Zweiundzwanzigstes Kapitel

[376] Uli erlebt ein Abenteuer


Uli zählte seine Kühe, maß sein Heu und musterte seine Pferde, übersah sein Stroh und was sonst in Speicher und Keller, Gänterli und Kammern war, hielt Kriegsrat mit Vreneli und entwarf mit ihm Operationspläne. Da der Wirt nie Geld hatte, sein Papier einzulösen, die Düngungsmittel fehlten, das Futter knapp zugemessen war, weil das zweite Gras ganz oder doch ziemlich gefehlt, so ward angemessen gefunden, den Viehstand zu beschränken, Schafe und Kühe, welche eben nicht besondere Nutzung gaben, zu veräußern. Uli tat es ungern, er hatte auserlesenes Vieh im Stalle, wußte wohl, daß zu wenig Vieh dem Hof schade und was die Leute dazu sagen würden. Indessen muß man sich eben nach der Decke strecken, und dem Hofe glaubte er so wohl getan zu haben, daß der jetzt um eines bösen Jahres willen ihm auch dankbar sein könne. Landmann und Land müssen gegenseitig sich aushelfen, und ist der Landmann treu, läßt das Land sich nie beschämen, läßt seinen Meister nie im Stich.

Indessen scheute Uli sich doch, trotz seines guten Rechtes,[376] mit seiner Ware auf einen benachbarten Markt zu fahren. Er dachte, die lieben Nachbaren würden allenthalben sagen: »Klemme den recht, der bedarf Geld, er muß verkaufen. Wären wir Pachtherr, wir wollten dem das Verkaufen vertreiben! Wenn alles fort ist und das Geld vertan ist, dann hat dieser das Nachsehen.« Auch fürchtete er das Mannli anzutreffen und übles Nachreden. Er wählte sich daher einen entfernten Markt aus, nahm zwei junge schöne Kühe, welche aber eben nicht viel Milch gaben, und fuhr mit ihnen nach eingebrochener Nacht fort. Er ließ sie trappen nach Bequemlichkeit, friedlich zottelten sie ihm nach; der Mond stund im ersten Viertel, nach Mitternacht ward es finster. So konnte er seinen Kühen alle Muße lassen und war doch am Morgen früh auf dem Platze, selbst wenn er sie einige Stunden in einem Wirtshause fütterte und ruhen ließ. Ganz einsam war es auf der Straße, und mit aller Muße konnte Uli seinen Gedanken Gehör geben. Diesmal waren sie weltlich, doch ohne Bitterkeit. Er dachte über Joggeli nach und seine Stellung zu ihm. Der Mann schitterte, Sohn und Tochtermann waren häufig bei ihm, was Uli sehr verdächtig vorkam. Joggeli wollte Uli wegen Vergütung beim Hagelschaden oder Zinsnachlaß kein bestimmtes Wort geben. Das werde sich schon machen, sagte er, »sieh nur gut zum Hof und laß mir ihn nicht ermagern.« Ja, so von sich aus Dünger kaufen, wenn man auch Brot kaufen muß, ist für einen armen Pächter eine strenge Sache.

Allmählich ging der Mond zur Neige, schien zu wachsen, ehe er versank. Er glich einem mütterlichen Auge, welches noch einmal, ehe es sich schließt, mit besonderer Innigkeit über die Kinder strahlt, welche weinend stehen um sie her, oder einer väterlichen Seele, welche im letzten Augenblicke noch mit erhöhter Weisheit über die Kinder leuchtet. Wenn vor dem einsamen Wanderer Gestirne untergehen und verschwinden,[377] wird er selten einer gewissen Wehmut ganz fern bleiben, es müßte denn sein Gefühl versteinert oder seine Gedanken anderswo gefangen sein. So wie beim Untergang der Sonne der Tau fällt auf die Erde, so kömmt es über das Gemüt des Menschen. So wanderte Uli auch, achtete sich nicht der zunehmenden Finsternis, es war ihm, als sei er alleine auf der Welt.

Plötzlich schlug tief und wild dicht neben ihm ein Hund an. Uli erschrak, daß alle Glieder bebten, die Kühe nicht minder, sprangen auseinander. Die Bewegung reizte den Hund zu wilderem Bellen und Nachspringen. Da pfiff es grell und nah, daß Uli wieder zusammenfuhr, der Hund aber stille ward, Bellen und Springen einstellte. Uli faßte seinen Stock fester, er sah in der Dunkelheit, daß ein Fußweg in die Straße sich münde, und auf demselben kam eine große Gestalt auf ihn zu. Es war Uli unheimlich, denn er wußte wohl, daß an Markttagen nachts hier und da einer auf der Lauer stehe, um einem reisenden Händler seine Geldkatze abzunehmen, und daß es wohl geschehe, daß man sich dabei vergreife und einen erschlage, der keine Geldkatze habe. Jedenfalls wären seine Kühe immerhin ein schöner Fang gewesen, wenn auch ein gefährlicher.

»Habe nicht Angst,« sagte eine tiefe, harte Stimme, »es tut dir niemand was. Aber was tust du auf der Straße so spät?«

Uli gab Bericht. Der Mann gesellte sich zu ihm, ein Wort gab das andere. Es ward schon bemerkt, wie offen ein bäuerischer Wanderer sehr oft gegen den wildfremdesten Menschen auf der Straße ist und ihm Dinge erzählt, welche er da, heim nicht vor den Mund lassen würde. Es kömmt ein Bedürfnis zu reden die Leute an, dessen man daheim sie durchaus nicht für fähig gehalten hätte. So auf der Straße lassen die reichsten biographischen Studien sich machen. So erzählte, sobald er seine Kühe wieder hinter sich hatte und die friedfertige[378] Weise seines Begleiters sah, Uli, woher er komme, warum er verkaufen müsse und so weit zu Markte fahre, damit es nicht heiße, er pfeife auf dem letzten Löchlein. Als Uli sagte, was für Kühe er habe und wie lange sie trächtig seien usw., meinte sein Begleiter: »Du mußt zwei Monate länger angeben, das merkt niemand und jagt dir manchen Taler in die Tasche.« Das mache er nie mehr, sagte Uli, um keinen Kreuzer wolle er mehr betrügen. »Du bist ein rarer Vogel,« antwortete der Mann. »Wie kömmst du vorwärts, wenn du so ehrlich sein willst?« Nun leerte Uli sein Herz und erzählte, wie es ihm ergangen mit dem Mannli und dem Hagelwetter und wie er begriffen, daß Übervorteilen nichts helfe, weil Gott es einem hundertmal eintreiben könne. Gehe er mit der Ehrlichkeit zugrunde, was er übrigens nicht hoffe, da er die Sache verstehe und sich selten verfahre und das Sprüchwort »Ehrlich währt am längsten« nicht umsonst sein werde, so habe er doch den Trost, er sei nicht selbst schuld, und die Leute täten am Ende doch sagen: »Es ist schade um den, er kann uns fast erbarmen, daneben war er ein braver Bursche.« Gehe er aber als Schelm zugrunde, so müsse er denken, er habe es verdient, und die Leute würden sagen: »Dem geschieht recht, da kann man wieder sehen, was Betrügen hilft.« »Aber was sagt dann deine Frau dazu, wenn du so fahren willst?« fragte der Mann. »Oh, der ist es ganz recht,« antwortete Uli und erzählte, wie sie eine sei, so eine adeliche, daß man meine, sie sei eine Bauerntochter gewesen aus dem vornehmsten Hause, und doch so tätig, rühre alles an, und wie er längst ein armer Mann wäre, wenn er die nicht hätte; wie sie sich in alles schicke und ihn tröste, wenn sie sich doch eigentlich am meisten zu beklagen hätte. »Aber das hat sie von der Base selig, die hat sie erzogen und bis auf die letzte Stunde lieber gehabt als die eigenen Kinder und geraten und geholfen, es hätte ein Engel es nicht besser können. Es war[379] mir manchmal zuwider und ich ärgerte mich, daß die Weiber immer ihre Köpfe zusammensteckten, bildete mir ein, sie reiseten einander auf. Man erkennt gar oft erst, was ein Mensch war, wenn er im Grabe ist.«

»Also die Bäuerin in der Glungge ist gestorben,« sagte der Mann, »ich hörte nichts davon. He nun, einmal muß es sein, und gewöhnlich geht es niemandem übel und denen wohl, die sterben können.« Nun erzählte Uli, wann sie gestorben, wie Vielen es übel gegangen und namentlich ihrem Mann, für den sie immer gesorgt wie eine Mutter, wie wüst er auch gegen sie gewesen sei. Sie sei schon lange nicht recht gesund gewesen, aber daß das Sterben so nahe sei, daran habe sie kaum gedacht. In der Nacht habe man seine Frau geholt, da hätte sie schon nicht mehr reden können. Sie hätte noch gerne was gesagt, es sei allen himmelangst geworden dabei; man habe nicht gewußt, wolle sie Hand oder Haus oder Hals sagen, und auch aus dem Denken habe man nicht kommen können, so daß sie gestorben sei, ohne daß man begriffen, was sie gewollt. Das habe seiner Frau grausam weh getan. Er wolle nicht einmal davon reden, wie übel es ihnen gegangen, da die Base selig dafür gesorgt, daß alles in Ordnung bleibe; jetzt wisse man von heute auf morgen nicht, was geschehen könnte, sie liefen alle Augenblicke Gefahr, aus dem Hof vertrieben zu werden.

Sein Begleiter fragte dies und jenes, und treulich gab Uli Bericht, und zwei Stunden oder mehr waren dahin, ehe er sichs versah. Endlich frug er, wie hoch er die Kühe im Preise habe? »Hundertunddreißig Taler wären sie unter Brüdern wert,« sagte Uli. »Ob ich es lösen werde, weiß ich nicht. Aber da es nicht anders geht, kann ich auf einige Taler nicht sehen, heimführen täte ich sie sehr ungerne.« »Weißt was?« sagte der Mann. »Ich habe einen Nachbar, der Kühe kaufen will und nicht nötig hat, auf ein paar Taler zu sehen; wenn er nur[380] recht versorget ist, das ist alles, was er will. Ist nun alles, wie du gesagt, und ich will es dir glauben, so sind das gerade Kühe für ihn. Ich gehe bald da ab und will es ihm sagen. Fordere dann aber herzhaft hundertvierzig Taler, er zahlt sie, und zwar noch gerne.«

»Ja,« sagte Uli, »wäre wohl gut so, aber wie machen, daß wir zusammenkommen? Es gibt heute dort so viele Leute, und ich bin gar nicht bekannt.« »Weißt was,« sagte der Mann, »stelle dort beim Wildenmann ein, er ist gleich, wenn du zum Tore hineinkommst, links. Sage weiter niemanden was, iß ruhig deine Suppe in der Gaststube, bis dir jemand nachfrägt, dem Mann mit den zwei Kühen. Längstens bis um acht Uhr soll er dort sein. Kömmt er bis um diese Zeit nicht, so fahre auf den Markt, es ist noch frühe genug, Kühe wie diese verkaufen sich immer.« Uli dankte und fragte, ob er nicht auch auf den Markt käme? Würde der Handel richtig, so gebe er ihm gerne ein schönes Schmausgeld oder zahle ihm das Mittagessen und eine gute Halbe. »Bin kein Jude,« sagte der Andere, »indessen habe Dank für den guten Willen. Möglich ists, daß wir einander sonst noch antreffen.« »Wo?« frug Uli. »Wollen ja sehen,« antwortete der Mann, schwenkte rechts um, und verschwunden war er im dichten Tannenbusch.

Der Mann gab Uli viel zu denken. Es dünkte ihn, es sei an ihm etwas Bekanntes, aber er wußte nicht was. Die Züge konnte er nicht sehen, denn diese zu erkennen, war es zu dunkel. Der Mann war ihm überhaupt ein Rätsel, er war sehr geneigt, ihn für einen Räuberhauptmann zu halten, welche ja ebenso erscheinen und verschwinden, Gutes und Böses tun nach ihren Launen. Er wurde mißtrauisch und spintisierte, was wohl hinter dem Vorschlag, beim Wildenmann einzukehren, stecken möge? Vielleicht daß dort der Wirt mit dem Unbekannten im Bunde sei und, während er Suppe[381] esse, die Kühe aus dem Stalle stehlen lasse. Er hatte gute Lust, den Wildenmann zu lassen und direkt auf den Markt zu fahren. Die Kühe hatte er wohl gefesselt und die Stricke gut um die Hand gewickelt. Er konnte nicht klug werden aus der ganzen Sache und namentlich daraus nicht, daß er des Mannes Nachbar zehn Taler mehr abfordern solle und der Mann doch keinen Vorteil wolle, weder Schmaus noch Mittagessen. Solche Uneigennützigkeit wird sonst sehr selten gefunden in Israel. Er konnte bloß denken, der Mann hasse seinen Nachbar und möge ihm es wohl gönnen, wenn er zehn Taler mehr zahlen müsse als ein Anderer, wenn nämlich überhaupt an der Geschichte mit dem Nachbar was Wahres sei.

Der im Reden so offenherzige Uli wurde, als es zum Handeln ging, plötzlich mißtrauisch, wozu die so selten vorkommende Uneigennützigkeit des Mannes nicht wenig beitrug. Es ist wirklich eigen, daß man bei gewissen Klassen von Menschen sich mit nichts mehr verdächtigt als mit Uneigennützigkeit. Wer ungestraft gemeinnützig oder uneigennützig sein will, muß wenigstens (wer es über sich bringen kann) der Person oder der Gemeinde, welcher er Gutes tut, wacker den Balg streichen, sagen, ihr und keiner andern täte er das, denn sie sei eine, wie keine mehr gefunden werde zwischen Himmel und Erde. Das ist aber dann auch ein gültiger Grund, der zwischen Himmel und Erde allenthalben begriffen und hie und da selbst dankbar beinahe anerkannt wird.

Die Nacht verschwand allmählich, es zeigten sich Schweinhändler, ja Menschen auf den Straßen. Da man auf Markt, wegen Gespräche beginnen darf, wenn man sich schon nicht gegenseitig vorgestellt ist, so war Uli alsbald wieder in vollen Mitteilungen. Er wollte sich verblümt nach dem Wildenmann erkundigen und lief, um unverdächtig bis zu diesem zu kommen, erst das Register aller wilden Tiere durch bis zum Ochsen herab, von welchem der Sprung bis zum Wildenmann[382] ziemlich unverdächtig konnte unternommen werden. Der Wildenmann wurde sehr gerühmt, der Wirt sei Ratsherr, hieß es. Das wolle heutzutage nicht viel sagen, meinte Uli. Nur wer nicht arbeiten möge, nicht mehr mit Ehren durchkommen könne und dem man nichts nehmen könne, wenn der Schuß hintenaus gehe, sehe auf solche Pöstlein. Es komme noch dazu, daß wenn man einem Ratsherr sage, der vermahne, weil er es für eine grobe Scheltung nehme. Potz Himmeltürk, jetzt hätte Uli, der in letzter Zeit bloß seinem Hause vorgestanden war, den Geist der Zeit in den Wirtshäusern nicht eingeschlürft hatte, also auch nicht auf der Höhe der Zeit stund, bald erfahren, was es heißt, mit unbekannten Menschen politisieren auf der Straße. Der Schweinhändler, mit dem Uli sprach, war eben neugebackener Ratsherr, kehrte den Geißelstecken um und wollte Uli einen Begriff von neugebackener Würde beibringen. Uli dagegen war kein ABC-Kind mehr, verstund bloß noch etwas vom gegenseitigen Unterricht und versuchte nun seinerseits, dem Ratsherrn den Begriff von Freiheit im allgemeinen und den Begriff von der Redefreiheit insbesondere so recht vaterländisch einzuölen. Offenbar hatte Uli mehr Lehrtalent und größere Eindringlichkeit im Vortrag, wahrscheinlich waren auch seine Lehrmittel bündiger und kürzer gefaßt, kurz der Schweinhändler schrie: »Willst aufhören, du Vieh, weißt wen du vor dir hast? Ich bin Ratsherr.« »Meinethalben Ratsherr, Schweinhändler oder Schinder« (ein solcher sitzt wirklich jetzt im Großen Rate des Kantons Bern, männiglich zur Erbauung und zum Nachdenken), »wir sind ja alle gleich vor dem Gesetz«, sagte Uli, dem das Blut heiß war und dem daher mehr einfiel, als wenn es kalt war. »Hol der Henker das Gesetz,« sagte der Ratsherr, »und schweigst nicht und gehst deiner Wege, so kömmst ins Gefängnis, bis du vergessen hast, wie Sonne und Mond eine Nase haben.« »Mach,[383] was kannst,« sagte Uli, »Streit hast du angefangen, und wir haben Preßfreiheit, auf der Straße kann jeder machen, was er will. Komm verbinde mir das Maul, wenn du darfst.« »Mach, was du willst, schreib, was du willst, aber dsRede, das will ich dir, du verfluchter Aristokrat und Jesuit, zeigen, was das zu bedeuten hat«, schrie der Schweinhändler. Da, von der stillschweigenden Preßfreiheit Gebrauch machend, maß ihm Uli noch einen zweieinhalb Fuß langen Artikel auf, stillschweigend, versteht sich, und trieb darauf seine Kühe zum Wildenmann, obgleich derselbe Ratsherr war.

Es war aber wirklich ein braves Haus, ein ererbtes, mit altem Schilde und alten, wohlanständigen Sitten. Es war ein bedeutender Verkehr da und ein starkes Zutrauen. Gar manchen Gurt voll Geld sah Uli dem Wirte übergeben zur Aufbewahrung. Kauften sie was, so kämen sie mit den Leuten hieher, sie wollten lieber hier bezahlen als draußen auf dem Markte, sagten die Händler. Nun begriff Uli wohl, daß er bei keinem Mitglied einer Räuberbande sei, und doch war es ihm nicht so recht behaglich hinter seinem guten Kaffee, denn es kam ihm immer wahrscheinlicher vor, der Mann habe bloß eine Probe machen wollen, wie gescheut oder wie dumm er sei. Hier könne er vielleicht die beste Zeit verpassen, dann komme hintenher einer und presse ihm die Kühe, welche er nicht heimführen wolle, wohlfeil ab.

Juden schwirrten herum mit der ihnen eigenen Geschäftigkeit, beschnoberten ganz ohne Komplimente Menschen und Vieh, um zu erfahren, ob nicht e Handel zu machen sei. Bald trat einer zu Uli und frug, ob er nicht ein Roß kaufen wolle, er könne ihn versorgen, wolle tauschen, begehre nicht bar Geld; ein anderer pries ihm Uhren an, wie keine noch auf der Welt gewesen, und wollte sie garantieren bis eine Woche nach dem jüngsten Tage; ein dritter hatte Schnupftücher, Halstücher von echter Seide und sonst noch Tuch von allen[384] Sorten, wollte allen alles halb schenken aus reiner Liebe und gerade weil sie es seien und weil ihm das Artikelchen verleidet sei. Uli war fast seines Lebens nicht sicher, sein Kaffee wurde kalt, weil er ob dem Bescheidgeben nach allen Seiten nicht Zeit fand, ihn zu trinken. »Was kommt er denn auf den Markt, wenn er nichts kaufen will?« frug endlich ein Jude hässig. Er habe zwei Kühe da, antwortete Uli. »Wo hat er die zwei Kühe, wo sind die zwei Kühe?« frugen Zwei, Drei. Sie seien unten im Stalle, antwortete Uli. »Komm zeige sie, Bauer! Wollen sie schauen, kaufen sie dir ab, tauschen mit dir e Roß, e Kuh, wie du willst.« Als Uli sagte, jetzt komme er nicht runter, er müsse hier auf jemanden warten, wollten sie wissen, wo die Kühe stünden, wollten sie schauen, sagten, wollten e Handel mit ihm machen.

Nicht lange ging es, so kam ein schlichter Bauersmann daher und frug, ob nicht einer mit zwei Kühen da sei? Da fiel Uli ein Stein von dem Herzen; im Ring der Juden war ihm ordentlich bang geworden, er wußte, wie man oft wider Willen auf einem Markte in ihre Hände gerät und nie anders drauskömmt als geschoren und beschnitten. »Mein Nachbar hat mir gesagt, du hättest zwei Kühe, welche mir dienen könnten. Zeige sie mir, wollen sehn, ob wir Handels eins werden, wo nicht, ist Keiner versäumt«, sagte der Mann zu Uli.

Als sie hinunterkamen, hörten sie großen Streit. Ein Jude hatte Ulis Kühe abgelöst und wollte mit ihnen aus dem Stalle, um draußen bei Licht sie besser beschauen zu können als drinnen im finstern Stall, wie er sagte. Der Stallknecht wollte es nicht geschehen lassen, bis der da sei, welcher sie ihm übergeben. Er sei verantwortlich dafür und lasse nicht jeden Schelm aus dem Stalle nehmen, was ihm beliebe, da käme er sauber an.

Als Uli kam, hingen sie an ihm wie Kletten. »Wie teuer,[385] Bauer?« frug einer. »Sind magere Kühe,« sagte ein Anderer, »für die ist kein Kauf«, ein Dritter; ein Vierter wollte Ulis Begleiter, der unterdessen die Kühe untersuchte, von denselben wegjagen. Sie seien mit dem Manne im Handel, sagte er, die Kühe gingen ihn also nichts an, er solle gehn, das sei keine Manier, zwischen einen Handel zu kommen. »Nun, Bauer, was willst du für die Kühe?« Doch Beide, Uli und der Andere, waren nicht zum ersten Male auf einem Markte. Uli schätzte die Kühe nicht, der Andere ließ sich nicht stören, und als er fertig war, befahl Uli dem Stallknecht, die Kühe wieder anzubinden, einstweilen gingen sie niemanden was an als ihn, und Beide verließen den Stall, um das Geschnatter sich nicht kümmernd. Hui, die Juden ihnen nach, sortierten sich als bald in zwei Hälften; die eine rühmte zuhanden des Verkäufers die Tiere, die andere machte zugunsten der Käufer die Kühe runter, daß man hätte glauben sollen, es seien zwei miserable Ziegen, welche noch dazu kein gesundes Haar am Leibe hätten. Da der Handel ihnen einstweilen gefehlt, zielten sie jetzt nach Schmausgeld und zwar hartnäckig, so daß der fremde Mann, der in dem Hause bekannt schien, Uli in ein besonderes Zimmer winkte, wohin denn doch die Juden nicht nachkamen.

Hier wurden sie wirklich Handels alsbald einig. Mit schönem Gelde zahlte der Käufer aus, legte noch einen blanken Taler als Trinkgeld für die Frau zu und sagte, wenn er diesmal gut versorget sei, so solle es nicht das letztemal sein, daß sie mit einander handelten. Er hätte ein großes Hauswesen, müsse viel ändern und sei froh, ohne viel Geläufe aus versorgter Hand seine Ware zu kaufen. Da es Uli wunder nahm, wer der Mann gewesen, der ihm nachts begegnet war, so sagte ihm der Andere, er sei ein Metzger, der aber das Geschäft nur noch für seine Freunde treibe, nötig hätte er es nicht mehr. Er sei ein wenig wunderlich, aber ein guter Mann; sie[386] seien gute Freunde, und wenn Einer dem Andern dienen könne, so spare es Keiner. Diese Auskunft setzte Uli über alles, was ihm dunkel war, ins Klare. Er dachte, solche Wunderlichkeit, die einem Freunde zehn Taler abnimmt und sie einem Fremden in die Tasche jagt, möchte er alle Tage erleben.

Es mögen vom selben Markte wahrscheinlich Wenige fröhlicher aus gutem Grunde heimgekehrt sein als Uli. Von Märkten kehrt freilich gar Mancher frohgemut heim, jauchzt das Land voll, tut, als sei er nun Hans oben im Dorfe. Aber das ganze Glück kommt aus dem Weingrunde, ist der verdunstet, wird das Gemüt zu einer jämmerlichen Pfütze, über welcher wie ein stinkender Nebel eine elende Stimmung schwebt, welche das Publikum mit dem Ausdruck Katzenjammer bezeichnet. Nun, der geht in einem oder zwei Tagen vorüber, aber Mancher trägt einen Katzenjammer im Gewissen davon und der geht nicht vorüber, regt sich immer neu, und wenn er auch vergangen, besonders bei schönem Wetter, kehrt er doch zurück, wenn es donnert. Und Mancher und Manche trägt das Gift heim, welches ihr Lebensglück für ihre ganze Lebenszeit zerstört und vielleicht noch hinüber ins Jenseits wirkt.

Uli freute sich nicht bloß der zehn Taler wegen, sondern als er im Heimwege das Vergangene überschlug, fiel es ihm ein, der Mann habe ihm deswegen zehn Taler mehr zugeschlagen, weil er ehrlich sein und punktum bei der Wahrheit habe bleiben wollen; den Mann aber habe ihm recht eigentlich Gott gesandt, um ihm Freude über seine Umkehr zu bezeugen und zum Zeichen, daß Ehrlichkeit immerhin die größte Klugheit sei. Uli war weit entfernt zu glauben, nun müsse und werde Gott ihm allemal, wenn Ehrlichkeit die Versuchung überwinde, ein besonderes Zeichen tun und den Lohn ihm immer gleich bar auszahlen. Aber es freute[387] ihn diesmal, das so aufzufassen, er glaubte, er habe das Recht, was ihm begegne, aufzufassen, wie es ihm am wohlsten tue, sein Gemüt am meisten stärke, also je frömmer, desto besser. Er wußte wohl, daß gar Viele höhnisch ihn auslachen würden, wenn er ihnen die Sache erzählte, als hätte Gott sich ihm da eigens geoffenbart und ihn gestärket, aber er glaubte, wie sie das Recht zum Lachen hätten, hätte er das Recht, Gottes Segen zu erkennen in allen Dingen und daran sich zu erbauen. Und wie sie das Recht hätten, um seines frommen Sinns ihn auszulachen, habe er das Recht, von ganzem Herzen sie zu bedauern, daß alles ihnen bloßer Zufall sei, daß sie des trostlosen Glaubens seien, sie seien nichts als Rohre im Sumpfe, aufs Ungefähr von jeglichem Winde hin- und hergetrieben.

Als er heimkam so früh, wäre Vreneli fast ob ihm erschrocken, denn wenn es mit rechten Dingen zugegangen, konnte er noch nicht schon da sein, meinte es. Als es nun den Verlauf hörte, hatte es große Freude, denn es nahm die Sache gerade wie Uli, zu großer Erbauung und zur Stärkung im Vertrauen, daß am Ende alles zum Besten sich wenden werde. Diese Stärkung hatten sie aber auch sehr nötig.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 376-388.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Uli der Pächter
Uli der Pächter
Uli, der Pächter (Birkhäuser Klassiker)
Uli, der Pächter: Eine Erzählung (Birkhäuser Klassiker)
Uli der Pächter
Uli der Pächter

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon