Vierte Szene

[116] GOLO tritt auf.

GENOVEVA ruft ihm entgegen.

Seht, Golo, doch

Auf diesen Kranken, dessen Arzt ich bin,

Und der mir nicht gehorchen will.

GOLO.

Das ist

Gar große Sünde.


Er zerpflückt eine Blume.


GENOVEVA.

Was zerreißt Ihr da?[116]

GOLO.

Das erste Veilchen, das ich draußen fand.

Euch wollt ichs bringen. Besser macht ichs so!

Der Frühling macht das Leben wieder frei,

Nun regt sichs in der Erde, in der Luft,

Und wie man atmet, zieht mans ein; ich bin,

Wie einer, welchen man zum Trinken zwingt,

Und der im Rausch sich und die Welt verflucht.

Ich wollt, ich wär der Tod!

GENOVEVA.

So zieht das Schwert!

Dies in der Hand, ist jeder Mann der Tod.

Nun, Drago?

DRAGO geht ab; Genoveva ebenfalls.

MARGARETHA auf Golo deutend.

Diesen Jüngling zög ich vor!

Doch, freilich, mit den Jungen hats Gefahr,

Und mit den Alten treibt mans, wie man mag.

KATHARINA.

Du sprichst hier Dinge, die du selbst nicht glaubst.

MARGARETHA.

Ich zeig dir nur, wie man die Unschuld würgt,

Wenn sie hochmütig ist. Und sei gewiß:

Die Tugend ist ganz, wie ein andrer Staat,

In den der eitle Mensch sich spreizend hüllt;

Beflecke ihn: der Träger wirft ihn weg.

GOLO tritt herzu.

Wer seid Ihr?

KATHARINA.

Meine Schwester ist es, Sohn!

GOLO.

So hängt die noch nicht?

KATHARINA verlegen.

Golo!

MARGARETHA.

Schadet nichts.

Ich seh, des Guten sprachst du viel von mir.

Gib mir die Hand!


Zu Golo.


Herr Ritter, schämt Euch nicht!

Ich koch Euch dennoch einen Liebestrank,

Wenn Ihr ihn brauchen könnt!

GOLO.

Ein Liebestrank!

Gebt einen Trank mir, der zum Haß mich zwingt.


Er tritt zurück.


Des Lebens schlimmste Krankheit ists, daß wir

Noch wissen, was wir waren, wenn wir längst

Es nicht mehr sind. Da wollen wir zurück

In unsre Wurzeln kriechen, doch umsonst.[117]

O Torheit! Ich auch mögte gar zu gern

Des Grafen Siegfried treuer Diener sein

Und doch zugleich sein Weib ihm rauben! Narr,

Dies oder das! Entschließe dich! Und schnell!

Was ists denn auch! Der Funk, der in dir schlief,

Schlug über Nacht in lichten Flammen auf,

Und die Natur des Feuers ist bekannt:

Es macht ein andres aus jedwedem Ding,

Ein beßres, oder schlechtres, wie es kömmt;

Keins bleibt dasselbe. Sieh nun, was du bist!


Ab.


MARGARETHA.

Ist das dein Sohn? Dann ists ein Bastard auch!

KATHARINA.

Ich lieb ihn, wie mein eignes Kind, doch war

Ich seine Amme nur.

MARGARETHA.

Er scheint mir sehr

In Trübsinn und Melancholie versenkt.

KATHARINA.

O, wüßt ich nur, was ihn bekümmert! Sonst

War er ganz anders.

MARGARETHA.

Dir vertraut er nicht?

KATHARINA.

Zum ersten Mal nicht.

MARGARETHA.

Dann ist er verliebt.

KATHARINA.

Gewiß nicht. Denn er kommt nicht aus der Burg.

MARGARETHA.

Und in der Burg?

KATHARINA.

Ist nur die gnädge Frau!

MARGARETHA.

Wenns die nun wäre?

KATHARINA.

Das verhüte Gott!

MARGARETHA.

Warum?

KATHARINA.

Warum? Sie ist ein ehlich Weib!

MARGARETHA.

Liebt sie den Grafen sehr?

KATHARINA.

Du frägst, und hast

Es selbst gehört?

MARGARETHA.

Seis, wie es sei, er soll

Sie haben!

KATHARINA.

Wer?

MARGARETHA.

Dein Sohn!

KATHARINA.

Du faselst!

MARGARETHA.

Nein!

Hast dus denn nicht bemerkt, wie rot er ward,

Als sie zwei Worte mit ihm sprach? Sie ists![118]

Ich bitt dich, laß mich hier!

KATHARINA.

Zum Kuppeln? Nein!

MARGARETHA.

Zum Beten, wenn du willst! Du kannst mich ja

Bekehren. Doch im Ernst, ich bin zu sehr

Ermüdet, sechzig Jahre tragen sich

Nicht leicht.

KATHARINA.

Es sei für heut. Mein Kämmerlein

Ist abgelegen. Dort versteck ich dich.

MARGARETHA für sich.

Wie einen Feuerbrand im Stroh!

KATHARINA.

So komm!


Beide ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 116-119.
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