[1120] Vorzimmer der Königin. Rechts eine Seitentüre zu ihrem Gemach führend. Im Hintergrunde der Haupteingang, an dem mehrere Hof leute stehen. Unter ihnen Graf Peter. Der Arzt wartend im Vorgrunde.
Die Königin tritt aus ihrem Zimmer.
KÖNIGIN.
Wo ist der Arzt?
ARZT.
Hier bin ich, gnädge Frau!
KÖNIGIN.
Mein Bruder gilt für krank, und ihr bestätigts.
Kommt ihr von dort? Wie also stehts mit ihm?
ARZT.
Nicht gut, muß ich bekennen, doch zugleich,
Daß noch die Form, der eigentliche Sitz
Des Übelseins sich nicht bestimmen läßt.
KÖNIGIN.
Ein feines Pröbchen eurer Kunst!
ARZT.
Verzeiht!
Es läßt gar leicht sich Grund und Ursach nennen,
Die Frag ist nur, obs auch zum Falle paßt.
Wir Ärzte sind Nachtreter der Natur,
Und unsre Herrin geht auf dunkeln Pfaden.
KÖNIGIN.
Ei gut! Ei schön!
Zu Graf Peter.
Man sagt ja, eure Schwester
Sie geh aufs Land? In dieser Jahreszeit?
Ohn Urlaub und Begehr? Scheints doch, sie lernt
Von ihrem Gatten Hofesbrauch und Sitte.
PETER.
Verzeiht, sie harrt im Vorgemache draußen,
Ob ihr erlaubt –
KÖNIGIN.
Warum wards nicht gemeldet?
Laßt sie herein!
Es geht jemand.
Nun, weiser Ödipus,
Fahr fort und lös uns deine eignen Rätsel.
ARZT.
Des Herzogs Zustand läßt sich Fieber nennen.
Er liegt und starrt und schweigt. Die Pulse fliegen,
Die Stirne heiß, die Eßlust fort.
KÖNIGIN.
Wieso?
ARZT.
Er schlug die Diener, die ihm Nahrung brachten,
Weist ab so Speis als Trank.[1121]
KÖNIGIN.
Seit wann?
ARZT achselzuckend.
Wer weiß?
KÖNIGIN stampft mit dem Fuße.
ARZT.
Und wenn man nicht –
Erny kommt.
KÖNIGIN.
Ei, sieh da, schöne Gräfin!
Ihr reist aufs Land, dem Wonnemond entgegen?
Ihr werdet sein noch etwas warten müssen,
Wir sind im März. Was treibt zu so viel Eile?
ERNY.
Geschäfte, gnädge Frau!
KÖNIGIN.
Ei, ich begreife!
Die erste Grasung gibt die beste Milch.
Da helft ihr denn wohl selbst mit eignen Händen?
Doch ernsthaft nun!
Halblaut.
Ich hoffe doch, der Vorfall
Von neulich abends, er hat keinen Anteil
An dieser Reise? Hat er, Gräfin? Sprecht!
Nehmt das nicht höher, als die Meinung war;
Mein Bruder liebt zu scherzen.
ERNY.
Scherzen, gnädge Frau?
KÖNIGIN verächtlich.
So glaubt ihr denn? Wie, oder Gräfin, doch?
Wärs etwa Ernst geworden? Ernst bei euch?
Was sagt dies arme Herz?
ERNY.
Wohl arm. Es schweigt.
KÖNIGIN.
Und völlig ruhig denn?
ERNY.
Vollkommen ruhig!
KÖNIGIN sich von ihr abwendend.
So reist mit Gott und grüßt mir Laub und Gras!
Einfältig Volk! Nur stumpf, nicht tugendhaft.
Harrt draußen, ob noch etwas zu befehlen!
Erny mit einer Verbeugung ab.
KÖNIGIN zum Arzte.
Eur Kranker, Herr, ist toll; und gegen Tollheit
Gibt es ein einzig Mittel nur: Vernunft.
Er mag sich selber heilen. Sagt ihm das!
Wie auch, daß er nicht hoffe, mich zu sehn,[1122]
Bis er zu mir kommt, selbst, als ein Genesner!
ARZT.
Doch wollet mich auch für entschuldigt halten,
Wenn endlich doch Gefahr.
KÖNIGIN.
Gefähr! Gefähr!
Es ist nicht not, daß gar so viele leben,
Die Erde trägt unnütze Last genug.
Wer sich Notwendigem nicht fügen kann,
Mag sterben; wärs mein Bruder, war ichs selbst!
ARZT.
Ich gehe denn!
KÖNIGIN.
Bleibt noch!
Zu den Hofleuten.
Ist sonst noch jemand
Im Vorsaal, der mein harrt?
Zum Arzte.
Bei eurem Kopf!
So glaubt ihr wirklich denn, daß Grund zur Sorge?
Gesteh ichs euch, ich dacht, ein leeres Wahnbild,
Ein ungestillter Wunsch, ein Hirngespinst,
Sei dieses Übels Grund.
ARZT.
Vielleicht! Wohl möglich!
Streitsüchtge Nachbarsherrn sind Geist und Körper,
Die Grenzen wechseln und verwirren sie,
Man weiß oft nicht, auf wessen Grund man steht.
Doch was es sei, die Wirkung bleibt dieselbe,
Zumal, wenn er die Nahrung von sich weist.
Ein ganz Gesunder stirbt, entbehrt er diese.
Ein Diener kommt eilig.
DIENER.
O Herr! Mein Herr!
ARZT.
Wer ruft?
DIENER.
Der Prinz –
KÖNIGIN.
Was ist?
DIENER.
Der Prinz – Ihr wart kaum fort, da kam der Wärter
Mit Arzenein, die wies der Prinz zurück.
Gebot jedoch dem Mann, die Ader ihm
Am dargereichten Arm zu öffnen. Jener
Verweigern. Da ergreift der Herr den Dolch
Und schleudert ihn. – Am Haupte hart vorbei
Flog hin das Messer, daumtief in die Wand.[1123]
KÖNIGIN.
Es ist genug! Das Rasen hab ein Ende.
Zu eurem Kranken kommt: aus meinen Zimmern
Führt ein geheimer Gang uns nach den seinen.
Ob Wahrheit oder Wahn, ob Kraft, ob Ohnmacht,
Es sei im klaren, und es sei geheilt.
Was von Geschäften hier, soll meiner harren.
Auch Gräfin Erny, heißt herein sie treten,
Und mich erwarten. Bald kehr ich zurück.
Mit dem Arzte durch die Seitentüre ab.
Zimmer des Prinzen. Der Mittelgrund ist durch einen breiten Mauerbogen und daran herabhängenden Vorhang geschlossen, der in ein inneres, alkovenartiges Gemach führt. In der nach vom gekehrten Verkleidung des Bogens, auf der linken Seite, eine Tapetentüre. Im Vorgrunde rechts eine Seitentüre, in deren Getäfel ein blanker Dolch steckt. Gegenüber ein Tisch und Stuhl.
Zwei Diener kommen durch die Seitentüre.
ERSTER DIENER.
Ich zieh den Vorhang auf. Der Arzt will Licht.
ZWEITER DIENER.
Der Prinz will Dunkelheit.
ERSTER DIENER.
Allein der Arzt –
ZWEITER DIENER.
Du meinst, es heile doch der Arzt die Beulen,
Die Ungehorsam bei dem Prinzen einträgt.
ERSTER DIENER.
Ich tus! – Horch! Pocht man nicht?
ZWEITER DIENER.
Geh hin und öffne!
Erster Diener öffnet die Tapetentüre in der Bogenwand des Mittelgrundes.
Die Königin und der Arzt treten ein.
KÖNIGIN.
Warum sieht man nicht nach? Die Türe läßt
Von innen kaum, selbst mit Gewalt, sich öffnen.
Wo ist mein Bruder? Zieht den Vorhang auf!
ERSTER DIENER.
Der Prinz verbot –
KÖNIGIN.
Ich aber wills. Gehorche!
Der Vorhang wird aufgezogen. Herzog Otto liegt nach vom gekehrt, den Kopf in die Hand gestützt, auf einem querüber stehenden Ruhebette.
KÖNIGIN.
Mein Bruder! Ha! und wie entstellt und bleich!
Wenns dennoch wäre, wenn – Verhüt es Gott!
Geht hin und fühlt den Puls!
ARZT sich dem Ruhebette nähernd.
Erlauchter Herr!
OTTO richtet sich mit halbem Leibe drohend empor.
ARZT zieht sich zurück.
KÖNIGIN.
Was muß ich sehn, mein Bruder? Weigerst du
Der Hilfe dich, der heilbeflißnen Sorge?
Nun glaub ich erst, was kurz vor man berichtet![1124]
Der Dolch in jener Wand bekundet deutlich,
Wie du dich nimmst, wie sehr du dein vergißt.
Du warfst ihn nach dem kundig wackern Mann.
Er sollte haften dort zur Straf und Warnung;
Doch schon ich dein und finde selbst bedenklich
Solch Werkzeug in des Rasenden Bereich.
Macht los den Dolch, ich nehm ihn selbst zu mir.
Erst dem Genesnen geb ich seine Waffen.
Der Dolch wird gebracht, sie legt ihn auf den Tisch.
Er schweigt, kehrt nicht einmal den Blick nach mir!
Nun, Krankheit oder Starrsinn; fort mit beiden!
Näher tretend.
Wie gehts euch, Herzog?
OTTO.
Gut.
KÖNIGIN.
So steht denn auf!
Wollt ihr nicht essen?
OTTO.
Nein.
KÖNIGIN.
Warum nicht?
OTTO.
Ich habe schon gegessen!
KÖNIGIN.
Ha, ihr lügt!
OTTO.
Nun denn, ich mag, ich kann, ich will nicht!
Nicht essen und nicht atmen, leben nicht!
Er wirft sich herum, so daß er mit aufwärtsgekehrtem Gesichte auf dem Rucken liegt.
KÖNIGIN.
Unsinniger! Sein selbst vergeßner Tor! –
Geht ihr hinaus, ich werde nach euch rufen.
Arzt und Diener ab.
Kannst also du der Gottheit Abglanz schänden?
Nicht Krankheit ists, ich weiß, ich kenne dich!
Der Leidenschaft und ihrer Raserei
Wirfst du die Gaben vor des gottgegebnen Geistes;
Sie glüht als Fieber durch dein kochend Blut,
Und wirft die Blasen, die sie Krankheit nennen.
Der Leidenschaft! Und wär es Liebe noch,
Wenn auch verkehrt', verbrecherische Liebe –
War doch in alter und in neuer Zeit
Entschuldgung sie für manches Schlimm' und Schiefe –
Doch ist es Liebe nicht, ist Tobsucht nur,[1125]
Des ungezähmten Geistes trotzig Walten,
Der Eigensinn, der will, weil er gewollt.
Ich aber denk es nimmermehr zu dulden,
Am mindsten, wo ich Frau und Königin.
Mir kommt die Lust an, Wunder zu versuchen!
Steh auf und sei gesund, sprech ich zu dir.
Steh auf, und zwar zur Stelle! Jetzt. Ich wills.
Sie hat seine Schulter mit ihrer Hand berührt, Otto richtet sich empor, und sitzt mit aufgestützter Hand und vorhängendem Haupte da.
O Jammerbild der selbstgeschaffnen Schwäche!
Wie schäm ich mich, daß du von meinem Blut!
Wo gehst du hin? Was willst du?
OTTO der aufgestanden ist und einige Schritte gemacht hat, die Stirne reibend.
Wußt ichs doch!
Ei ja!
KÖNIGIN.
Wo willst du hin? Bleib, Otto, bleib!
Du willst doch nicht ins Freie? Otto, sprich!
OTTO.
Ich will!
KÖNIGIN.
Die Luft ist rauh, der Abend kühl,
Du selber bist erhitzt.
Sie hat seine Hand gefaßt.
O Gott, wie heiß!
Ach, du bist krank, wahrhaftig krank! Mein Bruder! –
O, bleib doch, bleib! Was willst, was kannst du wollen?
OTTO.
So ruf denn selbst, und laß die Pferde holen.
KÖNIGIN.
Wie?
OTTO.
Meine Pferde, meine Diener auch!
KÖNIGIN.
Wo willst du hin?
OTTO aufrecht hinschreitend und Wams und Gürtel ordnend.
Will heim! Zu meinem Vater,
Zu meinen Brüdern, meinen Schwestern allen,
Die mein begehren, mir mit Liebe folgen;
Zurück in meiner Heimat Alpental.
Was soll ich hier? Wo jedermann mich haßt,
Wo jedes Wort rückprallt vom stumpfen Hörer;
Wo meine Schwester selbst das Beispiel gibt,
Mich zu erniedern.
KÖNIGIN.
Ich?[1126]
OTTO.
Ja du, nur du!
Wer bin ich hier und was an deinem Hof?
Beschimpft nicht jedermann mich ungescheut?
Tratst du dazwischen nicht am selben Abend,
Wo ich die Törin, die mir Hohn gesprochen,
Antrat zu Widerruf und zu Erklärung?
Tratst du dazwischen nicht? als sie es aussprach,
Es aussprach, daß sie mich – verachte! – Teufel! –
Verachtung? Grimm und Tod! – Verachten? – Mich?
KÖNIGIN ihn anfassend.
Zu Hilfe! Ärzte! Diener! Hört denn niemand?
Der Arzt öffnet die Türe.
OTTO.
Laß! Ich bin stark wie der nemäische Leu,
Der Grimm stählt meine Sehnen, statt Gesundheit.
Der Arzt zieht sich zurück.
Ja, ich will fort. Du aber, danke Gott!
Denn blieb ich hier, in Mitte meiner Schar
Durchzög ich dies, dein Land, bis ich sie fände,
Die Törin fände, die mir Schmach getan.
Aus ihres Hauses Flammen riß ich sie,
Aus ihrer Wächter Mitte, vom Gebet,
Und stellte sie vor mich hin. Da! Nun sprich,
Wenn du es wagst: warum du mich verachtest?
KÖNIGIN.
Mein Bruder, höre! – O, wie schäm ich mich!
Du hast wohl Fraun von höhrer Art gekannt,
Ich selber darf mich zählen unter solche.
Hast Geist gekannt und Witz, des Umgangs Reize.
Wie kann nun Leidenschaft für dieses Wesen,
Kaum schön, von schwachem Geist und dürftgen Gaben,
Halb töricht und halb stumpf, dich nach sich ziehn?
Und unerhört; denn sieh, ich weiß, mein Bruder:
Sie denkt dein nicht.
OTTO.
Wer spricht davon? Und doch?
Weil sie nicht will, und weil sies nicht verdient
Will ich sie lieben, will mit jedem Reiz
Erfinderisch sie schmücken, mir zur Qual;
Will wissen, ich, warum sie mich verschmäht;
Den Zauber kennen, den der ekle Tor[1127]
Ausübt, ihr Gatte, über sie; die Kräuter,
Die Sprüche, die ihm ihre Liebe bannen.
Dann komme was da mag! Wer frägt nach ihr?
Laß, ich will fort!
KÖNIGIN.
Mein Bruder, höre!
Geh nicht von mir, du meines Lebens Glück!
Laß mich allein nicht hier in dieser Wüste,
Wo du der einzge bist, der einzge, der da lebt!
Mein Ich, mein Selbst, mir teurer, als mein Selbst!
Begehre, was du willst, nur bleib bei mir.
OTTO.
Ich kann nicht bleiben, so beschimpft, entehrt.
KÖNIGIN.
Man soll genug dir tun. Verweis, Erklärung.
Ich banne sie vom Hof!
OTTO.
Was fällt dir ein?
Glaubst du, mein Zürnen brauche fremder Hilfe?
Doch eins! Laß mich sie sprechen!
KÖNIGIN.
Sprechen?
OTTO.
Ja!
Die Gräfin, sie. In deinen Zimmern. Hier.
KÖNIGIN.
Euch zu erheben, wollt ihr mich erniedern?
Vermittlerin ich zwischen euch und ihr?
OTTO.
Ich sagte dir: Von Lieb ist nicht die Rede,
Ob ich sie liebe, das ein andermal,
Doch sprechen muß ich sie, und weigerst dus,
So woll auch nicht, was sonst unmöglich ist.
KÖNIGIN.
Mein Otto!
OTTO.
Und du kannst es, wie so leicht!
Du rufst sie her, und hinter jener Türe
Auf die Tapetentüre zeigend.
Bist du ein Zeuge dessen, was geschieht.
Nur Zeuge, Hörer nicht; drei Schritte fern,
Harrst du, bereit zu schneller Unterbrechung,
Sobald der Zweisprach Wendung dir mißfällt,
Sobald ein heftig Wort, ein Laut, ein Ruf,
Dir anzuzeigen scheint, daß Trennung not.
Du willst? Du tusts?
Zur Türe hinausrufend.
Holla![1128]
KÖNIGIN.
Vorerst nur noch –
Ein Diener kommt.
OTTO.
Nicht ich. Die Königin verlangt nach dir.
KÖNIGIN nach einer kleinen Pause.
Ruft Gräfin Erny her in dieses Zimmer.
OTTO.
Noch eins!
Er spricht, mit dem Diener zur Türe gehend, leise ihm ins Ohr. Diener ab.
KÖNIGIN.
Was ist?
OTTO.
Ein Auftrag meinen Leuten,
Daß wir nicht reisen, daß wir bleiben noch.
KÖNIGIN.
Nun aber hör! Ich weiß, was ich verletze,
Wie sehr zu tadeln, daß ich mich gefügt.
Verdammlich ist die Liebe, meine Liebe,
Die du mißbrauchst, und doch so teuer mir.
Nun aber zeige, daß du ihrer wert,
Erspare einen Teil mir der Beschämung,
Indem du so dich nimmst, wie ich gehofft,
Als ich mich fügte deinen raschen Wünschen.
Gib mir dein Wort!
OTTO.
Man kommt!
KÖNIGIN
O Gott!
Auf dir ruht nun mein Dasein. Fahre mild!
Durch die Tapetentüre ab.
OTTO.
Auch ich will nur hinein in mein Versteck.
Der Feind erkenn erst später die Gefahr.
Er tritt hinter den Vorhang, der sich schließt.
ERNY kommt durch die Seitentüre.
Es ward gesagt, die Königin sei hier.
Wo ist sie denn? Das Zimmer ist ja leer;
Kein andrer Ausgang auch, als wo ich kam.
Horch! Hinter jenem Vorhang tönt ein Rauschen,
Vielleicht, daß dort!
Sie blickt hinter den Vorhang, ihn in der Mitte öffnend. Währenddem tritt Herzog Otto leise von der rechten Seite hervor und bleibt an der Türe stehen.
Auch hier kein lebend Wesen.
Wer wohnt nur hier? Die Wände reich verziert;
Ein Schlafgemach. Vielleicht wohl gar. O Gott!
[1129] Sie erblickt den Herzog und läßt die Vorhänge fallen.
OTTO.
Erschreckt nicht, schöne Frau!
ERNY.
Erschrak ich denn?
Ich bin erstaunt, empört, doch nicht erschrocken.
Zur Königin berief man mich hierher.
OTTO.
Es ist ihr Wunsch, daß ihr sie hier erwartet.
ERNY.
Da gilt kein Wunsch und selber kein Befehl.
Zum Gehen gewendet.
OTTO.
So hört denn mich, mein Bitten, meinen Schmerz.
Ich weiß, ich hab euch schwer und tief beleidigt,
Vor allem laßt Verzeihung mir erflehn.
ERNY.
Wer alles sich erlaubt, und selbst verzeiht,
Braucht der Verzeihung andrer und Erlaubnis?
OTTO.
Der süßen Nähe Reiz berückte mich.
Der Locken Gold, der Wangen Rosenlicht,
Die Stirn aus Elfenbein, der Augen blaue Himmel,
Die ganze, lichthell glänzende Gestalt –
Allein, was sprach ich, und was wollt ich sprechen?
Ich bin verwirrt, ich bitt euch, seht mir nach!
ERNY.
Als kleines Mädchen nannten sie mich eitel;
Ich bins nicht mehr.
OTTO.
So viel der Himmelsgaben;
Dazu noch der Gedanke, daß – ich weiß nun,
Wie sehr ich irrte, damals aber glaubt ichs –
Daß Euer Auge mit Zufriedenheit,
Mit Wohlgefallen auf mir hafte. Jener
Unselge Druck der Hand, den ich beim Tanze
Zu fühlen glaubte; Haare, meine Haare,
Die ihr so gütig waret zu bemerken,
Zu euch zu nehmen. –
ERNY.
Auf dies eine hört,
Was ich zur Deutung –
OTTO.
O, nicht doch! O, schweigt!
Laßt uns nicht mehr von diesen Träumen sprechen,
Ich weiß zu gut, wie sehr ich mich getäuscht.
Dies alles nun, und über alles andre,
Das euer Gatte – Gräfin, ihr verzeiht!
Bancbanus ist, ich weiß, ein Ehrenmann;[1130]
Wohlredenheit strömt über seine Lippen,
Ist geistreich, witzig, schnellgewandt im Rat.
Sein Bart ist grau, allein in Ehren grau;
Sein Säbel schlägt die Fersen, wie ein andrer,
Ein Ehrenmann, fürwahr! Doch etwas – unschön, –
Beinahe möcht ichs lieber gräßlich nennen,
Allein, ich seh, ihr seid nicht meiner Meinung!
Wohlan, ich geb es zu! Der erste Eindruck
Tut wohl das Schlimmste, und der Mann gewinnt,
Zumal in einiger Entfernung. Aber
Wenn auch nicht grau, und wenn nicht widrig auch;
Was wär er gegen diesen holden Umfang
Von allem, was der Himmel reizend schuf?
Als ich mit ihm zum erstenmal euch sah,
Da riefs in mir: verkehrt ist die Natur!
Entsprießt dem Eis die Königin der Blumen?
Gezwungen ist sie, oder ist betrogen;
Des Ritters Pflicht, Gefangne zu befrein.
ERNY.
Spart eure Ritterpflicht auf größre Not!
Mit freier Wahl erkor ich meinen Gatten.
Und wenn nicht jung und wenn nicht blühend auch,
Weit höher acht ich ihn, als –
OTTO.
Sprecht nicht weiter!
Antwortet mehr nicht als man euch gefragt.
Beleidigen ist leicht, doch schwer versöhnen.
ERNY.
Wir sind zu Ende, scheints, und ich kann gehn.
OTTO.
Noch nicht! Das Letzte fehlt, ist noch zu sagen.
Dies Land, wo meine Schwester lebt und herrscht,
Wo alles mich umringt mit Lust und Freuden,
Durch die Ereignisse der letzten Zeit
Ists mir zum Greul geworden und zur Hölle.
Nach Deutschland kehr ich heim. – Ich seh, es freut euch!
Nun, um so lieber reis ich, machts euch Freude.
Beim Scheiden nun gönnt mir als letzten Trost –
Ihr könnt es leicht, denn bin ich fern, wie kann ich
Je Vorteil ziehn aus Eurer Huld und Meinung. –
Gönnt mir den Trost, daß ihr euch mein erinnert.
ERNY.
Erinnern eurer? Nie![1131]
OTTO.
Daß ich euch völlig
Gleichgültig nicht.
ERNY.
Gleichgültig ganz und völlig.
OTTO.
Ihr lügt! – Ihr täuscht euch, fürcht ich! – O, ich weiß,
Was euch so strenge macht, so herb und kalt.
Ihr haltet mich für schlimm. Ich bins, ich wars!
Geboren auf der unglückselgen Höhe,
Wo man nicht Menschen kennt, nur Schmeichler, Sklaven;
Emporgetragen von des Haufens Gunst,
Aus Hand in Hand, ein Spielball fremder Neigung;
Begabt mit manchem, was sonst Frauen lockt,
Stürzt ich mich in des Lebens bunt Gewühl.
War ich nicht gut, ich konnte schlimmer sein;
Gab böses Beispiel ich, wer gab mir gutes?
O, wäret damals ihr in Himmelsklarheit
Hinabgestiegen in die Schauerhöhle,
Wo ich, mit Molch und Natter spielend, lag;
Ich hätts erkannt an Eurem reinen Licht,
Wär euch gefolgt, wär glücklich nun und selig.
ERNY.
Setzt ihrs voraus, weils nun unmöglich ist?
OTTO.
O, nicht unmöglich, jetzt noch möglich, jetzt noch!
Wenn ihr nur wollt, wenn ihr euch nicht entzieht.
Ich fordre ja nicht Liebe, Liebe nicht!
Gönnt mir nur Anteil, Neigung, Euer Aug nur,
Daß ich es fragen darf mit meinen Augen:
Wars also recht? wenn ich nicht schlimm getan.
Ihr willigt ein? Ihr stoßt mich nicht zurück?
ERNY.
Habt ihr vergessen, daß ihr reisen wolltet?
Der Meister hat den Schüler gern um sich:
Ich aber wünsch euch fern.
OTTO.
Verkennt ihr denn
Der Tugend schönstes, weltbeglückend Vorrecht,
Wo sie geblüht, auch Samen auszustreun?
Genügt es denn der Sonne, daß sie Licht,
Geht sie nicht auf, uns alle zu erleuchten?
Wenn ihr dereinst am großen Tage steht,
Umgeben von den Engeln eurer Taten
Wollt ihr dann nicht den Blick zurückesenden[1132]
Und sagen: dieser Mann ist auch mein Werk?
ERNY.
Es hört sich gut, doch handelt ihr nicht so.
Wer dürft euch trauen, wenn er wollte selbst?
OTTO.
Ihr dürft! Ihr sollt! O, dieser Augenblick
Ist fruchtbar an Entwürfen und an Taten!
Gesteh ichs euch! Als man euch herbeschied
War finster meine Brust, und Gräßliches,
Das Äußerste bewegte sich in mir.
Doch Euer Anblick bannte jene Schatten.
Lernt mich erst kennen, achten wohl zuletzt!
Des Leuchtturms Flamme seid dem irren Schiffer.
Er sieht das Ufer nicht, von Nacht umfangen,
Doch steuert er getrost dem Schimmer zu,
Er weiß, dort wo das Licht, ist Land und Rettung.
Ihr wollt? Ihr tuts? – Gebt mir die Hand darauf.
Die Hand, um die ich bitte – eure Hand!
ERNY.
Ha, was war das? Enthüllst du selber dich?
Tilg erst den Schimmer dort aus deinem Auge,
Der lauernd sich gelungner Plane freut.
Wirbst du nach Tugend, und gehörst der Sünde?
OTTO.
Der Sünde nicht! Noch nicht! – Noch ist es Zeit!
Gib mir ein mildes Wort, und rette dich,
Errette dich und mich.
ERNY.
Ich, Milde dir?
Ich hasse, ich verabscheu, ich ver –
OTTO.
– achte!
Verachtung? wars nicht so? – Merkt euch das Wort!
Ihr spracht es einmal schon, an jenem Abend,
Merkt euch das Wort, ihr steht dafür mir Rede!
Fahr aus, du guter Geist, der mich beschlich,
Als ich sie bat, der fast mich übermannt,
Räum deinen Platz dem Finstersten der Hölle!
Schwachsinnig Weib mit der erlognen Tugend,
Die heilig möchte heißen, weil sie kalt,
Du liebst mich nicht? Was frag ich um dein Lieben!
Du hassest mich? Was kümmert mich dein Haß!
Doch weißt du, Törin, was Verachtung heißt?
Verachtest du mich, Weib? Das bitt mir ab,[1133]
Auf diesen deinen Knieen bitt es ab,
Sonst fürchte meinen Zorn!
ERNY.
O Gott! mein Gott!
Wer rettet mich?
OTTO.
Du selbst! Wenn du dich fügst.
Allein wenn nicht, dann Unglückselge, wisse:
Verschwinden sollst du vom Gesicht der Erde,
Daß sich die Leute fragen: ist sie tot?
Indes du lebst in dunklen Schauerklüften,
Umgeben von des Ortes Einsamkeiten,
Wo nur Erinnerung und du.
Dort sollst du jammern, sollst die Hände ringen,
Wie einen Festtag zählen jeden Tag,
Wo mich mein Fuß in deine Zelle trägt.
Umsonst dein Flehn, umsonst selbst deine Liebe –
Nähertretend.
Wenn du mir Liebe bötest selbst –
ERNY.
Ich dir?
Ha, mein Gefühl, ich hab es dir genannt.
OTTO.
Du hast, es sei!
Er tritt hinter den Vorhang.
ERNY.
O Gott! Was wird?
Er sinnt Gefährliches. Nur fort! Entfliehn!
Sie eilt zur Türe, und versucht es, sie zu öffnen.
Die Tür verschlossen! Gott! wer schloß die Tür?
Wer rettet mich? Sie kommen! Großer Gott!
Der Vorhang fliegt auseinander. Herzog Otto tritt vor. Hinter ihm zwei Gewappnete, deren einer die Schnur des Vorhanges gezogen hat. Im Hintergrunde zeigt ein, aus seinem Rahmen
geschobenes, großes Bild den Eingang, durch den sie gekommen sind.
OTTO.
Ergreift dies Weib. Bringt sie nach Forchenstein,
Auf den geheimen Pfaden, die ihr kennt.
ERNY die wieder nach der linken Seite des Vorgrundes geflohen ist.
Mein Prinz!
OTTO.
Es ist zu spät!
An der Tapetentüre wird gepocht.
Ha, Schwester, du?
Es ist zu spät, sag ich nun auch zu dir.
[1134] Er dreht den Schlüssel an der Tapetentüre.
Die Würfel liegen, und kein Schritt zurück.
Ergreift sie, sag ich euch!
ERNY.
Ich aber: Weicht!
Sie hat den Dolch ergriffen, der auf dem Tische lag.
Du hilfreich Werkzeug, dich hat Gott gesendet!
Glaubst du dich meiner Herr, und jauchzest drob?
Wer mich berührt, den trifft dies scharfe Eisen.
Ein zürnend Weib und eine Ungarin,
Wer wagts und naht?
Sie tut einige Schritte ihnen entgegen, die Gewappneten halten ein.
OTTO.
Ha, Feige! Zittert ihr?
Und habt doch Harnisch an?
Die Gewappneten gehen auf sie los.
ERNY.
Erbarmen! – Ha,
Sie nahn, sie fassen mich!
Einer der Gewappneten hat sie ergriffen, sie reißt sich los.
Hier ist kein Harnisch!
Sie stößt sich den Dolch in die Brust.
O, weh! – Es schmerzt! – Muß ich so früh schon sterben?
Mein Blut! – Es schmerzt!
Sie sinkt zu Boden.
Herzog Otto entflieht nach dem Innern des Gemaches zu. Sobald gepocht wird, bleibt er erstarrt stehen, noch immer in der Stellung eines Fliehenden, den Rücken gegen die Zuschauer gekehrt.
KÖNIGIN von innen an die Tapetentüre pochend.
Macht auf! Bei eurem Leben, öffnet!
Einer der Gewappneten öffnet die Tapetentüre, die Königin tritt heraus.
Was ging hier vor? Um aller Heilgen willen?
Verruchter! Das mein Lohn und dein Versprechen?
Sucht Hilfe, eilt!
Um die Tote beschäftigt.
An der Seitentüre rechts wird heftig geschlagen, verworrne Stimmen lassen sich hören.
KÖNIGIN.
Mein Gott! Was ist nun das?
GRAF PETER von außen.
Sie ging hinein, wir haben sie gesehn![1135]
SIMON ebenso.
Sprengt auf die Türe, öffnen sie nicht willig.
Man bricht an der Türe.
KÖNIGIN ihren Bruder an der Hand ergreifend und vorführend.
Unseliger, stell dich an meine Seite,
Die Rasenden ergreifen, töten dich.
Die Türe wird eingesprengt. Bancbanus. Die Grafen Simon und Peter mit Dienern und Gewaffneten stürzen herein.
SIMON.
Bancbanus, sieh! dort liegt dein Weib ermordet!
BANCBANUS.
O Erny, o mein Kind, mein gutes, frommes Kind!
Er kniet an der Leiche.
PETER.
Ist keine Hilfe? Sendet Diener aus!
SIMON.
Umsonst! getroffen ist der Sitz des Lebens,
Kein Arzt, kein Gott gibt wieder sie zurück.
Nichts mehr für sie zu tun, als sie zu rächen!
Dort ist der Mörder! Dieser hats getan.
Auf Otto zeigend.
Heraus mein Schwert und freu dich auf ein Fest!
PETER.
Du grimmer Wolf, was tat dir dies mein Lamm?
Er zieht ebenfalls.
SIMON.
Auf ihn! Haut ihn in Stücke! Stoßt ihn nieder!
KÖNIGIN.
Zurück! Wer klagt hier an, und wer beweist?
PETER.
Liegt nicht das Opfer tot in seinem Blut?
SIMON.
Steht nicht der Henker dort? Wer anders konnt es?
KÖNIGIN.
Wer anders? Ich! ich selber habs getan.
Sie hatte höchlich sich an mir vergangen,
Und also straft ich sie. Wenn mein Gemahl
Zurückekehrt, steh ich dem König Rede.
Bis dahin
Zu Otto.
komm! – Und ihr kennt eure Pflicht!
Mit ihrem Bruder zum Abgehen gewendet. Die übrigen stehen um die Leiche.
Der Vorhang fällt.
Ausgewählte Ausgaben von
Ein treuer Diener seines Herrn
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Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.
266 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro