Zwölfte Szene

[136] GOLO.

Ich treib die Sünde bis zum äußersten,

Nur, um zu sehen, obs auch Sünde war.

Ha! Kann sies tun um irgend einen Preis,

So bot ich schon den höchsten, und ich darf

Verachten, was ich jetzt verehren muß.

Wars nicht die innerste Unmöglichkeit,

Wars nur die Ebb im Blut, nur feige List,

Die niemals spricht: ich will! Doch oft: ich muß!

Dann ist die Welt, als deren Stern sie glänzt,

Nicht wert, daß man von Unrecht in ihr träumt!

Dann wird sie mir, wie eine Fackel sein,

Die Gottes Schöpfung schrecklich mir erhellt,

Und diese Fackel, fürcht ich, blas ich aus,

Bevor sie alles noch erleuchtet hat.

Wohlan! Ihr Höllenhunde, Schmach und Not,

Euch hetz ich auf sie ein! Wenn sie erliegt,

So hatt ichs Recht zur Jagd! Wenn sie besteht,

So werd ich um nichts schlechter sein, als jetzt![136]

Das merk dir, Freund! Du bist ein Schuft! Was schont

Der Schuft sich noch? Willst du den Tugendriß

Mit Selbstverachtung flicken? Schäme dich!

Als ob dies schnöde Selbstverachten nicht

Noch ein Sich-Achten wäre, ein Asyl

Der Eitelkeit, worin sie keiner sucht.

Drum vorwärts! Immer vorwärts!

Und wer weiß! Sie ist mit dir aus gleichem Stoff gemacht,

Der Stoff, du siehsts an dir, hälts Feur nicht aus!

Vielleicht ward dir in deiner Fieberglut

Der Lindrungstropfe darum nur versagt,

Weil du auf einmal und in einem Zug

Den Becher leeren, weil du, Lieb und Haß

Zugleich empfindend, sie in deinem Arm

Erniedrigen und dann erwürgen sollst!


Er wendet sich rasch zu Drago.


Sprecht, Drago, liebt Ihr unsern Herrn?

DRAGO.

Ihr wißts!

GOLO.

Und liebt Ihr unsre Frau?

DRAGO.

Was fragt Ihr doch!

GOLO.

Wen liebt Ihr wohl am meisten?

DRAGO.

Immer den,

Für den ich just das meiste tun kann.

GOLO.

Wie?

DRAGO.

Ja, darin bin ich schwach. Wer mich nicht braucht,

Mir meinen Dienst erläßt, mich seitwärts schiebt,

Mir sagt: geh, ruh dich aus! Den lieb ich nicht,

Der macht mich ja zum Nichts. Doch, wer mich plagt,

Wer mir den Schweiß aus allen Poren treibt,

Wer mich so müd macht, daß die Ofenbank

Ein Himmelreich mir scheint, den liebe ich,

Denn der gibt mir ein Recht auf das Gefühl:

Der Drago ist doch nötig in der Welt!

Und ohne dies Gefühl halt ichs nicht aus.

GOLO.

Ich will Euch brauchen, Drago.

DRAGO.

Das ist recht.

GOLO.

Schwört mir zuvor, daß Ihr nicht weigern wollt,

Was ich verlange an des Grafen Statt.[137]

DRAGO.

Ich einen Dienst verweigern?

GOLO.

Schwört!

DRAGO.

Ich schwörs!

GOLO.

So schleicht Euch in der Gräfin Schlafgemach,

Versteckt Euch dort – wo nur? – Nun, hinters Bett –

Und –

DRAGO.

Nein, Herr Golo, nimmer tu ich das!

GOLO.

Bist du der Schuft, der Gott die Schwüre bricht?

DRAGO.

Der bin ich nicht!

GOLO.

So tu, was ich befahl.

Doch hör zuvor. Es steckte einer mir,

Daß Nacht für Nacht zu Genoveva sich

Der fromme Mann, der Burgpfaff, schleichen soll.

DRAGO.

Und Ihr, Herr Golo, hättet das geglaubt?

Seht! Seht! Ihr werdet rot und bleich! Bei Gott,

Zehn Meineid wiegen nicht die Sünde auf,

Daß Ihr den Schelm nicht gleich erstochen habt.

Herr, fordert einen andern Dienst von mir:

Nennt mir den Buben, der so niedrig sprach –

Ich zeig noch heut Euch, daß ich morden kann!

GOLO für sich.

Schurk! Schurk! Sie ist jedwedem, wie ein Licht.

Man kann es löschen, doch beflecken nicht!


Laut.


Wer sagt Euch, daß ichs glaubte? Doch mein Amt

Erheischt die Untersuchung des Verdachts.

Die Gräfin ist ein Schatz, mir anvertraut,

Und wenn man mir von Diebstahl spricht und Raub,

Wer schilt mich, wenn ich auch zu ängstlich bin?

Ich will ja den Beweis nicht ihrer Schuld,

Ich will den Zeugen ihrer Unschuld nur,

Damit ich den Verleumder strafen kann.

Ihr seid der Mann, dem ich vertrauen darf,

Ihr müßt es tun, der Graf verlangts durch mich,

Zeit ists, die Nacht bricht ein, versteckt Euch, fort!

DRAGO.

Ich bitt Euch, laßt erst forschen, ob der Schelm,

Der seinen Mund so frech gemißbraucht hat,

Nicht stumm geworden ist, ich hoffs zu Gott

Und seinem Zorn, die Zung ist ihm verdorrt.[138]

GOLO.

Du hörst, mein Freund, er braucht sie ganz, wie du,

Und wenn du zögerst, macht er das, was ich

Bis jetzt allein nur weiß, im ersten Rausch

Der ganzen Dienerschaft im Schloß bekannt.

DRAGO.

Ich tus. Doch, wenn ich Euch nun morgen früh

Beschwören kann, daß alles Lug und Trug,

Laßt Ihr den Schelm dann hängen?

GOLO.

Hängen bloß?

Ich laß ihn foltern! Macht!

DRAGO geht, kehrt aber wieder um.

Nur noch ein Wort.

Es ist doch kaum für eine Mannsperson,

Was Ihr mir auftragt, sendet doch ein Weib.

GOLO.

Hier handelt sichs um Leben oder Tod,

Da kann ich nicht auf Weiberzeugnis baun!

DRAGO.

Das ist wohl wahr. In Gottes Namen denn!


Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 136-139.
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