71.
An Clelien

[130] Zeit mehr denn über Zeit die Brüste zu verdecken/

Indem der Jahre Reiff sich an die Schläffe legt/

Deckt zu was Grauen/ Haß/ und keine Lust erregt/

Verdeckt/ vor was ihr selbst (beschaut euch) must erschrecken.

Der Rosen Schnee ist weg/ versteckt die dörren Hecken/

Ob Chloris ob Dian nackt einzuziehen pflegt/

Stehts dennoch der nicht an/ die nichts als Knochen trägt/

Gehüllt in schrumpffend Fell voll schwärtzlich-gelber Flecken/

Legt ein/ eur Marckt ist aus/ schließt Kram und Laden zu/

Fragt nicht was Lieben sey/ denckt an die lange Ruh.

Doch nein! was fällt mir ein entblösset Hals und Brüste/

Entdeckt (damit ihr noch was nützet auf der Welt)

Wie Seuch und lange Zeit und Schminck hab euch verstellt:

Dämpfft durch diß fremde Bild der tollen Jugend Lüste.[130]

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 2, Tübingen 1963.
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