[158] SIEGFRIED kommt halb entkleidet.
Ihr, Golo? In der Nacht noch? Und so bleich
Und abgehärmt, als kämt Ihr aus der Gruft?
GOLO.
Sprecht lieber so: als wollte ich hinein!
Ich fürchte sehr, Ihr seht in mir Euch selbst,
Wie Euch mein Auge gleich erblicken wird,
Sobald mein Mund ein einzig Wort noch sprach.
SIEGFRIED.
Mein Weib ist tot! Du sagst nicht nein? Sprich nie
Zu mir ein Wort mehr, oder sprich dies nein!
GOLO.
Sie lebt!
SIEGFRIED.
Sie lebt? Dann sei es, was es sei,
Nimm im voraus mein Wort: ich trag es leicht.
GOLO.
Ihr Kind lebt auch!
SIEGFRIED.
Mein Kind!
GOLO.
Das sagt ich nicht!
SIEGFRIED.
Ha!
GOLO feierlich.
Edler Herr, ich fühl mich nicht geschickt,
Durch eine Meldung ungeheurer Art
Eur Herz zu spalten, und den Riß zugleich
Zu heilen durch ein weich gewähltes Wort.
Drum, wie man Mord ruft in das Ohr der Nacht,
Den Schlaf zerreißend, wie man, wenn die Stadt
In Flammen steht, den Strang der Glocke zieht,
Nicht an die Fenster klopft, so ruf auch ich:
Ihr trefft es nicht zu Hause, wie Ihr sollt!
[158] Pause.
Wie schwer es sei, der treuen Gattin Tod
Dem Gatten anzusagen, kinderleicht
Ists gegen das, was ich Euch künden muß.
Ich traf Eur Weib im Ehbruch mit dem Knecht,
Dem Drago, und der Knab, den sie gebracht,
Kam vor drei Tagen erst, Ihr selber müßt
Am besten wissen, ob zur rechten Zeit.
SIEGFRIED dumpf, langsam.
Eins – zwei – zehn Monde bin ich fort! – Erst jetzt?
Und als ich zog, da sagte sie – – Erst jetzt!
Er lacht.
Ich ging ja schon zu Bett! Was quäl ich mich!
Von allen Träumen ists der dümmste Traum,
Und auch der sündlichste. Gib acht! Gib acht!
Gleich kommts dir vor, die Lilie sei schwarz.
Er schließt die Augen.
Woher nur nimmt die Seele, die doch wohl
Geordnet ist und nicht im Irren schweift,
Zum reinen Widerspruch den Stoff im Schlaf?
Ei nun! Man kann ja auf dem Turme stehn,
Den festen Boden unter sich, und hat
Doch schwindelnd ein Gefühl, als ob man stürzt.
Er sieht Golo an.
Du bist noch da? Dann bist du ein Gespenst,
Das mir die Hölle schickt, und trügest du
Nicht Züge, die mir wert und teuer sind,
Ich dränge mit dem Schwerte auf dich ein,
Obgleich ich weiß, daß man die Schatten nicht
Verletzen kann.
GOLO als ob er gehen wollte.
Ich komme morgen früh.
SIEGFRIED.
So wach ich, und du bist es wirklich?
GOLO.
Ja!
Doch überrascht michs nicht, daß Ihrs nicht glaubt.
Denn leichter ist es, einen Lebenden
Für ein Gespenst zu halten, als ein Weib,
Wie Euer Weib, für eine Sünderin.[159]
SIEGFRIED richtet sich stolz auf.
Ja wohl! ja wohl! Ich bin ein Mann, und hab
Als Mann ein Recht auf ein getreues Weib!
Und faß ich dies mein Recht und ihre Pflicht
In ein Gefühl zusammen: frei und stolz
Mögt ich da sagen: Wer so sprach, der log.
GOLO.
Ich log vielleicht schon einmal.
SIEGFRIED.
O, das ists!
An dir zu zweifeln, hab ich nicht das Recht,
An ihr zu zweifeln, hab ich nicht den Mut.
Wie in zwei Waageschalen sehe ich
Die höchsten Güter, die ich mein genannt,
Gleichschwebend kämpfen einen stillen Kampf;
Nicht weiß ich, wohin werf ich mein Gewicht.
Pause.
Und doch! Ich weiß! Ich frage nicht mein Herz!
Wenns bricht, so tut es seine Schuldigkeit!
Ich stelle mich als Mann zum Mann. Ich kann
Nur stehn für mein Geschlecht, für ihres nicht.
Was einem Weibe möglich ist, wer hats
Erforscht! Doch, was ein Mann zu tun vermag,
Das sagt die Ahnung in der Brust mir an,
Und die spricht jetzt mit tausend Zungen: Nein!
Nun aber sei nicht unbarmherzig, Freund,
Rett vor dem Wahnsinn mich, und mach mir klar,
Wie das geschehen konnte, was geschah.
Mir deucht, du nanntest – doch das kann nicht sein!
Ich hörte falsch! Nicht wahr, ein Sänger kam,
Ein goldgelockter, in mein stilles Schloß.
Er sang – er sang vielleicht von mir! Und sie
Verwechselte in süßem Rausch den Mund,
Der ihr mein Angedenken sanft erneut,
Mit meinem eignen Mund, und küßte ihn,
So, daß die Liebe, die sie zu mir trug,
Doch noch zum neuen Brand den Funken gab.
Wars so? Die Schande ist für mich gleich groß,
Doch nicht für sie.
GOLO.
Den Sängern hätt ich wohl[160]
Das Tor verschlossen, wie es sich gebührt.
Ihr hörtet recht. Kein Sänger: Drago wars!
SIEGFRIED.
Mann, treu wie Gold! Jetzt schwöre ich für dich,
Daß alles sich verhält, wie du gesagt.
Auf einen Drago fällt die Lüge nicht,
Und käme sie aus eines Tollen Hirn.
Das Herz ist listig! Satisfaktion!
Ja, ja! Nur darum darfs der Knecht nicht sein!
Nun, Freund, das Nähere. Ergötze mich!
Du hast gewiß den Drago mitgebracht.
Ruf ihn herbei! Ich will dem Schuft verzeihn,
Wenn er die Schnurre gut erzählen kann.
Auf Gottes Kosten mögt ich über Nacht
Ein wenig lachen; bis zum sechsten Tag
War er ein Meister, ich begreif es kaum,
Wie er zuletzt noch solch ein Stümper ward.
Nun? Nun?
GOLO.
Den Drago stach der Caspar tot.
Doch ist der Hans hier. Ist es Euch genehm,
Den zu befragen?
SIEGFRIED.
Aus des Reitknechts Mund
Ein Siegel mir erbetteln für den Schimpf?
Nein, Golo!
GOLO.
Ihr vergebt. Es fällt mir schwer,
Euch Pfeil nach Pfeil ins Herz zu bohren.
SIEGFRIED.
Tus!
Ich sterbe nicht davon. Nur schnell und kurz.
Zu Edelknecht.
Du kleid mich an! Dann führ mich hin! Du weißt
Ja, wo sie wohnt.
EDELKNECHT.
Wer denn?
SIEGFRIED.
Die alte Frau,
Die meiner Wunde pflegte. Unbesorgt!
Ich werde sie nicht töten, weil sies tat.
GOLO.
Was sinnet Ihr?
SIEGFRIED.
Mit eignen Augen will
Ichs Wunder schaun!
Zu Edelknecht, der ihn ankleidet.
Mein Schwert! Vergiß es nicht![161]
GOLO für sich.
Er will zu Margaretha! Seltsam ists!
Wie scharf der Teufel sieht! Sie hat es mir
Vorausgesagt, und hält sich schon bereit.
SIEGFRIED.
Nun, Golo?
GOLO.
Gleich nach Eurem Abzug ward
Die unbegreifliche Vertraulichkeit
Bemerkt, die Drago an die Gräfin band.
Ging sie zur Messe – Drago folgte ihr,
Rief sie, und wars auch aus dem Schlafgemach,
So rief sie meine Mutter nicht, noch sonst
Der Dienerinnen eine, immer ihn.
Doch weiß ich dies nur, weil man mirs erzählt,
Ich selbst hab nichts davon gesehn.
SIEGFRIED.
Ich glaubs!
Dir lag der Argwohn fern!
GOLO.
Am Ende zwar
Ward das Geflüster, das im Schlosse lief,
Das schlimme Deuteln, mancher freche Witz
Auch mir bekannt. Nun paßte ich mit Ernst
Doch – nichts entdeckt ich!
SIEGFRIED setzt den Helm auf.
Nichts?
GOLO.
Kaum fiel mirs auf,
Daß sie ein paar Mal ihre Tür verschloß,
Wenn Drago drinnen war.
SIEGFRIED.
Du warst ein Kind!
GOLO.
An einem Morgen sprach die Mutter mir
Von Händedrücken.
SIEGFRIED.
Ha!
GOLO.
Da dachte ich:
Du schickst auf gute Art den Burschen fort.
Ich rief ihn zu mir. Drago, sagte ich,
Im Bergschloß wurde der Verwalter krank,
Nun hab ich keinen, dem ich trauen darf,
Als Euch, drum macht noch heut Euch auf den Weg,
Damit Ihr seine Stelle dort verseht.
»Weiß sies?« versetzt' er plump. Ich fragte: Wer?
»Ei, sie, die Gräfin!« – Nein! – »So fragt sie erst,
Ob sie mich ziehen läßt!« Ich tats. Da griff[162]
Sie mir ans Kinn –
SIEGFRIED.
Ans Kinn?
GOLO.
Und sprach: Mein Sohn,
Es gibt wohl andre, die du schicken kannst,
Geh lieber selbst, den Drago brauch ich hier.
SIEGFRIED.
Wozu?
Er drückt sich den Helm tief ins Gesicht.
GOLO.
So fragt ich auch. Da aber ward
Sie zornig, wie ein Mensch denn zornig wird,
Wenn ihm die Antwort fehlt. So ging es fort.
SIEGFRIED.
Ich war im Krieg. Im Krieg, da stirbt sichs leicht,
Und Tote fordern keine Rechenschaft.
Was deucht dir, Freund, hat sie nicht so gedacht?
GOLO.
Was sie gedacht hat, davon weiß ich nichts.
An einem Abend, als die Dienerschaft
Beim Essen saß – ich stand und härmte mich,
Weil ich nicht mit am Tisch den Drago sah;
Da trat auf einmal, stier und totenbleich,
Die Mutter in die Tür und sprach zu mir:
Der Drago geht mit ihr zu Bett! Ich hielt
Es gleich für wahr und spie sie dennoch an.
Sie aber, drob erglühend, ging zum Tisch
Und riefs den Leuten zu, die sprangen auf,
Nach Lichtern griffen Balthasar und Hans,
Der Caspar schwur dem Drago Mord und Tod,
Ich ward voran gedrängt –
SIEGFRIED fühlt sich mit der Hand nach der Stirn.
Genug! Genug!
Komm, Edelknecht! – Das Weitre unterwegs!
Ich könnt es wissen! Warum schaute ich
Nicht längst ins Glas der Wahrheit! Ahnt ichs schon?
Du sahst, nicht wahr? der Caspar und der Hans,
Der Balthasar, der Conrad, wer noch mehr?
Die ganze Welt, Ihr sahet –
GOLO.
Hinterm Bett
Versteckt den Drago und entkleidet sie!
SIEGFRIED grimmig.
Ein Glück für dich, daß es so viele sahn!
Wärst dus allein – den Spiegel meiner Schmach
Haut ich in Stücke, eher noch als sie!
GOLO reißt sich die Brust auf und deutet auf Siegfrieds Schwert.[163]
SIEGFRIED reicht ihm die Hand.
Still! Still! Nichts weiter! Wissen muß ich mehr,
Ja, alles! Denn ich muß ja alles tun!
Ja! Ja! Allein aus deinem Mund kein Wort.
Der schweigende Kristall, vor dem ich nicht
Erröten darf, soll mirs vertraun. Kommt! Kommt!
Zu Edelknecht.
Du gehst sogleich, wenn du mich hingebracht,
Zurück und sattelst mein arabisch Roß!
Ab.
GOLO.
Er ist ein Mann, wie sie ein Weib. Und ich? –
Er folgt Siegfried.
Ausgewählte Ausgaben von
Genoveva
|
Buchempfehlung
Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.
226 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro