73.

Erinn're dich, wie sich verstohlen

Dein holder Blick mir zugewandt,

Und klar auf meinem Angesichte

Der Schriftzug deiner Liebe stand;

Erinn're dich, wie mich dein Auge

Getödtet durch des Vorwurf's Macht,

Und deine Lippe, Zucker kauend,

Das Wunder 'Îsa's dann vollbracht;

Erinn're dich des trauten Kreises,

Wo wir genossen Morgenwein:

Der Freund nur war und ich zugegen,

Und mit uns war nur Gott allein;

Erinn're dich, wie um die Mütze

Mein Mond gebunden sich ein Band

Und wie – ein Bote, weltdurchmessend –

Der Neumond ihm am Bügel stand.

Erinn're dich, wie ich die Schenke,

Als Trunk'ner mir zum Sitz erwählt

Und wie ich endlich dort gefunden,

Was heute in Moscheen fehlt;

Erinn're dich, wie laut zu lachen

Der Onix des Pocales schien,

Und wir Geschichten uns erzählten,

Ich und dein reizender Rubin;

Erinn're dich, wie deine Wange

Das Licht entflammte meiner Lust,

Und ungescheut ich es umkreiste

Als Falter mit verbrannter Brust;

Erinn're dich, wie beim Gelage,

Das sonst der Anstand überwacht,

Der Morgenwein es war gewesen,

Der wie ein Trunk'ner aufgelacht;

Erinn're dich, wie deine Sorge

Stets an den rechten Platz verwies

Die Schnüre ungebohrter Perlen,

Die Dichterschätze des Hafis.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 489-491.
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