[208] SIEGFRIED tritt in Jagdkleidern auf.
Wo blieb die Hirschkuh?
CASPAR ihm folgend.
Fort, als hätte sich
Die Erde aufgetan –
SIEGFRIED.
Die Erde tut
Sieh niemals auf! Nun, gleichviel, wo sie blieb!
Wenns die nicht ist, wirds eine andre sein!
CASPAR.
Gleichviel? Nicht doch, nicht doch, hochedler Herr!
Spricht so ein Jäger? Für den Jäger gibts
Nur ein Tier auf der Welt, das Tier nur gibts,
Das er gerade jagt! Was kümmern ihn
Die übrigen, eh das am Boden liegt!
SIEGFRIED.
Mein treuer Knecht, man zieht den grünen Rock
Wohl einmal wieder über, wenn ein Mensch,
Wie du, ihn alle Morgen bringt und fragt,
Ob man ihn nicht verlange, doch das Herz –
Das Herz läßt sich nicht zwingen, und ich weiß,
Warum ich aus dem Totenschädel nur
Mein bißchen Wein noch trinken mag! Ich hab
Dir diesmal nachgegeben, wie ichs tat,
Als du mir, zur Erheitrung! auf mein Schloß
Die wilden Vettern ludest; nicht, weil ich
Dein Mittel gut fand, nur, weil ich dem Arzt
Beweisen wollte, daß mir nichts mehr hilft! –
Ich trags, ich fluche nicht, was soll ich mehr?
Daß ich es fühle, dafür kann ich nichts.
Auch Christus hat am Kreuz sich nur gebeugt,
Wo liest man denn, daß er gelächelt hat!
Ach, wüßtest du, wie mir zumute ist,
So sagtest du: es ist ein Heldenstück,
Daß er noch ißt und trinkt! Es ist nicht bloß
Der Schmerz um sie – den hielte ich geheim,
Wie Pest und Aussatz, fänd ich mich zu schwach,
Ihn zu ersticken – nein, mich plagt die Angst,
Ob ich ihr nicht zu viel getan, es blieb
Ja alles dunkel bis auf diesen Tag.
Caspar, ich hab mich furchtbar übereilt![209]
CASPAR.
Das ist gewiß!
SIEGFRIED.
Wer eine solche Tat
Befiehlt, der soll sie auch mit eigner Hand
Vollziehn, wem Gott die Kraft dazu versagt,
Dem zeigt er an, daß er den Spruch verwirft!
Ich schob sie auf den Golo. O, das hat
Sich fürchterlich an mir gerächt! Hätt ich
Sie auf dem letzten Wege noch gesehn,
So wäre alles anders! Ihre Furcht,
Ihr Zittern, hätte meinen Mut erhöht,
Ihr Mut ein Zittern in mir selbst erweckt,
Und wie's auch immer kam, in meiner Brust
Wär Friede! Jetzt – Ha! Jeder Tote ist
Ein Vampir, ohne daß ers weiß, und saugt
Dem, der ihn liebt, das Herzblut aus, es steigt
Kein Schatten aus der dunklen Gruft herauf,
Der sich, bevor er sichtbar werden kann,
Mit diesem Rot nicht tränken muß! Und sie –
O meine Träume! Und bei Tage auch,
Ich hab sie stets vor Augen! Kaum, daß sie
Zurückweicht, wenn die Welt um mich vergeht,
Wenn ich am Hochaltare steh vor Gott,
Und wenn ich schaue in ein offnes Grab.
Sonst – Caspar, hab Geduld, bald ist es aus!
Dann kannst du –
CASPAR.
Schlafen gehn, nicht wahr? – Ein Reh!
SIEGFRIED.
Wo nur der Golo bleibt! Ich hoffte stets,
Der sollte wiederkehren und von ihr
Noch manches mir erzählen, zwar zu viel
Für völliges Verzeihn, doch nicht genug
Für gänzliche Verdammung, so daß mir
Doch Aussicht bliebe für die Ewigkeit!
CASPAR.
Auf Golo wartet nicht!
SIEGFRIED.
Du meinst, er ist
Verunglückt?
CASPAR.
O, gewiß, der lebt nicht mehr!
SIEGFRIED.
Wohl ihm!
CASPAR.
Ich habe nichts dagegen![210]
SIEGFRIED.
Wie?
CASPAR.
Ich wünsch ihm Glück zum Jüngsten Tag! Der scheint
Nicht fern zu sein!
SIEGFRIED.
Wie meinst du das?
CASPAR.
Ei was:
Wenn sich die Hexen selbst verbrennen, muß
Er vor der Tür stehn, und das alte Weib
Von gestern hat sich selbst verbrannt!
SIEGFRIED.
Das wär
Ein grauses Zeichen!
CASPAR.
Als ihrs nicht gelang,
zu Euch zu dringen – Ich stieß sie zurück,
So sehr sie flehte –
SIEGFRIED.
Schickte ich ihr nicht
Genug heraus?
CASPAR.
Gewiß! Nur kam sie nicht
Um eine Münze, noch um Brot und Wein,
Sie kam um Pech und Schwefel, Hanf und Werg!
Und als man ihr das weigerte – ich nicht,
Ich hätt ihr dies Almosen gern gereicht
Und einen Wachsstock obendrein, denn mir
War sie von früher her bekannt – da lief
Sie in den Wald, und sammelte, was sich
An Reisig fand, dann türmte sie daraus
Sich einen Scheiterhaufen, kroch hinein,
Schlug Feuer mit zwei Kieseln, zündete
Die dürren Blätter an, und alles das
Mit einer Hast und Eil, als müßte sie
Auf die Sekunde damit fertig sein!
SIEGFRIED.
Und wehrte niemand ihr?
CASPAR.
Nein! Nicht einmal
Die Regenwolken, welche dick und schwarz
Am Himmel hingen. Keine ließ auch nur
Den kleinsten Tropfen fallen, später kam
Ein Wolkenbruch! – Hochedler Herr, sie sang,
Ein andres Lied, als jene Heiligen,
Die Gott im glühnden Ofen prüfen ließ!
Sie fluchte freilich nicht, sie beichtete,[211]
Und das mit Ernst, denn mitten in der Glut
Der Flammen klapperten die Zähne ihr
Vor innerm Frost in ihrer Seelenpein.
Doch was zum Vorschein kam, war solcher Art,
Daß ich beim dritten Wort die Gaffer schon
Von hinnen trieb. Da aber rief sie aus:
Du jagst die Menschen fort? Das hilft dir nichts,
Die Vögel hören mich, und jeder fängt
Zu sprechen an, wenn er –
Er unterbricht sich.
Was such ichs noch
Zurückzuhalten? Sie hat recht, ich fühls;
Die Amseln plapperns aus, wenn ichs nicht tu,
Es geht nicht mehr! Auch hab ich eine Angst,
Die gar nicht weicht!
Er fährt fort.
Wenn er den Grafen sieht!
SIEGFRIED.
Caspar!
CASPAR.
Ja, Herr! Mich selbst belud sie dann
Mit einem Morde – leichte Last, nicht wahr,
Für meine siebzig Jahre? – den ich einst,
Von ihr verhetzt, an einem frommen Knecht
Begangen habe!
SIEGFRIED.
Ha!
CASPAR.
Was Euch betrifft,
Euch bitt ich: wenn Ihr Euer Ehgemahl
Im Himmel antrefft, Gott zur rechten Hand,
So denkt nicht, daß der ewge Freudensaal
Auch Ehebrecherinnen offen steht! –
Nun vorwärts! Kommt! Die Tiere höhnen uns,
Schaut hin!
SIEGFRIED.
Ein Wort! War dieses Weib einmal
In Straßburg?
CASPAR.
Fragt nicht mehr!
SIEGFRIED.
Allmächtger Gott,
Du sagst nicht nein?
CASPAR.
War da die Hirschkuh nicht? –
Er schreitet auf die Höhle zu.
Ich glaubte, ihren scheckgen Hals zu sehn!
Nun ist sie wieder weg![212]
SIEGFRIED folgt ihm.
Du läufst vor mir!
CASPAR.
Was das wohl ist?
Er entdeckt die Höhle.
Eine Höhle! Nun, da wär
Das Wunder ja erklärt!
SIEGFRIED.
Sprich, Caspar, sprich.
Tod oder Leben? Rasch!
CASPAR.
Nun, wenn ich muß,
So wißt: der Teufel trieb sein Spiel mit Euch,
Ihr hieltet Weiß für Schwarz und Schwarz für Weiß!
SIEGFRIED.
Doch Golo!
CASPAR.
Hab ichs Euch nicht schon gesagt?
Ihr hieltet Schwarz für Weiß! Denn der war schwarz.
SIEGFRIED.
Golo!
Er hält sich an einem Baum.
CASPAR.
Hat Euch getäuscht!
SIEGFRIED.
Versteh ich dich?
Er – Er –
CASPAR.
So ists! Er war zu jung, und sie –
SIEGFRIED.
Dann –
Er tritt vom Baum weg.
Nieder!
Er führt mit geballter Hand einen Schlag.
Caspar, hör, wo er auch sei,
Im Arm der Liebe, in der Freunde Kreis,
Den Becher in der Hand, ja am Altar,
Jetzt fällt er um und steht nicht wieder auf!
CASPAR.
Das tut er nicht! Es ist dafür gesorgt!
SIEGFRIED.
O Genoveva! Genoveva!
CASPAR entfernt sich mit Entsetzen von der Höhle.
Herr,
Ein Ach kam aus dem Berg, ein Klageton,
Hier führts zur Höll hinab!
SIEGFRIED.
O loderten
Die Flammen mir entgegen!
Er will in die Höhle hinein, stürzt aber gleich wieder heraus.
Heilger Gott!
CASPAR bekreuzt sich.
Alle guten Geister –[213]
Ausgewählte Ausgaben von
Genoveva
|
Buchempfehlung
Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.
114 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro