[45] Zelt des Holofernes. Holofernes und zwei seiner Hauptleute.
EINER DER HAUPTLEUTE. Der Feldhauptmann sieht aus wie ein Feuer, das ausgehen will.
DER ZWEITE. Vor solch einem Feuer muß man sich in acht nehmen. Es verschlingt alles, was ihm nahe kommt, um sich zu ernähren.
DER ERSTE. Weißt du, daß Holofernes in der letzten Nacht nahe daran war, sich selbst zu töten?
DER ZWEITE. Das ist nicht wahr!
DER ERSTE. Doch! Ihn drückt der Alp, und er glaubt im Schlafe, daß sich jemand auf ihn wirft und ihn würgen will. Er greift, in seinen Traum verstrickt, nach dem Dolch und meint den[45] Feind hinterrücks zu durchbohren und stößt ihn in die eigne Brust. Glücklicherweise gleitet das Eisen an den Rippen ab, er erwacht und siehts, und ruft, als der Kämmerer ihn verbinden will, lachend aus: Laß laufen, mich kühlts, ich hab des Blutes zu viel!
DER ZWEITE. Es klingt fabelhaft.
DER ERSTE. Frag den Kämmerer!
HOLOFERNES wendet sich rasch. Fragt mich selbst! Sie erschrecken. Ich rufs euch zu, weil ich euch gern hab, und nicht mag, daß zwei Helden, die ich brauchen kann, sich aus Langeweile durch allerlei schnöde Betrachtungen und Vergleiche um den Hals reden. Für sich. Sie wundern sich, daß ich ihr Gespräch hörte; Schande genug für mich, daß ich Zeit und Aufmerksamkeit dafür hatte! Ein Kopf, der sich nicht selbst mit Gedanken auszufüllen weiß, der für die Grillen und Einfälle anderer Platz übrig hat, ist nicht wert, daß man ihn füttert; die Ohren sind Almosensammler des Geistes, nur Bettler und Sklaven bedürfen ihrer, und man wird eins von beidem, wenn man sie braucht. Zu den Hauptleuten. Ich hadere nicht mit euch; es ist meine Schuld, daß ihr nichts zu tun habt, und daß ihr Worte machen müßt, um euch vorlügen zu können: ihr lebt. Was gestern Speise war, ist heute Kot; weh uns, daß wir darin wühlen müssen. Aber sagt mir doch, was hättet ihr getan, wenn ihr mich nun wirklich heute morgen tot im Bett gefunden?
DIE HAUPTLEUTE. Herr, was hätten wir tun sollen?
HOLOFERNES. Wenn ichs auch wüßte, so würd ichs nicht sagen. Wer sich aus der Welt wegdenken und seinen Ersatzmann nennen kann, der gehört nicht mehr hinein! Ich danks doch meinen Rippen, daß sie von Eisen sind! Das wär ein Tod gewesen, wie eine Posse! Und gewiß hätte dieser Irrtum meiner Hand irgend einen magern Gott, zum Beispiel den der Ebräer, fett gemacht. Wie würde Achior sich mit seiner Vorherverkündigung gebrüstet und Respekt vor sich selbst bekommen haben! – Eins mögt ich wissen: was ist der Tod?
EINER DER HAUPTLEUTE. Ein Ding, um dessentwillen wir das Leben lieben!
HOLOFERNES. Das ist die beste Antwort. Ja wohl, nur weil wir es stündlich verlieren können, halten wirs fest, und pressens aus[46] und saugens ein, bis zum Zerplatzen. Gings ewig so fort, wie gestern und heut, so würden wir in seinem Gegenteil seinen Wert und Zweck sehen; wir würden ruhen und schlafen und in unsern Träumen vor nichts zittern, wie vor dem Erwachen. Jetzt suchen wir uns durchs Essen gegen das Gegessenwerden zu schützen und kämpfen mit unsern Zähnen gegen die Zähne der Welt. Darum ists auch so einzig schön, durchs Leben selbst zu sterben! den Strom so anschwellen zu lassen, daß die Ader, die ihn aufnehmen soll, zerspringt! die höchste Wollust und die Schauder der Vernichtung ineinander zu mischen! Oft kommts mir vor, als hätt ich einmal zu mir selbst gesagt: Nun will ich leben! Da ward ich losgelassen, wie aus zärtlichster Umschlingung, es ward hell um mich, mich fröstelte, ein Ruck, und ich war da! So mögt ich auch einmal zu mir selbst sagen: Nun will ich sterben! Und wenn ich nicht, so wie ich das Wort ausspreche, aufgelöst in alle Winde verfliege und eingesogen werde von all den durstigen Lippen der Schöpfung, so will ich mich schämen, und mir eingestehen, daß ich Wurzeln aus Fesseln gemacht habe. Möglich ists; es wird sich noch einer töten durch den bloßen Gedanken!
EINER DER HAUPTLEUTE. Holofernes!
HOLOFERNES. Du meinst, man muß sich nicht berauschen! Das ist wahr, denn wer den Rausch nicht kennt, weiß auch nichts davon, wie schal die Nüchternheit ist! Und doch ist der Rausch der Reichtum unserer Armut, und ich mags so gern, wenns wie ein Meer aus mir hervorbricht und alles, was Damm und Grenze heißt, Überflutet! Und wenns einmal in allem, was lebt, so drängte und strömte, sollte es dann nicht durchbrechen und zusammenkommen und wie ein großes Gewitter in Donner und Blitz über die nassen, kalten, fetzenhaften Wolken triumphieren können, die der Wind nach Lust und Laune herumjagt? O gewiß! Zu den Hauptleuten. Ihr wundert euch über mich, daß ich aus meinem Kopf eine Spindel mache und den Traum- und Hirn-Knäuel darin Faden nach Faden abzwirne, wie ein Bündel Flachs. Freilich, der Gedanke ist der Dieb am Leben; der Keim, den man aus der Erde ans Licht hervorzerrt, wird nicht treiben; das weiß ich recht gut, doch heute, nach einem Aderlaß, mags gehen! Wir haben jetzt ja Zeit, denn die[47] in Bethulien scheinen nicht zu wissen, daß der Soldat sein Schwert so lange schärft, als sie ihn hindern, es zu brauchen.
EIN HAUPTMANN tritt herein. Herr, ein ebräisch Weib, das wir auf dem Berg aufgegriffen haben, steht vor der Tür.
HOLOFERNES. Was für eine Art Weib?
DER HAUPTMANN. Herr, jeder Augenblick, daß du sie nicht siehst, ist ein verlorener. Wär sie nicht so schön, ich hätte sie nicht zu dir geführt. Wir lagen am Brunnen und harrten, ob sich jemand heran wagte. Da sahen wir sie kommen; ihre Magd hinterdrein, wie ihr Schatten. Sie war verschleiert und ging anfangs so schnell, daß die Magd ihr kaum zu folgen vermogte; dann hielt sie plötzlich inne, als wollte sie umkehren, und wandte sich gegen die Stadt und warf sich zu Boden und schien zu beten. Nun kam sie auf uns zu und ging zum Brunnen. Einer der Wächter trat ihr entgegen, ich dachte schon, er wolle ihr ein Leides tun, denn die Soldaten sind grimmig ob dem langen Müßiggang, aber er bückte sich, und schöpfte und reichte ihr das Gefäß. Sie nahm es, ohne zu danken, und führte es an ihre Lippen, doch bevor sie noch getrunken hatte, setzte sie es wieder ab und goß es langsam aus. Dies verdroß den Wächter, er zog sein Schwert und zückte es gegen sie; da schlug sie ihren Schleier zurück und sah ihn an. Es fehlte wenig, so hätt er sich ihr zu Füßen geworfen; sie aber sprach: Führt mich zum Holofernes, ich komme, weil ich mich vor ihm demütigen und ihm die Heimlichkeiten der Meinigen offenbaren will.
HOLOFERNES. Führe sie herein! Der Hauptmann ab. Alle Weiber der Welt seh ich gern, ausgenommen eins, und das hab ich nie gesehen und werd es nie sehen.
EINER DER HAUPTLEUTE. Welche ist das?
HOLOFERNES. Meine Mutter! Ich hätt sie so wenig sehen mögen, als ich mein Grab sehen mag. Das freut mich am meisten, daß ich nicht weiß, woher ich kam! Jäger haben mich als einen derben Buben in der Löwenhöhle aufgelesen, ein Löwin hat mich gesäugt; darum ists kein Wunder, daß ich den Löwen selbst einst in diesen meinen Armen zusammendrückte. Was ist denn auch eine Mutter für ihren Sohn? Der Spiegel seiner Ohnmacht von gestern oder von morgen. Er kann sie nicht[48] ansehen, ohne der Zeit zu gedenken, wo er ein erbärmlicher Wurm war, der die paar Tropfen Milch, die er schluckte, mit Schmätzen bezahlte. Und wenn er dies vergißt, so sieht er ein Gespenst in ihr, das ihm Alter und Tod vorgaukelt und ihm die eigene Gestalt, sein Fleisch und Blut, zuwider macht.
JUDITH tritt herein; sie wird von Mirza und dem Hauptmann, die beide an der Tür stehen bleiben, begleitet; sie ist anfangs verwirrt, faßt sich aber schnell, geht auf Holofernes zu und fällt ihm zu Füßen. Du bist der, den ich suche, du bist Holofernes.
HOLOFERNES. Du denkst, der muß hier der Herr sein, auf dessen Kleid das meiste Gold schimmert.
JUDITH. Nur einer kann so aussehen!
HOLOFERNES. Fänd ich den zweiten, so würd ich ihm den Kopf vor die Füße legen, denn auf mein Gesicht glaub ich allein ein Recht zu haben.
EINER DER HAUPTLEUTE zum andern. Ein Volk, das solche Weiber hat, ist nicht zu verachten.
DER ZWEITE. Man sollt es allein der Weiber wegen bekriegen. Nun hat Holofernes einen Zeitvertreib. Vielleicht erstickt sie mit Küssen seinen ganzen Zorn.
HOLOFERNES in ihre Betrachtung verloren. Ists einem nicht, solange man sie anschaut, als ob man ein köstlich Bad nähme? Man wird das, was man sieht! Die reiche, große Welt ging in das bißchen ausgespannte Haut, worin wir stecken, nicht hinein; wir erhielten Augen, damit wir sie stückweise einschlucken könnten! Nur die Blinden sind elend! Ich schwörs, ich will nie wieder jemand blenden lassen. Zu Judith. Du liegst noch auf den Knieen? Steh auf! Sie tuts; er setzt sich auf seinen Fürstenstuhl unter den Teppich. Wie heißt du?
JUDITH. Ich heiße Judith.
HOLOFERNES. Fürchte dich nicht, Judith; du gefällst mir, wie mir noch keine gefiel.
JUDITH. Dies ist das Ziel aller meiner Wünsche.
HOLOFERNES. Nun sag an, warum hast du die in der Stadt verlassen und bist zu mir gekommen?
JUDITH. Weil ich weiß, daß dir niemand entgehen kann! Weil unser eigner Gott dir die Meinigen in die Hand geben will.
HOLOFERNES lachend. Weil du ein Weib bist, weil du dich auf dich[49] selbst verlässest, weil du weißt, daß Holofernes Augen hat, nicht wahr?
JUDITH. Höre mich gnädig an. Unser Gott ist erzürnt über uns, er hat längst durch seine Propheten verkündigen lassen, daß er das Volk strafen wolle um seiner Sünde willen.
HOLOFERNES. Was ist Sünde?
JUDITH nach einer Pause. Ein Kind hat mich das einmal gefragt. Dies Kind hab ich geküßt. Was ich dir antworten soll, weiß ich nicht.
HOLOFERNES. Sprich weiter.
JUDITH. Nun stehen sie zwischen Gottes Zorn und deinem Zorn und zittern sehr. Dazu leiden sie Hunger und müssen verschmachten vor Durst. Und ihre große Not verleitet sie zu neuem Frevel. Sie wollen das heilige Opfer essen, das auch nur anzurühren ihnen verboten ist. Es wird in ihrem Eingeweide zu Feuer werden!
HOLOFERNES. Warum ergeben sie sich nicht?
JUDITH. Sie haben nicht den Mut! Sie wissen, daß sie das Ärgste verdient haben; wie könnten sie glauben, daß Gott es von ihnen abwenden werde! Für sich. Ich will ihn versuchen. Laut. Sie gehen weiter in ihrer Angst, als du in deinem Grimm gehen kannst. Deine Rache würde mich zermalmen, wollt ich dir sagen, wie ihre Furcht den Helden und den Mann in dir zu beflecken wagt! Ich schaue zu dir empor, ich erspähe in deinem Angesicht die edlen Grenzen deines Zorns, ich finde den Punkt, über den er in seiner wildesten Flamme gar nicht hinaus lodern kann. Da muß ich erröten, denn ich erinnre mich dabei, daß sie sich erfrechen, jeden Greuel von dir zu erwarten, den ein schuldiges Gewissen in feiger Selbstpeinigung nur irgend auszusinnen vermag, daß sie sich erkühnen, in dir einen Henker zu sehen, weil sie selbst des Todes würdig sind. Sie fällt vor ihm nieder. Auf meinen Knieen bitt ich dich wegen dieser Beleidigung meines verblendeten Volks um Vergebung.
HOLOFERNES. Was machst du? Ich will nicht, daß du vor mir knieen sollst.
JUDITH steht auf. Sie meinen, daß du sie alle töten willst! du lächelst, statt empört zu sein? O, ich vergaß, wer du bist! du kennst die Gemüter der Menschen, dich kann nichts überraschen,[50] dich reizt es nur noch zum Spott, wenn dein Bild in einem trüben Spiegel entstellt und verzerrt erscheint. Aber, dies muß ich doch zum Ruhm der Meinigen sagen: sie selbst hätten einen solchen Gedanken nimmermehr gefaßt. Sie wollten dir das Tor öffnen, da trat Achior, der Moabiter-Hauptmann, unter sie und erschreckte sie; »was wollt ihr tun – rief er – wißt ihr auch, daß Holofernes euch allen den Untergang geschworen hat?« Ich weiß, du hast ihm Leben und Freiheit geschenkt; du hast, weil du dich an einem Unwürdigen nicht rächen mogtest, ihn zu uns hinübergesandt, ihn großmütig in die Reihen deiner Feinde gestellt. Er dankt es dir dadurch, daß er dein Bild in Blut malt und dir jedes Herz abwendig macht. Nicht wahr, mein kleines Volk bildet sich zu viel ein, wenn es sich deines Zorns würdig dünkt? Wie könntest du hassen, die du gar nicht kanntest, die du nur zufällig auf deinem Weg antrafst und die dir nur darum nicht auswichen, weil die Angst sie erstarrte und ihnen Leben und Besinnung raubte? Und wenn wirklich etwas wie Mut sie beseelt hätte, könnte das dich reizen, von dir selbst abzufallen? Könnte Holofernes sich selbst, alles, was ihn groß und einzig macht, in anderen anfeinden und verfolgen? Das ist wider die Natur und geschieht nimmermehr! Sie sieht ihn an. Er schweigt. O, ich mögte du sein! Nur einen Tag, nur eine Stunde! Dann wollt ich dadurch, daß ich das Schwert einsteckte, einen Triumph feiern, wie ihn noch keiner durch das Schwert gefeiert hat. Tausende zittern jetzt vor dir in jener Stadt; ihr habt mir getrotzt – würd ich ihnen zurufen – doch eben, weil ihr mich beleidigt habt, schenk ich euch das Leben; ich will mich rächen an euch, aber durch euch selbst; ich lasse euch frei ausgehen, damit ihr ganz meine Sklaven seid!
HOLOFERNES. Weib, ahnst du auch, daß du mir dies alles unmöglich machst, indem du mich dazu aufforderst? Wäre der Gedanke in mir selbst aufgestiegen, vielleicht hätt ich ihn ausgeführt. Nun ist er dein und kann nimmer mein werden. Es tut mir leid, daß Achior recht behält!
JUDITH bricht in ein wildes Gelächter aus. Vergib; gestatte mir, daß ich mich selbst verhöhne. Es sind Kinder in der Stadt, so unschuldig, daß sie lächeln werden, wenn sie das Eisen blinken[51] sehen, das sie spießen soll. Es sind Jungfrauen in der Stadt, die vor dem Lichtstrahl zittern, der durch ihren Schleier dringen will. Ich dachte an den Tod, der diese Kinder erwartet, ich dachte an die Schmach, die diese Jungfrauen bedroht; ich malte mir das Gräßliche aus, und ich glaubte, niemand könne so stark sein, daß er vor solchen Bildern nicht zusammenschauderte. Verzeih, daß ich dir meine eigne Schwäche unterlegte!
HOLOFERNES. Du wolltest mich schmücken, und das verdient meinen Dank, wenn die Art mir auch nicht ansteht. Judith, wir müssen nicht miteinander rechten. Ich bin bestimmt, Wunden zu schlagen, du, Wunden zu heilen. Wär ich in meinem Beruf lässig, so hättest du keinen Zeitvertreib. Auch mit meinen Kriegern mußt dus nicht so genau nehmen. Leute, die heute nicht wissen, ob sie morgen noch da sind, müssen schon dreist zugreifen und sich den Magen etwas überladen, wenn sie ihren Teil von der Welt haben wollen.
JUDITH. Herr, du übertriffst mich an Weisheit ebenso weit, wie an Mut und Kraft. Ich hatte mich in mir selbst verirrt, und nur dir dank ichs, daß ich mich wieder zurecht fand. Ha, wie törigt war ich! Ich weiß, daß sie alle den Tod verdient haben, daß er ihnen längst verkündigt worden ist; ich weiß, daß der Herr, mein Gott, dir das Rächeramt übertragen hat, und dennoch werf ich mich, von erbärmlichem Mitleid überwältigt, zwischen dich und sie. Heil mir, daß deine Hand das Schwert festhielt, daß du es nicht fallen ließest, um die Tränen eines Weibes zu trocknen. Wie würden sie in ihrem Übermut bestärkt worden sein! Was bliebe ihnen noch zu fürchten, wenn Holofernes an ihnen vorüberzöge, wie ein Gewitter, das nicht zum Ausbruch kommt! Wer weiß, ob sie nicht Feigheit in deiner Großmut sehen und Spottlieder auf deine Barmherzigkeit machen würden! Jetzt sitzen sie im Sack und in der Asche und tun Buße, aber für jede Stunde der Enthaltsamkeit würden sie sich vielleicht durch einen Tag wilder Lust und Raserei entschädigen! Und all ihre Sünden würden auf meine Rechnung kommen, und ich müßte vergehen vor Reue und Scham. Nein, Herr, gedenk deines Schwurs und vertilg sie! Dies läßt der Herr, mein Gott, dir gebieten durch meinen Mund; er will dein Freund sein, wie du ihr Feind bist![52]
HOLOFERNES. Weib, es kommt mir vor, als ob du mit mir spieltest. Doch nein, ich beleidige mich selbst, indem ich dies für möglich halte. Nach einer Pause. Du klagst die Deinigen hart an.
JUDITH. Meinst du, daß es mit leichtem Herzen geschieht? Es ist die Strafe meiner eignen Sünden, daß ich sie wegen der ihrigen verklagen muß. Glaube nicht, daß ich bloß darum von ihnen geflohen bin, weil ich dem allgemeinen Untergang, den ich vor Augen sah, entgehen wollte. Wer fühlte sich so rein, daß er, wenn der Herr ein großes Gericht hält, sich ihm zu entziehen wagte? Ich kam zu dir, weil mein Gott es mir gebot. Ich soll dich nach Jerusalem führen, ich soll dir mein Volk in die Hand geben, wie eine Herde, die keinen Hirten hat. Dies hat er mich geheißen in einer Nacht, wo ich im verzweifelnden Gebet vor ihm auf den Knieen lag, wo ich tausendfaches Verderben auf dich und die Deinigen von ihm herabflehte, wo jeder meiner Gedanken dich zu umschnüren und zu erwürgen suchte. Seine Stimme erscholl und ich jauchzte hoch auf, aber er hatte mein Gebet verworfen, er sprach über mein Volk das Todesurteil, er lud auf meine Seele das Henkeramt. O, das war ein Wechsel! Ich erstarrte, aber ich gehorchte, ich verließ eilig die Stadt, und schüttelte den Staub von meinen Füßen, ich trat vor dich hin und ermahnte dich, die zu vertilgen, für deren Rettung ich kurz zuvor noch Leib und Blut geopfert hätte. Siehe, sie werden mich schmähen und meinen Namen brandmarken für immer; das ist mehr, als der Tod, dennoch beharr ich und wanke nicht!
HOLOFERNES. Sie werdens nicht tun. Kann dich einer schmähen, wenn ich keinen am Leben lasse? Wahrlich, wenn dein Gott ausrichten wird, was du gesagt hast, so soll er auch mein Gott sein, und dich will ich groß machen, wie noch nie ein Weib! Zum Kämmerer. Führe sie in die Schatzkammer und speise sie von meinem Tisch.
JUDITH. Herr, ich darf noch nicht essen von deiner Speise, denn ich würde mich versündigen. Ich kam ja nicht zu dir, um von meinem Gott abzufallen, sondern um ihm recht zu dienen. Ich habe etwas mit mir genommen, davon will ich essen.
HOLOFERNES. Und wenn das auf ist?
JUDITH. Sei gewiß, bevor ich dies wenige verzehren kann, wird[53] mein Gott durch mich ausführen, was er vor hat. Auf fünf Tage hab ich genug, und in fünf Tagen bringt ers zu Ende. Noch weiß ich die Stunde nicht und mein Gott wird sie mir nicht eher sagen, als bis sie da ist. Darum gib Befehl, daß ich, ohne von den Deinigen gehindert zu werden, hinaus gehen darf ins Gebirg bis vor die Stadt, damit ich anbete und der Offenbarung harre.
HOLOFERNES. Die Erlaubnis hast du. Ich ließ die Schritte eines Weibes noch nie bewachen. Also in fünf Tagen, Judith!
JUDITH wirft sich ihm zu Füßen und geht zur Tür. In fünf Tagen, Holofernes!
MIRZA die ihr Entsetzen und ihren Abscheu längst durch Gebärden zu erkennen gab. Verfluchte, so bist du gekommen, dein Volk zu verraten?
JUDITH. Sprich laut! Es ist gut, wenn alle hören, daß auch du an meine Worte glaubst!
MIRZA. Sag selbst, Judith, muß ich dir nicht fluchen?
JUDITH. Wohl mir! Wenn du nicht zweifelst, so kann Holofernes gewiß nicht zweifeln!
MIRZA. Du weinst?
JUDITH. Freudentränen darüber, daß ich dich täuschte. Ich schaudere vor der Kraft der Lüge in meinem Munde. Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Judith
|
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro