[105] Schauplatz wie im vorigen Akte; Ingomars Speer und Schild, wie früher, an den Baum gelehnt; das Feuer unter dem Kessel erloschen.
Ingomar, in Gedanken versunken, tritt mit Alastor links im Vordergrunde auf.
ALASTOR die angefangene Rede beschließend.
Und darum senden mich die andern nun,
Bei dir, als unserm Führer, anzufragen,
Was du beschließest, wenn es heimwärts geht? –
INGOMAR halblaut vor sich hinsprechend.
Ich will ihr sagen – Nein, das nicht! Beim Himmel,
Es könnte scheinen – Nein, ich will ihr sagen,
Daß ich zufrieden bin mit ihrem Dienste,
Daß ich –
ALASTOR.
Du hörst nicht, scheint es –
INGOMAR.
Ich – Sieh da,
Alastor – Ja, du kamst und sagtest mir –
ALASTOR.
Ich sagte dir, der Bach sei ausgefischt,
Verscheucht ringsum das Wild in allen Wäldern,
Und kaum genüg' die Weide mehr den Herden.
INGOMAR.
Ja, ja, das war's!
ALASTOR.
Auch rückt die Zeit heran,
Die unser Volk daheim, um alte Schmach
Zu rächen, festgesetzt zum Fehdezug
Ins Land der Allobrogen.
INGOMAR.
Wie – ganz recht –
Der Fehdezug – ganz recht – so war's beschlossen –
ALASTOR.
Und jene fürchten nun dabei zu fehlen –
INGOMAR.
Dabei zu fehlen – Ich – der Ingomar!
Eh' fehlt dem Wetter Donnerschlag und Blitz,
Als ich dem Kampfe!
ALASTOR.
Nun, wir dachten's wohl,
Und so sag' an, wann denkst du aufzubrechen?
INGOMAR halblaut vor sich hinsprechend.
Aufbrechen soll ich – heimwärts ziehen – heimwärts?
In ihre Heimat, in die meine nicht! –
Denn mir, mir ist, als wär' ich hier daheim,
Als wär' ich hier geboren, hätte hier
Zuerst zum Licht die Augen aufgeschlagen,
Als wär' ich nie gewesen, als erst hier! –
Laut.
Wo sind die andern?[106]
ALASTOR.
Dort im Moos gelagert,
Am Waldsaum nehmen sie das Frühmahl ein.
INGOMAR.
Gib ihnen Met, solang der Vorrat reicht,
Und laß sie trinken! –
ALASTOR.
Wie, so brechen wir
Nicht auf?
INGOMAR.
Ich will bis morgen mir's erwägen –
ALASTOR.
Bis morgen –
INGOMAR.
Ja! Bis morgen, sag' ich. Geh!
ALASTOR.
Verändert scheinst du mir in Wort und Wesen,
Und kaum mehr kenn' ich dich! Wohlan, bis morgen!
Und kehre mit des Morgens lichtem Strahl
Besonnenheit und Einsicht dir zurück.
Er geht links im Hintergrund ab.
INGOMAR.
Mich kaum mehr kennen! Recht, das trifft ins Leben!
Ich kenn' mich kaum mehr selbst! Wie kommt das nur?
Ich bin wohl krank? Ja, ja, das mag es sein;
In Fieberträumen spinnt mein Geist sich ein,
Und irrend da und dorthin schweift die Seele!
Er wirft sich auf den Felsblock rechts im Vordergrunde; nach einer Pause.
Ich traf einmal ein Reh mit meinem Pfeile,
Und neben meinem Opfer, das ringsum
Das Moos mit seinem Herzblut tränkte, stand
Das Rehkalb da, unkundig der Gefahr,
Ja selbst des Endes, das die Mutter nahm;
Denn ganz noch Anfang war sein junges Leben. –
Und als ich näher trat, auf meine Schultern
Das tote Wild zu laden, lief mir's zu,
Und Futter nahm es an aus meiner Hand
Und sah mich arglos an mit klugen Augen!
Und immer dieses Auges mußt' ich denken,
Sooft ich in des Mädchens Auge sah;
Bald sprüht es Trotz, bald strahlend von Vertrauen
Läßt sorglos es den Grund der Seele schauen –
Der Kinderseele –
Aufspringend.
Sie und wieder sie –
Und immer sie – Bei allen Göttern – Wie,
Hat Ingomar an Beßres nicht zu denken
Als an ein Weib, an einer Sklavin Augen? –
Becherschall und wüstes Trinkgelärm außer der Bühne.
Die jauchzen dort, und wie der Kriegsruf kündet,
Der freudig in der Becher Klang sich mischt,[107]
Würzt ihre Mahlzeit künft'ger Siege Bild;
Sie kämpfen schon im Geist und tilgen rächend
Der Väter Schmach in Allobrogenblut,
Und ich – Hinweg, ihr kränkelnden Gedanken!
Das Sturzbad wilder Schlacht kühlt heiße Schläfe,
In Feindesadern quillt der Heilung Born,
Und öffnen will ich sie und will genesen!
Mir Waffenklang und Kampf und Siegeslust;
Was sind mir Weiber –
Freilich sie – sie scheint
Aus anderm Stoff genommen als die andern,
Und denk' ich jener dort daheim, gehüllt
In zottig rauhe Felle, sonngebräunt,
Den Leib mit plumpem Zierat überladen,
Der Knechtschaft froh, mit schnöden Buhlerkünsten
Demütig werbend um des Herren Gunst,
So faßt mich Ekel an – und sie, die Griechin –
Becherschall und Zuruf außer der Bühne.
Kampf, ruft ihr – Kampf – Umsonst, kein Widerhall
Antwortet euch in meines Herzens Schlägen! –
Krank bin ich, krank, was immer auch mir fehle,
Ich fühl' es, krank im tiefsten Mark der Seele!
Er wirft sich wieder auf den Felsblock, während Parthenia rechts im Vordergrunde mit einem Körbchen am Arme auftritt und langsam, ohne Ingomar zu bemerken, dem Vordergrunde links sich zuwendet.
PARTHENIA.
Jetzt sitzen sie daheim und härmen sich
Und denken mich gequält, mißhandelt, tot;
Und wieviel besser ist mir's nicht ergangen,
Als sie befürchten, als ich selbst gehofft!
So träumt der Mensch, und nur die Götter wachen.
Es ist so schlimm nicht, dies Barbarenvolk,
Zwar wild und rauh und ungezähmter Sitte,
Doch treibt sie all' der Ingomar zu Paaren,
Und sieht er selbst gleich oft so grimmig drein,
Als wollt' er mir zum mindesten ans Leben,
So hat's mit dem doch eben nicht Gefahr;
Den fürcht' ich nicht, der läßt sich wohl bereden,
Der ist der Beste aus der ganzen Schar! –
Auf den Felsblock zugehend und Ingomar bemerkend.
Sieh da –
INGOMAR.
Du hier! Woher des Weges?
PARTHENIA.
Erdbeeren pflückt' ich dort im Busch! Sieh her,
Das volle Körbchen! Willst du?[108]
INGOMAR.
Nein, nein!
PARTHENIA.
Nein! –
Dank, denk' ich, wär' so leicht gesagt als: Nein!
Dank, hörst du – Wie – was starrst du mich so an?
Du bist doch nicht –
INGOMAR.
Was sollt' ich sein? – Hinweg,
Ich will allein sein! Geh!
PARTHENIA.
Das mag geschehen!
Sie geht.
INGOMAR aufspringend.
Du gehst, Parthenia! Nein, bleib bei mir! –
Mein Kopf ist wüst, und meine Pulse fliegen.
PARTHENIA rasch umkehrend.
So bist du krank! Und sprich, was fehlt dir? Rede!
Ich hab' der Mutter manches abgelauscht
Und Kräutertränke weiß ich zu bereiten,
Bannsprüche gegen Schwindel herzusagen!
Was fehlt dir? Rede!
INGOMAR.
Nichts! Jetzt fehlt mir nichts!
Dein Atem, dünkt mich, löscht die Flamme aus,
Die Fieberbrand im Herzen mir entzündet,
Und deine Stimme sang das kranke Kind
In Schlaf! Doch früher – Wirre Träume faßten
Wie Wirbelwind die kreisenden Gedanken –
PARTHENIA.
Nun aber bist du wach?
INGOMAR.
Vom Zechgelag,
Vom Taumel der Genossen treibt mich's fort,
Mein Ohr flieht Schlachtenruf und Klang der Waffen;
Nach Stille lechzt mein Herz und träumt und träumt,
Errötet seines Traums und träumt ihn wieder –
Parthenia, ich wollt', du wärst ein Mann –
PARTHENIA.
Ein Mann?
INGOMAR.
O dann wär' alles, alles gut!
Du wärst mein Jagdgenoß, mein Waffenbruder,
Ich ginge wie dein Schatten neben dir,
Ich wachte, wenn du schliefst, ich trüg' dich, wärst
Du müde! Wie der Fels den Klang des Hornes,
Und wie der Bach der blauen Blume Schein,
Die blüht an seinem Rand, so gäb' mein Sinn
Nachbildend deiner Seele Regung wieder!
Dein Lächeln wäre meins, dein Schmerz wär' meiner,
Des Lebens ganzen Inhalt teilten wir;
Das Eigenste, Geheimste selbst der Seele,[109]
Des Herzens Schlag, die Keime der Gedanken –
Plötzlich innehaltend.
Ihr Himmlischen –
PARTHENIA.
Was hast du? Rede,
Was weht dich an?
INGOMAR langsam vor sich hinsprechend.
»Zwei Seelen und ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag!« –
PARTHENIA.
Das ist das Lied, das mich die Mutter lehrte.
INGOMAR halb für sich.
Das ist das Lied, das mir den Sinn verkehrte,
Das war der Blitz, der das Gewölk zerriß!
PARTHENIA.
Nun träumst du wieder, scheint es –
INGOMAR.
Sprachst du nicht,
Lieb' sei ein Feuer, das ein Blick entzündet,
Das Träume nähren! – Ja, sie nährten es,
Und hoch zum Himmel schlagen seine Flammen!
PARTHENIA.
Wie? – Liebe, sagst du? –
INGOMAR.
Liebe, sprach die Mutter,
Lieb' sei ein Stern, zum Himmel uns zu führen,
So komm denn, komm! Es schimmern seine Strahlen,
Und hell und heiter liegt der Weg vor uns!
PARTHENIA.
Sein Auge funkelt, seine Wangen glühen! –
Ihr ew'gen Götter!
INGOMAR.
Laß die Götter oben
Im Schoß der Wolken ruhen! Nahmen sie
Mit sich doch, was die Welt an Reiz besessen;
Nur Liebe, sagst du, hätten sie vergessen,
So laß uns liebend selig sein, wie sie!
Parthenia, sei mein!
PARTHENIA.
Hinweg, du rasest!
INGOMAR.
Bei allen heißen Träumen meiner Nächte,
Bei allen Flammen, die mein Herz durchwühlen;
Der Becher schäumt, er soll getrunken sein –
Mein bist du, mein! –
PARTHENIA ängstlich zurückweichend.
Wo berg' ich mich? Zurück!
INGOMAR.
Mein bist du –
PARTHENIA den Dolch rasch gegen die eigene Brust zückend.
Steh! Es gilt mein Leben.
INGOMAR.
Halt!
Halt ein! Das Eisen weg! –
Sie halb bestürzt, halb unwillig von der Seite ansehend.
Wie ist mir nur –[110]
Was hält mich – Bin ich nicht ihr Herr? Ist sie
Nicht meine Sklavin? – –
Zornflammend blitzt ihr Auge auf mich her;
Ich hab' mich nie gefürchtet, und mir ist,
Als zwänge Furcht mir jetzt die Augen nieder!
PARTHENIA.
Ich Unglücksel'ge!
INGOMAR.
Unglückselig? – Wie,
Ich hab' dich wohl erschreckt; ich war zu rasch!
Doch rasch ist meine Art, und rauh mein Wesen,
Und Liebe –
PARTHENIA.
Liebe! Das war Liebe nicht!
Ich liebte nie und niemand als die Eltern,
Und dacht' ich je wie andere daheim,
Um Liebe mich der Heimat zu entfremden.
So dacht' ich mir, es müßt' ein treu Gemüt
In scheuem, leisem, zärtlichem Bestreben
Mich halb bezwingen, halb sich mir ergeben;
Es müßt' in mir den eignen Wert verehren,
Empfangen alles wollen, nichts begehren;
Es müßt' mich schützen wollen, leiten, tragen –
Doch was verschwend' ich Worte nur an dich!
Sie will gehen.
INGOMAR ihr in den Weg tretend.
Bleib, sag' ich, bleib! Unwürdig achtest du
Mich deiner Worte? Weißt du, wer ich bin?
Ich bin ein großer Häuptling, klangvoll tönet
Durch alle Berge meiner Taten Ruf;
Ich bin dein Herr, und ehren, mein' ich, sollte
Dich deines Herren Gunst, und so bedenke,
Wer ich bin, und wer du?
PARTHENIA.
Wer ich bin? Ich! –
Parthenia bin ich, zwar des Myrons nur,
Des Waffenschmiedes, Kind, doch eine Griechin,
Massalias freie Tochter, aufgeblüht
Im heitern Dienste segensreicher Götter,
Genährt an milder Sitte Mutterbrust,
Gewiegt im Arm der Schönheit und des Maßes!
Du aber bist der rauhen Wälder Sohn,
Und wuchsest mit der Wildnis Tieren auf,
Und wärst du auch der Erste deines Volkes,
Uns bist du ein Barbar, ein Landverwüster,
Ein Rinderdieb, und wisse, wir daheim,
Wir stäupen Diebe aus und kreuz'gen Räuber!
INGOMAR.
Vermessene![111]
PARTHENIA.
Und nun, da dies gesagt,
Nun atm' ich auf, und nun bedenke du,
Wer du bist, und wer ich?
INGOMAR.
Wie, wagst du – Hohn
Und Spott – mir Hohn! – Nun denn, bei allen Göttern,
Erfahre, Sklavin, wie man Sklaven zwingt!
PARTHENIA.
Ihr zähmt mit Durst und Hunger sie vielleicht,
Ihr lehrt sie wohl mit Geißelschlägen Liebe?
Doch Sklaven lieben nicht; sie fürchten nur
Und hassen, und so hass' ich dich, und nichts,
Nichts, wisse, wird Gewalt von mir ertrotzen,
Als eins, das schlimmer noch als Haß –
INGOMAR.
Verstumme!
Bei meinem Zorn! Kein Wort mehr –
PARTHENIA.
– als Verachtung!
INGOMAR.
Das büß' mit deinem Blute!
PARTHENIA.
Nimm es hin!
INGOMAR der mit gezücktem Schwerte auf Parthenia zugestürzt, plötzlich innehaltend.
Nein! Eh' mein Leben!
Das Schwert entsinkt ihm.
Wehe mir!
Ich will und kann nicht! Zorn entflammt mein Blut;
Die Welt und mich möcht' ich in Stücke reißen;
Ich bin nicht ich mehr – Meine Kraft ist hin!
Er wirft sich in der heftigsten Bewegung zu Boden.
PARTHENIA nach einer Pause.
Was war das? Hier sein Schwert zu meinen Füßen,
Das blitzend erst noch meinem Haupt gedroht!
Er hingestreckt und kaum der Sinne mächtig –
Was war das? Tat ich ihm zu hart? Zu hart! –
Wo kam der Zorn hin, der mein Herz erfüllte?
Sein Dünkel – war's auch Dünkel –
Seh' ich recht?
Du weinst – Was weinst du, Ingomar?
INGOMAR aufspringend.
Ich weinen!
Ein Weib mag weinen! Ich – ich weine nicht! –
Krank bin ich, krank! Nichts weiter. Mich verachten!
Der Heimat Ruhm und Stolz, der Feinde Schrecken –
Nach einer Pause, sie ein paar Augenblicke zornig anschauend.
Zieh hin! Ich kann dich missen! Meintest du,
Ich könnt' es nicht? – Ich kann es – Ziehe hin!
Frei bist du, hörst du, frei! Frei wie ich selbst![112]
Zieh hin zur Heimat! Fort! Kein Säumen!
Dein Atem weht mich an mit Fieberträumen,
Dein Blick vergiftet! Fort, zur Stelle fort!
Er stürzt im Vordergrund der Bühne ab.
PARTHENIA.
Er geht und geht im Zorne! – Mag er zürnen;
Gerecht nur war es, seinen Stolz zu kränken,
Wenn prahlend meinen der Barbar verletzt!
Mit Fieber, sprach er, weht mein Hauch ihn an!
Und fort, fort soll ich auf der Stelle! Nun,
Er soll's nicht zweimal sagen – Ich bin frei;
So tragt mich denn zur Heimat, leichte Schritte!
Die Mutter winkt, der Vater öffnet mir
Die Arme –
Innehaltend.
Wie? Und soll in Groll und Hader
Von ihm ich scheiden, der der Knechtschaft Joch
So leicht mir machte, der mir Freiheit gab;
Denn tat er's auch im Zorn, er tat's! Und ich –
Beim Strahl des Tages, ich erwart' ihn hier;
Er muß des Weges hier zurück! Und dann –
Der Augenblick legt wohl das rechte Wort
Mir auf die Lippen, und sein Groll wird fliehen,
Und leichtern Herzens werd' ich heimwärts ziehen! –
Während sie sich auf den Felsblock setzt, auf den sie früher das Körbchen hinstellte, treten Ambivar, Samo und Trinobant, die während der letzten Rede Parthenias im Hintergrunde rechts erschienen sind, allmählich in den Vordergrund.
SAMO.
Bis morgen, sprach er, will er's überlegen!
AMBIVAR.
Und morgen sagt er wieder so, und so
Kommt's nie zum Aufbruch –
TRINOBANT.
Schlag' der Donner drein!
Hier still zu liegen –
AMBIVAR.
Und die Unsern treten
Indes die Heerfahrt an ins Allobrogenland
Und nehmen uns den besten Raub vorweg –
SAMO.
Wir dulden's nicht!
TRINOBANT.
Kommt! Kommt zu Ingomar!
Wir wollen heut noch fort –
AMBIVAR.
Ihr wollt, doch er –
Er liegt im Moos und tändelt mit der Griechin,
Hört Lieder an, läßt Märchen sich erzählen –
TRINOBANT.
Die Griechin, sag' ich, ist an allem schuld,
Die hält ihn –
SAMO.
Ja, das Weib hat ihn verhext!
Sie sprechen leise fort.
[113]
PARTHENIA.
Er kommt nicht! Sagt' er nicht, er fühl' sich krank!
Er sagte so, gewiß, er ist es auch!
Sein Antlitz glühte bald, bald sah er blaß,
So blaß, und wenn er nun – bei allen Göttern,
Mir schlägt das Herz – dort in des Busches Schatten
Verborgen späh' ich seinen Spuren nach! –
Sie geht rasch über die Bühne und verschwindet links im Vordergrunde.
AMBIVAR.
Es ist nicht anders, glaubt mir, als ich sage;
Nicht eher bricht der Ingomar uns auf,
Als bis die Griechin fort –
TRINOBANT.
Doch ist sie sein!
AMBIVAR.
Nichts da! Noch ward die Beute nicht verteilt,
Und unser ist sie noch, so gut als sein!
SAMO.
Recht, unser ist sie!
TRINOBANT.
Und wohin mit ihr?
AMBIVAR.
Ein Fahrzeug, weiß ich, ankert an der Küste;
Kaufleute von Karthago sind es! Seht,
Dort bringen wir sie hin! Die geben Schwerter,
Armbänder, Schuppenpanzer uns für sie.
SAMO.
So sei's!
AMBIVAR.
Ans Werk denn!
TRINOBANT.
Doch der Ingomar,
Wenn er erfährt –
AMBIVAR.
Das mag er, wenn's getan!
Für sich.
Schuft hat er mich genannt, und ich will's sein,
Zahl' heut ich nicht noch meine Schuld ihm heim.
SAMO.
Da kommt sie –
AMBIVAR.
Still! Hierher! Kommt hier herüber!
Sie ziehen sich in den Hintergrund der Bühne rechts zurück, während Parthenia links im Vordergrunde aus dem Gebüsche tritt.
PARTHENIA.
Im Moose liegt er hingestreckt und birgt
Das Antlitz in den Händen, und sie zittern,
Und schwer aufatmend hebt sich seine Brust!
Ist dieses Krankheit, oder –
Ew'ge Götter!
Ich fürchte, mich auch faßt das Übel an!
AMBIVAR der indes mit seinen Gefährten Parthenien, die, in Gedanken versunken, dasteht, unbemerkt näher geschlichen.
Nun angefaßt, Gesellen!
Die Tectosagen fassen sie bei den Armen und halten sie fest.
PARTHENIA.
Halt, zurück!
Was wollt ihr?[114]
SAMO.
Still, mein Hühnchen, still!
PARTHENIA.
Fort! sag' ich, fort –
TRINOBANT.
Still, Mädel, oder –
PARTHENIA.
Nein,
Ihr sollt nicht, laßt –
AMBIVAR.
Ins Dickicht fort mit ihr!
PARTHENIA während sie von den Tectosagen rechts im Vordergrunde der Bühne ins Gebüsch gezogen wird.
So rettet ihr, ihr Rächer in den Wolken!
Helft – rettet –
Schon außer der Bühne.
Ingomar! –
INGOMAR rasch links im Vordergrunde der Bühne auftretend.
Wer rief da? War's
Nicht ihre Stimme?
In die Szene blickend.
Ambivar – Ein Schwert –
Ein Schwert!
Er rafft das Schwert, das er früher fallen ließ, vom Boden auf.
Ha hier, und Blut soll's trinken! –
Rasch im Vordergrunde der Bühne rechts ab; nach einer kurzen Pause stürzt Parthenia aus dem Gebüsche hervor.
PARTHENIA.
Weh mir! Entsetzen!
INGOMAR das Schwert in der Hand, ihr auf dem Fuße folgend.
Bleib, was fliehst du? Bleib,
Ich bin's ja! Ich! – Wie blaß du siehst! – Du wankst,
Parthenia! – Laß meinen Arm dich stützen! –
PARTHENIA.
Weg, deine Hand ist blutig!
INGOMAR.
Er ist tot,
Und möge sein Geschick die andern warnen! –
Du senkst dein Haupt! – So roh und täppisch faßten
Die rohen Hände meine Blume an! –
Was zitterst du – Wärst du verletzt – Verletzt –
Sie sollen's büßen, alle! – Mann für Mann
Im Staube schleif' ich her zu deinen Füßen!
PARTHENIA.
Horch'! Schritte, Waffenklang –
INGOMAR.
Ich bin bei dir,
Und keine Macht der Erde soll dich kränken!
PARTHENIA.
Dort! dort! Weh mir, sie kommen –
INGOMAR.
Laß sie kommen!
wie Adlerflügel rauscht es mir ums Haupt;
Wie Götterweihe zuckt's durch meine Glieder,[115]
Und streckt mich nicht ein Blitz vom Himmel nieder,
All dem, was Menschen können, biet' ich Trotz!
Während der letzten Worte Ingomars sind nach und nach Alastor, Trinobant, Samo, Novio und andere Tectosagen mit Speeren, Schwertern und Keulen bewaffnet, im Vordergrunde rechts in drohender Haltung aufgetreten.
INGOMAR auf sie zuschreitend.
Ihr dort, sagt an, was soll's? Was bringt ihr? Redet!
ALASTOR nach einer Pause.
Blut ward vergossen, und es schreit um Rache;
Du trafst den Ambivar mit deinem Schwert –
INGOMAR.
So tat ich, weil die Hand er frevelnd legte
An diese hier, die mein!
ALASTOR.
Sie ist nicht dein;
Gemeingut bleibt die Beute bis zur Teilung,
So ward beschlossen –
SAMO.
Gib das Weib heraus!
NOVIO.
Ergreift sie –
INGOMAR.
Kommt heran, ihr alle!
PARTHENIA sich Ingomar in die Arme werfend.
Halt!
Zu viel sind ihrer! Halt! Sie töten dich –
INGOMAR.
Weg, Weib, wo Männer streiten! Kommt heran!
ALASTOR zwischen Ingomar und die Tectosagen tretend.
Halt, sag' auch ich, und hört mich an, Gefährten!
Wir wählten dich zum Führer, Ingomar,
Und sprachen dir der Beute Fünfteil zu,
Daß einer sei, der Zwist und Hader schlichte,
Der unsern Vorteil wahre, unser Recht;
Du aber gibst dich träger Ruhe hin
Und eignest trotzig dir die Sklavin zu
Und schlägst in raschem Zorn den Kampfgenossen!
So brachest du, des Rechtes Schutz und Schirm,
Mit doppelter Gewalttat Recht und Frieden
Und übel lohnend ehrendes Vertrauen –
INGOMAR.
Ich brach nicht Recht und Frieden! Jener tat's,
Der, diese raubend, euch wie mich bestohlen
Und sonst auch vielfach sein Geschick verdient!
Was aber eure Wahl betrifft, so wißt:
Ich bin es müd', euch, übermütig Volk,
In Zaum zu halten; wählt denn eure Wege
Von nun an selbst; ich sag' mich los von euch! –
Die hier bleibt mein, der Beute Fünfteil aber,
Mir zugesagt als meiner Mühe Lohn,
Als Wehrgeld nehmt für Ambivar es hin[116]
Und als Ersatz für diese! Geht ihr's ein,
So sprecht; wo nicht, so laßt das Schwert entscheiden!
TRINOBANT.
Der Beute Fünfteil –
NOVIO.
Sagt' er wirklich so?
ALASTOR.
Zehn Rinder fielen mindestens ihm zu,
Das Doppelte an Schafen –
SAMO.
Ei, das wäre!
ALASTOR nach einer kurzen Pause des Flüsterns mit den übrigen.
Ich denke, wir sind einig! Ingomar,
Du forderst keinen Anteil an der Beute?
INGOMAR.
Ich sagte so!
ALASTOR.
So ist die Sklavin dein,
Und lenkst du jetzt zur Heimat unsre Schritte,
So wollen treu, wie vor, wir dir gehorchen.
INGOMAR.
Mein Sinn steht fest! Ich sag' mich los von euch!
Ich will zu unsern Nachbarn, den Avernern,
Den Pyrenäen zu, und neue Länder
Und andre Sitte sehen! Zieht denn hin;
Ich bleibe –
ALASTOR.
Doch bedenk', der Fehdezug
Ins Allobrogenland –
INGOMAR.
Es ward bedacht;
Fahrt hin!
ALASTOR.
Fahr hin auch du! Ihr aber brecht
Die Zelte ab und laßt uns heimwärts ziehen!
INGOMAR während Alastor und die übrigen Tectosagen sich allmählich langsam entfernen, zu Parthenia.
Nun, Mädchen, sei getrost! – Sie ziehen ab,
Und wär' dein Zittern, dein Erbleichen nicht,
Sie kämen nicht so leichten Kaufs davon!
Und nun verscheuch' die Angst aus deinen Zügen;
Hier sitz und ruhe!
PARTHENIA.
Ingomar, hab' Dank!
INGOMAR.
Wie, Dank? Wofür?
PARTHENIA.
Ich weiß, du tatest nur,
Was dir dein Herz gebot; doch daß dein Herz
Dir so gebot, und daß, daheim verhöhnt,
Ich in der Wildnis einen Retter fand,
Dafür laß mich in dir den Göttern danken! –
Gedenke mein, die deiner treu gedenkt,
Und so leb' wohl![117]
INGOMAR.
Leb' wohl – Was sagst du? Wie,
Du willst nicht ins Avernerland mir folgen –
PARTHENIA.
Du schenktest mir die Freiheit, laß mich denn
Zur Heimat ziehen –
INGOMAR.
Ich – Dir Freiheit schenken –
Ich – träumst du? –
PARTHENIA.
Wie? Du nimmst dein Wort zurück?
INGOMAR.
Mein Wort – fürwahr – mir ist, als hätt' ich – Gab
Ich dir mein Wort, so gilt's, und so zieh hin!
PARTHENIA.
Hab' Dank!
INGOMAR.
Nein, nein! Parthenia, mir ist,
Als sollt' kein Tag mehr sein auf Erden, als verlöschte
In ew'ge Nacht der Sonne heitrer Schein! –
Ich kann's nicht glauben, daß du gehen willst! –
PARTHENIA.
Die Eltern harren ihres Kindes –
INGOMAR.
Ja,
So ist's, und so zieh hin –
Nein, nein – Bedenke
Den dunklen Wald, der Klippen Schwindelrand,
Der grausen Klüfte tosendes Gewässer,
Und lauernd in den Höhlen Wolf und Bär,
Und du – du willst allein –
PARTHENIA.
Ich kam allein,
Und also kehr' ich heim!
INGOMAR.
Du sollst nicht – Nein,
Alastor soll und Novio dich geleiten!
Heda, herbei!
PARTHENIA.
Nein, eher Bär und Wolf
Als jene Wilden –
INGOMAR.
Wie, du meinst – Fürwahr,
Das hieß' dem Wolf des Lammes Hut vertrauen!
Nun denn –
Rasch herausbrechend.
Ich will dich selbst geleiten –
PARTHENIA.
Du? –
INGOMAR.
Was siehst du mich so forschend an? Du meinst,
Ich wär' viel besser nicht als jene? – Nein,
Parthenia, ich bin nicht, der ich war!
Nie kannt' ich Furcht, und kaum als Kind nur Tränen,
Und beide hast du heute mich gelehrt;
Mich fürchte nicht mehr! Glaub', vertraue mir;
Die Götter alle ruf' ich an zu Zeugen –[118]
PARTHENIA.
Nein, schwöre nicht! Mir ist, als spräch' dein Auge
Viel treuer, heiliger, als Schwüre können,
Und spräch' es Lüge, so wär' alles Trug! –
Wohlan, geleit' mich denn und sei mein Führer!
INGOMAR.
Du willigst ein – So komm, ich will dich führen;
Der Wälder kühlste Schatten such' ich auf,
Den weichsten Rasengrund; vor jedem Steine,
Vor jedem Dornbusch warn' ich dich: Hab' acht!
Und geht's bergan, so soll mein Arm dich stützen –
Nein, nein – nicht stützen – tragen soll er dich –
Er will sie umschlingen.
PARTHENIA zurückweichend.
Bin ich ein Kind, daß du mich tragen willst?
Ich bin geübt im Wandern, Steigen, Klettern,
Und sorge nicht, ich halt' dir gleichen Schritt;
Nicht deines Armes braucht es, nur der Hand,
Die da und dort den rechten Weg mir zeige.
INGOMAR.
Du also meinst –
PARTHENIA.
Ich mein', du gehst voran –
Wegweisern ziemt es ja, voran zu schreiten –
Ich aber folg' dir nach –
INGOMAR.
Du folgst mir nach –
PARTHENIA.
Und droht Gefahr –
INGOMAR.
Ich wend' sie dir vom Haupte.
PARTHENIA.
Zuzeiten auch auf ebnem Pfade gehen
Wir nebeneinander hin und plaudern eins,
Und daß du nicht mit leeren Händen gehest,
So nimm das Körbchen mit den Erdbeern dort!
INGOMAR.
Das Körbchen –
PARTHENIA.
Ja, das Körbchen – Willst du nicht?
INGOMAR.
Ich will, gewiß, ich will –
Er nimmt das Körbchen.
PARTHENIA.
Ich aber – Sieh,
Ich will dagegen Speer und Schild dir tragen –
INGOMAR.
So schwere Last –
PARTHENIA die indessen den am Baume lehnenden Speer erfaßt und den Schild aufgenommen.
Nein, laß – mir macht's Behagen!
Von jeher war ich blanken Waffen gut;
Es steckt mir wohl vom Vater her im Blut! –
Und nun, was säumen wir – du hast den Korb –
Ich denk', wir gehen! – Hörst du? – Ei, du bist
So ernst, so still –[119]
INGOMAR.
Mir ist, als träumt' ich – Komm,
Der nächste Weg führt dort hinab am Bach!
PARTHENIA.
Voran denn, Führer, und ich folg' dir nach!
Ingomar, das Körbchen tragend, geht rechts im Vordergrunde ab; Parthenia, den Schild am Arm, den Speer in der Rechten, folgt ihm; der Vorhang fällt.
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