[42] Pharnaces. Felix.
PHARNACES.
Wie? straf ich denn den Haß und die Verachtung nicht,
Womit die Eitelkeit der stolzen Römer spricht?
Nein, meiner Rachgier Lauf soll nichts zurücke halten:
Die Glut, die mich entbrannt, soll nicht so leicht erkalten!
Was mach ich länger hier? es kostet einen Streich;
So hab ich mit Gewalt Arsenens Herz und Reich.
Er soll das Opfer seyn!
FELIX.
Wer?
PHARNACES.
Cato
FELIX.
O ihr Götter!
Wie? Herr! dein Bundsgenoß, Beschützer und Erretter?
PHARNACES.
Mein Haß hat sich bisher der Freundschaft gleich gestellt:
Ich bin den Römern gram. Hier siehst du einen Held,
Den Mithridat erzeugt. Du kennest diesen Namen:
Erkenn' also in mir den Rest von seinem Samen!
Ich habe wider ihn den Römern zwar gedient,
Weil ihrer Waffen Glück im Orient gegrünt.[42]
Ich sah mehr als zu wohl an seinen grauen Haaren,
Daß solche Krieger ihm zu stark und mächtig waren.
Verlöhr er nun das Reich, so käm ich doch als Sohn,
Weil ich gut römisch schien, vieleicht noch auf den Thron.
So gieng es auch: denn Rom gab mir den Zepter wieder:
Allein nunmehr leg ich auch die Verstellung nieder.
So lange Rom geblüht, sah ich sein Wachsthum an,
Als einer, der es haßt, doch ihm nicht schaden kann.
Erwäge, wie vergnügt ich nachmals zugesehen,
Als durch der Zwietracht Wuth die Trennungen geschehen;
Wann der Parteyen Schwert sich wechselsweise schlug,
Ein Römer wider Rom Gewehr und Harnisch trug!
Um meine Rachbegier vollkommen auszuüben,
Hab ich hernach den Bund Pompejens unterschrieben.
Ich dachte: dieser Krieg wird lang und allgemein,
Und beyden Theilen einst zugleich verderblich seyn.
So hofft ich mit der Zeit die Herrscher zu verbannen,
Und selbst die Häupter Roms noch in mein Joch zu spannen.
Doch, Felix, der Erfolg zeigt itzt das Gegentheil.
Ich bin den Römern hier selbst als ein Opfer feil!
Selbst Cato that mirs kund: jedoch ich muß nur schweigen,
Um dieß Geheimniß noch nicht jedem anzuzeigen.
Geh! Timon und Arbat soll augenblicklich gehn,
Um Cäsarn kund zu thun, ich kam ihm beyzustehn.
Noch mehr, mich seiner Huld noch würdiger zu machen,[43]
Woll ich hier für sein Wohl, wie für mein eignes wachen.
Ich liefre Catons Kopf mit meiner eignen Hand:
Der sey von meiner Treu ein sichres Unterpfand!
Doch so, daß er dafür mir Pontus wiedergebe,
Und auf Arsenens Thron mich ungesäumt erhebe.
Mein Ruhm erfodert das! was schont man um ein Reich?
Ein glücklich Bubenstück sieht oft der Tugend gleich!
FELIX.
Dergleichen Mord, mein Herr, wird Cäsar kaum verlangen!
Er will nur, wie man spürt, mit eignen Thaten prangen:
Es wäre selbst der Sieg ihm gar nicht angenehm;
Im Fall sein Lorberzweig von fremden Armen käm.
Wohl hundertmal hat man sein bloßes Schwert erblicket,
Das auf Pompejens Hals sein eigner Arm gezücket:
Doch fiel die Strafe gleich auf Ptolomäens Haupt,
So bald er Cäsars Faust die Frevelthat geraubt.
PHARNACES.
Es war ein andrer Grund warum der umgekommen:
Denn seine Tyranney hatt' überhand genommen.
Er hatte Cäsarn schon ein gleiches zugedacht,
Drum zog er dazumal die ganze Kriegesmacht
Bis an den fernen Nil; und strafte den am Leben,
Sein eignes nicht so bald gewaltsam aufzugeben.
Dergleichen Unglück nun betrifft mich nicht so leicht!
Ich folg, in Cäsars Dienst, den Göttern, wie mich deucht.[44]
Ich weiche, so wie sie, dem Glücke, das ihn schützet:
Auf Lastern liegt sein Grund, durch Laster wirds gestützet.
Der Ehrsucht opfert er, ganz Rom und alles auf:
Für Catons Mord erfolgt für mich noch mehr darauf.
Wohlan! ich will hinfort die Unschuld nicht mehr hören;
Ich muß, wie Cäsar thut, die Macht durch Bosheit mehren.
Ein Frevel hilft mir leicht, und schafft mir Thron und Ruh:
An ein paar Lastern liegts; so fällt mir alles zu!
Ende des ersten Aufzuges.
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