Neunte Szene

[192] Gunther tritt mit Hagen und den andern auf.


GUNTHER.

Wie ich euch gesagt:

Sie rechnet auf die Tat, wie wir auf Äpfel,

Wenns Herbst geworden ist. Die Alte hat,

Um sie zu reizen, hundert Weizenkörner

In ihrer Kammer still herumgestreut:

Sie liegen unberührt.

GISELHER.

Wie ist es möglich,

Daß sie so Leben gegen Leben setzt?

HAGEN.

So mögt ich selber fragen.

GUNTHER.

Und dabei

Kein Treiben und kein Drängen, wie's bei Dingen,

Die doch an Ort und Zeit und Menschenwillen

Gebunden sind, natürlich ist, kein Fragen,

Kein Wechsel in den Zügen, nur Verwundrung

Daß man den Mund noch öffnet und nicht meldet:

Es ist vollbracht!

HAGEN.

So sage ich dir eins:

Sie liegt in seinem Bann, und dieser Haß

Hat seinen Grund in Liebe!

GUNTHER.

Meinst du auch?

HAGEN.

Doch ists nicht Liebe, wie sie Mann und Weib

Zusammenknüpft.

GUNTHER.

Was dann?

HAGEN.

Ein Zauber ists,

Durch den sich ihr Geschlecht erhalten will,[192]

Und der die letzte Riesin ohne Lust,

Wie ohne Wahl, zum letzten Riesen treibt.

GUNTHER.

Was ändert das?

HAGEN.

Den löst man durch den Tod!

Ihr Blut gefriert, wenn seins erstarrt, und er

War dazu da, den Lindwurm zu erschlagen

Und dann den Weg zu gehn, den dieser ging.


Man hört Tumult.


GUNTHER.

Was ist denn das?

HAGEN.

Das sind die falschen Boten,

Die Dankwart hetzt. Er macht es gut, nicht wahr?

Auch der wirds hören, der gerade küßt!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 192-193.
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