[84] Genoveva tritt auf.
GENOVEVA.
Weh, mein Gemahl!
SIEGFRIED.
Was ist dir, teures Weib?
GENOVEVA.
Du bist schon ganz gerüstet!
SIEGFRIED.
Es ist Zeit!
GENOVEVA.
Den Helm nimm ab!
SIEGFRIED.
Warum?
GENOVEVA.
Und auch des Schwerts
Entgürte dich!
SIEGFRIED.
Mißfällt dir Helm und Schwert?
GENOVEVA.
O nein! Ich will nur so viel arme Zeit[84]
Noch für mich retten, als du brauchen wirst,
Die beiden ab- und wieder anzutun!
SIEGFRIED legt Helm und Schwert ab.
Du Liebliche, wie steht es dir so schön,
Daß du dich menschlich sorgst ums Menschliche.
Mir deucht, in dieser Angst, die sich nicht mehr
Verbergen kann, noch will, vollendet sich
Dein Bild, indem sie rührend es umgrenzt.
Daß ich die Schwäche dir bekenne: oft
Hab ich gewünscht, auf einem Augenblick
Der Ungeduld, des Zorns, der Leidenschaft
Dich zu ertappen, aber stets umsonst.
Als deiner Mutter Tod so plötzlich uns
Ward angesagt, und du zusammenbrachst,
Bewußtlos niedersinkend, aber erst
Die Händ noch faltend – sieh, da weint ich still,
Weil ichs verehren mußte, was ich sah,
Und doch verflucht ich fast die Möglichkeit.
Ein holdes Wunder schienst du mir zu sein,
Das, wie ein Vogel wohl die Flügel netzt,
Nur gaukelnd sich in Fleisch und Blut versenkt,
Und das, in unverlornen Adels Kraft,
Mit allem Ernst der Zeitlichkeit nur spielt,
Weil es sich schwingen kann, sobald es mag.
GENOVEVA.
Ich bin ein Weib. Ein Weib verhüllt den Schmerz,
Denn er ist häßlich und befleckt die Welt.
Ich bin ein Mensch. Nicht jammern darf ein Mensch,
Seitdem am Kreuz der Heiland stumm verblich.
Drum in der Brust begrab ich still mein Weh,
Wie man mich selbst, bin ich einst tot, begräbt.
SIEGFRIED.
Mir deucht, ich tu ins Allerheiligste
Mit aufgeschloßnen Augen einen Blick.
Dies fehlt dem Mann noch, wenn ihm nichts mehr fehlt,
Daß er das Weib nicht kennt, so wie sie ist.
Sie bildet aus sich selbst, was er umsonst
Aus äußerm Lebensstoff zu bilden sucht,
Drum ist sie auch sich selbst nur untertan,
Er jedem Element, das ihn umgibt.[85]
GENOVEVA.
Mein Siegfried! Deine Reden faß ich wohl,
Doch Tränen sinds, die mir ihr Sinn entpreßt.
Du scheidest jetzt, und nimmst in deinem Schmerz
Den Kranz dir ab und drückst ihn mir aufs Haupt.
Mir aber fällt dabei mit Schaudern ein,
Daß man die Toten so bekränzt und schmückt,
Weil man es weiß, daß man sie nie mehr sieht.
Ein Trompetenstoß.
SIEGFRIED.
Sie rufen mich!
GENOVEVA fällt ihm um den Hals.
Gefangen nehm ich dich!
Sag, hast dus wohl gefühlt, wie ich dich stets
Geliebt? Nur selten hab ichs dir gezeigt,
Hab oft den Kuß noch, den du raubtest, halb
Zurück gehalten, und ihn Gott geweiht,
Als Zoll des Danks für unsern schönen Bund.
Die ganze Ewigkeit, so schien es mir,
Stand vor uns, um uns in einander tief
Und immer tiefer zu verlieren. Sieh,
Da zögert ich, wie einer, der am Quell
Den heißen Durst zu löschen sich noch wehrt.
Jetzt aber krampft gewaltsam sich mein Herz.
Mir ist, als wäre dieser Augenblick,
Der schwindet, wie ich rede, nur noch mein,
Als müßt ich all mein Lieben, alles, was
Auch jetzt ins Innre noch zurück weicht, schnell
Dir bieten, wie den Abschiedskuß, und ach,
Dazu ist solch ein Augenblick zu kurz!
SIEGFRIED.
Verstumme nicht! Laß mich ihn ganz und voll
Genießen, diesen köstlichen Moment!
Verbirg errötend nicht an meiner Brust
Dein Angesicht, es ist der Widerstrahl
Von allem, was auf Erden göttlich ist.
Drück nicht mit deinem Mund den meinen zu,
Ich habe keinen Raum für dies Gefühl,
Ausatmen muß ichs, wie die Luft, die mich
Erquickt, doch festgehalten mich erstickt.
Mir deucht, erst heut hast du dich mir vermählt![86]
Wie preis ich diesen Tag, der alles mir
Zu nehmen drohte, und mir alles bringt!
Wie, wenn die Erd in ihren Vesten bebt,
Wenn Feuerflammen fahren aus dem Grund,
Zugleich ein Quell hervor bricht, der sie löscht,
Und der nun ewig unversiegbar fließt,
So ist es mir geschehn! Ich danke dir!
GENOVEVA.
Ich aber fühl mich jetzt so arm, so arm!
Als ein Geheimnis, kaum mir selbst bekannt,
Durchs Leben tragen wollte ich mein Herz!
Erst in der dunklen Stunde, wo mein Grab
Sich auftut, wollt ichs öffnen gegen dich,
Da wollt ich sprechen: sieh, so liebt ich dich
Und habs dir nie gesagt, nun kann ich auch
Beim letzten Abschied dich erfreun, wie nie.
Dann wollt ich dich umarmend zu mir ziehn,
Und, eine Braut, die Weib geworden ist
Und sichs noch selbst verhehlt, hinüber fliehn
Und denken: sei getrost, nun folgt er bald.
In diesem meinem Ringen mit der Macht
Der starken Stunden um mein heimlich Gut
Hab ich mich schmerzlich glücklich stets gefühlt.
Ich habs bewahrt, wenn deine Zärtlichkeit
Die Seel schon auf die Lippen mir gelockt,
Ich habs zurück gehalten, als du jüngst
An einer Wunde still darnieder lagst,
Und, deinen Schmerz bezwingend, lächeltest,
Damit ich nur nicht weinte. Wehe mir!
Nun habe ich im Tod nichts mehr für dich,
Nun hab ich nichts mehr, das dich in die Nacht
Mir nachziehn wird, wenn mich ihr Schatten deckt.
SIEGFRIED.
Mit Wollust hör ich dich, doch auch mit Angst,
Du bist, wie eine Ader, die zerspringt:
Heiß stürzt der rote Lebensstrom hervor,
Doch er erstarrt, so wie er sich befreit.
Von innrem Frost wird deine Wange blaß,
Dein Auge brennt, erlöschend flammst du selbst
Drin auf, als wärs in Scheiterhaufens Glut.[87]
O Böse! Daß du noch im Tod mich liebst,
Du willst mirs doch nicht zeigen durch den Tod?
Viel lieber will ich, zweifelnd für und für,
Noch um dich werben, wie ich lange warb,
Mich mit den Helden messen, die man preist,
Und mir von dem, der deiner würdger ist,
Den Tod ertrotzen im Verzweiflungskampf.
Trompetenstoß. Golo tritt auf. Er bleibt im Hintergrund stehen.
GENOVEVA.
Du ziehst hinaus jetzt in den blutgen Streit,
Jedwedes Eisen, das ein Heide schliff,
Jedweder Pfeil kann deine Brust bedrohn,
Und dennoch, dennoch fürcht ich nicht für dich,
Ich fürcht nur für mich selbst, – nur für mein Kind!
Geh, Siegfried, geh, was hab ich da gesagt!
Sonst ward ich in der Dämmrung glühend-heiß,
Dacht ich: die Stunde kömmt, wo er dich fragt;
Jetzt sprech ichs aus, und es ist lichter Tag.
SIEGFRIED.
O Genoveva, wende dich nicht ab!
Willst dus bereun, daß du mich selig machst?
GENOVEVA.
Und machts dich selig, daß dein armes Kind,
Wenn es nun ein ins kalte Dasein tritt,
Des Vaters ersten Blick, den segnenden,
Entbehren muß, der es mit aller Glut
Der tiefsten Liebe überströmen soll?
O, wie die Taufe für den Himmel weiht,
Das Böse bannend, das uns rings umspinnt,
So weiht, mit Wunderkraft geheimnisvoll
Begabt, fürs irdsche Leben solch ein Blick.
Weh mir! Ein Auge, fremd und lieblos, wird
Mein Kind begrüßen, ja, ich weiß vielleicht
Nicht einmal, obs noch einen Vater hat.
O Siegfried, geh! Geh, teurer Freund! Der Schmerz
Ringt um mein Selbst mit mir. Noch halt ichs fest!
Doch zögerst du, so fleh ich dich vielleicht,
Auf meine Kniee stürzend: Nimm mich mit!
SIEGFRIED umarmt sie.
GOLO im Hintergrund.
Von Bildern spricht man, heilig-fremd und kalt,[88]
Wovor man alle Sünden doppelt fühlt,
Daß sie, die Gläubgen sahn es schaudernd an,
Geseufzt, geweint, geächzt und Blut geschwitzt.
Mir deucht, ein solches Wunder seh ich hier,
Denn Genoveva, der ich selten nur
Ins Aug zu schauen wagte, weil, sooft
Ichs tat, ein Licht durch meine Seele fuhr,
Das mich erröten machte vor mir selbst;
Ja, weil ihr Auge mir ein Spiegel schien,
So rein, daß alles drin zum Flecken ward;
Dieselbe Genoveva liebt und weint,
Sie ist ein Weib! Sie ist ein Weib, wie keins!
Drei heftige Trompetenstöße.
SIEGFRIED.
Ich bins, der geht. So muß denn ichs auch sein,
Der diesen Abschied endet. Lebe wohl!
Für sich.
Ein Mann muß scheiden, eh ins Auge ihm
Die Tränen treten. Das geschieht wohl bald.
GOLO im Hintergrund.
Ich werd dich hassen, wenn dir das gelingt!
Ha! Willst du sie erniedrigen? Soll sie
Erkennen, daß du kälter bist, als sie,
Und drob erstarren, wie ein Quell erstarrt,
Der sich, wenns draußen friert, ans Licht getraut?
Kein Mann zu sein, das ist jetzt deine Pflicht,
Nun sie gewagt hat, ganz ein Weib zu sein!
Läg ich, wie du, an ihrer keuschen Brust,
Ich schiede nie, und spottete man mein,
Ich würd es lächelnd dulden, mir wärs recht,
Ihr meinen Wert und meine Würdigkeit
Durch Opfer darzutun, die keiner bringt.
O Liebe, niemals hab ich dich erkannt,
Doch jetzt erkenne ich dein heilig Recht!
Du bists, die diese kalte spröde Welt
Durchflammen, schmelzen und verzehren soll!
Du bist nicht Leben, du bist Tod, ja Tod!
Du bist des Todes schönste, höchste Form,
Die einzige, die gibt, indem sie nimmt!
Dir widerstehen, heißt den Kampf mit Gott[89]
Und mit dem Weltgeheimnis einzugehn,
Du sollst vertilgen, was nicht ewig ist,
Doch nie wird Märtrer, wer den Holzstoß löscht!
SIEGFRIED.
Ein Baum ist besser dran doch wie ein Mensch:
Man reißt ihn aus, vom Menschen wird verlangt,
Daß er es selber tu! Was sinnest du?
GENOVEVA.
Ich denk, daß es im Krieg viel Wunden gibt
Und daß ich Wunden gut verbinden kann.
GOLO im Hintergrund.
Ich mögte gleich mich hauen in den Arm.
SIEGFRIED.
Ich aber sinne nach, was besser ist:
Ein letztes Wort, ein letzter Kuß. Man kann
Von beidem eins nur haben. Wähle du!
GENOVEVA umarmt und küßt Siegfried.
GOLO.
O, wie sie küßt! Man fühlts, indem mans sieht.
Ich trenne sie, denn ihm gebührt kein Kuß!
Er tritt hervor.
SIEGFRIED setzt den Helm auf.
GENOVEVA fällt in Ohnmacht; Golo und Siegfried springen hinzu; Golo fängt sie auf.
GOLO.
Ihr hattet recht, Herr Graf, es muß von uns
Hier einer bleiben!
SIEGFRIED will Genoveva küssen.
GOLO wehrt ihn ab.
Laßt! Ihr weckt sie auf.
Dann hält sie Euch!
SIEGFRIED.
Und hat noch einmal ihn,
Den Schmerz, dem jetzt die Ohnmacht sie entzieht.
Ich geh!
GOLO.
Ihr seid ein Held!
SIEGFRIED.
Bei Gott, dies ist
Ein Heldenstück, wie ich noch keins bestand.
Leb wohl und schütze sie! Leb wohl, mein Weib!
Mit einem Blick auf Genoveva ab. Bald hört man hinter der Szene lustiges Trompetengeschmetter.
GOLO.
Sie liegt im Arm mir, wie im Sarg. Er schleicht
Sich, wie ein Mörder, von der Toten weg.
O, ganz zurückgewichen ist sie jetzt
In die bewußtlos-fromme Majestät[90]
Der Kindlichkeit, der sie ihr Schmerz entriß!
O weiße Ros, die von der roten träumt,
Und die der Traum mit sanfter Glut durchhaucht!
Erwachend wirds ihr sein, als ob sie sich
Geflüchtet hätt aus einer Feuersbrunst,
Die sie im Beten unterbrach!
Jetzt steht sie zweifelnd zwischen dieser Welt
Und zwischen jener, gastlich offen sind
Die Pforten beider, jede wirbt um sie
Und zeigt ihr alles, was sie Schönes hat.
Stirbt sie – ich will nicht knirschen! Doch, sie seufzt,
Das holde Fieber, das man Leben nennt,
Es kehrt zurück, der dunkle Born des Seins
Entläßt aufs neu die innern Strömungen,
Und auf die Lippen tritt das erste Rot.
O Lippen, süße Lippen! Wer euch küßt,
Der stiehlt sich hier die ewge Seligkeit,
Denn nie, o nie! verglüht ein solcher Kuß.
Ich könnt es tun! Die heilgen Augen stehn
Noch nicht, wie Cherubime mit dem Schwert,
Abwehrend vor dem roten Paradies.
Ich muß, ich will sie küssen, und mich dann,
Vor Wonne zitternd, von dem steilsten Hang
Hinunter stürzen in des Abgrunds Nacht.
Er küßt sie.
GENOVEVA umarmt ihn.
Mein Siegfried!
GOLO.
Siegfried!
GENOVEVA stößt ihn fort.
Weg! Wer bist du, Mensch!
GOLO.
Ich glaube, ich bin Golo.
GENOVEVA.
Golo – Ihr?
Wie kam ich denn in Euren Arm?
GOLO.
Der Graf,
Herr Siegfried, Eur Gemahl, legt Euch hinein.
GENOVEVA.
So ist er fort!
GOLO.
Ja wohl, als Ihr vor Schmerz
In Ohnmacht sankt, da eilt er schnell hinweg.
Euch zu erwecken, hatt er nicht die Zeit.
[91] Für sich.
Wer spricht aus mir? Ich nicht! Schweig, böser Geist!
GENOVEVA.
Mir war, als weckt' er mich mit einem Kuß.
GOLO.
Ich schwör Euch zu, er hat Euch nicht geküßt.
Er wagt es nicht, er hatte Angst, daß Ihr
Zu früh erwachtet, und das wollt er nicht.
Für sich.
Ich hab ihm nichts geraubt, der Kuß ist sein!
Zu ihr.
Vielleicht, daß er in Ohnmacht fiel, wie Ihr,
Und daß die Geister, aus der Leiber Haft
Fortstürmend, feurig sich begegneten.
Leise und verschämt.
War er denn heiß, der Kuß, den Ihr gefühlt?
Für sich.
Ha, er war so, wie morgens ihn ein Kind
Mit glühndem Mund auf junge Rosen drückt,
Schnell abgebrochen, keinen Tropfen Taus
Verschüttend, heilig, wie nur je ein Kuß!
GENOVEVA.
O schwache Sinne, daß Ihr rißt, bevor
Euch noch das Bitterste geboten ward.
Nun hört ich nicht des Liebsten letzten Gruß.
GOLO.
Wohl Euch! Ihr hörtet auch den Hufschlag nicht
Des Rosses, das ihn rasch von dannen trug!
Für sich.
Und saht nicht, daß er ohne Tränen schied.
GENOVEVA.
Der soll der Wertste mir vor allen sein,
Der ihn zuletzt gesehn. Seid Ihrs?
GOLO.
Ich sah
Ihm durch dies Fenster nach. Er hatte Eil!
Er schaute nicht zu Euch und mir hinauf.
GENOVEVA.
Er hat es nicht gewagt. Er hat gedacht,
Ich könnt am Fenster stehn, und, gar zu schwach,
Zurück ihn winken. Doch, ich kenne mich,
Das hätt ich nimmer, nimmermehr getan![92]
Ausgewählte Ausgaben von
Genoveva
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