Dritte Szene


[398] Ambrosio und Bartolino kommen zurück.


AMBROSIO.

Nun kommen wir nicht mehr zu früh ans Tor.

Wenn du nur Geld hast!

BARTOLINO.

Keinen roten Heller.

Ich habe meinen Schuster heut bezahlt,

Und das für Stiefel vom vergangnen Jahr!

AMBROSIO.

So gibts noch Zank. Wenn ich nicht trinke, zank ich!

BARTOLINO.

Ei was, wir können wen besuchen gehn.

AMBROSIO.

Den Brunnen auf dem Markt, ja wohl!

BARTOLINO.

Warum nicht?

Man trifft dort manche hübsche Magd!

AMBROSIO.

Die Dirnen

Verschlechtern sich, wie alles übrige,

Sie geben nur noch Küsse her, kein Geld.

Wo find ich eine, wie ich eine hatte,

Die für mich stahl, bis sie ins Zuchthaus mußte,

Und noch im Zuchthaus Strümpfe für mich strickte!

Das tat die Laura nicht für den Petrark.

Der Teufel soll mich holen, wo ich nicht

Noch heute abend trinke auf ihr Wohl!

Das war ein Schwur! Sie hats um mich verdient!

BARTOLINO.

Könnt ich nur Flöte spielen! Mit der Flöte

Ist man willkommen, wo es Lustge gibt.

Man sollt es eigentlich als Mensch schon können,

Damit man doch vom Tier sich –

AMBROSIO bemerkt Angiolina.

Wer ist da?

Was horcht man? Was verkriecht man sich?

BARTOLINO.

Ein Mädchen!

AMBROSIO.

Kennt man uns nicht? Wir fragen für den König!

Respekt der Uniform! Woher? Wohin?

Was schweigt man still?

BARTOLINO.

Wie die herausgeputzt ist!

ANGIOLINA.

Ach Gott, ihr Herrn –

AMBROSIO.

Man geht auf bösern Wegen!

Wir wissens schon! Allein man kommt nicht weit,

Es gibt noch manchen Schlagbaum vor der Hölle![399]

ANGIOLINA.

Wie wirds mir gehn? Die hat mein Vater sicher

Hieher bestellt!

AMBROSIO.

Ja freilich hat er das!

ANGIOLINA.

Das ist doch schändlich!

AMBROSIO.

Schändlich?

ANGIOLINA.

Hätt er mich,

Wenn er was merkte, statt mich zu beschimpfen,

Denn nicht im stillen –

AMBROSIO.

Her das goldne Kreuz!


Reißt ihr das Halskreuz ab.


ANGIOLINA.

Ich wußte nicht, warum er heut so lustig,

So ausgelassen war, so ganz, wie damals,

Als sich Sebastian den Arm gebrochen,

Und es im Anfang hieß, es sei der Hals.

Ich fürchtete – nun seh ich wohl, warum!

Du großer Gott, verdien ichs –

AMBROSIO.

Und den Ring!


Zieht ihr den Ring ab.


Den Finger ausgestreckt! Sonst tuts ja weh!

ANGIOLINA.

Ich habe nie gesagt, wie er mich martert,

Ich habe mich geschämt und still geweint,

Nun wird man mit dem Finger auf mich zeigen:

Dort geht die Schwester vom verlornen Sohn!

AMBROSIO reißt ihr ein Kästchen aus der Hand.

Was steckt in diesem Kästchen?


Zu Bartolino.


Sieh dich um,

Ob niemand kommt!


Zu Angiolina.


Ei, ei, die Silberspangen!


Zu Bartolino.


Kein Mensch?


Zu Angiolina.


Sie stehen mit auf unsrer Liste!

Wo ist das bare Geld?

ANGIOLINA.

Das bare Geld?

So hat mein Vater –

AMBROSIO.

Nun, wie sollt er nicht?

Bis auf den Pfenning hat er –

ANGIOLINA.

Großer Gott!

Konnt ers so ganz vergessen, daß sein Kind

Auch dein Kind ist?

AMBROSIO zu Bartolino.

Tybaldo, nimms ihr ab!


Heimlich.[400]


Sprich: Ja, Antonio!

BARTOLINO.

Ja, Antonio!


Für sich.


Das ist ein – Ja, ob der in Algier war!

Der könnte auf dem Mond gewesen sein

Und einen Stein herabgeworfen haben,

Dem größten Potentaten auf das Haupt!


Zu Angiolina.


Die Börse her!

ANGIOLINA.

Ich habe keine Börse!

Und glaubt, ihr Herr, mein Vater ist mein Vater;

Doch, wenn er sagt, ich hätt ihm was genommen,

So tut ers nur, weil er erbittert ist.

Die Kette ist von meiner armen Mutter,

Sie hing sie auf dem Krankenbett mir um.

Das war ein Tag – o Gott, wie weinte ich,

Als sie es tat! – es war mir ja ein Zeichen,

Daß sie vor Augen ihren Tod schon sah.

Den Ring hat mir mein Vater selbst geschenkt,

Er war mir wert, wie sollt er es nicht sein!

Ich durfte denken, wenn ich ihn beschaute:

Dein Vater hat dich auch einmal geliebt!

Die Spangen sind von meinem Bräutigam,

Er hat gedarbt, daß er sie kaufen konnte,

Wie hätte ich sie wohl zurückgelassen,

Sie sind mir heilig, wie's die Kette ist!

AMBROSIO.

Das hört sich recht gut an!

ANGIOLINA.

Nur, weil es wahr ist!

Ihr Herren, seht mich an, ich weiß ja selbst,

Was ich getan, als ich – nur schließt nicht draus,

Ich sei ein unbesonnen-leichtes Mädchen,

Bei meiner Mutter Grab, ich bin es nicht!

Mir war von jeher, aus dem Fenster schauen,

So viel, wie andern, auf die Straße gehn;

Schließt auf die Qualen draus, die ich ertrug,

Und auf die größeren, die meiner harrten!

AMBROSIO zu Bartolino.

Wenn dirs am Strick fehlt, einen aufzuknüpfen,[401]

So zupf ihm aus dem eignen Mund den Hanf.

Gibt acht, wie man das macht!


Zu Angiolina.


Ich hab als Mensch

Zwei Ohren, links und rechts, das zeigt mir an,

Daß ich von links und rechts die Stimmen hören,

Und mit dem Hirn, das in der Mitte liegt,

Sie unparteiisch dann vergleichen soll.

Erzählt mir mehr denn vom Warum und Wie,

Damit ich sehe, wer gelogen hat,

Wer weiß, auf welche Seite ich mich schlage!

BARTOLINO.

Den könnt ich küssen! Hätte mich der Wind

Doch auch – Wer wär nicht gern ein Kerl wie der!

AMBROSIO zu Angiolina.

Nun? Ohne Furcht!

ANGIOLINA.

So sagt doch selbst, ihr Herrn,

War es ein väterlicher Schwur, mich lieber

Im Würfelspiel den trunkenen Soldaten,

Wie's wohl mit Hund und Lamm geschieht, zum Preis

Zu setzen, als Sebastian mich zu geben? –

Beim ewgen Gott, es war nicht väterlich!

AMBROSIO.

Die Väter sind zuweilen etwas seltsam,

Wie gings mir mit dem meinigen!


Zu Bartolino.


Er sprach:

Kauf mir den Segen ab, verdammter Bube,

Damit ich mich einmal betrinken kann,

Sonst gebe ich dir meinen Fluch umsonst!


Zu Angiolina.


Nun, der Sebastian –

ANGIOLINA heftig.

Wenn ihr ihn kennt,

So werdet ihr nichts Schlimmes von ihm sagen,

Mein Vater selbst, ich zweifle, ob ers tut!

AMBROSIO.

Er will ihn aber nicht zum Eidam, will nicht,

Daß seine Enkel Nasen tragen sollen,

Die an Sebastians Nase ihn erinnern,

Er ist nun einmal im Geschmack kurios.

ANGIOLINA.

Er will ihn nicht zum Eidam, weil er arm ist!

Sind wir denn reich? – Und will Sebastian

Denn mehr, als mich? – Hat er nicht oft gesagt:

Gebt mir die Tochter, seht, zwei Hände hab ich,

Und sie nur einen Mund. Das übrige[402]

Verschenkt, wohin ihr wollt. Wenns euch gefällt,

Davon der Mutter Gottes einen Altar

Zu stiften, seid gewiß, wir werden kommen,

Daran zu beten für eur Seelenheil!

AMBROSIO.

Ein frommer Bursch!


Zu Bartolino.


Den untern Tisch zu saufen

Und dann vor eine Kirchentür zu legen,

Das müßte eine Götterwollust sein!

Ich mögte ihn im Katzenjammer sehn,

Besonders, wenn es just Karfreitag wäre!


Zu Angiolina.


Und dieser Vorschlag, rührte er den Vater?

ANGIOLINA.

Die Antwort war ein fürchterlicher Schwur!

Noch mehr! Es kam ein Feuer bei uns aus,

Und wäre nicht Sebastian gewesen,

So läge jetzt in Asche unser Haus.

Er tat das Übermenschliche, ich sahs

Mit Angst und Schaudern, aber auch mit Stolz,

Und reicht ihm, als er nach vollbrachtem Werk

Mit glühnden Wangen und verbrannten Wimpern

An mir vorbei ging, öffentlich die Hand.

Er faßte sie und sah auf meinen Vater,

Der in der Ferne stand, doch dieser rief:

Wenn das zum Abschied ist, so mag es gehn,

Sonst aber wirds Herr Gregor sich verbitten,

Denn dieser wirbt um sie – ach es ist wahr,

Der alte Mann ist plötzlich toll geworden! –

Und wenn du Dank von mir verlangst, so bau dir

Ein Haus und ruf mich, wenn es einmal brennt,

Ich werde kommen, meine Schuld zu tilgen!

AMBROSIO.

Sebastian nun, natürlich, stach ihn tot!

Das mußt er tun, und wären ihm die Flügel

Schon halb heraus, womit er einst als Engel

Mich schamrot machen wird am Jüngsten Tag!

ANGIOLINA.

Sebastian wurde bleich, daß michs entsetzte,

Dann sagte er: Du hörst! und sah mich an,

Ich nickt ihm zu und flüsterte: am Kreuz!

Er spreizte sieben Finger aus und ging.[403]

Denn tags zuvor schon hatt er so gesprochen:

Auf gradem Wege wird es nichts mit uns,

Drum laß uns nicht mehr vor dem krummen schaudern;

Wenn du nur willst, so sind wir Mann und Frau,

So schnell ein Pfaff uns dazu machen kann,

Ich kenne einen, der den Dienst mir leistet,

Nur kommt er nicht zu mir, ich muß zu ihm.

Bist du einmal mein Weib, so kann dein Vater

Dir nichts mehr tun, als dir die Tür verschließen,

Was schadet das? Er schlägt dir dann den Arm

Nicht wieder lahm – er tats, doch wars im Rausch! –

Das ist kein Unglück, darum folge mir!

Als er so sprach, daß schüttelt ich den Kopf,

Doch, als mein Vater ihn mit Füßen trat,

Statt ihn, wie ers verdiente, zu umarmen,

Da nickte ich, und nun, nun bin ich hier!

AMBROSIO.

So kommt er auch?

ANGIOLINA.

Was sollte ich sonst da?

Um sieben wollt er kommen, doch sein Herr

Hält ihn wohl auf, wie immer!

AMBROSIO zu Bartolino.

Hörst du das?

BARTOLINO.

Ei wohl, und bin begierig, was du tust?

AMBROSIO zu Angiolina.

Sind Ring und Spangen und die Kette echt?

ANGIOLINA.

Sie sinds, doch sind sie drum nicht minder mein!

AMBROSIO zu Bartolino.

Was meinst du, geben wirs zurück?

BARTOLINO.

Ist das

Die Weisheit aus Algier? Dann wär der Spaß

Wohl besser unterblieben!

AMBROSIO.

Du hast recht!

Wer weiß, ob die nicht dennoch plauderte!

BARTOLINO.

Zu ihrem Bräutigam gewiß, und der

Legts ernsthaft aus –

AMBROSIO.

Und wir, wir sind zu kennen!

Die Schmarre hier –


Zeigt auf sein Gesicht.[404]


BARTOLINO.

Sie hat dich einmal schon

Verraten – denkst du noch an den Tabak?

Das ging vortrefflich mit der Schmuggelei!

AMBROSIO.

Wohl! Dieser Schmarre wegen muß sie dran!

Auch gibt es nächstens eine Musterung,

Da dürfen wir nicht ohne die Medaillen

Erscheinen, die wir jüngst für Wein versetzt;

Woher das Geld, sie einzulösen, nehmen?

BARTOLINO.

Verflucht, daß wir uns ausgezeichnet haben,

Als es die Diebe einzufangen galt,

Das dringt uns jetzt verruchte Taten ab!

AMBROSIO.

So zieh!

BARTOLINO.

Zieh du!

AMBROSIO.

Ich nicht allein!

ANGIOLINA.

Ihr Herren!

AMBROSIO.

Nun? Müßig Zusehn gilt hier nicht! Drauf los!

Denk dir, sie habe dies und das getan!

BARTOLINO.

Hei! Kinderköpfe und Algier!


Sie durchstechen Angiolina.


EINE STIMME VON DRAUSSEN.

O! O!

ANGIOLINA sterbend.

Das – ist – ja schrecklich für Sebastian!


Stirbt.


BARTOLINO.

Ist das schon aus?

AMBROSIO.

Was war das für ein O?

Vernahmst dus nicht?

BARTOLINO.

Die Erde hat geseufzt,

Das soll sie, wenn sie Blut trinkt, immer tun!

AMBROSIO.

Mir war, als käm es aus der Luft!

BARTOLINO.

So ists

Ihr Geist gewesen, der noch – armer Geist!

AMBROSIO.

Wenns nur kein Mensch war!

BARTOLINO.

Sahst du einen Menschen?

AMBROSIO.

Fort! Fort! Doch nein! Mir fällt was Beßres ein!

Beiseite nur! Wir passen, bis der Bursche

Sich einstellt, der Sebastian, dann –

BARTOLINO.

Man kommt![405]

AMBROSIO.

Er ists! Der Mörder! Wenn es nur nicht zwei sind!

Jetzt hintern Baum!

BARTOLINO.

Steht die nicht wieder auf?


Beide ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 398-406.
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