Zweite Szene.

[51] Der Fremde erscheint, genau so angetan mit faltigem, braunem Habit usw., wie die Gaukelgestalt des Johannes Habundus im Auftakt des ersten Aktes. Wie er den Schenksaal betritt und blinzelnd unter die Tanzenden blickt, setzt die Musik sofort aus, und die Tanzenden machen scheu und ehrerbietig Platz.
[51]

DER WIRT geht dem Fremden sofort entgegen. Haben Sie denn die Nacht schlafen können, gnädiger Herr? ... ich habe mich nämlich den ganzen Tag noch nicht getraut, Sie danach zu fragen ... weil ich immer dachte, daß Sie nicht gefragt sein wollten ...

DER FREMDE achtlos und in die Betrachtung seiner Lage vertieft. Ich war die Nacht gar nicht im Hause ...

DER WIRT. Aber, gnädiger Herr ... wo waren Sie denn sonst?

DER FREMDE. Wo man ist, wenn man die Augen fest zuschließt und fortfliegt ... der eine liegt freilich dabei nur immer tot in seinem Bette ... aber der andere ist unterdessen unter hellbraunen Lachtauben ... hört ihr feines Gelächter ... und fliegt hoch ...

DER WIRT mitleidig. Sie waren aber doch gut zugedeckt ... Minna ... vielleicht war dem Herrn im Bette zu kalt ... wir haben doch einen tollen Winter heuer ...


Der Fremde kommt lässig in das Zimmer herein, während das Bauervolk neugierig an den Wänden herumsteht und sitzt, und winkt herrisch dem Gendarmen.
[52]

DER GENDARM springt sofort herzu. Zu Befehl, gnädiger Herr ... was wär' denn dem gnädigen Herrn gefällig? ...


Der Fremde blickt ihn nur eine Weile sonderbar an und schweigt. Unterdessen war ein Livreediener, eine weiße Seidendecke und Goldgeschirre tragend, an dem kleinen Tisch vorn in der Ecke erschienen, der an sich schon sauber gedeckt dasteht. Während ein andrer Diener sich abwartend hinter den Stuhl stellt.


DER EINE DIENER leise zur Wirtin, die auch herzueilt. Nur fort mit dem armseligen Krame ... nur fort mit den tönernen Gefäßen und Krügen ... Gnaden speisen nur von Seide und von Golde ...

DER FREMDE zum Gendarm, wie wiedererwachend. Wie heißen denn die beiden gerupften Paradiesvögel, die draußen im Hause stehen ... und immer fort sehnsüchtig hereinlugen ...

DER GENDARM ohne zu hören. Er besieht nur immer staunender das Gedeck, was der Diener herrichtet. Nein ... sagen Sie bloß ... gnädiger Herr ... wo haben Sie denn den kostbaren, goldenen Becher her? ... beim Grafen in Warmbrunn könnte eine Tafel nicht funkelnder schimmern ...[53]

DER FREMDE hat sich ganz achtlos am Tischchen niedergelassen. Ja ... ich ging einmal mein Pferd suchen ... es war gleich hinter der Stadt Katania ... nicht weit vom Fegefeuer ... die letzte Strecke war ich in sehr scharfem Trabe geritten ... bitte ... wollen Sie nicht mit mir speisen, Herr Wachtmeister?

DER GENDARM in einer gewissen Verlegenheit. So was kommt in unserem Dorfe nicht oft vor ... hier sind die Leute froh, wenn sie auf irdenen Gefäßen was zu leben haben ... Der Fremde lädt den Gendarmen mit einem herrischen Wink ein, Platz zu nehmen. Jemersch, Jemersch ... das wäre doch zu viel, gnädiger Herr ...

DER FREMDE. Das Pferd war mir nämlich zugelaufen ...

DER GENDARM. Das Pferd war Ihnen zugelaufen, sagen Sie? ... na, na ... Pferde rennen doch einem Fremden nicht gleich wies Wasser in die hohle Hand ...

DER FREMDE. Wie es jedem zusteht ... darüber müssen Sie das Glück fragen ...

DER GENDARM. Jajajajaja ... nein, aber ... ich bitte Sie ...[54]

DER FREMDE. Ja ... so war es ... das Pferd war mir zugelaufen ... wie das Glück unversehens aus dem blauen Himmel geflogen kommt ... und ebenso plötzlich wieder fort ist ... so war es mir auch mit dem Pferde gegangen ... denn wie gesagt ... eines Morgens war das Pferd fort ... ich konnte es nirgend mehr finden ... aber ich dachte natürlich gleich, ich werde das Pferd suchen ... wo ich es finde, da muß das Land sein, wo das Glück zu Hause ist ...

DER WIRT vom Schenksims aus. Ja ... weiß Gott ... gnädiger Herr ... die Rechnung könnte stimmen ...

DER FREMDE. Nun also ... obwohl ich nun zunächst wieder auf meinen Beinen leben mußte, kam ich schließlich doch an die Stadt mit einer eisernen Mauer ... und dort klopfte ich und fragte, ob die Leute nicht mein Pferd gesehen ... aber die meisten begriffen gar nicht, was ich fragte ... ein jeder war von dem eigenen Geschäfte ganz blind und taub ... nur alle wiesen mich an ihren König ...

DER GENDARM. Und Seine Majestät den König selber fragten Sie, wo Ihr entlaufenes Pferd wäre?[55]

DER FREMDE. Nein ... zuerst schritt ich durch hellerlichte Säle ... da standen in der Mitte Tafeln mit den leckersten Speisen bebürdet ... aber ich aß nichts ... und dann kam ich in ein düsterleuchtendes Gewölbe ... dessen Wände wie Rubine zu schimmern schienen ... und wo ein köstliches Bett mit Seidendaunen in der Mitte aufgestellt war ... aber ich blieb wach ... ich mochte nicht schlafen ... ich hatte nicht einmal die Augen zu ... im Gegenteil ... ich hörte so scharf wie mit Mäuseohren die heimlichsten Geräusche ... und ich sah so scharf wie mit Schlangenaugen in die entlegensten Winkel ... und der König hörte meine Blicke wie Mäuschen, die an seinen Burgbalken nagten ... und was mir in die Ohren eindrang, hörte der König, als wie wenn tausend kleine Bäche in einen See raunen ... da bekam der König Angst ... ließ mein Pferd aus seinem Stalle holen ... und gab mir den goldenen Becher als Reisegeschenk ... Er öffnet den Deckel des Bechers, da schlägt eine Flamme heraus, die sogleich wieder einsinkt. Wenn ich den Becher in den Schnee werfe, verbrennt der Schnee ... und der Frühling kommt ...

DER GENDARM. Paperlapap ... paperlapap ... Sie denken, wir sind Dorfleute ... Sie wollen die Dummen auf die Sumpfwiesen nach Beifuß schicken ... sagen Sie einmal ... wo kommen Sie denn bloß her? ...[56]

DER FREMDE blinzelnd und lächelnd. Von dem Rabengebirge ... wo die Mammutdiamanten im Sande liegen, wie vom Himmel gefallene Sterne ... und wo der Schluchtenteufel in den Abgründen sein Lied brüllt Tag und Nacht ...

DER GENDARM. Nein, nein, nein, nein ... Ihnen könnte man es schließlich glauben ... wenn es nur wahr wäre ... aber sagen Sie mir nur ... wie sind Sie denn bloß bis dahin durchgedrungen? ...


Quelle:
Carl Hauptmann: Die armseligen Besenbinder. Leipzig 1913, S. 51-57.
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