[179] Dubois tritt mit einem Billett aus dem Zimmer des Ministers. Die Vorigen.
Dubois nimmt Lefêvre beiseite und läßt ihn bedenklich in den Brief einsehen.
MATTHIEU. Das ist der Leibarzt des Königs! Der soll mich untersuchen, ob ich, ich eines Diebstahls fähig bin!
LEFÊVRE mit dem Billett zu Molière. Molière, es würde leichtsinnig von uns sein, wenn wir Ihnen den Inhalt eines anonymen Briefes vorenthalten wollten, welchen soeben der Polizeiminister erhalten hat und den mir Herr Dubois, Leibarzt[179] Sr. Majestät des Königs, mitteilt, um die Ansicht eines Juristen zu hören. Lesen Sie.
MOLIÈRE liest in großer Aufregung. »Herr Polizeiminister! Man hört, daß es im Werke ist, mit der Freiheit der Bühne einen noch nie dagewesenen Mißbrauch zu treiben. Herr Molière in seiner Sucht, sich an der gebildeten Gesellschaft dafür, daß der Stand des Schauspielers nicht der geachtetste in Frankreich ist, durch Geißelung sogenannter Torheiten und Laster zu rächen, hat seine Hand nun auch nach der Religion ausgestreckt. Unter dem Namen Tartüffe bezweckt er einen Charakter auf die Bühne zu bringen, dem Frömmigkeit die erste Lebenstugend ist. Die gute Sache der Religion erwartet von dem Minister der Polizei, daß er die Aufführung eines solchen Pasquills hintertreibt und die ohnehin schon gesunkene moralische Ehre der Stadt Paris vor den Augen der Christenheit rettet. Eine Anzahl frommer Seelen.«
MATTHIEU. Eine von den frommen Seelen hat das Stück gestohlen! Aber beruhigen Sie sich, Herr Molière. Ich gehe nach Haus. Ich stelle das Stück aus dem Gedächtnis wieder her. Ich habe nicht umsonst seit acht Tagen die Kehrbesen der Logenschließerinnen und die Vorwürfe Madeleinens ausgehalten. Tartüffe kann nicht konfisziert werden. Tartüffe wird existieren, Tartüffe lebt aus meinem Gedächtnisse wieder auf für ewige Zeiten! Ab!
Polizeibeamte folgen.
DUBOIS. Herr Molière, Ihre persönliche Anwesenheit wird dem Herrn Minister erwünscht sein. Se. Exzellenz!
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Das Urbild des Tartüffe
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