnt gewesen, und so alt, wie er sei, gewöhne man sich nicht mehr gerne anders; da dünke es ihm, sie hätte wohl können ihm zu Gefallen mehr ums Leben tun, das Geld hätte ihn nicht gereut, aber so sei sie immer gewesen, was sie im Kopf gehabt, das hätte man ihr nicht mehr herausgebracht. Das war Joggelis Leichenklage, von welcher indes Vreneli wenig hörte, denn ihm war die Mutter gestorben. Es war, als sei es vom Eckstein seines Daseins weggestoßen, schwebe über einem Abgrunde, der unergründlich, unerforschlich seinen Schlund ihm entgegendehne. Doch seinem Schmerze gab es nicht lange ungemessen sich hin. Vreneli hatte sich untertan gemacht der Pflicht; wo Pflicht erschien, gehorchte es ihr mitten in jeder Bewegung, wie der Soldat in allen Lagen, sie mögen heißen wie sie wollen, die Hand an den Tschako, Helm oder Käppi legt, wenn ein Offizier vorübergeht. Daß wir hier nicht von bernerischen Soldaten reden, versteht sich – zwar nicht von selbst, sondern sonst!
Vreneli fühlte, daß ihm jetzt hauptsächlich die Besorgung aller Formalitäten oblag, denn Joggeli hatte weder Übersicht des Nötigen noch das schnelle Wort zur Beschickung des Nötigen. Es drückte die Hand aufs Herz, wischte die Augen aus, stund auf und frug Joggeli, was er meine, daß jetzt gemacht[298] werden müsse? Eben, sagte er, habe er gedacht, und schluchzte erbärmlich dazu, es sei doch nichts gemacht von seiner Frau selig, daß sie nicht gesagt, wie sie es wünsche; es sei doch sonst überall Gebrauch, daß wer sterbe, sage, wie man es mit seinem Leichenbegängnis halten solle, und sonst befehle, was es noch möchte. Sie habe kein Wörtlein davon gesagt, und das hätte sie doch sollen, wenn sie es gut mit ihm gemeint. Nit, klagen wolle er nicht, es sei eine brave Frau gewesen, bravere werde es wohl nicht viele geben, aber das Wort hätte sie ihm nicht gegönnt, und wenn er was von sich aus gemacht, so sei es doch nicht recht gewesen; er wolle jetzt auch nichts dazu sagen, vielleicht wäre es doch nicht recht; es solle machen, was nötig sei, es habe es ihr sein Lebtag besser getroffen als er. Vreneli versuchte nicht zu berichtigen oder zu widersprechen, fertigte vor allem einen Boten an Johannes ab, sandte ein Fuhrwerk nach Elisi, tat sonst das Nötigste, was üblich ist in solchen Fällen, und hatte noch viel mit Uli zu tun, dem der Tod der Base auch sehr nahe ging, den Schmerz aber auf ähnliche Weise wie Joggeli ausdrückte. Ihnen sei es viel zu übel gegangen, es sei eine brave Frau gewesen, hätte mit allen Leuten es wohl gemeint. Jetzt könnten sie zusehen, wie es ihnen erginge. Vor dieser Pacht hätte ihm immer gegraut, aber es hätte müssen erzwungen sein, und jetzt werde man erfahren, wer recht gehabt und wie es einem gehe, wenn man höher fliegen wolle, als man Flügel dazu habe.
Vreneli gab darauf nicht einlässigen Bescheid, es war zu weich gestimmt, um die Weise, seinen Schmerz in Beschuldigungen Anderer auszudrücken, zu züchtigen, wie sie es verdiente. Diese Unart haben übrigens sehr viele Leute. Bei allen Unfällen und Widerwärtigkeiten, auch wenn sie sich dieselben auf die augenscheinlichste Weise selbst zuziehen, fassen sie rasch nach einem Sündenbock, ziehen ihn bei den[299] Hörnern herbei, laden ihm alle Schuld auf; finden sie keine Menschen, denen sie die Schuld aufladen können, so muß Gott selbst herbei und das Lamm sein, welches die Sünden und Schulden der Menschen trägt.
Die Kinder säumten nicht, mit Johannes kam auch Trinette. Vielleicht noch nie in ihrem Leben hatten Elisi und Trinette ihre Toiletten so schnell gemacht, denn wenn es ans Erben geht, kriegen selbst die kriechenden Tiere Beine.
Indessen war es mit dem Erben ein quasi heillos Ding, denn nach der Sitte fallen Kleider und Kleinodien einer Mutter den Töchtern zu; Söhne und ihre Weiber haben keinen Teil daran, als was allfällig im guten Willen der Berechtigten liegt. Elisi war zuerst auf dem Platze. Kaum hatte es den Vater gegrüßt, hatte an der Mutter Bette einige Male das Gesicht abgewischt, sagte es: »He ja, gestorben muß sein, man wird sich drein schicken müssen, Wehren hilft nichts, und mit Wüsttun macht man niemand wieder lebendig.« Somit drehte es sich um, sagte, es müsse ein ander Schnupftuch haben, das seine sei ganz naß, öffnete Schrank um Schrank, um eines zu suchen, und wahrscheinlich geflissentlich zu allerletzt den rechten, wo die Schnupftücher, wie es wohl wußte, verwahrt lagen. Unterdessen war auch Trinette erschienen, und als sie Elisi über geöffneten Schränken sah, demselben zugefahren, ohne um die gestorbene Mutter sich zu kümmern, hielt die Inspektion mit. Elisi nun war boshaft genug, dieselbe nicht abzukürzen, sondern so recht auseinanderzulegen, was da war, es zu preisen und zu sagen, was dieses und jenes gekostet haben möge und was es damit zu machen gedenke. So redete es, bis der Trinette das Gift im Herzen siedete bis in den Kopf hinauf und Funken sprühte zum Mund heraus. »Du wirst doch nicht etwa meinen, das alles sei dein«, sagte sie giftig. »Es nimmt mich doch wunder, wo das geschrieben steht, daß eine Tochter alles vorwegnimmt; soviel Mund,[300] so viel Pfund, das ist das wahre Erbrecht. Das käme mir sauber heraus, wenn die Tochter alles alleine haben sollte, da könnte ja eine Mutter all ihr Vermögen in Kleider stecken, und somit hätten die Söhne und ihre Weiber das Nachsehen; das wäre kommod, da könnte jede scheinbar den Narren machen wie jene bekannte Wirtin, welche über hundert Dutzend Hemden hatte, über hundert seidene Schürzen, die andern nicht gerechnet, seidene Tüchlein unzählbare, fünfzehn schwere silberne, teilweise mit Gold ausgelegte Göllerketten und alles andere in gleichem Verhältnis, so daß in ihren Schränken ein großes Vermögen stak. So könnte es jede machen, und darum: soviel Mund, so viel Pfund, hörst!« »Ja, ja,« sagte Elisi, »wenn es auf dich ankäme, so wäre es so, ich glaubs, aber es haben glücklicherweise andere gescheute Leute vor dir gelebt und die Ordnung gemacht; wenn deine Mutter stirbt, kannsts dann auch nehmen, heißt das, wenn was zu nehmen ist, was ich nicht weiß.« Potz Himmel, wie es da losging und Trinette keifte, wie sie auch irgendwo zu Hause sei, wo man noch ganz andere Sachen hätte und das hier nur ein Bettel dagegen sei. »Warum willst du dann von diesem Bettel?« grinste Elisi, »der ist jetzt mein und bleibt mein,« zog die Schlüssel ab und steckte sie in die Tasche. Ja, jetzt gab es erst Wetter, mit bedeutendem Donner drohte es loszubrechen, da streckte Johannes sein schwer Gesicht zur Türe herein und sagte: »Es wäre beim – anständig, ihr hieltet euch still, ihr Hagels Gränne. Was werden die Leute sagen? Höre ich euch noch einmal, so hocke ich euch kehrum aufs Maul, daß ihr das Reden für acht Tage vergeßt, zählt darauf!« Die Drohung wirkte; einen zweiundeinenhalben Zentner schweren Wirt auf dem Munde haben, ist allerdings ein gewichtig Heftpflaster.
Johannes hätte eigentlich nicht Ursache gehabt, so hart zu reden, sintemalen er ein Zwiegespräch mit seinem Vater[301] führte, freilich etwas leiser, welches die Selige vielleicht ebenso sehr betrübt hätte, wenn ihre Ohren noch offen gewesen wären menschlicher Rede. Aber Gott schließt den Toten mit den Augen auch die Ohren, er weiß wohl warum. Sie disputierten miteinander, freilich mit Anstand, das heißt ohne Gebrüll; Keiner wollte wegen der Mutter Tod zum Pfaffen, das heißt Pfarrer, denn so betiteln reformierte Wirte, eidgenössische Lieutenants, sogenannte Schullehrer und andere Staatsmänner gewöhnlich die Geistlichen, und allgemach geht die Redeweise auch auf Schneider, Schuhmacher, Schreiner, Schinder, Sattler und andere Majestäten des Tages über; ja sogar Schulbuben werden bei Anlaß der neuen Sprachlehren in die neuen Sprachweisen eingeübt, begreiflich! Wenn die Hexenmeister des Tages die Kinder nicht alles lehren dürften, was sie wüßten, könnten, wollten, möchten, ja du lieber Gott, da wären sie in einem halben Tage am Ende ihrer Weisheit, und dann was weiter? Nein, da sind sie viel klüger, akkurat wie viele Müller, welche auch nicht meinen, daß sie das Mehl rein geben müßten, sondern Kleien und Spreue noch beilaufen lassen, ja Taubenmist und Hühnerbohnen und was sie irgend vom Mühlstein abkratzen können, denn wer Liebhaber ist von reinem Mehl, kann es, wenn er es rein haben will, selbst auseinandermachen.
Joggeli wollte nicht gehen. Er sei zu krank und angegriffen, sagte er. Johannes sagte, er wisse nicht, wie man dies verrichte, es sei ihm noch nie dazu gekommen, und wenn es nicht sein müsse, gehe er zu keinem Pfaffen. Sie wurden rätig, Uli zu senden, aber wohl, Vreneli sagte ihnen, was Ordnung sei. Sein Lebtag hätte es nie gehört, daß man irgendwo solche Dinge durch einen Knecht verrichten lasse, wie man etwa ein Stück Vieh mit einem Knechte zur Metzg schicke. Solches werde durch die nächsten Verwandten verrichtet überall. Nun nehme es ihns wunder, ob die gute Base es verdient[302] um sie, daß niemand zum Pfarrer wolle, um sie anzugeben. Drüben zanke man sich wegen ihren Kleidern, hier um einen kurzen Gang. Es sei himmelschreiend und wunder nehme es ihns, ob es irgendwo in Heidenlanden ärger zugehen könne. Wenn die Base diese Liebe mitansehen müßte und hören die Worte, welche geredet würden, so würde ihr das Herz zu bluten anfangen, wenn es schon aufgehört habe zu schlagen.
Johannes hatte einen gewissen Respekt vor Vreneli und bequemte sich endlich zu dem Gang. Begreiflich trank er erst einen Schoppen oder zwei, ehe er ins Pfarrhaus ging, unter dem Vorwande, mit dem Wirte wegen dem Leichenmahl zu reden, eigentlich aber um sein Herz zu stärken und Courage zu trinken. Es ist kurios mit solchen Menschen; sie scheinen ein Herz von Eichenholz zu haben, einen Mut, welcher den Teufel bei den Hörnern fassen darf, tun gewaltige Reden und zeigen gegen jeden Pfaffen die gründlichste Verachtung, renommieren vor ihren Gästen förmlich mit dieser Verachtung und predigen den Satz, wann endlich die Zeit komme, daß man mit solchen Tagdieben abfahre, auf alle mögliche Weise. Aber wenn sie dann mal zum Pfarrer sollen, so wird es ihnen unheimlich und öde ums Herz, sie müssen mühsam die Bruchstücke ihres Mutes zusammensuchen und sie dann erst noch zusammenleimen mit einem oder zwei Schoppen. Sie sagen zwar, es sei ihnen verflucht zuwider, zum Pfaff zu gehen, meinen vielleicht selbst oder machten wenigstens Andern es glauben machen, es sei wegen der Verachtung. Aber es ist durchaus nicht, sondern es ist nichts als Grimmen, Krümmen, Wenden, Aufblähen, welches nach der Sage die bösen Geister dem gegenüber, welcher sie bannen und austreiben will, versuchen. Der böse Geist fühlt, es steht ihm gegenüber eine feindliche Macht, vor welcher er sich beugen, welcher er weichen müsse, wenn sie dazu kömmt, sich an ihm zu versuchen. Er bietet daher allem auf, sie nicht an sich[303] kommen zu lassen, sie ferne vom Leibe zu halten. Er fühlt, es ist da eine Macht, welche gegen ihn berechtigt ist, die er fliehen oder sich ihr unterwerfen muß; er fühlt es aber in unheimlichen Wehen, in peinlichem Regen, zum hellen Bewußtsein kömmt es ihm nicht, wie übrigens diese Menschen selten oder nie im hellen Bewußtsein ihrer selbst sind. Dazu mag auch kommen, daß sie das Totenregister nicht gerne sehen, daß sie sich vor dem Gedanken fürchten, wie lange es gehen werde, bis wieder einer zum Pfarrer kömmt und sagt: »Guten Tag, Herr Pfarrer, muß eine Leiche angeben und (ihren Namen nennend) fragen, wann wir ihn begraben können?«
So ging es Johannes. Der Pfarrer bedauerte während dem Einschreiben den Verlust der guten Frau sehr, sagte viel Gutes von ihr: Der Segen, eine solche Mutter zu haben, sei groß, es sei nur zu wünschen – »Ich werde fertig sein?« frug Johannes aufstehend. »Die Sache ist eingeschrieben,« antwortete der Pfarrer, »ja, und wünschen möchte ich-« »So lebt wohl, Herr Pfarrer,« sagte Johannes, »muß pressieren, wir haben eine große Verwandtschaft; nur bis allen Bescheid gemacht ist und niemand vergessen, gibt es zu tun und zu denken. Lebet wohl!«, und wie ein Berg wälzte es sich ihm von der Brust, als er vom Pfarrhause wegging, und immer leichter und wohliger ward es ihm ums Herz, je näher er dem Wirtshaus kam, und als er endlich wieder drinnen saß, da ward es ihm akkurat, als sei er zu Hause. Der Pfaff hätte ihm noch eine Predigt halten wollen, sagte er zur Wirtin, aber dem habe er es schön gemacht, die Türe in die Hand genommen und sei gegangen. Gewiß stehe er noch mitten in der Stube und glotze die Türe an wie eine Kuh das neue Tennstor. So sollte man es allen denen – Pfaffen machen. Wenn alle es so machen würden, das Predigen und Leuteplagen verginge ihnen, denen –. Dazu stieß Johannes die Augen aus dem Kopf, daß[304] sie anzusehen waren wie zwei Mailänderäpfel, riß das Maul auf, daß man es füglich für das berühmte Urnerloch hätte ansehen können; aus dem einfach geöffneten Tor flogen abwechselnd ganze Wolken Rauch und ganze Wolken Flüche, und mit den breiten Fäusten schlug er den Takt dazu. Kurz er gebärdete sich ganz als ein Mann, dem ein Berg sich von dem Herzen gewälzt hat oder der einer großen Gefahr entronnen ist und es sich nun behaglich macht. Jetzt hatte er nichts mehr zu pressieren, ließ es sich so wohl sein, daß er geholt werden mußte, um Nötiges zu beschicken.
Vreneli verlebte die nächsten Tage voll Zorn und Wehmut, es gedachte der Worte der Seligen über ihre Kinder und begriff sie. Es betete zu Gott, daß was bei Menschen unmöglich sei, Gott möglich machen möge, der Seligen die Last von der Seele nehmen und sie nicht entgelten lassen möchte, was sie in Unwissenheit und aus gutem, wenn auch schwachem Herzen getan. Am bösten war es über die zwei Weiber. Es war ihm unmöglich, ihnen ein gutes Wort zu geben; daß so gemein, herzlos, blechern ums Herz zwei Menschen sein könnten, das hatte es sich nicht vorgestellt. Fressen und Zanken war ihr Tagewerk. Am besten kam es mit Johannes aus. Der hatte doch noch ein Herz von Fleisch und Blut, und manchmal war es sogar, als fahre wie ein Blitz ein höheres Gefühl durch dasselbe, aber wenn man es fassen wollte, siehe so war es schon nicht mehr da. Indessen begehrte er doch bestmöglichst den Anstand und das Übliche zu berücksichtigen, hörte Vreneli an, wenn es etwas anbrachte, gab ihm zumeist recht und half zuweilen selbst etwas anordnen aus eigenem Antriebe.
Johannes hatte eine von den brüllhaften Naturen, welche die ganze Welt voll himmeldonnern, daß man glauben sollte, in ihnen sei die Macht aller wahren und falschen Gottheiten, von Saturn bis auf Hegel, welche bekanntlich darin große[305] Ähnlichkeit haben, daß sie ihre eigenen Kinder fressen, konzentriert. Betrachtet man diese Naturen in der Nähe, so sind sie zumeist ohne alle innere Kraft und Macht, ihr ganzes Vermögen geht eben in ihrer Brüllhaftigkeit auf. Man sieht zuweilen Menschen in Kaffeehäusern, bei Spiel und Champagner die bedeutendsten Rollen spielen, daß man meinen sollte, sie wohnten in Palästen, schliefen auf Schwanenfedern unter seidenen Decken, und es sind die ärmsten Schlucker von der Welt, wohnen zur Miete oder wohnen auch gar nicht, und wenn sie Kinder haben, so haben diese oft gar nichts, um die Nase zu wischen, als was sie auf die Welt gebracht. Hört man sie, so glaubt man, Gott habe einmal statt Frösche, wie er zuweilen tut, Helden regnen lassen hageldick, die halbe Welt voll; prüft man sie, so sind es lauter Windbüchsen, bläst man nichts hinten rein, kömmt nichts vornen raus, sind ohnmächtige Wesen, untertan jeglichem Winde, der über sie hinfährt, haben aber große Fähigkeit, den Wind zu fassen, große Fähigkeit, ihn verflucht ring wieder von sich zu geben; wäre aber kein Wind, so wären sie auch nichts. Es sind moderne Naturen, oder, etwas vulgär gesagt, die Schweinsblasen des Zeitgeistes oder jedes andern Geistes, der sein Maul an ihr Röhrchen wagt. Derlei Naturen stolpern zu Tausenden in der Welt herum, vom Himmel geregnete Frösche, brüllen die Welt voll, daß man in Versuchung gerät, sich zu ducken, als wäre eine Herde von zehntausend Büffeln im Anzug. Wer aber Courage hat, standhält, merkt gleich, daß es eben nur Frösche sind, und wer Geduld hat und warten mag bis übermorgen, merkt Keinen mehr von ihnen; unerwartet sind sie gekommen, unerwartet verschwinden sie, woher, wohin weiß man nicht, aber wahrscheinlich, ihrer Natur nach, aus dem Schlamm und in den Schlamm. So war auch der Johannes ein Koloß an Gestalt und Gebrüll, und ein klein Kind konnte seine Grundsätze lenken, seine Redensarten bestimmen,[306] konnte alles mit ihm machen, Speise und Trank vorbehalten, denn in dieser Beziehung alleine besaß er große Selbständigkeit.
Zu allem Peinlichen kam noch der ausgebrochene Kinderkrieg, welcher, man möchte fast sagen, Tag und Nacht kein Ende nahm. Elisis Kinder waren da, Trinettes ebenfalls, die letzteren größer, die ersteren kleiner, mischten sich unter einander und mit Vrenelis Kindern, und so unartig, zanksüchtig, meisterlos als möglich erzogen, gab es ununterbrochenen Streit, begleitet mit einem Geheul, ungefähr wie die Indianer heulen, wenn sie die Hütte eines Blaßgesichts überfallen. Zuweilen stürzte in das Geheul mitten hinein scheltend und schreiend ein Weib, schlug drein links und rechts, trug zappelnd und blutend ein Kind von dannen, und hinter ihr her scholl mit verdoppelter Macht das Geheul. Wenn es noch eine Woche so ginge, so liefe es fort, sagte Vreneli, solcher Spektakel sei, so lange die Glungge stehe, nicht erlebt worden. So viel als möglich schloß es seine Kinder ein, denn mit diesen gingen die andern akkurat um, als wenn es junge Katzen wären, welche man plagen und martern dürfe ungestraft.
Endlich kam der Tag, an welchem die gute Mutter begraben werden sollte. Da konnte man sehen, was eine gute Frau zu bedeuten hat in einer Gegend, sie ist, was ein warmer Ofen im harten Winter; jeder, dem es schaurig wird in der kalten Welt, läuft ihm zu, sucht und findet Behagen in seiner Nähe. Gar Viele legten in lauter Wehklage Zeugnis ab, daß sie nackt gewesen, von ihr gekleidet, hungrig und durstig, von ihr gespeiset und getränkt worden. Diese Zeugnisse werden wohl noch ihren alten Wert besitzen; was sie diesen getan, wird der, der einst zu richten kömmt die Lebendigen und die Toten, ansehen, als hätte er es empfangen, und hier wird wohl auch die Sühnung liegen von allem, was sie gefehlt in Unwissenheit und allzu großer Milde. Indessen wem die Klage[307] am tiefsten aus dem Herzen floß, waren doch Joggeli und Vreneli. Joggeli fühlte, daß man seinen Stab und Stütze zu Grabe trug; ein düsteres Ahnen der Tage, die seiner warteten, beschlich ihn. Schon jahrelang war er immer am Stock gegangen und hatte es sich so angewöhnt, daß er vom Tische zum Bette den Stock zur Hand nahm. Aber viel schwächer als seine Beine war sein Wille, der änderte sich alle Tage und jedes Kind konnte ihn meistern; seine Frau hatte ihn auch gemeistert, aber zu seinem Besten. Solange sie lebte, klagte er dar, über bitterlich, jetzt, da sie tot war, vermißte er dieses Meistern noch viel bitterer; er fühlte, daß er den Halt im Leben verloren. Vreneli ging es fast ebenso; es war ihm, wie es dem Schiffer ist, dem auf wild bewegtem Meere das Ruder entgleitet, der Kahn der Willkür der Wellen preisgegeben ist. Es war ihm wie einem Kinde, welchem im Marktgetümmel der Mutter leitende Hand entfährt, hin- und hergestoßen wird von des Marktes Wellen, umsonst nach der Mutter sieht und schreit.
Das Verschwinden eines Menschen von der Erde ist schauerlich, und Wenige werden, wenn sie an einem offenen Grabe stehen, diesen Schauer nicht fühlen, sich nicht sagen: »Siehe, so sieht auch die Türe aus, durch die du mußt zum andern Leben, so sieht dein Grab auch aus, aber wie wird dein und aller Erwachen sein?« So werden die Meisten denken, welche nicht mit besonderer Liebe an die Leiche gefesselt sind. Wo die Liebe recht lebendig ist, da verzehrt sie alle Gedanken, nur der Schmerz des Missens, das Sehnen nach Wiedersehen fluten durch die erregte Seele. Da wird uns klar, wie wir selbst ein Geheimnis sind im Werden und im Sterben, ein Geheimnis, welches kein Sterblicher offenbart, da begreifen wir, daß wir wandeln müssen im Glauben, nicht im Schauen, daß wir nichts sind als ein Hauch des Allmächtigen, aber ein wunderbarer, der kommt und schwindet nach seinem Wohlgefallen. Da fühlen wir, daß alles Wissen und Sagen der Gelehrten[308] Stückwerk ist und ein kindisch Gerede und nichts Kraft und Macht hat in den Schauern des Todes und des Grabes als die Verheißung, daß auferstehen werde in Kraft und Herrlichkeit, was verweslich und in Schwachheit ausgesäet worden.
Wenn einer geht ins bessere Land, entsteht wohl eine Lücke in der Welt, kleiner oder größer, je nach des Menschen Stand und Bedeutung, aber schnell ist die Lücke zugewachsen in der Welt, schneller noch, als das Gras wächst auf dem Grabe. Nur die Lücken in den Herzen wachsen nicht zu; wenn sie aufhören zu bluten, blüht ein freundlicher Gedanke auf, schöner, als je Rosen auf einem Grabe geblüht.
So verschwand auch die Base. Die Arbeit, welche sie noch getan, verrichteten Andere, der Lauf der Welt blieb der gleiche; aber die, welche sie geliebt, vergaßen sie nimmer, und lange wird kaum ein Tag vergangen sein, daß ihrer hienieden nicht in Liebe gedacht wurde von denen, denen sie wohl, getan. Sie ruhte im Grabe im Herrn und darum sicher auch sanft. Desto weniger Ruhe hatte Joggeli. Beide Kinder, oder statt Elisi vielmehr der Baumwollenhändler (denn was frug Elisi dem Vater und allem Übrigen nach, seit es der Mutter Schätze geerbt!), stritten sich um ihn schrecklich; jeder wollte, er solle zu ihm ziehen, um auf den Händen getragen zu werden, daß sein Fuß an keinen Stein mehr stoße, wie der Teufel es dem Herrn verhieß, als er ihn verleiten wollte, von der Zinne des Tempels zu springen. Hier könne er nicht bleiben, so verlassen, wo niemand zu ihm sehe, ihm begegnen könnte, was da wollte, niemand sich dessen achte. Nun wollte ihn aber jeder zu sich, darüber entbrannte der Streit. Jeder wußte, was mit Joggeli zu machen war, wenn man ihn in Händen hatte ungestört, darum wollte ihn jeder, aber um alles in der Welt nicht, daß er zum Andern ziehe.
Johannes stellte ihm vor, wie kurzweilig es bei ihm sei, da habe er den ganzen Tag Gesellschaft und zu essen, was ihm[309] nur in den Sinn komme; er habe eine Köchin, wo er ausbieten wolle, sie mache gebackene Fische und saure Leber trotz dem Koch beim Falken. Der Baumwollenhändler dagegen schilderte gräßlich die Unruhe in einem Wirtshause, wo fast kein Schlaf möglich sei, man auch nie das Essen zu der Zeit haben könne, sondern wenn es der Köchin gelegen sei, und oft nichts als die Tellerräumeten der Fremden. Bei ihm hätte er goldene Ruhe und ausgesuchtes Essen, welches er befehlen könne nach Belieben; wolle er Gesellschaft, so könne er auslesen nach Belieben; im Orte, wo er wohne, seien neununddreißig Wirtschaften, allenthalben finde er ausgesuchte Gesellschaft, und wolle er Ruhe, so finde er sie daheim, da solle er Herr sein und kommandieren, wie er wolle, gehorcht solle ihm werden, wie wenn er der Napoleon wäre. Das waren die Präliminarien, von denen kamen sie immer tiefer in die Materie hinein, zerrten erst die Weiber gegenseitig im Maul herum, daß wenig gute Fetzen an ihnen blieben, dann sich selbst, und fast wäre es zum tätlichen Abschluß gekommen, wann Joggeli nicht selbst gemahnt hätte, was die Leute sagen würden, wenn man sich sozusagen über der Mutter Grab prügle.
Das endliche Resultat war, daß Joggeli bleiben durfte, so gleichsam auf neutralem Boden, und so war es Joggeli wirklich auch am liebsten, denn wenn er auch über niemand mehr zu klagen wußte als über Vreneli, so vertraute er sich ihm doch am liebsten an; er wußte, er hatte es hier am besten und ruhigsten. Sein Aufbegehren war eigentlich nichts als der Ärger darüber, daß er der hohen Natur untertan sein müsse, während nach der äußern Stellung das umgekehrte Verhältnis stattfinden sollte.
Indessen traute weder Johannes noch der Tochtermann dem Handel; jeder dachte, sobald er glaube, der Andere sei fort, so komme er wieder her und mache mit Joggeli, was er gut finde. Begreiflich aber dachte er zugleich, der Andere werde[310] es auch so machen, der verfluchte Schelm sei nicht zu gut dafür. Jeder suchte daher bei Vreneli eine Privataudienz so versteckt als möglich, versprach ihm, man werde ihm daran denken, wenn es aufpasse, was der Andere mache, wenn er kommen sollte. Sobald es was Verdächtiges merke, solle es Bescheid machen, plötzlich, sein Schade solle es nicht sein.
Vreneli aber wollte sich mit solchen Aufträgen nicht befassen; zum Vetter wolle es sehen, daß es es einmal verantworten könne bei der Base, wenn sie wieder zusammenkämen, sagte es. Daneben würde es ihm übel anstehen, wenn es bei ihm den Landjäger machen wollte. Es werde ein jedes Kind das Recht haben, mit dem Vater zu reden, ohne daß jemand anders dabei sei; einstweilen sei er bei gutem Verstand, und trauten sie nicht, sollten sie ihn bevogten lassen, da seien sie Kummers ledig. Aber das wollte Keiner, dieweil jeder von ihnen Privatabsichten hatte, welche unausführbar wurden, sobald ein Vogt oder Vormund Joggeli beschirmte und selbst verantwortlich war. Ob aber den Leuten hier zu trauen sei? frug der Baumwollenhändler, dem diese Abfertigung verdächtig vorkam und der Verdacht auftauchte, sie könnten Joggeli selbst melken wollen. Gutsprechen wolle er für niemand, sagte Johannes, indessen traue er den Leuten mehr als den nächsten Verwandten, denn bis dahin hätte er noch nichts Schlechtes von ihnen gehört. Übrigens würde der Vater es bald genug klagen, wenn sie an ihm rupfen wollten. Der Schwager nahm die Prise. Also aufgepaßt, dachte er, jedenfalls tue ich den ersten Zug; dann macht jeder, was er kann.
Elisi mochte nicht warten, bis es mit seinen Sachen fort konnte, sie in Sicherheit bringen vor Trinettes gierigen Blicken, und hatte doch wieder Freude daran, alles so recht vor Trinettes Augen herumzuziehen, hatte eine leise Hoffnung, sie sterbe vielleicht vor seinen Augen an Neid und Ärger. Da[311] hatte sich Elisi verrechnet, Trinette mochte mehr ertragen. Trinette paßte auf, ob Elisi nicht unter den Sachen der Mutter Dinge fortschaffe, welche zum Haushalt gehörten, und hatte den festen Entschluß, wenn das geschehe, Elisi tüchtig zu prügeln, kratzen, raufen; denn Trinette wußte sich die Stärkere, hatte sich nicht umsonst Speise und Trank ungemessen behagen lassen, während es bei Elisi oft knapp genug zuging. Indessen es ging gerecht zu; Trinette kam so wenig dazu, Elisi zu prügeln, als Elisi, Trinette sterben zu sehen. Drauf und dran war es einige Male, besonders als endlich alles geladen war, ein ziemlich groß Fuder, schwer genug für zwei Pferde, im Hofe stund und Elisi Trinette spöttisch fragte: »Willst mich etwa begleiten und mit Auspacken helfen? Es käme mir kommod!« Da wars gut, stund Elisi im Hofe und war sonst noch jemand da, das Ding hätte gefährlich werden können.
Das gute Elisi hatte niemand nötig zum Auspacken. Uli war mit dem Fuder vorausgefahren; der Baumwollenhändler fuhr mit Frau und Kindern nach, säumte sich unterwegs ebenso oft und lange, und Elisi hatte allenthalben so viel zu er, zählen von den Schätzen, welche es bei seiner Mutter gefunden, daß Uli längst auf dem Heimweg war, als sie anlangten. Uli hatte Kasten und Kisten ihnen ins Haus gestellt, wo er Platz dazu fand, und dort ließ man sie stehen. Die kurze Zeit vor dem Schlafengehen mußte Elisi verschwatzen, noch hier und dort Bericht geben, wie es gegangen und was es mitgebracht; das war eine notwendige Erleichterung, ohne welche es nicht hätte schlafen können. Elisi hatte zwei gute Dinge an sich, Appetit und Schlaf, selbst die Freude über sein Heimgebrachtes trieb ihns nicht aus dem Bette. Längst war acht Uhr vorüber, als es sich schläfrig aus dem Bette wälzte, in den Haaren kratzte und nach dem Kaffee schrie. Als der Kaffee kam, frug es: »Wo ist er« »Weiß nicht!« sagte die Magd. Als[312] der Kaffee getrunken war, ging Elisi nach seinen Kisten und Kasten, aber wo sie am Abend gestanden, stunden sie nicht mehr, stunden nirgends mehr, wohin es auch sehen mochte. »Tüfel, wo sind sie?« schrie Elisi der Magd zu. »Weiß nicht!« antwortete diese.
Ja, jetzt gabs Lärm! »Wo sind meine Sachen, wo sind meine Sachen!« erscholl es durch Stadt und Land. Unerschütterlich blieb die Magd bei der Antwort: »Weiß nicht!« Die Leute lächelten hinter den Fenstern, verschwanden aber, wenn das Geschrei: »Wo sind meine Sachen, wo sind meine Sachen?« in ihre Nähe kam. Endlich kriegte es eine Frau Nachbarin satt und erschien dem schreienden Elisi unter der Türe und sagte: »Schweiget doch und brüllt nicht das Land voll, hilft Euch doch nichts; diesen Morgen in aller Früh ist Euer Mann damit fort, herbeibrüllen werdet Ihr sie nicht mehr, und solltet Ihr brüllen bis zum jüngsten Tag und noch zehnmal so laut.« So sprach sie und verschwand. Ja, jetzt war Elisi nicht mehr zu helfen, es wurde wirklich in allem Ernste fast gar ohnmächtig. »O meine Sachen, meine Sachen! O Mutter, o Mutter!« Und: »Der verfluchte Schelm!« Und usw. Ja, das ging schrecklich, ein Schloßhund ist dagegen nur ein Anfänger. Aber es ging, wie die Nachbarin sagte: Elisi brüllte die Sachen nicht herbei, und wenn es gebrüllt hätte wie zehntausend Ochsen. Der liebe Gemahl war allerdings damit fort auf Nimmerwiedersehen, das heißt der Sachen, er selbst wartete noch auf fettere Beute; er war in immerwährender, immer engerer Geldklemme, in welcher er sich jedoch mit großer Gewandtheit zu bewegen wußte, indessen trotz derselben hätten ihn die Gläubiger längst über Bord geworfen, wenn nicht der reiche Schwiegervater im Hintergrunde gewesen wäre. Trieben sie ihn zum Geltstag oder Konkurs, so war zehn gegen eins zu wetten, daß er nichts erbte, sondern das ganze Erbe seinen Kindern zugestellt[313] wurde, was gesetzlich zulässig war, dann haben die Gläubiger das blinde Nachsehen. Man schenkte ihm also so gleichsam wie die Katze der Maus mit aufgehobener Tatze das Leben, vertraute ihm jedoch so wenig als möglich Neues an. Das brachte den Herrn in große Geldnot und setzte ihn fast vor die Geschäfte hinaus. Der Nachlaß der Mutter selig war für ihn ein prächtiger Fang, der ihn wieder flott machte für eine Zeit. Er machte sich keinen Augenblick ein Gewissen daraus, die Hand darüber zu schlagen, ihn zu versilbern, so gut er konnte, so was verstund er und kannte die Gelegenheit. Er löste eine beträchtliche Summe, ließ Elisi kaltblütig heulen und schreien und fuhr herum wie ein Fischlein, welches vom Trocknen wieder ins Wasser gekommen. Elisi hintersinnete sich fast, aber was half ihm das? Es war wirklich in einer sehr traurigen Lage. Vom Manne war es verraten und verkauft, auf der ganzen Welt hatte es keinen Menschen, der sich seiner annahm, und wenn der Bruder und seine Frau es vernahmen, wie es ihm ergangen, so lachten sie sich den Buckel voll, das wußte es.
So in der Welt zu stehen, ist wirklich trostlos, und Mancher wurde ein Narr darob. Aber Elisi hatte keine so spröde, sondern eine zähere Natur; viel Heulens mochte es ertragen, und wenn es einmal zu einem frischen weißen Brötchen kam, einigen Cotelettes oder einigen Batzen, welche es dem Manne stehlen konnte, so fand es darin großen Trost für manchen Tag.
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Uli der Pächter
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Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro