Harvstehude

[323] Ich bin ein Freund der Klosterländer,

Und gönn' und wünsch' insonderheit

Den rechten Kern der Segenspfänder

Der jüngferlichen Geistlichkeit.

Was Heilige für sich verwalten,

Das kann, das wird, das muß gedeihn,

Und frommer Schwestern Wohlverhalten

Sollt' immer reich an Pfründen sein.
[323]

Ihr edlen Johanniterinnen,

Euch strömen Gut und Ehre zu;

Ihr seid ein Muster keuscher Sinnen

In Harvstehudens sichrer Ruh'.

Wie selten höret ihr die Klagen

Der buhlerischen Schmeichelei!

Euch drücken keine Landesplagen,

Kein Alp und keine Ketzerei.


Nichts ist so schön als Harvstehude,

Und darum ist es Eurer werth,

Wo auch der allerkärgste Jude

Den Silberling mit Muth verzehrt.

Das schwör' ich bei der alten Linde,

In der so mancher Vogel heckt,

Die gegen wilde Wirbelwinde

Mit neunundneunzig Aesten deckt.


Hier gehet in gewölbten Lüften

Die Sonne recht gefällig auf,

Und lachet den beblümten Triften,

Und sieht mit Lust der Alster Lauf.

Oft taucht sich hier ein schöner Schwimmer

In ihrer Strahlen Wiederschein,

Und oftmals heißt ihr erster Schimmer

Sogar die Thiere fröhlich sein.


Wir steigen bei den schlanken Weiden

Aus Arch' und Nachen an den Strand,

Und dann begleitet unsre Freuden

Lenz oder Sommer auf das Land.

Flugs kömmt der aufmerksame Toppe

So freundlich und so tiefgeneigt,

Als an dem Boberfluß ein Stoppe

Den Sättler guten Freunden zeigt.


Er selber siehet mit Ergötzen,

Daß diese Gegend uns gefällt,

Und gibt uns von den besten Schätzen,

Die seines Kellers Kluft enthält.[324]

Er spricht fast, wie Achill gesprochen:

Herr Phoenix, Ajax und Ulyß ...

Die Herren setzen sich ... wir kochen,

Und reiner Wein erfolgt gewiß.


Wo findet man so gute Wirthe,

Als an den Helden jener Zeit?

Wann sich ein Wandersmann verirrte,

So stand für ihn ihr Haus bereit.

Hier folgt man täglich dem Exempel

Und tränkt und speiset jeden Gast,

Und uns macht diesen Comustempel

Auch ein Cornaro nicht verhaßt.


Man übet hier auf freier Wiese

Bald das Gesicht, bald den Geschmack;

Oft schallt hier bis zur Zirbeldrüse

Ein auserles'ner Dudelsack:

Und weil auch für gelehrte Männer

Der Thorweg schuldigst offen steht,

So kommen hier die Funkenkenner

Und sehn die Elektricität.


Vielleicht wird jetzt mein Lied gerathen;

Ein neuer Anblick gibt ihm Kraft:

Der Hügel der Licentiaten,

Die Landung einer Hauptmannschaft.

Doch wie? Ein Schwätzer kömmt gegangen,

Der Lust und Einfall unterbricht.

O hätt' ich nur nicht angefangen!

Genug! Ich dichte weiter nicht.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 323-325.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon