Achtundzwanzigstes Kapitel

[461] Wie die Welt im Argen bleibt und gebesserten Menschen es gut geht mitten in der argen Welt


Als die Leute vernahmen, daß Uli frisch gepachtet und gut und welche Freude darüber gewesen sei auf der Glungge, da wunderten sie sich sehr. Anfangs hatten sie Mitleid gehabt mit Uli und gedacht, der wüste Mann werde ihn handlich plagen, er könne sie übel erbarmen; verdient hätte er es nicht, wenn er schon einige Zeit von dem Kraut, welches nichts koste, man nenne es Hochmut, wohl viel gehabt.

Als sie nun aber vernahmen, daß es umgekehrt gegangen, Uli besser zweg sei als vorher, ja daß Hagelhans gar noch Vetter sei und Götti von einem Kinde, da hielten sie alles für ein abgeredet Spiel, um Joggelis Kinder und Kindeskinder zu verstoßen. Ob es so sei oder nicht, untersuchte man begreiflich nicht, sondern man hielt es einfach für grimmig schlecht. So viel Gutes sie dort genossen und die Alte ihnen mehr getan als den eigenen Kindern, und jetzt es ihnen so machen, wo sie in der Not seien, das sei über das Bohnenlied. Da könne man wieder sehen, wie schlecht die Welt werde und daß gar keine Religion mehr sei; ehedem hätte sich der schlechteste Hund geschämt, so was zu machen.

Als man nun gar sah, wie Hagelhans oft auf die Glungge kam und wie da eine Einigkeit war, die Kinder dem Alten nachliefen, der Alte kein Geld sparte zu allerlei dem Hofe[461] vorteilhaften Arbeiten, Uli Geld hatte und seinen Viehstand ordnete, wie er ihm am vorteilhaftesten war, da ward es den Leuten gar zu kraus. Sie rührten im Moder der Vergangenheit, rührten halbverweste Bruchstücke herauf aus der Vergangenheit, setzten daraus grausame Geschichten zusammen, daß einem die Haare zu Berge stunden, und flochten daraus Verhältnisse, alte und neue, zwischen Hagelhans und Vreneli, an denen niemand hätte Freude haben sollen als höchstens der Teufel. Und doch hatten gar viele Leute Freude daran und unter andern auch die, welche so bitter klagten, wie die Welt immer schlimmer werde.

Am bittersten mißgönnten begreiflich Elisi und Trinette Vreneli ihr sogenanntes Glück, das heißt daß sie die Pacht wieder hatten und da im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen durften. Hätten sie gearbeitet und geschwitzt wie Uli und seine Frau, sie besäßen den Hof noch eigentümlich und nicht bloß das Recht, ihn zu bearbeiten; aber so weit denken solche Weiber nicht. Je weniger sie taugen, je tiefer sie in selbstverschuldetes Elend sinken, desto giftiger nagen in ihren Herzen Neid und Rache, Haß und Zorn; das sind die Schlangen, welche schon hienieden die Herzen zu Höllen machen, während sie Tempel des Friedens Gottes, der über allen Verstand geht, sein könnten.

Sobald Elisi das Gebräu der Leute zu Ohren bekommen, machte es sich auf die Füße, um Vreneli alles, was es wußte, in die Nase zu reiben. Elisi hatte begreiflich den Verstand nicht, zu begreifen, daß durch Hagelhanses Dazwischenkunft ihm einige tausend Gulden zugut kamen, sondern bloß den Sinn, Vreneli so weh als möglich zu tun, weil Vreneli auf der Glungge bleiben konnte und Elisi nicht.

Doch, wie es geht in der Welt, die Sache ging ganz umgekehrt, als Elisi gedacht. Vreneli war von früh an gewohnt, Elisi zu ertragen, alle seine Tücken und Bosheiten mit Gelassenheit[462] geschehen zu lassen, ohne sich viel darum zu kümmern. Freilich hatte es Vreneli viel gekostet, ehe es zu dieser Gelassenheit gekommen war. Solange Elisi im Glück war, mußte Vreneli von Zeit zu Zeit neu ansetzen, dieselbe sich zu bewahren; nun, da Elisi im Unglück war, ward es Vreneli leicht, in Geduld anzunehmen, was Elisi tat und sagte, und je ärger es es trieb, desto größer war sein Erbarmen mit der unglücklichen Person. Wer drinnen sei wie Elisi, der Mann mit dem Schelmen davon, der größte Teil des Vermögens drauf, einen Rudel Kinder ohne Zucht und Hoffnung, sei geschlagen genug, sagte es. Wenn man Verstand habe und Gottvertrauen und den Leuten lieb sei, so mache sich alles; man habe Trost in Gott, Hülfe von guten Leuten und Hoffnung auf die Zukunft. Aber wo weder Verstand noch Liebe, weder Religion noch Kraft sei, da sei der Mensch geschlagen und ohne Hoffnung weder für die Erde noch für den Himmel. Und wenn der Mensch noch so boshaft, neidisch, zänkisch sei, dann mache er sich zu allem andern noch ein schwer Leiden selbst, dazu alle Leute bös, daß er das Schlimmste gewärtigen müsse von ihnen.

Das ist eben die Weise der edlern Naturen, daß das Unglück ihnen die Personen heiliget, wie widerwärtig sie an sich auch sein mögen, so wie den Muhammedanern die Wahnsinnigen heilig sind. Umgekehrt haben es die gemeinen Naturen, für das Edle haben sie keinen Sinn; ists im Glanze, kriechen sie vor ihm im Staube und lecken ihm die Füße, ists im Unglanz, werfen sie es mit Kot, treten sie es mit Füßen. Vide Weltgeschichte bis auf die allerneuste Zeit! Vreneli dachte bei Elisi immer: Vater, vergib ihm, es weiß nicht, was es tut.

Was Vreneli schmerzte, war das Benehmen der Leute überhaupt. Mißgunst trat überall zutage, und diese erzeugte das heilloseste Streben, für edles Handeln schlechte Gründe zu ergrübeln.[463] Das ist eine heillose Weise, die, wenn sie dem Tun nichts anhaben kann, demselben einen schlechten Sinn unterschiebt. Diese Weise vergiftet das Leben der edelsten Menschen, zerstört Erfolge, lähmt alle, welche über das Urteil der Menge sich nicht erheben können. Vreneli war sich so klar bewußt, jedermann das Glück zu gönnen, mit beiden Händen und ganzem Gemüte bereit zu sein, Anderer Glück zu fördern und ihr Unglück zu wenden, und hatte davon so manchen Beweis geleistet, daß es ihm wirklich wehe tat, diesen Sinn der Welt in all seiner Bitterkeit erfahren zu müssen. Indessen will es Gott so und es ist gut so; das sind die kühlen, frostigen Frühlingswinde, welche den zu raschen und zu üppigen Aufwuchs der Pflanzen, welcher denselben so gefährlich ist, hemmen. Dieses Sumsen und Reden soll den Christen demütig bewahren, daß er sein Glück nicht als ein verdientes betrachtet, sondern als einen Segen Gottes. Um Gottes willen soll er nach seinen Fehlern und Flecken spähen, sie ausreißen und ausreiben mit schonungsloser Hand, und gälte es das rechte Auge und wäre es die rechte Hand, an welcher das Ärgernis klebte, damit die Menge nicht sage, Gott teile seinen Segen blindlings aus, sei darin den Großen der Erde gleich, welche sehr oft ihre Gnaden an die Unwürdigsten verschwenden. Um Gottes willen soll er sich als einen Verwalter der Gaben Gottes betrachten und treu sein, soll durch Güte und Milde versöhnen, soll feurige Kohlen sammeln auf der Feinde Häupter, soll zeigen, wie der Christ das Sprüchwort »Es gibt keine Schere, die schärfer schiert, als wenn der Bettler zum Bauern wird« Lügen strafet. Der Christ wird nie hochmütig, schämt sich nie derer, welche früher seinesgleichen waren, verleugnet sie nicht um so greller, je mehr er fürchtet, man möchte seiner Herkunft gedenken und die frühern Genossen ihm vorwerfen; im Gegenteil, um so mehr Erbarmen hat er mit denen, deren Schmerzen er aus[464] eigener Erfahrung kennt, und um so brüderlicher hält er Herz und Hand offen, je tiefer er fühlt, daß Gott ihn zu einem Werkzeuge erwählet und den wahren Lohn ihm nach der Treue zumißt, in welcher er in seinem Amte steht.

Wären nun die Emporkömmlinge Christen auf diese Weise, demütig statt hochmütig, milde statt hart, dann würden sie nicht bloß die Menschen versöhnen mit sich, sondern es würde auch Mancher denken: An dem habe ich mich versündigt, habe Schlechtes von ihm geredet, ihn nicht bloß verurteilet, sondern leichtfertig und unverhört ihn verdammt, und mit welchem Maße ihr messet, mit diesem soll euch wie, der gemessen werden, heißt es ja. Ein andermal werde ich anders sein, mich nicht ärgern an Gottes Güte, die er über Andere ausgießt, dem Kain gleich, mich nicht versündigen an Andern durch ein lieblos Verdammen, um nicht selbst verdammt zu werden.

Vreneli suchte diese Versöhnung, und zwar nachhaltig und standhaft. Es meinte nicht, daß wenn es einmal einer armen Frau ihr Säcklein gefüllt, mit einer andern freundlich gesprochen habe, nun alles gut sein solle, alle Mäuler umgewandelt, nun nichts mehr als Lob und Preis allenthalben. Für Schlechte schlägt die öffentliche Meinung plötzlich um von einer Stunde zur andern, macht Purzelbäume, die schrecklich sind; ins Gute aber wandelt sie sich langsam um, und wenn man meint, jetzt sei alles wieder gut, so reibt einer die alten Flecken wieder auf, macht neu den Verdacht, und lange geht es wieder, bis Achtung und Vertrauen sich wiederum eingestellt.

Was Vreneli seine Langmut erleichterte, war der Friede und das Behagen, welche sich bei ihnen eingestellt. Uli war ein Anderer geworden. Den alten heitern Sinn und die emsige Rührigkeit hatte er wieder, verband sie aber mit Ruhe und Besonnenheit. Da war keine Ängstlichkeit mehr, kein[465] Zappeln und Hasten; er meinte nicht, daß heute alles gemacht sein müsse, als ob morgen kein Tag mehr sei, zog dem Himmel keine schiefen Gesichter mehr, wenn es nicht regnen wollte, wenn Regen Uli passend dünkte. Er hatte in sich die Ergebung gewonnen, welche es nimmt, wie Gott es gibt, welche macht, was sie kann, aber nie meint, dieses oder jenes müsse so und nicht anders gehen, müsse erzwungen sein. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß wo der Herr nicht das Haus behütet, umsonst die Bauleute arbeiten, wie wenig früh Aufstehn und spat Niedergehen und sein Brot mit Sorgen Essen helfen, wenn der Herr nicht dabei ist mit seinem Segen. Zum Innern kam dann auch das Äußere, welches alleine aber nie die Ruhe gibt ohne innern Grund. Er konnte sich wieder helfen mit dem Gelde. Flut und Ebbe wechselten nicht so, daß alles, was eingegangen, wieder abfloß, es blieb wieder etwas zurück, setzte sich so gleichsam festes Land an, auf welches er mit immer größerer Sicherheit seinen Fuß stellen konnte. Es schien, als ob der Hof ersetzen wolle, was Uli eingebüßt, als ob er vergelten wolle, was Uli an ihm tat.

Zudem half Hagelhans, der immer öfter da war, mit gar manchem nach, fast unvermerkt. Es tut einem Hof bald dies, bald jenes not oder täte ihm wohl, aber niemand will es machen. Der Pächter scheut die Ausgabe oder denkt, wenn er von der Pacht müsse, entschädige ihn niemand. Der Besitzer denkt: ich kriege gleich viel Pachtzins, sei das gemacht oder nicht gemacht, schiebt die Arbeit auf von einem Jahr zum andern Jahr oder schlägt gar sie ab. Es gibt keine Form des Pachtakkordes in der ganzen Welt, wo solche Nachteile, die erst der Pächter leidet, welche aber später auf den Besitzer zurückfallen, vermieden werden können. Von Joggeli hatte Uli gar nichts mehr erhalten können, er selbst hatte es je länger je weniger vermocht; jetzt griff Hagelhans mit beiden Händen zu, daß es Uli manchmal graute und er sagte: Es dünke ihn,[466] mit dem könne man noch warten bis das andere Jahr, es sei schon so viel geschehen, und zu viel möchte er ihm doch nicht zumuten. »Wenn ich es zahle, was geht es dich an?« fragte Hagelhans. »Warum aufs Jahr versparen, wozu jetzt Geld und Wille da sind?« Das waren zwei schlagende Gründe, gegen welche nicht viel zu sagen war.

Nur am Hause selbst wollte er nicht reparieren, nur das Nötigste in den Ställen und an den Bschüttilöchern. Was man an die alte Hütte wende, sei verloren, sagte er. Er hatte immer fester einen Neubau im Kopf; hier aber stieß er auf Vrenelis Willen, welches nichts weniger als diesem geneigt war. Vreneli hatte eine große Gewalt über den Alten; es herrschte zwischen ihnen die Traulichkeit, wo Vrenelis ganzes Wesen in Ernst und Scherz seine Macht üben konnte. Es suchte ihm das Bauen auszureden, und als das nicht möglich war, doch Zeit zu gewinnen. Die Gründe, wie lieb ihm das alte Haus sei, wie es in einem neuen sich nicht zu gebärden wüßte, wie es sich für einen Pächter nicht schicke, in einem solchen Hause zu wohnen, und ihm viel Kosten nach sich ziehe, ließ er nicht gelten. Hingegen leuchtete ihm das ein, daß wenn man zu rasch baue, man schlecht baue, und daß allemal das Land das Bauen entgelten müsse, denn während man baue, richte man sein Augenmerk auf den Bau, brauche den Zug für das Bauen, und gröblich werde das Land vernachlässigt. Es wäre daher zehnmal besser, man setze erst das Gut recht in Stand, führe nach und nach in müßigen Zeiten das nötige Material herbei; so komme man vor und nach mit allem zurecht, keines schade dem andern und der Pächter laufe nicht Gefahr, sich und seinen Zug zugrunde zu richten. Es müsse sagen, es würde ihm Kummer machen für Uli, wenn er wieder so in ein Gewirre hineingestoßen würde. Derselbe habe gar ein ängstlich Gemüt; wenn man ihm schon jetzt nichts anmerke, so könnte so leicht es[467] ihm wieder kommen, wenn man ihn in Versuchung führe, ehe er so recht erstarket sei.

Der Alte war seit Jahren nicht gewohnt, daß jemand ihm widersprach; was er wollte, das wurde ausgeführt, und um so unerbittlicher, wenn er sah, daß jemand ein schief Gesicht dazu machte, das hatte sein Gesinde oft erfahren. Der fremde Wille von Vreneli würgte ihn im Halse wie ungewohnte, seltsame Kost, und doch würgte er ihn herunter mit manch seltsamem Gesicht und ergab sich darein, aber nicht wie Joggeli es getan hatte, unter Knurren und Murren und beständigem Widerstreben, sondern als er ihn endlich hinunter hatte, sagte er: »Nun, dir zu Gefallen, daß du es nur weißt. Aber darauf zähle ich dann auch, daß wenn ich finde, der Hof habe seinen Teil und die Sache sei beisammen, du kein Wort mehr sagst. Hasse nichts mehr als das beständige Wiederkauen.«

Vreneli zögerte noch, seine Hand in die dargebotene zu schlagen und das Versprechen abzulegen, denn das alte Haus war ihm ans Herz gewachsen; aber da tat Hagelhans seine großen Augen auf, und Vreneli schlug ein.

Über einen andern Punkt kamen sie dagegen nie zum Einschlagen, da war beständiger Streit, doch nie ein feindseliger. Hagelhans haßte den Johannes, aber mehr noch Elisi; wenn er es sah, ward es ihm wie Andern, wenn sie Mäuse oder Kröten sehen. Johannes ließ sich auf der Glungge nicht mehr sehen, seiner Väter Gut hatte er den Rücken gewendet auf immer. Elisi hingegen hatte es wie die Katzen, welche nicht an den Personen, sondern an den Häusern hängen sollen, es konnte nicht von der Glungge lassen. Obgleich einige Stunden davon entfernt, erschien es doch alle Augenblicke auf der, selben als wie vom Himmel herab, gebärdete sich daselbst als des Hauses Tochter und behandelte Vreneli auf die alte Weise, als ob dasselbe um Gottes willen da sei, sagte ihm das Unverschämteste und forderte von ihm, was ihm beliebte.[468]

Man wußte nicht recht, war es Dummheit, war es Bosheit, war es eingefleischter Hochmut oder war es die Art von Anhänglichkeit, die sich bloß durch Kratzen, Beißen, Klemmen zu äußern vermag. Vreneli er trug dieses mit klarem Gemüte wie die Eiche die Fledermaus, welche in ihr nistet, der Berg den Morast, der an seinen Fuß sich schmiegt. Hingegen Hagelhans vermochte das nicht, gerne hätte er es, gleich einer Made im Käs, mit dem Fuße zertreten. Er befahl Vreneli, mit Elisi abzubrechen, es einmal vom Hofe wegzujagen wie einen Hund, daß es das Wiederkommen bleiben lasse, das Mensch wolle er nicht mehr antreffen. Es könnte ihn ankommen, er stecke ihm eine, daß es mehr als genug daran hätte für immer. Aber Vreneli wollte das nicht. Der Base Kind jage es nicht vom Hofe weg. Lieb sei ihm Elisi nicht und werde es nicht, aber es erbarme ihns, an allem sei es nicht schuld und sollte jetzt nirgends mehr sein in der Welt. Die Base drehte sich noch im Grabe um, wenn sie wüßte, wie es ihren Kindern erginge. »So drehe sie sich meinethalb,« sagte Hagelhans, »aber das Mensch lässest du mir nicht mehr ins Haus und jagst es mit dem Besen vom Hofe, das tust.« »Und das tue ich nicht,« antwortete Vreneli. »Und das tust du,« sagte Hagelhans, und seine Augen glühten lichter und wurden rund wie Pflugräder. »Und das tue ich nicht,« sagte Vreneli, und seine Augen wurden rund und flammten, »und das tue ich nicht, und risset Ihr mir den Kopf vom Halse. Recht ist recht und schlecht ist schlecht, und da hat mir niemand was zu befehlen als mein Gewissen und Gott.« So hatte zu Hans noch niemand gesprochen. Erstaunt sah er die glühende Frau an, sagte endlich: »Sollte ich wohl vor dir mich fürchten müssen?«, ging, sagte von Stunde an nichts mehr von Elisi, aber wo er Vreneli einen Wunsch anmerkte, ward er erfüllt.

Es klopfte einmal an einem recht wüsten, windigen Regentage, wo Vreneli die Küchentüre zugemacht hatte, damit der[469] Wind ihm nicht ins Feuer komme, an der Türe. Vreneli öffnete, draußen stand seine Freundin, welcher es zu Gevatter gestanden, pudelnaß, mit einem ebenso pudelnassen Kinde auf den Armen. »Mein Gott, bist du es,« sagte Vreneli, »bei solchem Wetter; was denkst doch, daß du bei solcher Zeit zur Türe aus gehst und noch dazu mit einem Kinde?« Nun begann die Frau sich weitläufig zu entschuldigen, daß sie nicht früher gekommen, aber bei gutem Wetter habe sie Arbeit gehabt und diese nicht versäumen wollen. Vreneli dachte dazwischen, ihns zu mahnen an das Gutjahr hätte es nicht gebraucht; es sei ihm leid, daß die Freundin so unverschämt geworden, aber die Armut werde dies machen. Aber, fuhr die Frau fort, sie hätte nicht länger warten wollen, ihm zu danken, es hätte sonst glauben können, es sei ihr nichts daran gelegen, und doch könne sie nicht sagen, wie schrecklich es sie gefreut, daß es so an sie gedacht, sie hätte einen ganzen Tag das Wasser in den Augen gehabt.

»Weiß nichts,« sagte Vreneli, »was meinst?« »Vexiere nicht,« sagte die Frau, »du oder der Bauer, wird ja auf eins heraus, kommen, haben uns ja Bescheid machen lassen, es sei hier eine Behausung leer. Wenn wir keine hätten oder noch nicht zugesagt, so sollten wir kommen; sie sei gut, wohlfeil und das ganze Jahr Arbeit. Ich kann dir nicht sagen, wie das mich freute, daß du an mich dachtest und daß ich in Zukunft doch auch jemanden haben soll, dem ich klagen darf, was mich drückt, und Rat holen, wenn ich nicht mehr weiß wo ein und aus.« »Daran bin ich wahrhaftig unschuldig,« sagte Vreneli, »weiß kein Wort davon.« »Verschäm dich dessen nicht,« sagte die Frau, »sonst dauert es mich. Für einen Narren gehalten wird mich doch niemand haben,« setzte sie erschrocken hinzu, »das wäre doch schlecht, mein Gott!«

»Habe nicht Kummer,« sagte Vreneli, »und wäre es so, so läßt sich aus Spaß Ernst machen. Aber mir fällt ein, was es[470] sein könnte. Ich erzählte einmal unserm Bauer von dir, wie du mich erbarmet, wie ich gedacht, wenn es zu machen wäre, so möchte ich dich in die Nähe; dein Mann sei gut zur Arbeit, und eine vertraute Person käme mir in hundert Fällen so kommod. Jetzt ist ein Häuschen, welches der Bauer zu vermieten hat, leer; was gilts, er hat dran gedacht, was ich ihm gesagt, und er ists, der dir Bescheid gemacht hat.« »Ists noch ein Junger?« fragte die Frau. »Fragst wegen mir oder fragst wegen dir?« frug Vreneli mit einer Miene, von welcher man nicht recht wußte, ob Zorn oder Spott in ihr stach. Die Frau erschrak und wußte nicht, was sie sagen sollte. »Sieh,« sagte Vreneli, »das macht mich am bösten, daß wenn ein Mensch tut, was recht ist, Andern zulieb zu leben sucht, so sucht man gleich was Schlechtes dahinter, und fast ohne daß man es weiß. Es ist ein alter Mann, ein Bölimann, ein Kindlifresser von außen, hat aber ein gutes Herz, und wenn er mal weiß, daß man treu ist und es gut mit ihm meint, so tut er einem zu Gefallen, was er kann und mag. Er ist darin ganz das Gegenteil vom frühern Bauer. Doch das kannst am besten selbst erfahren. Er ist da, dort drüben im Stock, gehe hin und machs mit ihm ab.« Vreneli zeigte der Frau den Weg zum Bauer, »unterdessen mache ich dein Kind trocken und lege es ins Bett.«

Die Frau wollte nicht gerne gehen, meinte dies, meinte das, aber Mutter Vreneli konnte auch befehlen, besonders wenn wunde Flecken berührt worden waren. Es ging nicht lange, so kam die Frau wieder daher mit gröblich langen Schritten, platzte fast zur Türe herein und schrie: »Wenn ich geschwollen werde am ganzen Leibe, so bist du schuld; mein Lebtag hab ich noch kein Ungeheuer gesehen als heute, es zittern mir alle Glieder.« Hagelhans war wahrscheinlich im Négligé gewesen, hatte langen Bart gehabt und die Stimme tief unten herauf genommen, als er den kurzen Bescheid gegeben, sie[471] solle die Sache mit Vreneli machen, wie es sie mache, sei es ihm recht, daneben machen daß sie fortkomme, sie sei eine Stürme. Das habe ihr doch noch niemand gesagt, und das habe er in einem Ton gesagt, daß es gerade gemacht, als ob es donnere. Es sei ihr gewesen, als zittere der Boden unter ihren Füßen, sie hätte gemacht daß sie fortkomme, und ihr sei immer gewesen, als sei hinter ihr eine Hand, fasse sie am Hals und wolle ihn umdrehen.

»Und was dünkte dich,« frug Vreneli boshaft, »ists ein Junger oder ein Alter?« »Verzeih mir Gott meine Sünde,« sagte die Frau. »Ich bin eine arme Sünderin, aber die schlechteste doch nicht, aber wenn ich den sehe, wäre es mir immer, der Leibhaftige wäre da und wolle mich nehmen.« Vreneli hatte Mühe, die gute Frau zu beruhigen und sie zu bewegen, das Anerbieten anzunehmen. Wer weiß, wenn ihr die Behausung nicht so anständig gewesen, die Bedingungen nicht so eingeleuchtet hätten und Vreneli nicht so lieb, ob sie sich hätte bewegen lassen, so hatte der Alte ihr das Herz wackeln gemacht. Sie freute sich endlich doch der Sache, ging reich beschenkt weg. Aber sobald sie Vreneli nicht mehr sah, kam ihr die Angst wieder, sie lief, als ob der Leibhaftige ihr auf der Ferse sei.

Vreneli war äußerst dankbar für des Vetters zuvorkommende Güte. Einer vertrauten Person bedurfte es. Eine solche Person bildet die Brücke, welche die Meisterfrau mit der ihr untergeordneten oder sie umgebenden Welt verbindet, so wie der König mit sämtlichem Gesindel in Zusammenhang steht durch seinen Justiz- und Polizeiminister. Nun kömmt es immer darauf an, daß der König genau die Beschaffenheit der Brücke kenne. Zwischen einer faulen und einer soliden ist bekanntlich ein bedenklicher Unterschied. Mit Bedauern bemerkte es freilich, wie weit, wenn auch die Herzen eins bleiben, die Wogen des Lebens die Menschen in ihren Anschauungen[472] des Lebens auseinandertragen können. Die Einen werden in Niederungen abgesetzt, wo sie keinen freien Blick haben, sondern nur anschauen und auffassen, was die Fluten an ihnen vorüberführen, während Andere auf Hügel getragen werden, wo sie weite Umschau haben, schauen können, was sie wollen, und ein sicher Urteil sich bilden in dem Vergleichen des Vielerlei über jedes Einzelne. Oft geschieht es, daß dabei die Herzen auseinandergerissen werden, oft bleiben sie in Liebe eins, wenn die Treue über dem Dünkel steht das Gefühl über der Meinung. Vreneli fühlte mit Schmerz diese Verschiedenheit des Standpunktes, doch tröstete ihns das Bewußtsein der Überlegenheit, welche es von je auf die Freundin geübt. Die wolle es anders machen, dachte es, die müsse es lernen, wie es gute Leute gebe, welche das Gute wollten und das Rechte übten, weil sie es liebten und nicht aus Hinterlist und als Deckmantel der Sünde.

Zum Vetter ging es hinüber, um ihm zu danken für seine Güte. Dieser frug nach Uli, er habe ihn heute nicht gesehen und möchte mit ihm reden. Er sei fort, sagte Vreneli, wahrscheinlich komme er heute wieder, doch wisse es es nicht bestimmt. »Wo ist er hin?« frug Hagelhans, »ist doch heute kein Markt hier herum?« »Darf es Euch, Vetter, fast nicht sagen,« antwortete Vreneli. »So laß es bleiben,« sagte der Vetter, »werde gleichwohl schlafen können.«

»Vetter, es ist nichts Böses,« sagte Vreneli. »Damit Ihr nicht böse werdet, kann ich es Euch wohl sagen jetzt, da die Sache abgetan sein wird. Vorher wollten wir nichts davon sagen, dieweil, je mehr man von solchen Dingen redet, man um so weniger sie tut von wegen all den Wenn und Aber, welche dazwischengesprochen werden. Schon lange drückte uns was und besonders Uli. Ihr wißt, wie er einen Prozeß gewonnen, der im Gründe ungerecht war, und was das Mannli ihm gesagt. Wir durften nie nach ihm fragen, wie es ihm ging, und[473] Uli ging immer mit Angst auf einen Markt hierherum und nur, wenn es sein mußte; er mußte immer fürchten, dem Manne zu begegnen. Er sagte oft, er wollte fast lieber einen Stich in den Leib als das Mannli vors Gesicht. Was hätte es uns geholfen, wenn wir seine Armut vernommen, während wir nicht helfen konnten? Wir fürchteten nur noch unglücklicher zu werden. Jetzt geht es uns Gottlob wieder gut, wir haben Geld mehr als wir brauchen, aber keine rechte Freude daran gehabt. Es drückte uns immer das Gefühl, es sei ungerechtes Geld, und zwar so lange, als jemand unschuldig durch uns um seine Sache gebracht worden. Nun wißt Ihr, wie letzthin Uli so viel Geld aus dem Lewat gelöst. Als er es versorge, sagte er mir: Was meinst, wenn ich es probierte und ab, machte mit dem Mannli? Das war ein Wort wie aus dem Himmel; was ich sagte, könnt Ihr denken. Aber wir wurden rätig, es im Stillen zu machen, niemanden davon zu reden. Vor der Welt sind wir es nicht schuldig, darum hätten die Einen uns ausgelacht, Andere abgeraten, und die Dritten wären böse darüber geworden.«

»Meinst mich?« meinte der Alte und machte Vreneli die bekannten Augen. »Werdet nicht böse, Vetter,« sagte Vreneli, »heute, wo Ihr mir eine so große Freude gemacht, möchte ich das nicht auf mein Gewissen laden. Aber wenn Ihr mich fragt, so muß ich Ja dazu sagen: ja, an Euch haben wir gedacht. Nicht daß wir glaubten, Ihr seiet unter allen der Wüsteste, wir haben das Gegenteil erfahren, aber Euch sind wir noch Geld schuldig; freilich ists nicht fällig, aber Schuld ist Schuld. Wir meinten, es müßte Euch ärgern, wenn wir unser Geld brauchten für etwas, was wir nicht gesetzlich schuldig sind, und unbezahlt ließen rechtmäßige Schulden. Ihr hattet das Recht zu sagen, wir sollten zuerst bezahlen, was wir von Gottes und Rechtes wegen schuldig seien; dann, wenn dies geschehen, könnten wir mit unserm Gelde machen, was wir[474] wollten. Aber wir dachten, es könnte uns, ehe dieses möglich sei, so viel dazwischenkommen, dann blieben unsere Gewissen immer beladen, oder wir könnten Sinn ändern, was so gerne geschieht, wenn man Gutes aufschiebt, denn es scheint dann von Tag zu Tag schwerer, bis es unmöglich scheint und man es zu vergessen sucht, wie ich schon oft erfahren; dann bleibe unsere Schuld vor Gott, und vielleicht bete der unglückliche Mann Tag um Tag gegen uns vor Gott, und wenn das einmal weg sei, hätten wir um so frohern Mut, größern Segen, könnten um so leichter auch Euch bezahlen, was Ihr so guttätig uns vorgestreckt. Darum wollten wir vorher niemanden was sagen. Uli hielt es hart, zu gehen, einen schweren Tag hat er heute zu bestehen. Er erwartete, der Mann werde ihm wüst sagen, statt zu danken, und das ist ungut zu ertragen, wenn man es gut meint. Aber darauf kömmt es nicht an, wie er tut, dSach ist die gleiche, und etwas ist ihm auch zu verzeihen, denn viel zu leiden darunter hatte er allweg. Anders, als daß er selbst gehe, wußten wir es nicht zu machen. Zudem glaubte Uli, es gehöre auch dazu, daß er sage: ich habe gefehlt, verzeih mir.«

»So, meinst, das gehöre zur Sache?« sagte Hagelhans in seltsamem Tone. »Seid doch ja nicht böse,« sagte Vreneli, »es wäre mir so leid, und schlimm wäre zu sein dabei, wenn man auf der einen Seite bös macht, was man auf der andern gut machen möchte. Glaubt nur, wir wollen schaffen früh und spät, zu kurz sollt Ihr nicht kommen, und was ich Euch an den Augen absehen kann, will ich tun und Euch auf den Händen tragen, so gut es mir möglich ist; aber zürnet nicht und seid nicht böse.«

»So, willst das?« sagte Hagelhans, »und meinst, man solle sagen: ich habe gefehlt, verzeih mir? Kannst vielleicht noch recht haben; wenn es von dem Herzen ist, so ist es um eine Bürde leichter. So höre, ich will dir auch was sagen. Ich habe[475] auch gefehlt, und du bists, die mir verzeihen muß. Ich habe gegen deine Mutter gröblich gefehlt und sie ins Unglück gestürzt. Sie trieben es zwar auch arg mit mir, die Alte von hier hielt mich zum Besten. Als ich meinte, ich hätte die Sache mit ihr richtig, ließ sie sich mit Joggeli verbinden. Einige Jahre später trieb es deine Mutter noch ärger, meinte, ich sei eigentlich nichts als ein Tanzbär, der tanzen müsse, wie sie geige. Ich hatte es mit ihr mehr als richtig, aber das Schätzeln mit Andern konnte sie nicht lassen, hatte um so größere Freude, je wüster ich tat. Ich mußte glauben, ich solle nur der Deckmantel sein, sie nehme mich den Eltern und meinem Gelde zulieb; der Mann könne ich sein, aber daß sie dann meinetwegen meine, sie müsse alle Andern hassen, das nicht. So dumm, als man ihn hielt, war aber Hagelhans nicht, war, wenn man ihn böse machte, ein Utüfel, und was er vornahm, ging ans Leben, war das Ärgste, welches zu ersinnen war. Als ich des Spiels endlich satt war, trieb ich deiner Mutter ihre Leichtfertigkeit fürchterlich ein, stellte ihr Fallen, sprengte sie hinein, gab sie der öffentlichen Schande preis. Als dein Vater galt ein hübscher, aber liederlicher Bursche, der um Geld tat, was man wollte, und solange die Rache in mir frisch war, und das war sie manches Jahr, redete ich es mir selbst ein und glaubte daran; dann trieb ich alles aus meinem Kopf, bis der Rat der Alten, mich zum Götti zu nehmen, alles auffrischte. Sie wußte wahrscheinlich am allerbesten den Zusammenhang der Dinge, glaubte, was deiner Mutter niemand geglaubt, wenn sie es auch gesagt hätte, was sie aber nicht tat, denn sie war ein wildes, trotziges Mädchen, und das war, warum sie mir so wohl gefiel, warum ich so lange sie nie vergessen konnte im bittersten Hasse, in welchen die Liebe sich verwandelt hatte. Was die Alte dir sagen wollte, war sicher mein Name, an mich wollte sie dich weisen, wollte dir sagen, ich sei dein Vater. Gut war es, daß du sie damals[476] nicht verstundest; jetzt glaube ich es selbst auch und gerne, Vreneli, du seiest meine Tochter, und will es dir auch bekennen. Magst es nun sein oder nicht sein, ich habe den Glauben; hier macht die Liebe die Sache aus, und die habe ich, mein Hund hat sie auch, und der irrt sich nicht. Für meine Tochter will ich dich halten mein Leben lang, und Vater sollst mir sagen. Bin ich auch ein struber, will ich doch ein guter sein, darauf zähle.«

Den Eindruck, welchen diese Worte auf Vreneli machten, kann man sich denken. Daran hatte es wirklich nicht gedacht, obschon es große Liebe zum Alten hatte und großes Erbarmen mit ihm. Es empfand sein gutes Herz und begriff, daß ihm früher, weil man nur sein ungeschlacht Wesen beachtet, arg mitgespielt worden sein mochte. Es freute ihns von ganzem Herzen, an ihm gut machen zu können, was die Base und Andere an ihm gesündigt, ihn wiederum zu versöhnen mit den Menschen.

Nachdem es seinen Empfindungen den Lauf gelassen, endlich den ersten Eindruck verwürget hatte, sagte es: »Aber Vater, eins: wir wollen es niemanden sagen.« Da fuhr Hagelhans auf, daß selbst der Hund erschrak und winselnd eine Ecke suchte: »So schämst du dich meiner,« »Nein, Vater, o nein,« sagte Vreneli. »Aber hört mich an, bis ich fertig bin, wie ich es meine. Uli und ich haben erst eine große Krankheit überstanden, kommen langsam vorwärts; wir machten das plötzlich reich Werden nicht vertragen, könnten uns nicht darein finden. Laßt uns die Freude, nach und nach aufzukommen durch eigene Kräfte! Ein schöner Anfang ist gemacht, ich zweifle nicht am Fortgange; nehmt die Zinsen, ists nötig, könnt Ihr uns nachhelfen. Ulis Leben ist die Arbeit; was würden die Leute dazu sagen, wenn er fürder arbeiten wollte wie ein Knecht, was würden sie überhaupt für einen Lärm und Geschrei anfangen! Wir möchten tun, wie[477] wir wollten, wäre es nicht recht. Lebten wir sparsam, so würden sie schreien, ließen wir es rutschen, würden sie wieder schreien. Niemanden könnten wir es treffen, und vielleicht würden wir wirklich das Rechte auch nicht treffen. Sind wir in einigen Jahren in guten Stand gekommen, so lernen wir auch so nach und nach mit dem Gelde ohne Ängstlichkeit umgehen. Wenn dann später noch mehr dazu kömmt, ist der Sprung nicht so groß, die Leute gönnen es uns besser und wir schicken uns besser dazu. Ich fürchte wirklich, Uli würde irre, wenn er so auf einmal vernehmen würde, ich sei Euere Tochter, das Geld käme ihm wieder in Kopf. Jetzt hat er nur so eben rechte Freude daran, überläßt Gott, was kömmt, und was kömmt, darf er brauchen.«

»Dein Mann soll es also auch nicht wissen?« grollte Hagelhans und seine Augen brannten. »Eben meine ich: nein, und zwar von wegen mir meine ich es. Zürnen mußt mir nicht, Vater. Wir kamen zusammen und hatten Beide nichts, Keins dem Andern was vorzuhalten; was wir hatten, verdienten wir, was sein war, war mein, das Meine sein, wir hatten Beide daran geschafft. Beim Armwerden, beim Reichwerden hatte Keins dem Andern etwas vorzuwerfen, und wenn schon Uli hier oder dort eine Schuld trug, so hatte ich meine Fehler auch. Jetzt geht es vorwärts mit uns, Beide haben wir gleiche Freude, gleichen Teil daran. Werde ich auf einmal zu deiner reichen Tochter, zu der du mich machen willst, so hat das ein Ende, und wer weiß, und eben da traue ich mir nicht, ob ich nicht dächte, das Vermögen käme von mir, stolz würde und Uli es fühlen ließe, oder ob Uli nicht mißtrauisch würde und meinte, weil ich jetzt reich sei, so sei ich reuig, daß ich ihn genommen, und verachte ihn. Wo dieser Wurm sich eingräbt, da sind Friede und Liebe hin. So lange Uli nichts davon weiß, muß ich mich halten als das alte arme Vreneli, und nach ein paar Jahren, wenn wir selbst[478] warm sitzen, macht es dann schon weniger aus. Der Sprung ist nicht so groß, wir sind Beide vernünftiger geworden, und wenn er weiß, daß ich bereits die Probe bestanden, so wird er mir nicht mißtrauisch und hinterstellig. Darum, Vater, soll er einstweilen nichts wissen und die Sache beim Alten bleiben. Es ist uns so wohl jetzt, so wie Fischlein im Wasser. Warum ändern?«

»Magst was recht haben,« sagte Hagelhans. »Lieber wäre es mir, die Sache wäre offen und abgetan. Auf alle Fälle, es mag geben was es will, so ist gesorget; der Bodenbauer weiß davon, hat das Nötige bei sich. Ich habe Respekt vor dir, du bist aber auch die Erste, vor der ich ihn habe. Aber Blau Blitz, was wärest du für ein Hagelweib geworden, wenn du zbösem geraten! Seltsam, daß die Alte hier dich so gut und tüchtig erziehen mußte, während ihr die eigenen Kinder so arg mißrieten, daß sie dem Hagelhans sein Meitschi zu einer solchen Frau machen mußte, dem Joggeli seine Kinder aber zu solchen Taugenichtsen. Nun, sei das wie es wolle, so habe ich Ursache, ihr zu danken, und will ihr verzeihen, was sie an mir getan. Und wer weiß, ob sie nicht an mich dachte, als sie dich erzog, und dachte, ich werde ihr einst verzeihen, wenn ich wüßte, was sie hintendrein für dich getan, und wer weiß – doch zu hart nachsinnen hilft nichts, danken wir Gott, daß es jetzt so ist.«

Das brauchte Hagelhans seinem Vreneli nicht zu sagen, sein Herz war Jubels voll. So lange hatte es niemanden gehabt auf der Welt, jetzt auf einmal einen Vater! Es hatte nicht gewußt, wie Schweres es sich aufgab, als es den Vater bat, einstweilen ihr Verhältnis zu verheimlichen. Es ist schwer, es zu bergen, wenn das Herz voll Jammer ist, aber unendlich schwerer noch ist das Bergen, wenn das Herz voll Freude ist.

Wäre Uli nicht selbst voll Freude heimgekehrt, Vreneli hätte sich verraten, nun aber nahm er Vrenelis Freude für[479] innigen Anteil an seiner Freude. Er hatte nämlich das Mannli glücklich gefunden und in so großer Not, wie er gefürchtet. Anfangs hatte derselbe große Augen gemacht, als Uli vor ihm stand, und dessen Frau, als sie vernommen, wer er sei, hatte die Schleusen ihrer Galle aufgezogen und Uli mit Schmähreden überflutet, daß er fast den Atem verlor, geschweige daß er zur Rede gekommen wäre. Indessen alles Irdische hält nicht ewig aus, selbst der Atem eines zornigen Weibes nicht; endlich konnte Uli sagen, warum er da sei. Anfangs sah man ihn an, als ob er Hörner habe am Kopf, denn so was war seit Langem nicht erhört worden in Israel. Als man aber lauter verständliche Worte hörte, die blanken Taler sah, welche er auspackte, klaren, lautern Ernst sah im Handel, da fehlte wenig, sie hätten ihn für einen Engel an, gesehen und hätten ihn angebetet. Er kam ihnen eben in die bitterste Verlegenheit hinein, sie waren hinausgedrängt auf die äußerste Spitze, hinter sich eine Wand, vor sich einen Schlund, und jetzt kam einer und schlug eine silberne Brücke; sie mußten ihn für einen Engel halten. Es machte Uli unendlich glücklich, als er ihr freudiges Erstaunen sah, ihr unaussprechlich Glück. Mit den reichsten Segnungen beladen kehrte er heim und ward nicht müde, Vreneli zu versichern, wie er erst jetzt mit rechter Freudigkeit arbeiten wolle und den Glauben habe, es werde ihnen gut gehen, bei ihnen und ihren Kindern werde Gottes Segen bleiben. Sie hätten ihm angewünscht, sein Lebtag habe er es nie so gehört, es käme ihm noch jetzt das Wasser in die Augen, wenn er daran denke, und den Glauben habe er, daß frommer Segen von Gott erhöret, von seiner Hand reich und gütig verwaltet werde zu Heil und Frommen der Gesegneten.

Uli wurde durch seinen Glauben nicht getäuscht. Der Herr war mit ihm und alles geriet ihm wohl, seine Familie und seine Saat. Offen blieben ihm Herz und Hand, und je[480] offener sie waren, desto mehr segnete ihn Gott. Hagelhans blieb mitten unter ihnen, als Vater geliebt, aber nicht als Vater bekannt. Vreneli hatte die größte Mühe, seiner Güte Schranken zu setzen, ihre Kräfte durch seine Freigebigkeit nicht zu lähmen. Es naht der festgesetzte Zeitpunkt, wo Hagelhans sagen will, wer er ist, wo Uli aus einem wohlhabenden Pächter ein reicher Bauer werden soll. Vreneli sieht der Sache mit Bangen entgegen, es bebt vor der neuen Prüfung; ob sie wohl Beide darin bestehen werden, frägt es oft am Tage sein Gewissen. Wir glauben, sie werden es. Der Gott, der ihnen durch so manche Not, über so manchen hohen Stein geholfen, wird ihre Füße halten, wenn sie einmal auch wandeln sollen auf geebneten Wegen durch ein reiches Gelände.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 461-481.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Uli der Pächter
Uli der Pächter
Uli, der Pächter (Birkhäuser Klassiker)
Uli, der Pächter: Eine Erzählung (Birkhäuser Klassiker)
Uli der Pächter
Uli der Pächter

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon