Sechsundvierzigstes Kapitel.

Weihnachtsfreuden.

[34] So war denn auch wieder einmal Weihnachten gekommen, diese frohe und glückselige Zeit für Alt und Jung, – für erstere zum Geben, für letztere zum Empfangen; und wer dabei die größte Freude hat, ist noch unentschieden. Wie bemühen sich die Kleinen vor diesem festlichen Abend, alles Unangenehme, das sie den Eltern zugefügt, vergessen zu machen und sich nur darzustellen in ihren guten und schönen Eigenschaften. Ja, schon vier Wochen vor Weihnachten geht es in den Schulen und zu Haus ungleich stiller her als das ganze Jahr; man hört nicht das verdächtige Klopfen des Lineals, man vernimmt wenig Scheltworte, und wozu früher eine ganze lange Ermahnungspredigt nothwendig war, das thut jetzt ein einfaches Achselzucken und die hingeworfene Bemerkung: »Nun ja, es ist ja nächstens Weihnachten, da wird sich alles Das schon finden.«

Aber nicht blos die Kinder freuen sich unbeschreiblich auf diesen Abend, auch für Manchen der Erwachsenen ist das eine Zeit, wo man gegenseitig auf so ungenirte Art anonyme Geschenke empfangen[34] und machen kann, wo sich so plötzlich auf dem Teller dieser oder jener jungen Dame, oder mit einer zierlichen Aufschrift am Baume hängend, ein kleines elegantes Etui findet, und wenn man es öffnet, darin ein Ring, ein Armband oder dergleichen. – Freilich wird Mama selbst an diesem heiligen Abend die Augenbrauen etwas in die Höhe ziehen, und die jüngeren Schwestern, die noch keine Armbänder bekommen, oder auch die ältere, die keine mehr erhält, verächtlich die Naschen rümpfen und mit Absicht leicht darüber hinweg zu blicken versuchen. – Das thut Alles nichts; wie schon bemerkt, an dem Abend wird Manches verziehen oder Manches geglaubt.

»Ach! dies schöne Geschenk wird von Onkel Karl sein!« sagt die Betreffende, indem sie mit außerordentlicher Geschicklichkeit ein kleines Papierchen verschwinden läßt, das unter dem Armband gelegen. »Ach! Onkel Karl, das ist zu viel! Nein, das ist zu viel!«

Onkel Karl, ein alter geiziger Hagestolz, steht daneben mit einem höchst dummen und verblüfften Gesicht; und befindet er sich augenblicklich unter dem Einfluß von einiger Geistesgegenwart, die ihm aber gewöhnlich mangelt, so macht er grinsend ein breites Maul, lächelt ziemlich blödsinnig und ist unverschämt genug, die warmen Küsse seiner lieblichen Nichte für Rechnung eines Anderen in Empfang zu nehmen.

Du erinnerst dich gewiß, theurer und geneigter Leser, so lebhaft wie wir dieser herrlichen schönen Weihnachtszeit. Du kannst das nicht vergessen, nicht einmal in dem schlimmen Falle, wenn du selbst lange, lange Zeit hindurch Niemand etwas Gutes mehr bescheert hast, oder wenn dir ein böses Schicksal während vieler Jahre nur Fußtritte oder Ohrfeigen gab. Ja, auch dann wirst du dich, wenn auch wehmüthig, jener Zeit erinnern, wo du zum letzten Male etwas Angenehmes bescheertest oder wo dir etwas Angenehmes bescheert wurde. –[35]

Ach! es ist etwas so Köstliches um die Erinnerung, um eine angenehme Erinnerung, und wenn wirklich deine Seele schon lange mit dickem Staube bedeckt ist oder sich dein getäuschtes und verrathenes Herz mit einer festen Schale umzogen – an diesem Abend steigt jener auf, zerschmilzt diese, und du fühlst, wie dich ein süßer Schauer durchzieht – wenn du das nämlich fühlen willst – seltsame Töne, bunte, glänzende Bilder, und alles Das eingehüllt in den wohlbekannten Duft der Tannennadeln und des herabträufelnden Wachses.

Dann eile hinaus auf die Straße, um dich unter den Glücklicheren umzuschauen, selbst wenn es nebelt oder sogar einzelne Schneeflocken vom dunkeln Himmel herab dich in großen Kreisen umflattern und zuletzt auf deiner Nase oder deiner Wange zerschmelzen. Das gehört mit zum heiligen Christtag, und ist das wilde Wetter zuweilen liebend den Tausenden von Tannenbäumen nachgezogen, die man aus dem finstern Wald hieher versetzt.

Wer achtet aber dieses Wetters? – Niemand. Selten siehst du einen Regenschirm aufgespannt, und die Damen behelfen sich sogar, indem sie dichte Kaputzen über den Kopf ziehen und von unten mit soliden Ueberschuhen verwahrt sind. Man hat auch keine Zeit, nach dem Wetter zu sehen oder den Regenschirm zu balanciren; man muß nur dafür sorgen, daß man nicht an die Begegnenden anstoßt und daß man seine kostbaren Waaren unversehrt nach Hause bringt.

Die schönste Stunde an diesem Abend ist gleich nach der Dämmerung, wenn die Ladendiener eilfertig die Gaslampen angezündet haben, und wenn es nun wie ein Aufschrei höchster Lust durch die Glasschränke zieht, wenn Alles heller wird als am Tage; denn die Sonne vermag nicht in den dunkeln Winkel zu dringen, wo die Schaukelpferde stehen, oder dort hinten in die Ecke neben dem Ofen, wo sich die hölzernen Gewehre, die Säbel, Schwerter und Peitschen befinden.[36]

Jetzt aber strahlt Alles von Licht und Glanz.

Es glänzt das Gold auf den Helmen und Harnischen der Rittersmänner, man sieht die Mähnen der Rosse flattern, und hell strahlen die Fenster dieses Schlosses oder jener Burg.

Wie galoppiren die Pferde dort vor der reichen, bunten Karosse, wie anmuthig lächelt die Dame in derselben, und wie greulich verzieht der edle Nußknacker sein häßliches Gesicht! Sollte man doch glauben, er schiele ordentlich links hinüber nach jener großen schönen Puppe in weißem gesticktem Atlaskleide mit wirklichen Schuhen an den Füßen und ächtem Haar auf dem Kopfe. Dieses Gesicht ist aber auch der Mühe werth, betrachtet zu werden: die runden, schneeweißen Wangen, angetupft mit einem zarten Roth, der zusammengezogene Mund, so klein, daß er gar nicht in Betracht kommt, die unbedeutende Nase und hauptsächlich die großen blauen Augen von unaussprechlichem Glanze und einem Ausdruck, der über alle Beschreibung geht. Sie blickt verwundert vor sich in das Gewölbe und, wie in tiefe Gedanken versunken, schaut sie keine Menschenseele an, sondern starrt weit, weit hinaus in die unmeßbare Ferne. –

Jeder aber ist wie gesagt an diesem Abend eilig und hat für den besten Freund keine Zeit; Der hat dies, Jener das vergessen, und da heute Abend Mägde und Knechte alle Hände voll zu thun haben, so muß er selbst rennen und laufen, um das Versäumte herbei zu holen.

»Da wäre ich schön angekommen,« sagt ein dicker Herr im Laden zu einem sehr dürren, der Wachslichter aufsucht, »meine Frau hat sich ein Portemonnaie gewünscht, wie sie es vor acht Tagen bei der Staatsräthin gesehen. Wissen Sie, von dänischem Leder mit Stahlschloß; ich versichere Sie, bester Freund, es ist gut, daß es mir jetzt noch einfiel, ich hätte böse Feiertage gehabt.«

»So kann man Unglück haben!« ruft ein anderer Herr, der eilig in den Laden tritt. – »Bitte um neue Glaskugeln,« sagt er[37] zu dem Ladendiener, der mit offenem Munde herbeieilt. »Da sehen Sie die Bescheerung!« wendet er sich an den dicken Herrn, »gehe ich noch von hier aus zur Putzmacherin – sie hat die Sammetmantille für Madame noch nicht geschickt – und da ich warten soll, setze ich mich nieder auf einen Stuhl und auf die Glaskugeln. Es ist nur ein Wunder, daß mir kein Scherben irgendwo eingedrungen ist. – So. – Wie viel macht's?«

»Einen Gulden und zwölf Kreuzer.«

»Hier sind sie. – Gute Nacht, ihr Herren, vergnügte Weihnachten!«

Wer aber auch nicht im Stande ist, Glaskugeln, Sammetmantillen oder Portemonnaies zu kaufen, wie sie die Staatsräthin hat, ja wer es kaum zu einem verkrüppelten Tannenbaume und zu einigen vergoldeten Nüssen zu bringen vermag, freut sich des Lebens und ist mit den Seinigen heiter und guter Dinge. Das höl zerne Pferd, das der Vater geschenkt erhielt, wird auf's Künstlichste wieder hergerichtet, die Mutter macht einen neuen Zaum, der Vater einen superben Schweif von Baumwolle, der aus der Dintenflasche schwarz gefärbt wird. Am Baume hängen ein paar Brezeln oder einige Wecken an Schnüren, auf dem Tische liegen die neuen Höschen und das neue Wamms mit glänzenden Knöpfen besetzt, und mit weit aufgerissenen Augen wird alles Das betrachtet, bis auf die Ruthe, die am Baume schwebt, und die verstohlene, ehrerbietige Blicke auf sich zieht.

Selbst die Armen, denen zu Haus kein Weihnachtsbaum glänzt, denen Vater und Mutter nichts zu bescheeren im Stande sind, erfreuen sich am heutigen Abend der allgemeinen Pracht und Herrlichkeit und es muß schon ein besonderer Segen in der heutigen Nacht über alle Menschenkinder ausströmen, der Neid und Mißgunst nicht aufkommen läßt; denn die Kleinen da draußen vor dem Fenster, die soeben noch frierend durch die Straßen zogen, bleiben jetzt plötzlich stehen, wenn sie den herrlichen Lichterglanz erblicken,[38] klettern an das Fenster des Erdgeschosses empor und blicken mit leuchtenden Augen so lange in die hellbestrahlte Stube auf den Tannenbaum mit den vielen Lichtern, auf all' die seltsamen Spielsachen, bis der Hauch ihres eigenen Mundes die Scheibe trübt und Alles in einen dichten Nebel verschwimmt.

Wenn aber ein gutes Kind drinnen im Zimmer sieht, daß vor dem Fenster so arme kleine Geschöpfe stehen, denen der heilige Christ am heutigen Abend nichts bescheert als Hunger und Kälte, so erbittet es sich von den Eltern etwas Spielzeug und Backwerk, öffnet leise das Fenster und reicht es den armen Kindern hinaus. Die nehmen es, und geblendet von dem Lichterglanz glauben sie vielleicht, es sei am Ende das Christkind selbst gewesen, das ihnen bescheert, und eilen mit dieser frohen Botschaft nach Hause, indem sie das, was sie erhalten, freudestrahlend vorzeigen.

Dazu läuten die Glocken der Kirche, die tiefen Töne der Orgel dringen aus den geöffneten Thüren hervor, und die Menge strömt ab und zu, um die Krippe mit dem heiligen Christus zu sehen, die am Hochaltar enthüllt wird. Der Boden der Kirche ist feucht und die Fußtritte hallen wider auf dem Steinpflaster; die Regenschirme und nassen Mäntel verbreiten einen sonderbaren Geruch, und dazu duftet der Weihrauch so bekannt und angenehm. Man verrichtet sein Gebet, eilt wieder hinaus, und vor der Kirchenthüre blickt man aufwärts, ob der Himmel ein freundliches Gesicht mache und gute Feiertage verheiße. – Ah! es sind da viele schwarze Wolken: doch wird es über uns an einer kleinen Stelle heller und es erscheint ein schöner blauer, sanft strahlender Stern. Der ist vielleicht ein Prophet für gutes Wetter, oder es ist auch jener Stern, der sich immer über der Krippe des kleinen Christkindes zeigt und dem die heiligen drei Könige nachgegangen. – Ja, der muß es sein, – geschwind nach Hause, das muß man den Kindern erzählen! –

Wenn an einem solchen Christabende die Menge der Käufer[39] und Käuferinnen anfängt, in den Gewölben nachzulassen, – das geschieht nun nach sechs Uhr, – so werden die meisten der Läden geschlossen, damit auch die den ganzen Tag so beschäftigten Leute jetzt schon ihren Feiertag beginnen können; oder man läßt vielleicht noch zur Beaufsichtigung des Ganzen eine der Ladenjungfern zurück, die sich alsdann verdrießlich an den Tisch setzt, den Kopf auf die Hand stützt und wohl an ihre Heimath denkt, wo jetzt Alles heiter und vergnügt um den Christbaum steht, während sie hier noch ein paar Stunden allein sitzen muß. Das Geschäft darf noch nicht geschlossen werden: es könnte vielleicht noch ein verspäteter Kunde etwas brauchen.

Diese Vorsicht war denn auch in einem der größten Läden der Hauptstadt nicht unnöthig, und die junge Dame, welche hier saß, hatte sehr Unrecht, als sie soeben einen kleinen Monolog hielt, worin sie von hartem Dienste sprach und von überflüssigen Quälereien, die darin beständen, noch hier sitzen zu müssen, nachdem schon Alles längst auf seine Zimmer gegangen; – denn kaum hatte sie ihn beendigt, so fuhr ein Wagen dicht vor die Ladenthüre, und ein Herr, der darin saß, öffnete den Schlag selbst, sprang heraus und trat in das Gewölbe.

»Schon dachte ich, es wäre auch hier geschlossen,« sagte er laut und lustig, »und das wäre mir äußerst unangenehm gewesen, denn ich muß Sie noch bei spätem Abend bemühen und Sie um das Neueste bitten, was es in kleinen seidenen Halstüchern für Damen gibt.«

»Ah! Herr Doktor!« versetzte das Mädchen, das eifrig aufgesprungen war. »Wir werden nur heute Abend bei Licht die Farben nicht recht unterscheiden können, das nimmt sich Alles bei Tage anders aus.«

»Sie haben vollkommen Recht, mein Kind,« entgegnete der Herr; »aber meine Zeit am Tage ist außerordentlich kostbar, namentlich im Winter, wo es so viele Kranke gibt. – Und dann[40] verlasse ich mich auf Ihren Geschmack. – Bringen Sie auch sogleich einen Carton mit Damenhandschuhen, davon kann ich auch etwas brauchen,« rief er dem Mädchen nach, das nach dem Hintergrunde gegangen war, um das Verlangte zu holen. – »Gott! ich hätte beinahe den ganzen Weihnachtsabend vergessen!«

»Das würde der Frau Doktorin nicht lieb gewesen sein,« sprach lächelnd die Ladenjungfer, indem sie die beiden Schachteln auf den Tisch stellte. – »Aber das ist Ihr Scherz, und Sie haben gewiß schon seit mehreren Tagen prächtige Sachen für die lieben kleinen Kinder bereit liegen.«

»Ah! das will ich meinen!« erwiderte der Herr; »den Kindern eine Freude zu machen ist leicht; man findet da immer Geschichten, die ihnen gefallen. Aber bei den Erwachsenen – ist das oft unendlich schwer,« setzte er leise hinzu.

»Sehen Sie, Herr Doktor, diese kleinen Shawls sind das Neueste, was wir haben – und sehr elegant.«

»Ja, – nicht übel. Nehmen wir zwei: einen rothen und einen blauen, ich weiß nicht, welche Farbe meine Frau am liebsten hat. – Nun zu den Handschuhen!«

Während das Mädchen den Carton öffnete, der das Verlangte enthielt, und die zierlichen Pakete heraus legte, trat ein anderer Herr in den Laden, nahm unter der Thüre seinen Hut ab und schlenkerte ihn hin und her, um einige Schneeflocken zu entfernen, die darauf gefallen waren, da er keinen Regenschirm bei sich hatte. Dann bedeckte er sich wieder und trat an den Ladentisch.

Dieser Herr trug eine Brille, und da ihm die Gläser derselben plötzlich anliefen, als er in das erwärmte Gewölbe trat, so zog er sein Sacktuch heraus, nahm die Brille herunter und putzte sie sorgfältig rein, wobei er mit dem eigenthümlichen Blick, den die Kurzsichtigen gewöhnlich haben, vor sich hinstarrte.

Das Mädchen bot ihm freundlich einen guten Abend.

»Wählen Sie für mich,« sagte der Doktor, der über die[41] Handschuhpakete gebeugt stand, »nehmen wir meinetwegen zwei Dutzend, Numero sieben hat meine Frau; die Farbe will ich Ihnen überlassen.«

Der andere Herr hatte seine Brille schnell wieder aufgesetzt, blickte den, der eben sprach, von der Seite an, und dann klopfte er ihm leicht auf die Schulter.

Der Doktor richtete sich in die Höhe.

»Ah! du bist es, Alfons,« sagte er. »Was treibt denn dich so spät hier in den Laden?«

»Oh!« erwiderte dieser, »wahrscheinlich dasselbe, was dich hieher führt. Ich brauche ebenfalls noch ein paar Kleinigkeiten für heute Abend. – Ihr kommt doch auch zu uns?«

»Zur allgemeinen Bescheerung; das versteht sich von selbst. Ah! da haben wir noch nie gefehlt.«

»Diese Farben sind schön,« meinte das Ladenmädchen, indem sie die ausgesuchten Handschuhe vor den Doktor niederlegte, »es ist die gleiche Qualität, die Ihr Herr Schwager vorhin gekauft, nur habe ich andere Farben ausgesucht.«

»So, du hast auch Handschuhe für deine Frau gekauft?« versetzte der Doktor mit gleichgiltigem Tone. Da er aber hiebei den Blick auf die seinigen warf, so bemerkte er nicht, daß Alfons in diesem Augenblicke auf höchst unangenehme Art sein Gesicht verzog.

»Ja, ich habe auch Handschuhe gekauft,« erwiderte dieser nach einer Pause, »natürlich für Mariannen, aber – – nicht zum heutigen Abend; dafür habe ich schon andere Sachen. Ich werde ihr die Handschuhe gelegentlich nächster Tage geben. – Hast du denn schon zu Hause den Kindern bescheert?« fragte er darauf, um von etwas Anderem zu sprechen.

»Nein, nein,« antwortete der Doktor lustig, »das kommt noch und ich freue mich darauf, als wenn ich selbst ein Kind wäre. Wenn man so den ganzen Abend wie ich, in den verschiedensten Wohnungen herumkommt, und bald hier bald dort jubelnde Kinderstimmen[42] hört, oder den Lichterglanz sieht, wenn sich in irgend einem dunkeln Gange plötzlich eine Thür öffnet, und wenn man das Alles so aus der Ferne und eigentlich theilnahmlos mit ansehen muß, so ist man ordentlich begierig darauf, dies Fest auch bei den Seinigen zu feiern.«

»Aber der Herr Doktor haben doch heute Abend schon bescheert,« sagte lächelnd das Ladenmädchen; »als Sie Nachmittags vorbei fuhren, reichte man dem Kutscher von dem Hause gegenüber eine ganze Menge Sachen in den Wagen hinein.«

»Ei, ei! der Herr Doktor!« sprach Alfons, indem er unangenehm lächelnd seine Augenbrauen in die Höhe zog.

»Es war nur Kinderspielzeug,« fuhr das Ladenmädchen fort.

»Ei der Tausend! auch Kinderspielzeug?« meinte Alfons forschend. »Doch nicht für deine eigenen!«

»O nein,« entgegnete unbefangen der Doktor, während er den listig aussehenden Schwager mit seinem offenen, ehrlichen Gesichte ruhig anblickte. »Ich habe so arme Kinder in meiner Kundschaft, die von keinem Menschen etwas erhalten, und da habe ich's mir angewöhnt, dieselben am heiligen Christabend ein wenig zu bescheeren; es schmerzt mich ordentlich, wenn ich so arme Geschöpfe bei ihrem Brod und ihren Kartoffeln, oftmals im kalten Zimmer sitzen sehe und dabei an mein Haus denke, wo Oskar und Anna sich in der behaglichsten Umgebung befinden und wenn sie kaum einen vernünftigen Wunsch ausgesprochen haben, dieser auch schon erfüllt ist.«

»Aber, mein lieber Freund,« antwortete Alfons, »diese Ungleichheiten im menschlichen Leben kann man unmöglich ebnen und es muß so sein.«

»Es muß allerdings so sein,« sagte der Doktor, »doch ist es an uns, so viel wir im Stande sind, dem Armen seine Armuth leicht zu machen.«

»Amen!« setzte Alfons spöttisch hinzu. – Dann nahm er noch[43] ein kleines Halstuch, diesmal für seine Frau, wie er sagte, – er schien das vorhin bei dem Handschuhkauf ganz vergessen zu haben, dann wandte er sich an seinen Schwager und sprach: »Du kannst mich wohl an mein Haus führen, es ist für dich kein großer Umweg und draußen regnet und schneit es durcheinander.«

»Das versteht sich von selbst,« erwiderte dieser und bezahlte seine Rechnung. – »Steigen wir ein!«

Die beiden Schwäger verließen den Laden, bestiegen die Droschke des Arztes, und die müden Pferde, die den ganzen Tag auf dem Pflaster herum gelaufen waren, gingen in einem ziemlich kurzen Trabe davon.

Bei dem Hause des Kommerzienraths setzte der Doktor seinen Schwager ab und rief ihm dann zu: »Also bis nachher!«

Jetzt schimmerten erst recht in allen Häusern die Weihnachtsbäume, jetzt konnte man erst recht das Jubeln der Kinder vernehmen; jetzt war Freude an allen Ecken.

Der Arzt blickte gern aus seinem Wagen heraus und freute sich jedesmal, wenn er bei einem so hellerleuchteten Fenster vorüber kam, wenn so die vielen brennenden Kerzchen wie kleine Blitze in seine Augen fuhren, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Er kam am Weihnachtsabend selten so spät wie diesmal nach Hause, doch hatten ihn einige wichtige Krankheitsfälle zurückgehalten; sonst war er es immer, der den Weihnachtsbaum arrangirte, anzündete und dann die Kinder herbei rief. Das Letztere mochte er sich auch heute nicht nehmen lassen, weßhalb er befohlen hatte, mit dem Anzünden zu warten, bis er käme; auch war es noch nicht so spät – erst sieben Uhr – und die Hoffnung auf bevorstehende Bescheerung ist schon im Stande, die kleinen Kinderaugen offen zu halten.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Hackländer: Europäisches Sklavenleben, 5 Bände, Band 3, in: F.W.Hackländer’s Werke. Stuttgart 31875, S. 34-44.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.

180 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon