[62] Uriel tritt auf, begleitet von Baruch Spinoza, der einige Blumen in der Hand trägt.
BARUCH.
Wie lange bin ich, teurer Oheim, nicht
In diesem schönen Park mit Euch gewesen!
Ein Fest scheint man zu feiern und ein hohes!
Er läßt Uriel für sich allein.
URIEL für sich.
Sie war's! Im Brautgewand! Von jenen Priestern,
Die mir geflucht, wird sie sich segnen lassen! –
Wenn ich dazwischenträte! Hier die Hand,
Die fluchbeladne, auf den Altar legte –!
Ihr zürn' ich nicht – sie tat, was ich getan!
Doch ihn hatt' ich zum Zweikampf mir gefordert;
Den Handschuh warf er feig zurück und ließ
Durch meinen Boten spöttelnd mir erwidern:
Wir sind nicht portugiesische Hidalgos!
BARUCH brach sich hier und da Blumen ab.
Die Mutter sagte, daß von allen Orten,
Die Ihr zu meiden Euch entschlossen habt,
Am weitesten Ihr heute diesen flieht;
Und dennoch sind wir träumend hergekommen!
URIEL immer im Selbstgespräch.
Wir sind nicht portugiesische Hidalgos!
Nein! Feige Schurken sind wir! Seelenkäufer!
Mit Gold verbrämte hohle Pfeffersäcke!
BARUCH.
Wenn Ihr so mit Euch selber redet, denkt Ihr?
Kommt, Oheim, laßt uns Schlüsse machen! Fragt,
Antworten, glaub' ich,
Lächelnd.
hab' ich prächtige,
Nur fehlen mir die Fragen noch dazu.
Bei andern, sagt man, ist es umgekehrt.
URIEL.
O denke nicht, mein Kind! Schlaf wie die Blume,
Die hold in ihrer bunten Schönheit blüht
Und sich nicht kümmert, wer sie wohl erschuf;
Laß deinen Geist nur wogen wie das Meer,
In seiner tiefsten Fülle stolz sich schaukelnd,
Bleib auf der hohen See, fern von dem Ufer,
Wo Menschen dich mit ihren Fragen quälen;
Bist du ein Jude, bist du wohl ein Christ,
Bist Niederländer, bist ein Portugiese,
Bist du dem König, bist dem Volke hold,
Willst du, daß einer oder alle herrschen?[63]
Wer so dich frägt, da höre nicht, mein Knabe,
Und laß die Antwort dir im Busen ruhn!
BARUCH.
Man kommt – darf ich die Blumen hier der Mutter
Ans Fenster stellen?
URIEL.
Wirf sie hin, Spinoza!
Sie sind schon welk in deiner Hand. Mein Kind,
Geh heim zu deiner Mutter!
BARUCH.
Und nicht Ihr?
URIEL.
Der Abend senkt sich nieder, geh, mein Sohn,
Und grüße alle!
BARUCH.
Bleibt Ihr bei dem Fest?
URIEL.
Vielleicht! – Geleite Gott dich! Geh! Ich komme.
BARUCH.
Die Blumen lass' ich hier. Sie sind verwelkt.
Und wißt Ihr, wie ich beide unterscheide,
Die Blumen da am Stiel und hier die welken?
Die sind Gedanken dort und die Begriffe!
Dort denkt der Schöpfer! Hier begreift der Mensch.
Und da der Unterschied der Duft nur ist,
Die frische Farbe, das lebend'ge Sein,
So nenn' ich Gott das Leben und das Sein.
Und ohne Leben, ohne Sein, sind hier
Die welken Blumen auch nicht Blumen mehr,
Nur der Begriff noch hat an ihnen Wert,
Sonst sind sie nichts und mögen ruhig sterben.
Er läßt sie seiner Hand entgleiten.
So lacht doch, Oheim! Wenn ich spekuliere,
Verzieht Ihr lächelnd immer sonst die Miene!
Heut seid Ihr ernst? Kommt zeitig heim zur Mutter!
Wir können wohl noch etwas Griechisch lesen.
Ab.
URIEL allein, die Blumen betrachtend und dem Knaben nachblickend.
Sonst sind sie nichts und können ruhig sterben!
Nein, kluges Kind, steht dir auch schon der Stempel
Des Geistes und der Leiden an der Stirn,
Aus solchen Blumen zog ich oft noch Gift,
Den Tod, den Abschluß aller Rechnungen,
Den Tod, das letzte Fazit aller Zahlen!
Jochai! Herzenschachernder Hidalgo!
Er zieht ein Pistol hervor.
Zeig' deine Wechsel vor! Verfalltag ist!
Er zielt nach hinten.
Halt still wie ich, als du mich tratst im Staube!
Zuck' nicht mit deinen Augenwimpern, Krösus![64]
Noch einen Atemzug – noch einen, Mensch! Ha!
Läßt das Pistol sinken.
Sie wechselten die Ringe – – Widerrufen
Ist hier vergebens und um nichts die Rache! – –
O denke niemand! Denke niemand! Schwach
Wird dir der Arm, wenn auch dein Geist erstarkt –
Ja, eine welke Blume bin auch ich,
Und der Begriff nur hat noch Wert an mir!
So bin ich nichts und mag entsagend sterben.
Geht dahin ab, von wo er kam.
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
|
Buchempfehlung
Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro