Zweites Kapitel

[403] Schnock erzählt


»Fragt man mich, warum ich ein Weib genommen habe, was ich jetzt selbst fürchten muß, so kann ich auf diese Frage vernünftiger antworten, als Tausende von Ehemännern, die mein Schicksal teilen. Sie pflegen schmachvollerweise für sich anzuführen, daß ihre Drachen ihnen in Engelsgestalt entgegengetreten seien, als ob dies nicht eben die Natur des Weibes wäre, und als ob es, Adam ausgenommen, der das freilich nicht wissen konnte, da kein anderer ihm seine Erfahrungen vermacht hatte, irgend jemandem zur Entschuldigung gereichen könnte! Solche Toren darf ich verachten; denn ich habe mich niemals über meinen Hausteufel und das Geschlecht, dem er angehört, getäuscht, und wenn ich dennoch sein Gespons geworden bin, so ist das wenigstens nicht meiner Verblendung beizumessen. Nie wärs mir eingefallen, mich aus eigener Bewegung nach einem Weibe umzusehen, und wer das zu ruhmredig findet, der lasse sich sagen, was ich schon in meinem zehnten Jahre erlebte, dann wird ers begreifen. Ich stand dabei, als meine Mutter meinen Vater die Oberlippe abbiß, weil er nach einem heftigen Zank zu früh auf den Versöhnungskuß drang, ich sah sein Blut stromweis in den Bart rinnen und den Hemdkragen färben. Wer an meiner Stelle hätte nicht schaudernd, wie ich, das Gelübde getan, niemals wieder einen Menschen an dem Ort, wo er Zähne hat, zu küssen, und wer könnte dies Gelübde halten und sich doch zugleich beweiben wollen: Aber meine jähzornige Mutter bestand, als ich in die Jahre kam, mit Ungestüm darauf, daß ich mich verheiraten solle, sie fragte mich, ob ich ein sonstiges Mittel wüßte, ihr Enkel zu verschaffen, oder ob sie andern alten Frauen in ihren Ansprüchen auf die großmütterlichen Würden und Freuden nachstünde, und darauf ließ sich nicht viel erwidern. Ich mußte mich also in der Gedanken ergeben, daß ich ihretwegen mit irgendeiner Person weiblichen Geschlechts früher oder später eine eheliche Verbindung würde eingehen müssen, wenn sie nicht wider Erwarten und Verhoffen früh wegstürbe, und da das letztere nicht geschah, so irrte ich mich hierin auch keineswegs. Zwar zog ich die Entscheidung noch lang hinaus und feierte noch[403] manchen Geburtstag als Junggesell, worin für mich zu der Zeit, von der ich spreche, der Hauptreiz dieses Festes lag. Aber als unsre alte Familienkatze verreckte und bald darauf unser Mops an einem Kloß, den er zu heiß hineinfraß, erstickte, da wurde meiner Mutter die Stille, die nun in unserem Hause eintrat, so unerträglich, daß mir alle meine Ausflüchte nichts mehr halfen, und daß sie die entstandene Lücke um jeden Preis mit einer Schwiegertochter ausgefüllt sehen wollte. Auch begünstigte der Zufall sie, denn Jungfer Magdalena Kotzschneuzel, die Stickerin, mietete sich eben damals in unsrer Nachbarschaft ein und wußte sie durch einige wohl angebrachte Aufmerksamkeiten, die sie ihr erwies, namentlich dadurch, daß sie bei einer gewissen Gelegenheit ihren Rat einzog und ihn auch treu befolgte, so sehr für sich einzunehmen, daß ich bald beim Frühstück, beim Mittags- und Abend-Essen nur noch von ihren Vorzügen reden hörte. ›Weißt du, daß Lene keinen Faden am Leibe trägt, den sie nicht selbst gesponnen hat.‹ wurde ich des Morgens regelmäßig befragt, und die dritte Tasse Kaffee wurde mir gewiß nicht eingeschenkt, wenn ich diesen schlagenden Beweis der Altmütterlichkeit nicht mit vollen Backen pries. Des Mittags ward mir gewöhnlich mitgeteilt, daß sie einmal einige hundert Gulden aus der Lotterie gewonnen habe, und als ich darauf das erste Mal spitzig bemerkte: ›sie spielt also!‹ ward ich mit einem hastigen: ›Nein! sie hat das Los auf der Straße gefunden!‹ zurechtgewiesen. Des Abends mußte ich mir die Auseinandersetzung gefallen lassen, daß sie sich im Gegensatz zu andern älter mache, als sie sei, weil sies für eine größere Ehre halte, mit zu den ehrbaren Matronen gerechnet zu werden, als zu den leichtsinnigen jungen Mädchen, deren Klasse sie bei ihren fünfundzwanzig Jahren doch noch angehöre, und daß ein Mann, der das wisse und nicht um sie würbe, ein Narr sein müsse. Da dies alles bei mir nicht anschlug, nahm sie sie plötzlich, ohne mir vorher auch nur ein Wort zu sagen, auf einige Tage zu sich ins Haus, eines Kleides wegen, das geändert werden mußte, wie sie vorgab, das sie aber niemals wieder trug. Ich wußte recht gut, was dahinter steckte, und suchte mich dem Frauenzimmer von meiner unangenehmsten Seite darzustellen, rasierte mich nicht, trug immer meinen schlechtesten Rock, legte mein Schurzfell niemals ab, war stets[404] mürrisch, als ob ich mit gerunzelter Stirn auf die Welt gekommen wäre, und erwies ihr nicht die kleinste Gefälligkeit, nicht einmal die, ihr den Nähring wieder aufzuheben, wenn sie ihn fallen ließ. Dabei ließ ich es nicht bewenden, ich machte meinen Gesellen, der von Person nicht unansehnlich und im Handwerk geschickt war, auf das Mädchen aufmerksam, ich strich sie gegen ihn heraus, wie sie gegen mich herausgestrichen wurde, ich redete ihm sogar ein, daß sie jedes Mal erröte, wenn sie ihn erblicke. Aber beides schlug mir zum Unheil aus; denn Lene stieß sich nicht im geringsten an meinem Benehmen, sie entschuldigte mich gegen meine Mutter, wenn diese mir meine Nachlässigkeit verwies, aufs eifrigste und meinte, wer mit ganzer Seele beim Gewerbe sei, wer darüber nachsänne, wie er hier einen neuen Kunden gewinnen, dort einen abtrünnig gewordenen wieder heranbringen wolle, der könne freilich nicht nebenbei geschniegelt und gestriegelt gehen, wie ein Ladendiener, und sich auf Höflichkeiten verlegen, wie ein Barbiergehülfe; mein Gesell dagegen fing Feuer und rächte sich natürlich später, als ich ihm notgedrungen in die Quere kam, auf empfindliche Weise für meine anscheinende Falschheit. Als Lene unser Haus wieder verließ, war meine Mutter, womöglich noch mehr für sie eingenommen, wie früher; sie besuchte sie täglich, und auch zwischen ihr und mir entspann sich, so sehr ich auf meiner Hut war, bald eine Art von Verhältnis. Ich konnte nicht aus der Tür treten, ohne sie an ihrem Fenster hinter den Blumen bei der Arbeit sitzen zu sehen, da wurden denn gegenseitige Grüße ausgetauscht, und was lädt sich nicht an Grüße anknüpfen; haben sich doch gewiß noch niemals Leute gestritten und totgeschlagen, die nicht im Anfang: guten Tag! zueinander gesagt hätten! Eines Abends ging ich aus; es war schon gegen zehn Uhr, ich hatte einen Sarg gemacht, was für einen Tischler eine so dringende Arbeit ist, wie ein Bräutigamsrock für einen Schneider, und wollte vorm Niederlegen noch ein wenig, im Freien verschnaufen. Ich schlenderte, die Pfeife im Munde, an Lenes Fenster vorüber und glaubte mich unbemerkt, da öffnete sie und fragte mich, warum ich denn so eile? Ich blieb stehen und erwiderte, daß ich das selbst nicht wisse. Dann, versetzte sie, möge ich auf einen Augenblick zu ihr hineinkommen, ich habe sie noch nicht ein einziges[405] Mal besucht, und sie könne doch am Ende verlangen, daß das geschehe. Ich konnte hiegegen nichts einwenden und ging auf die Türe zu, fand sie aber verschlossen. ›Ei‹, rief sie aus, als sie das bemerkte, ›ist meine alte Hausfrau schon zu Bette? Nun, steigt ins Fenster, was machts unter uns?‹ Der Antrag machte mich stutzig, aber nicht lange, ich dachte: Deine Mutter sitzt drüben im Zimmer und siehts, sie hält dich, kurzsichtig, wie sie ist, für irgendeinen Hans Liederlich und die da für – Schnell, wie der hitzigste Liebhaber, stieg oder sprang ich vielmehr hinein. Wie hatte ich mich verrechnet! Lene suchte noch den Schwefelfaden, womit sie ihr Licht anzünden wollte, als mir schon wütend nachgeschimpft wurde. Ich erkannte die Stimme meines Gesellen, der hinter mir hergeschlichen sein mogte. Gewiß war in den letzten hundert Jahren kein Schimpfwort erfunden worden, das mir nicht an den Kopf flog, und diejenigen, die des Geschlechts wegen nicht auf mich paßten, sprudelte er gegen Lene aus. Ich schwieg still, Lene dagegen zündete ihr Licht an und fragte ihn darauf ruhig, ob er ihr Vater oder ihr Bruder sei. Als er dies verneinte, erwiderte sie, dann hätte er auch nichts dreinzureden, wenn er ihren Bräutigam bei ihr fände; denn das sei ich. Dabei umarmte sie mich und sagte: ›Nicht wahr, Christoph? es wäre dir ja nie eingefallen, zu einem unbescholtenen Mädchen bei Nacht ins Fenster zu steigen, wenn du nicht die ernsthaftesten Absichten hegtest; mir wär es wenigstens nie in den Sinn gekommen, dich dazu einzuladen, wenn ich diese nach den Eröffnungen deiner Mutter nicht hätte voraussetzen dürfen!‹ Ich schwieg noch immer und schwieg so lange, bis ich fühlte, daß mein Schweigen schon alles entschieden hatte, und daß es lächerlich sei, nicht darin zu verharren. Mein Gesell zog sich hohnlachend zurück, Lene entließ mich aus der Umarmung, die mir, wie eine Falle, vorkam, ich näherte mich wieder dem Fenster. Sie aber bemerkte das kaum, als sie mich bei den Rockschößen ergriff uns mich fragte, wann wir Hochzeit machen wollten; ob es mir recht sei, wenn es zu Michaelis geschähe, wie die Mutter vorschlage, oder ob ich auf einem andern Tag bestünde. ›Vor Allerheiligen laß ich mich auf nichts ein!‹ versetzte ich fest und bestimmt und sprang, ohne die Gegenrede abzuwarten, mit einem Satz hinaus. Draußen empfing mich mein Gesell mit geballten[406] Fäusten und fiel über mich her. Ich hielt es für meine Schuldigkeit, mich von ihm durchprügeln zu lassen, und ließ ihn gewähren, versuchte jedoch zugleich, ihn über das Ereignis aufzuklären, was freilich nur dazu führte, daß er mich, wenn er seinen Armen ein wenig Ruhe gönnte, einen doppelten und dreifachen Windbeutel nannte, und dann wieder mit erneuter Wut auf mich losschlug. Endlich packte er mich gar bei der Kehle und gab sich alle Mühe, mich niederzuwerfen; es hatte den ganzen Tag geregnet, die Erde war kotig, und wer seinen besten Rock trug, wie ich, mußte jede Berührung mit ihr, ausgenommen diejenige, der man nicht ausweichen kann, scheuen. Ich konnte daher nicht länger umhin, dem unsinnigen Menschen, dem ich an Leibesstärke überlegen war, einen Schlag zu versetzen, und gab ihm einen ins Gesicht, hatte es aber kaum getan, als ichs auch schon bereute; denn ich hatte ihn gerade auf die Nase getroffen, und er stürzte lautlos, wie ein Ochs vor der Axt des Metzgers, zu Boden. Ich glaubte, ein unfreiwilliger Mörder geworden zu sein, und verfluchte mein Schicksal; denn ich erinnerte mich von meiner Wanderschaft her eines Falls, wo ein Schmied im Streite einen Schneider durch einen einzigen Schlag getötet hatte, und ich wußte, was meine Faust vermogte, wenn ich ordentlich damit ausholte. Ich schwur dem Himmel, noch denselben Abend, falls es verlangt würde, mit Lene Hochzeit zu machen, wenn er den Menschen wieder auferwecke; ich schwur dem Menschen, das Mädchen mit keinem Auge mehr anzusehen, wenn er selbst wieder aufstehe, und ich wurde mir des Widerspruchs zwischen beiden Schwüren gar nicht bewußt. Ich fing an, mich nach Dingen zu sehnen, wornach sich wohl noch nie jemand gesehnt hat: nach einem Lümmel aus dem Munde meines Feindes, nach einem Hungerleider, ja nach einer Ohrfeige und einem Fußtritt. Zuletzt trat ich, um zu erproben, ob noch Leben in ihm sei, ihm derb auf die ausgestreckt daliegende Hand. Da richtete er sich schnell etwas empor und biß mich, um mir den Beweis gründlich zu geben, ins Bein. Es tat sehr weh, und ich stieß einen lauten Schrei aus, doch innerlich freute ich mich über diesen Biß. Nun nieste er, sprang auf und drang wieder auf mich ein. Um ihn nicht doch noch totzuschlagen, macht ich mich auf die Füße und langte verstörter, wie jemals, bei meiner Mutter an.[407] Sie kam mir auf dem Flur mit brennender Lampe entgegen und empfing mich mit ärgerlich-freundlichem Gesicht. ›Wo bist du gewesen?‹ rief sie mir zu, konnte aber ein dumm-kluges Lächeln nicht unterdrücken, woraus ich sah, daß ich die Frage nicht zu beantworten brauchte. Ich zeigte auf mein blutendes Bein und sagte: ›Gott vergebe dir, was du an mir getan hast!‹ Dann ging ich, ohne ihr weiter Rede zu stehen, in meine Schlafkammer, riegelte mich ein und öffnete ihr nicht einmal die Tür, als sie mir altes Leinen zum Verband der Wunde brachte, sondern zerriß zu diesem Zweck in meiner Erbitterung ein ganz neues Hemd. Übrigens schlief ich in der auf diesen Abend folgenden Nacht besser, als man vielleicht erwartet, was ich dem Umstande beimesse, daß es bis Allerheiligen noch ein volles Vierteljahr hin war. Wer es, wie ich, so lange Zeit vorher weiß, wann er in den Ehestand eintreten muß, der wird, wenn er nicht ganz und gar auf den Kopf gefallen ist, nicht blindlings hineinrennen, wie der Fuchs in die Falle, er wird mit Umsicht und Bedächtigkeit zu Werke gehen und jede Vorsichtsmaßregel ergreifen, die dem Menschen in solcher Lage zu Gebote steht. Mein erstes, gleich nach dem schauerlichen Verlobungsabend, war, meiner Braut die Überzeugung beizubringen, daß es mir an körperlichen Kräften nicht mangle. Ich trug, wenn ich sie bei meiner Mutter oder sonst in der Nähe wußte, dicke Balken, rammte ohne Beihülfe des Gesellen mit großer Mühe Pfähle ein, ja, eines Nachmittags schleppte ich die ganze, schwere Hobelbank von Eichenholz auf dem Rücken fort, was eine Pferdearbeit war. Ebenso stellt ich mich bei schicklichen Gelegenheiten, als ob ich sehr hitzigen und auffahrenden Temperaments wäre; als mich einmal eine Mücke ins Gesicht stach, fluchte ich barbarisch, und versetzte mir, anscheinend der Mücke wegen, einen so grimmigen Schlag auf die Nase, daß Blut floß; auf eine Maus, die eines Morgens in der Küche, wo Lene meiner Mutter beim Gänserupfen half, zum Vorschein kam, fuhr ich mit einem Lärm los, daß beide Frauenzimmer laut aufschrieen, und gleich darauf dreht ich einem schreienden jungen Kätzchen, das ich getreten hatte, den Hals um, wobei es mich stark kratzte. Mehrere Male stieß ich einen alten Bettler, nachdem ich ihm zuvor heimlich einen Schilling zugesteckt, damit er es sich gefallen lasse, zur Tür[408] hinaus; meinen Lehrjungen schalt ich einst, noch vor dem Frühstück, einen Ochsenkopf, und drohte ihm, ich wolle ihn hinterm Schornstein aufhenken, worüber der kleine Knirps so erschrak, daß es mir selbst leid tat. ›Bist du so voll Galle?‹ fragte mich Lene, mir die Hand drückend, als obs ihr sehr gefiele. ›Wie mans nehmen will!‹ versetzte ich kurz und ließ ihre Hand los. ›Du bist ja ein ganz anderer auf der Wanderschaft geworden‹, sagte meine Mutter, ›früher warst du fromm und sinnig, wie ein Lamm!‹ – ›Jedem Menschen wachsen die Zähne!‹ erwiderte ich und pfiff einen Galopp-Walzer. Ich kam zuletzt ordentlich in die Gewohnheit hinein, der Ton meiner Stimme nahm etwas Rauhes an, und meine Gebärden wurden verwegen. Ich glaube auch noch immer steif und fest, daß ein Mensch an Herzhaftigkeit und Geistesgegenwart gewöhnt werden kann, wie z.B. an Reiten, Springen und Schwimmen, nur muß man ihn von früh auf dazu anhalten; angeboren ists keinem, jeder hat sein Leben lieb. In meiner Jugend geschah das nicht; ich durfte nicht an den Bach gehen, denn meine Mutter fürchtete, ich mögte ertrinken, wenn ich mit andern Knaben spielte, und etwas schnell lief, so rief sie mir zu: ›Stoffelchen‹, – sie nannte mich bis in mein sechszehntes Jahr, wo ichs mir ernstlich verbat, immer Stoffelchen, – ›nimm dich in acht, daß du nicht fällst und dir den Kopf zerschlägst‹; als ich einmal auf unsern kleinen Kirschbaum zu klettern versuchte, riß sie mich bei den Haaren wieder herunter. Ja, hätt ich nur noch in meinem zweiundzwanzigsten Jahr, wie so viele meiner Kameraden, Soldat werden müssen! Dieser beständige Umgang mit geladenen Gewehren, dies Handhaben scharfer Bajonette, diese Furcht vor dem Unteroffizier, diese Angst vor Foppereien, die nicht ausbleiben, wenn man nichts Männliches an sich hat: dies alles hätt aus mir einen Kerl gemacht, der so gut, wie jeder andere, sich in Wirtshäusern den Knebelbart gestrichen, grimmige Blicke, wie Kugeln, verschossen und ohne Anlaß mit geballten Fäusten auf den Tisch geschlagen hätte. Nun, es hat nicht so sein sollen, und hat Gott mir bis hieher geholfen, so wird er mir auch bis an mein seliges Ende helfen.

Auf Lene machte dies freilich Eindruck, aber er war anderer Art, als ich beabsichtigt hatte. Statt vor mir, wie vor einer gefüllten Pulvertonne, zurückzuschaudern, schien sie immer mehr[409] Geschmack an mir zu finden; ich glaube, ich hätte der Teufel selbst sein können, und ihr wärs recht gewesen, sie mogte sichs zutrauen, selbst den Teufel zu bändigen. So war mirs denn ziemlich gleichgültig, als der Plan, den ich eines Sonntags nachmittags – sonntags mußt ich sie spazieren führen – auf einen großen, uns begegnenden, Pudel baute, zu Wasser ging. Sie hatte mir nach ihrer Unart eben ins Ohr gesagt: ›Ich hab dich doch recht lieb, Christoph! ‹ – ›Der Pudel da‹, dacht ich, ›soll dich von der verdammten Liebe etwas kurieren und dir einigen Respekt vor deinem künftigen Mann einflößen; ich will dirs zeigen, daß ichs nicht bloß mit Mäusen und Kätzchen aufnehme, sondern, seines giftigen Gebisses ungeachtet, auch mit einem Hund.‹ Also schritt ich, ohne ihm, wie sonst, auszuweichen, frisch auf den Pudel zu. Es war eine drückende Hitze; der Pudel, halsstarrig aus Faulheit, verfolgte, zwar noch nicht knurrend, aber doch schon frech und unverschämt zu mir aufblickend, in gerader Linie seinen Weg. Lene wollte ausbiegen. ›Ei was!‹ rief ich, sie festhaltend, ›du wirst doch den niederträchtigen Köter nicht fürchten?‹ Ich holte, wie vom Teufel besessen, mit dem Spazierstöckchen aus zum Schlag. Der Pudel zieht sich nicht zurück, herausfordernd die Zähne fletschend, sieht er mich an. Gereizt schlage ich wirklich zu. Sollte mans glauben, Die aufsätzige Bestie schnappt mir nach den Waden, statt sich auf die Flucht zu begeben. Da überwältigt mich meine Natur, ich reiße mich von meiner Braut los und springe über den Graben. Scham ergreift mich, als ich mir des unwillkürlichen Ausreißens bewußt werde, ich wage kaum, mich umzusehen. ›Die Gefahr ist vorbei!‹ ruft laut lachend Lene mir zu; zu meinem großen Ärger bemerke ich daß sie den Hund richtig mit Steinwürfen vertrieben hat und ihm, mir zum offenbaren Hohn, noch einige nachsenden will. ›Liebes Kind‹, sag ich, ›nimm dich in acht, bedenkst du denn nicht, daß wir in den Hundstagen sind? Er ist ja toll!‹ – ›Was‹? ruft sie, plötzlich erschreckend, aus und läßt ihre Steine zu Boden fallen. ›Allerdings‹, versetze ich und kehre wieder an ihre Seite zurück; ›bemerktest du nicht, wie ihm der Schaum vorm Maul stand, wie er den Schwanz zwischen die Beine klemmte, wie häßlich rot seine Augen waren, welch unnatürlich Gelüst er zum Menschenfleisch trug?‹ In diesem Augenblick ging der abscheuliche[410] Pudel, heiß, wie er vom Rennen sein mogte, zu Wasser, mich in seiner tierischen Dummheit Lügen strafend. Doch, Lene ward es nicht gewahr; sie schoß einen watenden Blick auf mich, den ersten, wenn mir recht ist, und rief mit vor Zorn und Schreck fast erstickter Stimme: ›Und das sagtest du mir nicht gleich?‹ Wunderbar ist meine Gabe, die Lüge spitz zu kriegen, wenns darauf ankommt, mich herauszulügen. ›Kind‹, antwort ich und pflücke für sie, um mich ihren, gleich zwei geladenen Pistolen, auf mich gerichteten Augen zu entziehen, am Rand des Grabens ein Vergißmeinnicht, ›konnt ichs denn wissen, daß dus nicht gelesen hast, was im Kalender über tolle Hunde steht?‹ – ›Nun‹, erwidert sie mit der ihr eigenen, unweiblichen Gefaßtheit und steckt die Blume, die ich ihr galant überreiche, an die Brust, ›den Hals hats ja nicht gekostet. Hoffentlich hast du bei dem kühnen Sprung die Knochen nicht verrenkt?‹ Dies war Spott, ich merkt es gleich und antwortete nichts.

›Im Wein ist Wahrheit!‹ sagt das Sprichwort. Es gilt aber nur von der einen Hälfte des menschlichen Geschlechts, von der männlichen; die Weiber beichten niemals, auch nicht dem Wein. Das hab ich noch an demselben Sonntag erfahren. Mit List bracht ich Lene in den Hinckeldeyschen Garten. ›Wir können dort Kaffee, oder Tee trinken‹, sagt ich, ich wußte aber wohl, daß außer Wein, Rum und ähnlichen Mauerbrechern nichts zu haben war. Als der herbeigerufene Kellner dies erklärte, stellt ich mich verwundert und sah Lene mit einem verdrießlichen Gesicht an. ›Nun‹, sagte sie, ›so laß Wein bringen, aber für mich Wasser dabei.‹ – ›Herrlich gehts‹, dacht ich und rieb mir vergnügt die Hände; dann bestellt ich Vierundachtziger, der, wie ich wußte, stark und schnell zu Kopfe stieg, auch eine reichliche Portion Zucker; denn durch den verführt man die Weiber am leichtsten zum Trinken. ›Deine Gesundheit‹! rief ich, ihr das volle Glas, in das ich viel Wein und wenig Wasser Sie wollte es nur halb austrinken, ich ließ das aber nicht gelten, und weil die letzte Hälfte wegen des Bodensatzes von Zucker süßer war, als die erste, so ließ sie nicht gar zu lange in sich dringen. Höflich, ich hatt es erwartet, sagte sie dann: ›Jetzt aber auch deine!‹ Rasch schenkte ich die Gläser wieder voll. ›Unmöglich‹,[411] rief sie, ›kann ichs ganz leeren, mir wird schon so wunderlich!‹ – ›Dann‹, versetzte ich, ›hast du mich auch nicht lieb.‹ Einen Augenblick sah sie vor sich nieder in den Schoß; dann trank sie langsam, mir die Hand über den Tisch gebend, – ich saß nicht an ihrer Seite, sondern ihr gegenüber – und mich fest ansehend, das Glas aus. Es ward ihr schwer, das sah ich. ›Nun wird sie bald übersprudeln‹, dacht ich, ›saubere Dinge werd ich erfahren, aber gut ists, wenn mans weiß, woher der Wind weht, man kann sich darnach richten.‹ Ich trat ihr, wie aus Versehen, auf den Fuß und hoffte, sie sollts übel nehmen; sie hielts, angetrunken, wie sie war, für ein Liebeszeichen. ›'s tut nichts‹, dacht ich, ›die Bosheit wird wohl zum Vorschein kommen, wenn die Besinnung noch mehr schwindet; schon tritt ihr ein verdächtiges Rot auf die Wangen, ihre Augen schwimmen.‹ – ›Aber meine Mutter!‹ sagt ich und schenkte noch einmal die Gläser voll. ›Ja, deine Mutter‹, erwiderte sie lebhaft, ›aber ich nippe nur ein wenig!‹ – ›Besser etwas, als gar nichts!‹ dacht ich und ließ es dabei bewenden. Jetzt sah sie fast gar nicht mehr auf, sondern lächelte in einem fort still vor sich hin. Aufmerksam paßt ich auf jede ihrer Bewegungen. Recht zur glücklichsten Stunde stellte sich, schnüffelnd im Garten herumkreuzend, ein Pudel ein. ›Der wird die Mühle in den Gang bringen‹, dacht ich und pfiff dem Hund. Nicht ganz hatte ich mich verrechnet. ›Nimm dich doch in acht, mein Schatz‹, rief sie, sowie sie bemerkte, daß ich den Hund lockte, ›er kann toll sein, oder es werden.‹ Dabei lachte sie, daß ihr Tränen in die Augen traten. Aber, es erfolgte weiter nichts. Aus Unvorsichtigkeit stieß ich die Wasserflasche um, das Wasser, an allen Seiten vom Tisch herabströmend, näßte, bevor sie ausweichen konnte, ihr Kleid ein. ›Ach, Herr Jesus!‹ rief sie und flog von ihrem Sitz auf ›Nun kommts!‹ dacht ich und spitzte die Ohren; doch, der Herr Jesus war der bloße Vorläufer eines gutmütigen: ›Es tut nichts, es ist ja kein Wein!‹ Ärgerlich mich Lippen beißend, begann ich, auf mich selbst zu schimpfen und mich herabzusetzen. ›Ungeschickt‹, fing ich an, ›bin ich, wie ein Schulkind. Als ich – dies war nicht erlogen – das letzte Mal zum Abendmahl ging, plumpte ich, solltest dus glauben, vor dem Altar, da ich eben aus dem Kelch nippen sollte, nieder, wie ein zu schwer beladener Müller-Esel.‹ ›Pfui!‹ unterbrach[412] sie mich und rümpfte die Nase. ›Ja‹, fuhr ich mit Lebhaftigkeit fort, ›als ich das Kind meines Vetters zur Taufe hielt, ließ ich den armen Wurm aus den Kissen gleiten und auf den Taufstein fallen, wo er sich an einer Ecke jämmerlich den Kopf zerstieß.‹ – ›Wie? was sagst du?‹ fragte sie, als ich ihr, verächtliche Blicke, Kopfschütteln u.d.gl. mehr erwartend, keck und mit Lüsternheit in die Augen sah. Mit Übertreibungen wiederholte ich die ohnehin nur halb wahre Taufgeschichte. ›Ach‹, seufzte sie, sich wieder auf nichts einlassend, ›ich hab so viel Kopfweh, hätt ich doch den Wein nicht getrunken!‹ Ich ward immer hitziger, wie ein Jäger, wenn er oft abdrückt und niemals trifft, und warf mich nun ganz in die Lüge. ›in Bremen‹, erzählt ich, ›stieß ich einem Bäckergesellen, mit dem ich zusammen schlief, nachts beim Umwenden im Schlaf mit dem Ellbogen das Auge aus.‹ – ›Das ist ja fürchterlich!‹ fuhr sie auf ›Du könntst ja wohl, wenn du schläfst und träumst, das Haus in Brand stecken!‹ – ›Gewiß!‹ fuhr ich, heuchlerisch-ruhig, fort, ›nachtwandelnd hab ich mich in Frankfurt am Main ohne irgendeinen vernünftigen Grund einmal erhenkt. Der Strick war mürbe und zerriß; sonst säß ich hier wohl nicht und tränke auf deine Gesundheit.‹ – ›Du treibst Possen!‹ sagte sie, laut auflachend, und hielt mir die Hand vor den Mund. ›Es ist die reine Wahrheit‹, versetzt ich mit einem Ernst, dem sie Glauben schenken mußte, ›ich bin nun einmal solch ein Unglücks-Mensch; was mir passiert, passiert so leicht keinem zweiten.‹ Ich seufzte kläglich, dann fragt ich schlau: ›Nicht wahr, Lene, wenn du gewußt hättest, wie's eigentlich um mich stünde, du würdest dich für einen solchen Mann bedankt haben?‹ – ›So etwas ist freilich schlimm‹, gab sie zur Antwort, ›doch das wollen wir schon kriegen!‹ – ›Wieso? wie meinst du?‹ fragt ich schnell und lauernd. ›Ach was!‹ sagte sie, stand auf, und gab mir, warum es mir am wenigsten zu tun war, einen Kuß. Und zu Loch war die Schlange, und ließ sich nicht wieder heraustreiben. Nichts erfuhr ich von ihren Tücken und Ränken, nichts von den Plagen und Quälereien, die sie mir in so reichlichem Maße zugedacht; ja, gefallen mußt ich mirs lassen, daß sie mir, als ob sie so nüchtern gewesen wäre, wie sonst, gleich nach dem Kuß ins Ohr flüsterte: ›Ich hab dich dessenungeachtet doch lieb!‹ Ich hatte ihr Herz, wie einen[413] Wetter-Kalender, aufzuschlagen gehofft und wurde abgespeist mit dem schönen Einband.

An dem Abend jenes nämlichen Tags hab ich zum ersten und letzten Mal in meinem Leben einen Geist gesehen. Ich sage das nicht, weil ich mir was darauf einbilde, sondern nur, weil es doch immer eine Merkwürdigkeit ist. Es war gegen eilf Uhr, da ging ich über den Magdalenen-Kirchhof, um für meine Mutter, die von einem leichten Fieber befallen war, Kamillen zu holen. Man muß nämlich über diesen Kirchhof gehen, wenn man zur Apotheke will. Ich dachte – ich kanns beschwören – nicht an Geister und Gespenster, sondern nur daran, wie angenehm es sein würde, wenn ich erst wieder zu Hause wäre; ich lief, als ob meine Mutter auf den Tod darniederläge, und sah nicht links noch rechts. Dennoch erblickt ich plötzlich etwas Weißes, was lang und sonderbar in die Höhe ragte; ich wurde zu Eis, und doch – so ist der Mensch – blieb ich stehen; hätte der Geist mir gewinkt, ich wäre – das glaub ich – gehorsam, wie ein Hund, zu ihm herangekommen. Aber, er bekümmerte sich nicht um mich, sondern schwebte, ohne nach Art der Geister ein Zeichen, oder einen gräßlichen Ton von sich zu geben, langsam, langsam über die Gräber fort. Wird mans begreifen? Erst, wie er verschwunden war, kam mir die eigentliche Angst, da erst fiel mirs ein, wieviel Unheil er mir bei bösartiger Gemütsbeschaffenheit hätte zufügen können. Kalter Schweiß brach mir aus, nun ich ihn nirgends mehr sah, glaubte ich ihn allenthalben zu sehen, wenn der Westwind mir in den Nacken blies, hielt ichs für einen Hauch von ihm und erwartete ärgere Mißhandlungen. Als ich das greuliche Ereignis am andern Morgen erzählte, fand sich gleich, wie das denn nie ausbleibt, ein Mann, der den Schlüssel dazu hatte. Der Prahlhans, der versoffene Barbier, der zuletzt im Hospital verreckt ist, wollte nämlich auf dem Magdalenen-Kirchhof- er nannte ihn seinen Garten, weil er daran wohnte, der Abendkühle wegen, im Schlafrock und in der Nachtmütze spazieren gegangen sein. Es war dem Kerl bloß um die Ehre, er wollte sich rühmen können, für einen Geist angesehen worden zu sein; man wirds mir aber wohl glauben, daß ich auch im Dämmerlicht einen Barbier von einem Geist zu unterscheiden weiß; denn das keine Kunst! Übrigens war selbst diese Geister-Erscheinung[414] noch nicht das letzte Abenteuer jenes merkwürdigen Tags. Wie ich von der Apotheke zurückkehrte, vermied ich natürlich den mir doppelt unheimlich gewordenen Kirchhof und machte einen Umweg, der mich an einem tiefen Teich vorbeiführte. Wie ich mich dem Teich näherte, kam auf einmal ein Mensch daher gerannt, der, soweit ich beim schwachen Mondlicht darüber klar werden konnte, mit nichts, als seinem Hemde, bekleidet war, und sich höchst sonderbar gebärdete. Bald starrte er ins Wasser hinein, dann sah er zum Himmel empor, endlich brach er in ein wildes Gelächter aus und sprang, wie unsinnig, in den Teich. ›Was soll das?‹ rief ich ihm in einer wahren Todesangst zu oder vielmehr nach, ›nehmt Euch in acht, niemand ist in der Nähe, der Euch wieder herauszieht!‹ Keine Antwort. Ich schritt bis an den Rand des Teichs vor, das Wasser bewegte sich in großen Kreisen, der Wind flüsterte im Schilf, von dem Menschen war nichts mehr zu sehen. ›Ist das Spaß oder Ernst?‹ rief ich, die Zähne klapperten mir, ich vermogte kaum noch, zu stehen. ›Heda! Ihr dort unten, steigt herauf!‹ Stille, wie vorher! ›Gott im Himmel! es ist richtig ein Selbstmörder!‹ brach ich jetzt aus, als ob ich den Menschen bisher für einen Taucher gehalten hätte, ›wer ein Christ ist, springt ihm nach und holt ihn mit Gewalt wieder herauf!‹ Wenig fehlte, und ich hätt es getan; man hat in solchen Augenblicken ein Gefühl, als ob mans nicht lassen dürfte. Ich nahm auch wirklich einen Anlauf, da aber fiel mir ein, daß er ja jedenfalls schon tot sei und daß nur ein Narr sein Leben eines Kadavers wegen aussetze. Gedanken anderer Art drängten sich mir auf ›Wer ists?‹ fragt ich mich. Antwort: ›Vielleicht dein Gesell!‹ Das kam mir bald äußerst wahrscheinlich vor, und was knüpfte sich nicht alles daran! ›Wird man nicht glauben‹, dacht ich, ›du hast ihn hineingestürzt? Wird man nicht wenigstens behaupten, daß du, der du ihm fast zur Seite standest, aus absichtlicher Bosheit nichts für seine Rettung getan hast? Und hat das eine nicht Grund, wie das andere?‹ Ich sah mich nach allen Seiten um, ob noch außer mir jemand Zeuge dieses Selbstmords gewesen sei, und beschloß, als ich mich des Gegenteils versichert hatte, den Vorfall zu verschweigen, um allen Verfänglichkeiten zu entgehen. Nun entfernte ich mich rasch, ward aber gleich, sowie ich am ersten Wirtshaus vorbeikam,[415] von der schwersten meiner Befürchtungen befreit; denn mein Gesell saß drinnen bei einer Kanne Bier und schwur eben mit lauter Stimme, daß er sich an meinem Hochzeitstage schon vor Sonnen-Aufgang betrinken und mir jeden Schabernack spielen wolle, der ihm während des Rausches in den Sinn käme. Den nächsten Morgen klärte sich das Ereignis auf Der kranke Müller war seinem Wärter, dem man Schuld gab, daß er fahrlässig gewesen und eingeschlafen sei, entkommen und hatte seinem Leben in einem Anfall von Verzweiflung ein Ende gemacht. Man sagte, er habe vom Krankenbett aus Dinge von seiner Frau gesehen, die er nicht wieder hätte vergessen können.

Ich zweifle nicht daran.

Am auffallendsten war mirs, daß Lene jene Heuchelei und Verstellung noch monatelang im Ehestand fortsetzte; geradeso, als hätte sie sich einen Reiter zum Vorbild genommen, der sein Roß, das er hinterher durch Sporn und Peitsche genugsam plagt, beim Besteigen klatscht und streichelt. Nichts konnte im Haushalt geschehen, Schnock mußte erst befragt werden. ›Meinst du nicht, Christopher‹, hieß es, ›daß der Spiegel an jener Wand besser hinge? Ists dir recht, wenn der rote Koffer seinen Platz verändert? Kann der Lehrbursch wohl einmal flink zum Krämer springen und mir etwas Seide holen, oder siehst dus nicht gern? Liebst du die Pfannkuchen braun gebraten, oder nicht?‹ Anfangs lacht ich, wenn sie mit dem spitzbübisch-unschuldigsten Gesicht von der Welt Fragen der Art an mich richtete, und sagte: ›Geh mir!‹ Zuletzt aber ging ich auf den Spaß ein, erklärte gravitätisch, wie Könige im Puppenspiel, meinen Willen, und ergötzte mich nicht wenig, wenn die Suppe mittags wirklich so auf den Tisch kam, wie ich sie morgens beim Frühstück, wo ich, würdevoll den Großvaterstuhl ausfüllend, meine lächerlichen Instruktionen erteilte, bestellt hatte. Genau weiß ich mich noch des Tags zu erinnern, an dem die Herrlichkeit ein Ende nahm, und mein Drache seine eigentliche Natur zum ersten Mal hervorkehrte. Es war Mittwoch und Markttag, und ich hatte einem Gesellen die Arbeit aufgekündigt, also Streit mit ihm bekommen, d.h. gelinden, wo man sich bloß gegenseitig die Versicherung gibt, daß man, einer ohne den anderen, leben könne. Ich glaube, alles ist in Ordnung, und freue mich, als mit einem Male der Gesell,[416] da ich eben mein Lieblingsstück: ›Wer nur den lieben Gott läßt walten etc.‹ zu pfeifen anfange, vor mich hinspringt, mit geballter Faust auf die Hobelbank schlägt, daß etliches Gerät herunterfliegt, und mit Ungestüm verlangt, ich solle sagen, was ich an ihm auszusetzen habe, er sei nicht von gestern und kenne die Welt. ›Der glaubt am Ende‹, besorg ich, ›du hast ihn im Verdacht der Dieberei‹; um ihn zu begütigen, sag ich: ›Die Fensterrahmen dort, die Ihr gemacht habt, können mir unmöglich gefallen, sie sind krumm und schief.‹ – ›Ich habe in Hamburg in einer der ersten Werkstätten gearbeitet!‹ fällt er mir trotzig ins Wort. ›Drei Tage!‹ versetz ich gedankenlos, aber dem Inhalt seines Wanderbuchs gemäß. ›Was? Foppen wollt Ihr mich?‹ fährt er auf, ›da soll Euch denn doch – – ‹ er unterbricht sich selbst, doch nur um den Rock abzuwerfen, dann dringt er auf mich ein. Ich kenne das Ende einer Prügelei zu gut, um den Anfang abzuwarten, und ziehe mich zurück, erst bis auf den Flor, dann, da er mich fluchend und schimpfend verfolgt, bis in die Küche, wo meine Frau gerade Rüben schabt. Die wirft auf mich einen Blick, daß ich denke, sie wird sich mit dem unsinnigen Menschen vereinigen, um meine Niederlage vollständig zu machen; aber, weit gefehlt, sie ergreift die Feuerzange und wirft sie dem Gesellen, der sich dessen wohl so wenig versah, wie ich, an den Kopf; er will nicht weichen, da fliegt ihm die Fleischgabel ans Schienbein, daß er laut aufschreit: ›Ein Weib, wie der Teufel!‹ und sich wendet, so daß er der Aschenschaufel, die gleich hinterdrein fährt, glücklich entgeht. Jetzt kehrt sich Lene, zufällig war ich hinter ihr zu stehen gekommen, zu mir um und sieht mich an. ›Das war recht‹, stottre ich, ›der Lump, der Hundsfott‹ – ›O‹, unterbricht sie mich, ›bist du auch ein Mann!‹ und rot, wie ein gesottener Krebs, setzt sie sich wieder zu den Rüben nieder, ich schleiche mich fort. Wenige Minuten darauf ruft sie: ›Hans!‹ So hieß mein Lehrjunge. ›Er ist draußen im Garten‹, antwort ich ihr. ›So ruf ihn‹, herrscht sie mir zu, ›aber schnell, er soll für mich aus!‹ – ›Jetzt fängts an!‹ sagt ich, als ich ging, ihren Befehl auszurichten. Ich irrte mich keineswegs; seit jenem Tage hab ich aus ihrem Munde selten ein freundlich Wort gehört, dafür traktiert sie mich fast stündlich mit Bonbons, wie diese sind: ›Ich wills so!‹ oder ›Du sollst nicht!‹ oder ›Untersteh dichs noch einmal!‹ u.d.gl.[417] mehr. Nun, das ist nicht so unbequem, als es scheint; was ich seitdem tue, ist, als ob sies getan hat, sie hat von meinem Tun und Lassen mehr Plage, als ich selbst, ich bin fett geworden, sie ist mager und dürr geblieben. Ein Spaßvogel sagte, sie könne für mich zur Beichte gehen; gewissermaßen hat er recht.

Einmal – ich hüpfe in der Dornenhecke meines Lebens von Busch zu Busch – hatt ich, wie man denn im Trunk so leicht Narrheiten begeht, versprochen, ich wolle meine Frau an einem ausdrücklich dazu festgesetzten Abend tüchtig ausschmälen, so, daß mans draußen unter den Fenstern hören solle. ›Wirst dus dir gefallen lassen?‹ fragt ich sie beim Zuhausekommen, im Vertrauen auf die gute Wirkung eines offenen Geständnisses und auf ihren Geiz, ›sonst kostets mich drei Flaschen Wein; denn ich habe gewettet.‹ – ›O, gerne, gerne!‹ erwiderte sie; sie war nämlich – ich wußt es – weichmütig, weil ihr nachmittags ein Brief die Nachricht gebracht hatte, daß ihr Bruder gestorben sei. Der Abend kam heran, mich befiel ein Zittern, ich verfluchte mich selbst und mein Saufen. Den ganzen Tag hatte in ihrem Gesicht etwas Versteckt-Heimtückisches gelegen; jetzt – sie saß hinter dem Ofen im Großvaterstuhl, aus dem ich natürlich längst vertrieben war – entlud sichs in einem spöttischen Gelächter und in der höhnischen Frage: ›Wirds bald?‹ Deutliches Husten und Flüstern verkündigte mir, daß man draußen schon mit Ungeduld harre; dennoch sagt ich: ›Kind, es hat ja keine Eil!‹ – ›Wie lange soll ich denn warten?‹ fuhr sie auf ›Pst, pst, Engel!‹ wisperte ich, ›man muß sich ja doch erst besinnen.‹ – ›Hätt ich nur 'nen Hund‹, dacht ich, ›oder 'ne Katz zur Hand, auf die würd ich losfahren, und die da unter der Wand glaubten, es gelte ihr.‹ Lautes Räuspern und in die Hände Klatschen der Saufbrüder bringt mich zur Verzweiflung. Nichts fällt mir bei, über mein Zögern erbost, sieht Lene mich giftig an. ›Schlag der Teufel drein!‹ fluch ich und hoffe, dabei in den Gang zu kommen. ›Was fehlt dir, lieber Mann?‹ fragt sie spottend. ›Kind‹, versetz ich drängend, ›schmälen und schimpfieren soll ich und weiß nicht, worüber.‹ Ich wußt es wohl, aber wer bürgte mir für ihre Gelassenheit, darum sucht ich alles in einen Scherz zu verwandeln; denn gegen Scherz war sie nicht völlig abgehärtet. ›Gib mir einige Gründe an die Hand und dann schlag die Augen nieder, sonst gelingts mir[418] nimmer.‹ – ›Gut‹, erwiderte sie, ›so sprich mir nach, was ich dir vorsage, aber grimmig, im Ton eines Bären: Ungetreue – –‹ – ›Der Teufel sprechs dir nach‹, unterbrech ich sie, ›schändlich würd ich ja wohl lügen!‹ – ›Oder‹, fährt sie fort, ›zänkische, boshafte – – ‹ – ›Mäßige dich, Kind!‹ fall ich ihr ins Wort. ›Willst du bald?‹ fährt sie auf, und wiederholt: ›Zänkische, boshafte Wetterhexe, alter, vermaledeiter Brummkater!‹ Angst ergreift mich; denn das sind Redensarten, deren ich mich zuweilen im Traum gegen sie bediene. In diesem Augenblick klopfen die da draußen ans Fenster. In der Verwirrung reiß ich, mich stellend, als ob ich meine besten Freunde für Straßenbuben halte, das Fenster auf und schimpfe wütend heraus: ›Hundezeug! verfluchtes Gesindel! was gibts hier zu horchen?‹ – ›Bravo, bravo, Schnock!‹ geben sie zur Antwort, Lene schlägt ein Gelächter auf, ich bin, wie tot.

Ärger noch – das nicht – aber ebenso arg gings mir, als ich – unter dreien hatte gerade mich das Los getroffen – den Pfarrer wegen einer anzüglichen Predigt, die so sichtlich auf uns gemünzt war, daß man in der Kirche mit Fingern auf uns zeigte, zur Rede stellen mußte. Gleich nach der Frühstückszeit – frühstücken konnt ich nicht – macht ich mich auf den Weg, die Konsorten, die mir in solchen Dingen wenig trauten, lauerten mir nach. ›Hinein mußt du‹ sagt ich, mir gewissermaßen selbst den Weg vertretend, ich empfand nämlich ein Gelüst, an der Pfarre vorbeizuschleichen, ›sonst kommen die hinteren dir auf den Hals.‹ ›Er ist wohl zu irgendeinem Kranken geholt, oder zu einer Taufe!‹ denk ich und öffne die Tür. Statt der Magd – während des Anmeldens verstreicht doch immer, wenn man zu solchen Herren geht, einige Zeit, die man zur Vorbereitung verwenden kann – tritt mir der Pfarrer selbst, eben mit brennender Pfeife aus der Küche kommend, auf dem Flor entgegen. Es sieht mich an, ich ihn. ›Schönes Hündlein‹, sag ich endlich, mich zu dem Schoßhund seiner Frau, der munter dahergesprungen kam, niedebeugend und ihn streichelnd. ›Wollt Ihr nicht eintreten, Meister Schnock?‹ sagt der Pfarrer und öffnet die Tür seines Studierzimmers. Ich trete ein. ›Wollt Ihr Euch nicht niedersetzen?‹ Ich setze mich. ›Und Euer Begehren ist?‹ frägt er endlich, verwundert und ungeduldig. ›Ich – ich komme!‹ versetz ich noch[419] ziemlich deutlich und hörbar, aber da befällt mich plötzlich das niederträchtigste Stammeln und Stottern, und ich mag mich abarbeiten, wie ich will, ich bring es nicht weiter, als bis zum: ›Ich komme – ich wollte – ich sollte –‹ – ›Lieber Mann‹, fährt der Pfarrer zuletzt, meinen Zustand mißdeutend, auf, ›Ihr habt wohl schon getrunken, kommt wieder, wenn Ihr nüchtern seid.‹ Erwünschteres hätte mir in meiner Lage nicht kommen können, als diese Grobheit des Pfarrers, ich nehme schnell meinen Hut und eile fort, froh, daß die Höllenvisite abgetan ist, und mich über ihren Ausfall gegen die anderen nur dunkel, und so, daß sie mich mißverstehen müssen, auslassend.

Dennoch hab ich trotz der Friedfertigkeit meiner Natur zwei Mal in meinem Leben Ohrfeigen ausgeteilt, die eine im Finstern, die zweite bei Licht, und beide an meinen leiblichen Vetter, den Stellmacher Vinckel. Auf Vinckel war ich nämlich im höchsten Grade erbost, und dazu hatte ich guten Grund. Wer einmal eine lächerliche Geschichte von mir erzählt, dem reich ich vielleicht noch, sowie er mir wieder begegnet, die Hand zum Gruß, wenn ich sie ihm auch nicht mehr drücke. Niernhäutl, der Wesselbrunner Pächter, wird mirs bezeugen. War ers nicht, ders ausschwatzte, daß ich einst vor seinem kalekutschen Hahn ausgerissen bin, der es aber verschwieg, daß ichs nur der roten Weste wegen tat, die ich gerade anhatte? Doch es geschah beim Bier, es geschah eile halbe Stunde nach Mitternacht, und er kam nie wieder auf die Dummheit zurück. Wer es zwei Mal tut, dem nick ich zwar noch zu, wenn er mir in den Weg kommt, aber ich huste dabei, um ihm nicht in klaren deutlichen Worten einen guten Tag wünschen zu müssen; wer sagt denn auch zur Brennessel: wachse und gedeihe! Wer aber gar nicht aufhört, wer, sowie er zu einer Kindtaufe oder einer Hochzeit geladen ist, entweder stumm und dumm da sitzt, wie die Wand, an die er sich mit seinem Rücken lehnt, oder seinen albernen Witz auf meine Kosten Bockssprünge machen läßt der wird mir am Ende so verhaßt, daß sich in mir das Oberste zuunterst kehrt, und ich mir Luft machen muß, zumal, da es in der Natur des Menschen liegt, sich so lange zuzurufen: Du traust dir nicht genug, bis er übermütig wird und sich zu viel zuzutrauen anfängt. Das war aber mit Vinckel der Fall, und es kam noch hinzu, daß wir als Verwandte uns überall trafen,[420] daß wir uns gar nicht vermeiden konnten. Er wurde nicht müde, auf den Besuch zu sticheln, den wir beide auf der Wanderschaft in der Tierbude zu Bremen abgelegt und bei dem wir uns allerdings sehr verschieden benommen hatten; er, wie ein unwissender Flegel, der zwischen den lebendigen Ungeheuern drinnen und den gemalten auf der Wachsleinwand am Eingang nicht zu unterscheiden wußte, ich, wie ein vernünftiger Mensch, der sich auf diesen Unterschied verstand. Ich muß den Besuch erzählen, damit man sieht, daß ich bei Gelegenheit desselben nichts tat, als was jeder andere, der nicht eben ein Vinckel war, auch getan hätte, und daß ich höchstens wegen meines Fürwitzes, denn ich hätte ja auch fortbleiben können, einen Vorwurf verdiene.

Es war ein heitrer Sonntag-Nachmittag, und ich ging mit Vinckel über den Marktplatz, wo die Bude stand. Der niederträchtige Tierführer trat eben heraus und verkündigte mit lauter Stimme, die Bestien sollten gefüttert werden, wer es sehen wolle, möge eintreten. Nun hatt ich unglücklicherweise am Tage zuvor mit meinem Begleiter über jene Tiere gesprochen und ihm, um ihm von meiner Herzhaftigkeit eine gute Meinung beizubringen, gesagt, ich gedächte sie nächstens in Augenschein zu nehmen. ›Hörst du – rief er mir zu – die Tiere werden gefüttert, laß uns hineingehen, es kostet ja nur einen Groschen.‹ ›Ei, was – versetzte ich – morgen ist auch ein Tag, und ob ich sie fressen sehe, oder nicht, das ist mir ganz einerlei. Ohnehin hat man sie hier alle ausgestopft auf dem Museum!‹ Leider hatte der Tierführer, wie denn solches Gesindel immer mäusescharf hört, unser Gespräch belauscht; er trat auf uns zu und sagte: ›Meine Herren, morgen mit dem frühsten reis ich ab, wollen Sie also dies wirklich sehenswürdige Kabinett mit Ihrer Gegenwart beehren, so schieben Sie es nicht auf.‹ ›Komm, komm, – drängte mein Begleiter und zeigte auf das Aushängeschild – es sind, wie du siehst, zwei Tiger darin, ein Löwe – – –‹ ›Die Riesenschlange, das seltene Exemplar eines weißen Bären, die Hyäne und die köstlichen Affenarten nicht zu vergessen!‹ unterbrach ihn der Tierführer. Der dumme Schlingel glaubte, mich durch Aufzählung all der Scheusale, die in der Höllenbude ihr Unwesen trieben, zum Eintritt reizen zu können, während ich an den beiden Tigern und dem Löwen, deren mein Gefährte erwähnte, schon mehr, als genug, hatte.[421]

›Die Tiger sind wohl noch jung?‹ fragte ich. ›Den Teufel auch, – antwortete der Esel – völlig ausgewachsen, und feurig, wie in Afrika.‹ Mich schauderte. ›Jedenfalls ist diese Boaschlange klein, wie ein Regenwurm, und wird hinter dreifachem Eisengitter verwahrt?‹ ›Umgekehrt, lang, wie ein Schiffsanker-Tau – versetzte jener – sie ist in Europa noch niemals größer gesehen worden, und die Kunst besteht gerade darin, daß ich sie mit den Händen aus ihrem Kasten herausnehme und frei hinlege. Treten Sie nur ein, es wird Sie nicht gereuen.‹ Mir war, als ständ ich vor meinem Grabe. Ganz kleinlaut fragt ich: ›Wie stehts denn mit der Hyäne: Auch so groß, wie ein Pferd?‹ Dummstolz lächelnd erwiderte der Kerl: ›Sehen Sie jenen alten, grauen, lahmen Hund, der die Straße heraufwatschelt? Größer ist die Hyäne nie und sieht so unbeholfen aus, wie der.‹ ›Was frägst du lange – sagte mein Begleiter – wir können das alles ja sehen.‹ Ich ließ mich nicht stören. ›Es sind doch wohl oft schon Unglücksfälle in Ihrer Bude passiert? – fuhr ich fort – der Löwe hat sich losgerissen, die Schlange hat Menschen erdrückt? Es kann nicht anders sein. Ich habe im Wochenblatt davon gelesen!‹ ›Sie sind sehr furchtsam!‹ versetzte der Tierführer frech. ›Gar nicht furchtsam, durchaus nicht furchtsam – fuhr ich hitzig auf – aber bekannt genug ists, daß – – ‹ ›Löwen und Schlangen nach Menschenfleisch lüstern sind‹, hatt ich sagen wollen, doch der Tierführer unterbrach mich. ›Kommen Sie herein, meine Herren – sagte er – ich darf mit der Fütterung nicht länger zögern, die Tiere sind hungrig.‹ ›Hungrig!‹ rief ich entsetzt; dann flüsterte ich meinem Begleiter ins Ohr: ›Hörtest du das? Die Beester sind hungrig!‹ ›Umso interessanter wirds sein – gab der unverständige Mensch zur Antwort – komm nur!‹ Er zog mich mit sich fort, und wenn ich keinen Skandal machen wollte, mußt ich folgen. Ein widriges Geräusch der unangenehmsten Stimmen drang uns entgegen, ein Gebrüll, Gequäke, Geschnatter, Gepiepse zum Umfallen. Anfänglich macht ich die Augen zu, bloß, um mich an die Ungeheuer zu gewöhnen. Doch, bald bedachte ich, daß ich mich gerade dadurch den größten Gefahren aussetzen und in die Nähe der schauderhaften Schlange, die ich am meisten fürchtete, geraten könne, und öffnete sie wieder. Mein erster Blick fiel auf die greuliche Kropfgans, die in wenigen Sekunden einen halben[422] Kessel voll Fische verschluckte und dann in ihren Käfig zu rückkehrte. Hu! Solche Tiere sollten billig erst vierundzwanzig Stunden vor dem Jüngsten Tag geschaffen worden sein! Wer würde sich dann aus dem Untergang der Welt noch was gemacht haben! Jetzt wurde ich den Löwen gewahr, der entsetzlich brüllte, schnell wandte ich den Blick, allein nun sah ich die beiden blutdürstigen Tiger, die in ewiger Unruhe in ihren Käfigen auf und nieder rannten und mit den Schweifen an die Stäbe schlugen, daß sie erbebten. Die bunten Farben-Ringe, die diesen Scheusalen um den Leib laufen, kamen mir, besonders wenn ich blinzelte, wie aufgerollte Schlangen vor, die auch wohl herunterspringen könnten; dabei macht ich die wenig beruhigende Entdeckung, daß sämtliche Käfige aus Holz gezimmert waren. Auf einmal entstand hinter mir ein grausiger Spektakel; als ich mich umsah, erblickte ich die hohläugige, grinsende Hyäne, die sich vergebens anstrengte, ein Stück Fleisch, welches der Wärter ihr vorhielt, zu erhaschen. Ich beschwor den Menschen, das Tier um Gottes willen nicht zu necken; in frevelhaftem Mutwillen versetzte er aber: ›Nur unbesorgt, ich und Bunku verstehen uns!‹ Zugleich hielt er seinen Mund an das Gitter und rief: ›Bunku, einen Kuß!‹ Schnell wandt ich das Gesicht ab und erwartete, im Augenblick Jammertöne und Geschrei, des zerfleischten Menschen nämlich, zu vernehmen. Ich vernahm nichts; statt dessen hörte ich ein sonderbares Geplapper und Geplärr gerade über meinem Kopf, und als ich emporschaute, sah ich eine Menge häßlicher Affen mit ungestalteten Gliedmaßen und weiten Mäulern, die die Zähne fletschten und mich mit Unrat bewarfen. Diese vergnügten mich einigermaßen, da sie klein waren und possierliche Grimassen schnitten; sie wurden mit Äpfeln gefüttert, und ich mußte lachen, sowenig ich auch sonst zum Lachen aufgelegt war, als ich bemerkte, daß einige sich in ihrer Gefräßigkeit das Maul so voll stopften, als ob es eine Vorratskammer wäre. Wie ward mir aber zumut, als ich mich zufällig umkehrte, und auf einer Kiste, an die ich mich mit dem Rücken gelehnt hatte, die entsetzliche Boaschlange, keine zehn Zoll von mir entfernt, erblickte. Da lag sie, lang hingestreckt, die greuliche, Blut saugende Bewohnerin der Waldungen eines fremden Weltteils – – ein Sprung, und sie umwand[423] mich, sie zermalmte meine Knochen, sie mästete sich von meinem Mark. Sie zog sich zusammen, ich tat einen lauten Schrei und sprang zur Tür. Langhalsige Vögel, Strauße nannte sie der Tierführer, reckten mir hier, als hätten sies auf meine Augen abgesehen, aus einem Käfig, über den ihre Köpfe hoch hinausragten, die spitzigen Schnäbel entgegen. Ich gab nicht viel um die Nachbarschaft dieser Riesenvögel und näherte mich der Schlange wieder um einen Sehritt; kaum aber stand ich still, als mich ein Geklapper ängstigte, welches sich über mir vernehmen ließ. Himmel, gerade über meinem Haupt hing ein Käfig mit einer Klapperschlange. Ich kann es gar nicht beschreiben, wie furchtbar mir dies zwei Fuß lange Tier in seiner ekelhaft-bunten Haut und mit den abscheulichen Tönen, die es von sich gab, vorkam. Starr blickt ich zu ihr hinauf; plötzlich klopfte mein Begleiter mich auf die Schulter und sagte: ›Was ist denn an dem kleinen bunten Ding zu sehen? Gib nun acht, die große Schlange wird sogleich ein Kaninchen verzehren, der Wärter bringt es schon.‹ Obwohl mich ohne Unterlaß kalte Schauder überliefen, konnt ich mich doch bei diesen Worten eines leichten Lächelns nicht erwehren; der Mensch glaubte, ich betrachtete die Klapperschlange, während ich doch bloß ihren Käfig untersuchte, um mich zu vergewissern, daß sie nirgends durchschlüpfen könne. Als ich mich hiemit noch beschäftigte, gab die Klapperschlange, wie es mir – ich kann mich irren – wenigstens vorkam, ein feines Gezisch von sich; eine weiße Masse fiel mir auf den Rock und, da ich glauben mußte, diese weiße Masse rühre von ihr her, schrie ich laut auf: ›Hülfe! Gift! Gift!‹ Erschreckt sprangen mehrere der Anwesenden auf mich zu; ich, keines Wortes mächtig, zeigte auf den weißen Fleck auf meinem Rock, alle standen mit offenem Munde. Der Tierführer kam gleichfalls herbei; kaum aber hatte dieser meinen Rock angesehen, als er laut auflachte und sagte: ›Das Gift kommt von dem unartigen Papagei, der dort oben hängt!‹ Jetzt wurde das Gelächter allgemein; ich besichtigte die weiße Masse näher und lachte dann selbst von ganzem Herzen mit. ›Du bist ja ein wahres Kind – rief mein Begleiter mir zu – da will ich dir was anderes zeigen.‹ Der Waghals trat zur Boaschlange heran, die eben mit entsetzlicher Wollust, welche ihr sichtlich durch den langen häßlichen Körper[424] zuckte, dem armen Kaninchen das Blut aussog, und berührte sie mit der Hand. Doch, sie fuhr zusammen, als würde sie mit Nadeln gestochen, und Vinckel, der Held, flog so schnell zur Tür, wie ich; ich nahm übrigens diese Gelegenheit wahr, ihn, bevor er wieder zur Besinnung kommen konnte, mit herauszuziehen. Als ich mich wieder in freier Luft sah, verdroß michs doch, daß ich den Bären gar nicht gesehen hatte; ich hätts um denselben Preis gehabt.

Das war der Besuch. Es war keine Kunst, ihn im Zimmer hinter dem Ofen, wenn man von brüllenden Löwen und zähnefletschenden Tigern so weit, wie von Afrika und Amerika, entfernt war, zu verdrehen und dabei zum Beweis der eigenen Herzhaftigkeit dem unter dem Tisch auf den Knochen-Abfall harrenden armen Haushund einen Tritt zu versetzen. Es war noch weniger ein Wunder, daß mich das verdroß. Als Vinckel es eines Abends wieder getan hatte, und ich im Finstern mit ihm und einigen andern zu Hause ging, gab ich ihm endlich einmal, wie ein gärender Bierkrug, den Pfropf abstoßend, einen Derben hinter die Ohren. So wenig hielt er mich trotz der mir zugefügten Beleidigung der Rache fähig, daß er ausrief: ›Schnock, man schlug mich, wer wars?‹ Als ich kurz antwortete: ›Kann ichs wissen, wenn dus selbst nicht weißt!‹ versetzte er: ›Nun gut, so tritt du nur beiseite, denn du hasts gewiß nicht getan!‹ Ich folgte, heimlich lachend, seiner Weisung, dann rief er: ›Wenn einer was erhält, ders nicht verdient hat, so bitt ich im voraus um Verzeihung!‹ Nun drasch er auf die übrigen, die verdutzt stehengeblieben waren, wie ein Unsinniger, los und bekam natürlich, was er austeilte, mit Zinsen zurück, so daß ich, der ich gelassen, wie die Unschuld selbst, dabeistand, die vollkommenste Satisfaktion erhielt. Aber die Sache blieb bei alledem, wie sie war; denn wenn ihm den nächsten Tag auch ein Zahn fehlte: er ahnte nicht, daß er ihn noch haben würde, wenn er seine Zunge im Zaum gehalten hätte, und ich mußte mich entschließen, das im Dunkeln begonnene Werk bei Licht zu Ende zu bringen, da seine Späße, was ich freilich voraus hätte wissen sollen, auch jetzt noch nicht aufhörten. Ich schleppte ihn daher eines Sonntag-Abends ins Wirtshaus, machte ihn betrunken – ich selbst wars schon vorher – stellte eine Menge Gläser vor ihn hin, von denen ich glaubte,[425] daß sie ihn am schnellen Hervorkommen hinter dem Tisch hindern würden, schloß ihn zum Überfluß auch noch mit Stühlen ein und sagte dann zum Pächter Niernhäutl: ›Es wird hier noch etwas geben!‹ Er sah mich an und antwortete: ›Mit wem denn?‹ ›Mit dem da!‹ sagt ich und warf einen vernichtenden Blick auf Vinckel. ›Wer hat denn was mit dem Knirps?‹ fragte der Pächter, der die Menschen, wie ein Werbeoffizier, nach ihrer Leibeslänge abzuschätzen pflegt, und lachte. ›Ratet einmal!‹ versetzt ich. Er riet hin und her, es verdroß mich, daß er immer so greulich vorbeischoß, und ich kehrte ihm unwillig den Rücken zu. Er gab mir einen Klaps an einer unanständigen Stelle; ich zeigte ihm meine geballte Faust und rief: ›Meint Ihr, daß in der allein keine Kopfnüsse wachsen? Wie viel verwettet Ihr auf eine, die in einer Viertelstunde reif sein muß?‹ Durch Wetten hab ich mich nämlich oft in die Courage hineingehetzt, aber Niernhäutl ließ sich auf nichts ein, sondern sagte bloß: ›Wir werden sehen!‹ ›Gewiß!‹ versetzt ich und trat an den Schenktisch. Ich forderte mir ein Glas Punsch, ich ließ noch ein zweites einschenken, und trat damit zu meinem Widersacher, der den Kopf ermüdet auf den Tisch lehnte, heran. Er lag völlig schlaggerecht, und ich ging mit mir zu Rate, was ich tun, ob ich die Gelegenheit benutzen, oder noch einige Minuten verstreichen lassen solle. ›Des Grimms – dacht ich – kannst du heut abend nicht genug entwickeln, laß dir Zeit und denk an alles, was er dir getan hat!‹ Da sah ich, daß Niernhäutl verächtlich die Achseln zuckte und seinen Hut suchte. Der mußte Zeuge sein, ich stürzte das zweite Glas Punsch herunter, die Kniee schlotterten mir, aber mit lauter, donnerähnlicher Stimme rief ich, während ich zugleich mit geballter Faust auf den Tisch schlug: ›Heda!‹ Vinckel hatte einen Totenschlaf, er merkte nichts von Ruf und Schlag, und zu meinem Verdruß kam ein einfältiger Aufwärter herbei und fragte, was ich beföhle. Der Flegel hatte meine Herausforderung zum Kampfe für ein Zeichen, was ihm gelte, angesehen. Dies alles brachte meine Wut aufs höchste; ich nahm all meine Kraft zusammen, schlug noch einmal, indem ich zugleich die beiden leeren Punschgläser beiseite schob, auf den Tisch und rief: ›Heda!‹ Jetzt erwachte Vinckel, gähnte unanständig und fragte mich: ›Ists Zeit zu Hause?‹ Ich suchte ihm durch Blicke verständlich[426] zu machen, wie er mit mir daran sei, als dies aber nichts half, und er Miene machte, wieder einzunicken, schrie ich ihm laut entgegen: ›Wie stehts mit der Klapperschlange?‹ Ich meinte jene in der Tierbude. Niernhäutl versicherte mir hinterher, ich sei hiebei zur Leiche erblaßt, ich glaubs herzlich gern, mir war, als läg ich im Fieber! Vinckel glotzte mich, merkwürdig verdutzt, an; ich aber, noch kühner werdend, wiederholte meine Frage: ›Wie stehts mit der Klapperschlange?‹ ›Sie ist längst verreckt und ausgestopft, sei ohne Sorgen!‹ war die Antwort, die mich, da ich nun einmal so weit gegangen war, nicht begütigen konnte. Sowie nun Vinckel die auf mich gerichteten Augen nur wieder abgewandt hatte, versetzte ich ihm, mich über den Tisch lehnend, die ihm zugedachte Ohrfeige; dann zog ich mich eilends zurück, griff nach meinem vor dem Fenster stehenden Hut und lief, so schnell es ging, – daß ich angetrunken war, sagt ich schon – der Tür zu. Er aber schrie überlaut: ›Was? was ist das?‹ und ohne sich an das Zerbrechen der Gläser im geringsten zu kehren, warf er den Tisch um, und stürzte mir nach. Ich gestehe, das lag außer meiner Erwartung und Berechnung, ich stand starr und machte keine Anstalten, dem Verfolger zu entfliehen. Er faßte mich bei den Haaren und warf mich zu Boden; einige Fußtritte, die ich erhielt, schienen mir ein bloßes Vorspiel des Haupt-Angriffs. Ich blieb ruhig liegen, und wenn ich an etwas dachte, so wars an meine Frau, der das Unglück ja nicht verborgen bleiben konnte. Endlich wollten der Wirt und der Pächter Niernhäutl mich aufrichten, ich sträubte mich aber aus Leibeskräften dagegen, und gar nicht, wie sie glauben mogten, aus Eigensinn, sondern nur, um Vinckel, dessen Toben und Flachen nachzulassen schien, vielleicht, weil er mich für tot hielt, nicht durch Auf stehen zu reizen. Doch, ihre vereinten Kräfte überstiegen die meinigen, und ich befand mich früher wieder auf den Beinen, als ich befürchtet hatte. Mein erster Blick fiel in einen mir gerade gegenüber hängenden Spiegel. Ich sah, daß ich stark blutete, ich war nämlich beim Niederschlagen auf eine scharfe Kante des Tischfußes gefallen und hatte mich verletzt; schnell wischte ich mir das Blut übers ganze Gesicht und erhielt dadurch ein herzbrechendes Ansehen. In diesem Augenblick wurde Vinckel mich gewahr, und ich ihn; er kam auf mich zu, mich übermannte[427] die Furcht, und ich eilte in schnellen Sprüngen aus der Tür. Hier aber glitschte ich aus und fiel abermals zu Boden; das Weinen war mir nahe, doch Vinckel rief mir zu: ›Ei, warum läufst du so vor mir, ich komme ja bloß, um mich wieder mit dir zu vertragen; denn wenn ichs näher bedenke, so hast du so großes Unrecht nicht gehabt, und mich freuts, daß dus endlich fühlst!‹ Dabei gab er mir die Hand und richtete mich auf, ich konnte kein Wort hervorbringen, er aber zog mich an den Schenktisch, und wir tranken Vertrag miteinander, was ich gerne tat, ob ich gleich dem Frieden wenig traute. ›Es tut mir leid – sagte er – daß du dir das schändliche Loch in den Kopf gefallen hast!‹ ›Das heilt schon wieder!‹ versetzte ich höflich und nahm meinen Hut, um mich in der Stille davonzuschleichen. Schon war ich glücklich bis an die Haustür gekommen, als er mir nachrief: ›Willst du zu Haus? Wart, ich begleite dich!‹ Die Begleitung eines wilden Tiers, eines Freundes aus der Bremer Bude, wär mir ebenso lieb gewesen; aber, was war da zu machen, In wenigen Sekunden stand er bei mir und nahm meinen Arm. Ich konnte mir nicht viel Gutes versprechen, zu meinem Glück schien der Mond recht hell, auch blies der Nachtwächter schon in den Straßen. Ich faßte Mut, besonders, als es mir gelang, Vinckeln meinen Arm wieder auf sanfte Weise zu entwinden. Ich war meinem Hause bereits nah, da fragt er mich: ›Wie kam dir die Rachsucht aber so plötzlich?‹ Konnt ich was darauf antworten? Ich schwieg still und erwartete das Weitere. Er aber – so unausstehlich der Mensch ist, so liegt doch mehr Gutmütigkeit, als man denken sollte, in seiner Natur – er sagte: ›Nu, nu, wir wollen nicht weiter davon sprechen‹, gab mir die Hand und schied von mir vor meiner Haustür. Nun galts. Ich zögerte, die Tür aufzumachen, und ließ langsam mein Wasser. Der Stellmacher kam die Straße wieder herunter, er hatte vielleicht im Wirtshaus etwas vergessen, mir konnt es aber nicht wünschenswert erscheinen, nochmals mit ihm zusammentreffen, und ich trat schnell in mein Haus. ›Ists geraten – dacht ich – sogleich auszuglitschen, etwa über die Kartoffel, die dort liegt, und dich zu stellen, als ob du in deinem eigenen Hause den Kopf zerschlagen hast, oder –‹ Doch, meine Frau, die das Klingeln der Haustür nie überhört, trat schon aus der Stube, und ich mußte[428] auf etwas Haltbareres sinnen. ›Mein Gott, wie siehst du aus?‹ rief sie mir überlaut entgegen und fügte noch manches hinzu, was ich vergessen haben will. ›Wer dich beschimpft, der hast mit mir zu tun, – versetzt ich trotzig, – hast du eine Tasse Tee für mich? Ich bin stark angegriffen!‹ Damit wollt ich in die Stube treten, meine Frau gabs aber nicht zu. ›Es ist jemand darin – erwiderte sie – und du – –.‹ Sie trieb mich in die Küche, wo ich mich waschen und abtrocknen und ihr erzählen mußte, was sich zugetragen habe. Ich log entsetzlich; denn es galt eine ruhige Nacht.

›Eine Sau – sagt ich – hat er dich genannt!‹ ›Wer? wer denn?‹ unterbrach sie mich heftig. ›Hast dus nicht gehört? – versetzte ich – wer anders, als der da am Markt, der Stellmacher.‹ ›Der Schelm, der schieläugige Hund, der Nichtsnutz!‹ schrie sie so laut, daß es mich erschreckte; konnt ich doch gewiß sein, daß die Nachbarn das alles auf mich beziehen würden, obgleich ich keineswegs schiele. Dann ballte sie die Hand und rief: ›Wart! sein Weib ist drinnen, und er wird sie abholen; kommt er, so soll ihn –‹ In diesem Augenblick ging die Haustür, und an den raschen Tritten erkannte ich Vinckel auf der Stelle. ›Da ist er schon!‹ kreischte sie und wollte ihm entgegenstürzen. Ich vertrat ihr den Weg und sagte: ›Lene, solls Straßenlärm geben? Bedenke, daß es spät ist, und daß sich morgen auch etwas abmachen läßt!‹ ›Laß mich los, laß mich los, oder – ‹ Sie ergänzte ihre Rede durch einen Stoß auf die Brust, den sie mir beibrachte. Ich aber – ich hatt ihre Hand gefaßt – hielt sie, kaum wissend, was ich tat, fest. ›Ich hab dich ja schon gerächt – stotterte ich – er hat Abbitte getan, und ich hab ihm vergeben.‹ ›Was? Was hast du getan? Ihm vergeben?‹ Sie vergaß sich so weit, mir einen Schlag ins Gesicht zu versetzen; ich verfluchte meine Lüge, und doch konnt ich mich nicht überwinden, sie zu widerrufen. ›Ich bitte dich, Weib, tu mir zum ersten Mal einen Gefallen – – ‹ Meine Bitten halfen nichts, sie riß sich los und stürzte in die Stube hinein. Ich stieg Boden und stellte mich hinter den Schornstein. Droben konnt ich denn alles deutlich hören. Erst ein mörderisches Schimpfen, dann kams zur Balgerei, und Vinckel wer, an meiner Stelle hätt einige Schadenfreude unterdrückt? – schrie mehr als einmal: ›Kratzt mir nur kein Auge aus, ich hab nur zwei!‹ Endlich flogen fast zugleich Stuben- und Haustüre[429] auf, und Vinckel, samt seiner Frau, die sich unkluger-, obgleich natürlicherweise mit in den Handel gemischt hatte, hinaus. Ich hatte alle Ursache, mit meiner Lene zufrieden zu sein; denn in der Wut hatte sie Vinckels Frage, was er ihr getan, zu meiner unsäglichsten Freude mit einem spöttischen: ›Er wiss' es wohl selbst‹ beantwortet. ›Der glaubt sicher – dacht ich, als ich wieder vom Boden herunterstieg – es ist aus purer ehelicher Liebe, wegen deiner Kopfwunde, geschehen; das schadet nicht!‹ Übrigens hat Vinckel die Tierbuden-Geschichte seit jenem Abend wirklich niemals wieder aufgerührt, und es ist schwer zu sagen, ob er das aus Respekt vor meiner Lene oder vor mir selbst unterläßt. Freilich kam dabei für mich nicht viel heraus; denn die Schulkinder wußten sie schon auswendig, aber, das muß ich doch zu seiner Ehre anführen, wenn man ihn jetzt zum Zeugen aufruft, so antwortete er mit einem Schlag!

Sollte sich's ein Christenmensch vorstellen, daß ich einmal nahe daran war, aus Zaghaftigkeit, die mich abhielt, zur rechten Zeit mit einer ablehnenden Erklärung einzuspringen, ein Mörder und schnöder Giftmischer zu werden? Ich sitze eines Abends im ›Goldenen Schaf‹ hinter dem Tisch und denk an nichts Arges, an gar nichts nämlich; da tritt ein Fremder, wunderlich, sonst gut, gekleidet, herein, fordert sich Wein und setzt sich zu mir. Er begrüßt mich und sieht mich mit einem Blick an, als ob er mich gut kenne. ›Das ist‹, denk ich, ›wieder ein Bekannter und Herzensfreund, dessen Gesichtszüge und Namen nichtswürdigerweise deinem Gedächtnisse entfallen sind; lächle wenigstens und stell dich erfreut übers glückliche Zusammentreffen.‹ Ich tus und wirklich ist bald zwischen uns ein Gespräch im Gange, wie zwischen alten Bekannten, obwohl wirs, wie ich denn doch merke, nicht sind. Wir sprechen über allerlei Unglücksfälle, wie sie sich zutragen; ich erzähl ihm von einigen, die sich im letzten Jahr erhenkten und sonst entleibten; dann kommen wir aufs Einschlagen des Blitzes bei Gewittern und darauf, daß solch ein Feuer gar nicht zu löschen ist. ›Ja‹, seufz ich, ›die Welt ist ein Jammertal, man muß sich wundern, daß man bei all dem Elend doch über die Vierzig hinauskommt.‹ – ›Leute, wie Ihr‹, entgegnet er, ›könnens wohl aushalten; denn, wie das Schäfchen auch sei, ists nur ins Trockene gebracht, so gibts Milch und[430] Wolle, aber unsereiner – –‹ – Nichts ist mir verdrießlicher, als wenn man mich für einen Glückspilz hält, für ein Sonntagskind, dem jeder Wind in die Segel weht; unmutig unterbrech ich den Fremden durch die Frage, wer und was er denn sei. ›Ich bin ein Kammerjäger‹, versetzt er mit unbeschreiblicher Aufrichtigkeit, ›und also in jetzigen Zeiten, wo das Ungeziefer so schläfrig und langsam heckt, als ob sichs erst trauen lassen müßte, wie verliebte Menschen, von Haus aus ein geschlagener Mann.‹ Auf Kammerjäger hab ich von jeher wenig gehalten, zumal auf solche, die, wenn sie einem anständigen Bürger begegnen, statt die Augen demütig niederzuschlagen, ihn frech anstieren und wohl gar grüßen, ja, einen Diskurs anknüpfen, ich hab sie eigentlich mehr verachtet, als Bettelvögte; solch eine Antwort, die ein Prinz, der sich zu erkennen gibt, nicht zuversichtlicher hätte vorbringen können, mußte mich also billig befremden. ›Wagen sich Leute der Art ins Goldene Schaf?‹ denk ich und werfe auf den Fremden, der ruhig, als ob noch alles zwischen uns beim alten wäre, seine Pfeife ausklopft, einen Blick, wie etwa unser Amtmann auf mich, wenn er an mir vorbeireitet. Doch sag ich zugleich zu mir selbst: ›Laß den Menschen heut abend den Standesunterschied nicht empfinden; morgen, wenn er die Rattenjagd anstellt, weiß er sich ohnehin zu bescheiden.‹ – ›Nun, was sagt Ihr zu meinem Metier?‹ fragt er dann. ›Beneidenswert ists wohl nicht‹, erwidere ich, ›aber vermutlich hats Euch am Heiraten verhindert, und das ist doch auch für etwas anzuschlagen.‹ – ›Drückt Euch der Schuh da‹, versetzt er höhnisch, ›nun, das ist das Schicksal in Mausgestalt.‹ – ›Narr!‹ hätt ich ihm gern grob geantwortet, ›versuchs erst einmal, wie ich, dreiundzwanzig Jahre, dann reiß elende Witze.‹ Doch unterlaß ichs; denn man muß sich gegen Fremde nie zu weit herauswagen. ›Wenigstens denk ich‹, fährt er fort, ›ein Unglück, was den Menschen zum Kapaun herausfüttert, kann so groß nicht sein.‹ Dabei streicht er mir mit unangenehmer Zudringlichkeit über den Bauch. Gereizt versetz ich: ›Eben darin kann das Unglück liegen; meint Ihr, daß ein Mann, der durch Schläge fett wird, sich über seine niederträchtige Natur freut? Zum Teufel, ists denn unverschämt, wenn man für ewiges Plagen, für Arger und Verdruß ohn Ende, ein sieches, Mitleid erregendes Gesicht und einen[431] baufälligen Körper verlangt, der einen nicht durch hämische Dicke Lügen straft, sobald man einmal das Herz ausschütten will? Ich frage noch einmal, ists unverschämt?‹ – ›Ist Euch das Weib zuwider‹, gibt er zur Antwort, ›so schaffts ab. Pah!‹ Dabei jagt er den Dampf durch die Pfeife, daß er bald mit seinen gelben Katzenaugen da sitzt, wie ein Hexenmeister, wenn er den Bösen beschwört. Ich entgegne: ›Wenn Euer Hund da‹ – ich zeigte auf seinen großen, schwarzen mit langen Zottelhaaren, der sich mir mit einer Frechheit, als ob er auch Kammerjäger wäre, gerade vor die Füße gelegt hatte, ›bissig ist, so könnt Ihr ihn fortjagen, aufhenken, ersäufen; so ists aber in Christenlanden nicht mit Ehfrauen.‹ – ›Hört, lieber Mann‹, sagt er mit geheimnisvollem Gesicht und greift nach meiner Hand, die ich unglücklicherweise aus der Tasche gezogen, ›Euch ist zu helfen, nämlich, wenn Ihr Mut habt.‹ Der Teufel hat Mut genug, einzugestehen, daß er keinen hat. Ich bejah es nicht direkt, aber ich werfe mich in die Brust, trommle auf den Tisch und zwinge mir einige verwegene Blicke ab. ›An gewissen grauen Pulvern, die ich bei mir führe‹, flüstert er mir nun mit schrecklicher Stimme ins Ohr, ›verrecken nicht bloß Ratten.‹ Er nickt mir zu und drückt mir, als ob sich jetzt alles andere von selbst verstände, die Hand; weniger aus Verwirrung, als aus Angst vor dem furchtbaren Menschen, nick ich auch und erwidere den Druck. ›Wir sind also einig‹, sagt er dann, ›nun aber auch keine Silbe mehr, Meister Schnock!‹ leider hatt ich ihm meinen Namen vorher schon verraten; ›solche Geschäfte‹, entsetzlich klang mir das Wort, und der greuliche Mensch lachte dabei, als hätte er nicht einen Vergiftungsplan, sondern einen Spaß gemacht, ›lassen sich nicht in Wirtshäusern weitläuftig besprechen, morgen in der Frühe komm ich zu Euch. Gute Nacht!‹ Er steht auf und taumelt. ›Gott im Himmel!‹ denk ich, ›besoffen ist der Kerl auch –‹ allerdings wars kein Wunder; denn solange er neben mir saß, hatte er ununterbrochen getrunken – ›noch ein Glas –‹ eben bemerk ich, daß er sich einschenken läßt – ›so läufts über, dann hat er, im Rausch gehts nicht anders, gerade so viele Freunde um sich, als Menschen, und das erste, was er ausschwatzt, ist der Vergiftungsplan.‹ Richtig gerät er gleich mit dem Wirt in ein Gespräch; mich schaudert. Er läßt was fallen von krepieren; eiskalt überläufts mich. Der[432] Wirt schiebt sich die Nachtmütze weiter ins Gesicht und spricht von Gefahr; ›nun ists heraus!‹ denk ich und spüre schon was vom Kopfabschlagen im Nacken. Plötzlich klingen Himmelstöne durch von Ratten und von Speisekammer; da wirds mir klar, daß bis jetzt nicht von meiner Lene, sondern vom Ungeziefer des ›Goldenen Schafs‹ die Rede gewesen ist; unwillkürlich falt ich die Hände, aber gleich darauf fordre ich gebieterisch ein Glas Wein, um die verfänglichen Konferenzen zwischen dem Wirt und dem Fremden durch einen Gewaltstreich abzubrechen.

Der Wirt bringt mir hurtig den Wein; tierisch voll taumelt der Fremde, ungeschickt mit dem Arm gegen den Türpfosten rennend, fort, ohne sich, als ob er mich schon völlig vergessen hätte, nach mir umzusehen.

Er hatte mich vergessen; denn am andern Morgen kam er nicht, und schon am Mittag ward er zu meiner Satisfaktion wegen seiner miserabeln Hantierung und wegen Mangels an Paß und aller sonstigen Legitimation, die unsere Polizei mit Recht von Kammerjägern fordert, aus dem Ort gebracht. Übrigens hätt ich, wenn er auch nicht ausgeblieben wäre, meiner still schweigenden Zusage ungeachtet, nimmermehr zur Mordtat die Hand geboten und ihm das zu verstehen gegeben; wer wird denn auch seine Frau umbringen, bloß, weil er es einem Rattenfänger versprochen hat!

Ich habe es nicht gesagt, weil es sich von selbst versteht, daß die Sparsamkeit meines Weibes mit den Jahren zunahm, so daß sie zuletzt in jenen Geiz, der sich sein eigenes Fett nicht gönnt, ausartete. Der Wendepunkt trat ein, als sie, die immer gern geputzt ging, mir zum ersten Mal das Anschaffen eines neuen Oberrocks, den ich ihr sonst regelmäßig zu Weihnachten verehren mußte, verbot. ›Du kannst mir eine andere Weihnachtsfreude machen‹, sagte sie heimtückisch, ›dadurch nämlich, daß du mir die kleine Pfeife schenkst, deren du dich in der Werkstatt bedienst. Will sie zu rauchen anfangen?‹ dachte ich zuerst, und freute mich schon, in ihr einen Konsorten zu gewinnen; konnte sie doch mein Rauchvergnügen nicht mehr unnütze Verschwendung schelten, wenn sie selbst es teilte. Doch kam mir dies bald unwahrscheinlich vor, da mir ihre durch Keifen und Schmälen ruinierten Lungen einfielen, sie auch niemals, ausgenommen bei[433] Zahnweh, mit Pfeife und Tabak in Verbindung getreten war. ›Was kann sie denn mit der alten, halb zerbrochenen Pfeife wollen?‹ fragte ich mich, ›wärs noch die mit dem Meerschaumkopf und dem Silberbeschlag, die du sonntags trägst, aber dies elende Ding – –‹ Ich schäme mich, zu gestehen, welch törigter Einfall jetzt plötzlich meine Gedanken unterbrach. ›Ei, ei‹, dachte ich, ›sie ist doch wahrhaftig nicht so ganz übel, deine Frau; wer hätte ihr solche Aufmerksamkeit zugetraut!‹ Ich glaubte alles Ernstes – wie wars möglich? frag ich mich selbst, indem ichs erzähle, und schabe mir Rübchen – daß sie mir auch einmal eine Freude machen und mich am Weihnachtsabend mit einer neuen Pfeife anbinden wolle. Der Heilige Abend kam heran, die beiden feierlichen Wachskerzen, die wir dem Erlöser zu Ehren zu verbrennen pflegten, wurden angesteckt, der Rosinenpudding, nebst dem mit Lorbeerblättern aufgeputzten Schweinekopf, ward auf den Tisch gestellt; im Hintergrund drohte schon die große, unhöfliche, dick mit Eisen und Messing beschlagene Postille, die mir einmal, als ich noch ein Kind war, fast den Kopf zerschmettert hätte, indem das Ungetüm ungeschlacht vom Schrank herunterplumpte, und aus der Lene mir jetzt an hohen Festtagen gerne vorlas, teils um mich am Ausgehen zu verhindern, mehr aber noch, um Gelegenheit zu haben, mir unter dem Deckmantel eines längst vermoderten geistlichen Herrn allerlei Beleidigungen und Gehässigkeiten, die keineswegs im Buche standen, zu sagen. Bevor wir uns zum Essen niedersetzten, nahm ich meine alte Pfeife, legte sie, einen Bogen weißes Papier unterbreitend, auf einen Teller und überreichte sie mit einigen scherzhaften Redensarten meiner Frau. ›Gut!‹ sagte sie, zerbrach die Pfeife und warf die Stücke gelassen aus dem Fenster. Statt aber mit dem erwarteten Gegengeschenk herauszurücken, machte sie mich darauf aufmerksam, daß ich von jetzt an wöchentlich zwanzig Kreuzer am Tabak ersparen werde. ›Und was sollen denn die zwanzig Kreuzer?‹ fragte ich giftig. ›Was sie sollen?‹ versetzte sie, ›dadurch, daß sie da sind, erfüllen sie ihren Zweck, und umso besser tun sie das, je länger sie bleiben!‹ – ›Ich sollte also nicht mehr rauchen?‹ fuhr ich auf ›Nein‹, erwiderte sie, ›das heißt, du sollst dir nicht mutwillig die Schwindsucht zuziehen, und für den Fall, daß du sie schon hättest, wird uns über kurz[434] oder lang deine Ersparnis trefflich zustatten kommen, dich davon heilen zu lassen. Glaubst du etwa, daß der Doktor dir die mit Dampf zerblasenen Lungen umsonst flickt?‹ Ich sagte nichts weiter, aber mein Entschluß war gefaßt; ich hätte ebenso leicht aufs Atemholen, als aufs Rauchen Verzicht leisten können; denn für den Raucher ist die leidige frische Luft ungenießbar, er muß sich das flaue, nüchterne Element erst mit Dampf würzen, wenn es ihn nicht anekeln soll. Ich trug daher am Morgen stillschweigend meine Sonntagspfeife, die prunkend unter dem Spiegel hing, in die Werkstatt hinunter, und erklärte meinem erstaunten Weibe, daß ich diese so lange mit der höchsten Unbarmherzigkeit strapazieren werde, bis sie mir eine weniger kostbare Stellvertreterin anschaffe. Mitleid mit dem Silberbeschlag und den Bernsteintroddeln des Prachtstücks bewogen sie zur Nachgiebigkeit, doch gewann sie durch ihre List so viel, daß ich versprach, mich an den Wochentagen mit einer billigeren Sorte Tabak begnügen zu wollen. So war sie denn in allen Dingen. Wollte ich z.B. einen Lehrjungen einstehen lassen, so ward er vorher bei uns zu Tisch gebeten, nicht, wie es schien, aus Generosität, sondern nur, um seinen Appetit auf die Probe zu stellen. Fand der junge Mensch unglücklicherweise sein Leibgericht vor, oder hatte er etwa einen weiten Marsch gemacht und konnte für zwei Personen essen, so durfte ich ihn gewiß nicht annehmen; ›wer setzt sich denn‹, sagte Lene, ›selbst den Krebs in sein Fleisch?‹ Bei solchen Gelegenheiten trug sie ihr Bestes auf und legte eifrig vor; ich dagegen, der das schlaue Manöver kannte, spielte das Mitglied eines Mäßigkeitsvereins, machte auf das Schädliche dieser oder jener Speise aufmerksam, und warnte vor Überladung, so daß die Uneingeweihten sie für die Gastfreiheit selbst, mich für den Neidhart halten mußten. Das Lächerlichste aber war wohl, daß sie sogar ihre Freundschaft und Liebe streng nach dem Grade der Eßlust und des Verdauungsvermögens ihrer Freunde und Angehörigen abmaß. Klagte jemand über seinen schwachen Magen, wies er alles zurück, ausgenommen ein Glas Wasser und den Fidibus, so wußte sie nicht zutulich genug zu tun; ›ach‹, hieß es dann, ›welch ein honoriger Mensch, wie wird er doch liebenswürdiger mit jedem Tage!‹ War das Gegenteil der Fall, glaubte einer, ein Gericht nicht besser loben zu können, als indem er zwei Mal davon nahm, so war er ein[435] Subjekt ohne Lebensart, ein Kerl, der aus Schlund und Magen zusammengesetzt sei, wie andere aus Leib und Seele. Mit ihrer einzigen Jugendfreundin, einer Gärtnersfrau, die uns alle Sonntage besuchte, stand sie im Begriff, auf immer zu brechen, bloß, weil diese an der Auszehrung litt, und schüchtern, sowie ihre Krankheit zunahm, von drei lassen Kaffee und einem Zwieback, womit sie sich anfangs begnügte, bis zu sechs Tassen und drei Zwiebäcken aufstieg; um einen Grund zu bekommen, stellte sie sich eifersüchtig auf die ledern-dürre Todesbraut – eifersüchtig nämlich – ich muß dies wohl hinzufügen – wegen meiner. Die Person starb noch zur rechten zeit, kurz vor Ausbruch des Ungewitters, das sie bedrohte, sonst würde sies erlebt haben, daß man ihre Todesseufzer für verliebte, und ihre Schwindsucht für ein Sehnsuchtfieber ausgegeben hätte. Natürlich hatte von diesem Geiz niemand mehr zu leiden, als ich, und was mich am meisten verdroß, war, daß er mit unserer Wohlhabenheit zunahm, daß das Essen, je mehr ich verdiente, umso schlechter wurde. ›Wir haben nicht Kind, noch Rind‹, sagte ich einst, durch eine Wassersuppe aufgebracht, zu ihr, ›was wir hinterlassen, kommt an wildfremde Menschen, ich begreife dein Knickern, dein Schinden und Schaben nicht.‹ – ›Was?‹ versetzte sie lebhaft, ›ists denn keine Ehre für uns, wenn die Herren vom Gericht nach unserem Tode mit Verwunderung und Respekt in ihr Inventarienbuch schreiben: Der Silberschrank war so wohl versehen, daß auch kein Löffelstiel mehr hineinging, an Leinenzeug fand sich mehr vor, als die seligen Eheleute Christopher und Magdalena Schnock in dreißig Jahren hätten auftragen können, der Schornstein wollte bersten, so voll hing er von Würsten und Schinken? Ist das nicht eine Nachrede, die uns noch im Himmel freuen, ja, in der Hölle trösten muß? Oder mögtest du, daß es von dir hieße: man kann den Hungerleider noch im Grabe pfänden, wenn man will; denn der Sarg ist nicht bezahlt, er hat sich aus der Welt gestohlen, wie ein Dieb aus dem Gefängnis, niemand kommt zu dem Seinigen, als etwa der Kirchhofwurm, wenn er sein Bankerottierer-Fleisch nicht verschmäht!‹ Sie beklagte es, daß wir nicht katholisch waren, bloß der vielen Fasttage wegen; ›in dem Glauben – sagte sie – können Leute doch was vor sich bringen, die Religion selbst bringt das Sparen mit sich, und naseweise Gesellen[436] dürfen sich nicht mockieren, wenn der Tisch nicht immer unter Fleisch brechen will.‹ Ja, sie ging zuletzt so weit, daß sie ihre ökonomischen Rücksichten auf meinen eigenen Körper ausdehnte, und mir die unnütze Anstrengung desselben, wie sie sich ausdrückte, verbot, mir z.B. die Erfüllung der ehelichen Pflichten nur selten verstattete; vermutlich, weil sie die Kosten einer Umarmung nach Heller und Pfenning abzuschätzen verstand, und weil sie nun kalkulierte, daß ich meine Kräfte nützlicher und fruchtbringender im Handwerk anlegen könne, als in der Liebe. Es war daher gewiß kein Wunder, wenn ich sie auf alle Art zu betrügen und zu hintergehen suchte, doch glückte mir dies meistens nur bis zu dem Punkt, wo ich die Absicht nicht mehr leugnen konnte, wo mir die Frucht meiner List aber dennoch schmählig entging. Ich betrachte jedes Unglück, wovon ich höre, als einen näheren oder entfernteren Verwandten, als einen Vetter von mir, der über kurz oder lang bei mir einsprechen wird; ich habe Stunden, wo ich ordentlich darüber erstaune, daß ich noch keine greuliche Missetat begangen habe, die mich dem Halsgericht überantwortet; hat man doch Exempel, daß einer morgens unschuldig, wie ein Kind, aufsteht, und abends blutbespritzt, wie ein bairischer Hiesel, zu Bette geht. Was hilft alle Vorsicht! Vorsicht ist der Ball, womit das Schicksal spielt. Der Teufel ist allenthalben, nur da nicht, wo man ihn sucht. Wer sollte glauben, daß ich das Ärgste, was mir bis jetzt begegnet ist, in meiner eigenen Speisekammer erleben mußte? Doch war es der Fall!

Aus Leckerei entschloß ich mich eines Abends, mich selbst, meinen eigenen Haushalt, zu bestehlen. Wir hatten nämlich unser Schwein eingeschlachtet, und es waren treffliche Würste gemacht worden. Von diesen Würsten erhielt ich so viel, als nötig war, um in mir den unbändigsten Wunsch nach mehr zu erregen; dann mußte ich selbst sie in die Speisekammer tragen, und sie dort so hoch aufhängen, als ob sie niemals wieder heruntergenommen werden sollten. Das Fenster der Speisekammer ging auf die Straße hinaus, unvermerkt klinkte ich es auf, ohne noch selbst zu wissen, weshalb. Die Nacht brach herein, und eine Pfanne voll magerer Kartoffeln, die mir vorgesetzt wurde, als ich zum Essen in die Stube kam, machte mich vollends desperat. ›Der Teufel soll sie[437] holen!‹ brauste ich auf, ich meinte die Kartoffeln. ›wen denn?‹ fragte Lene, ihren langen Gänsehals hinter dem Ofen hervorstreckend. ›Die Zahnschmerzen!‹ versetzte ich, legte meine Gabel nieder und drückte ein Tuch an die Backen. Bald darauf stahl ich mich aus der Tür, und umschlich, leise und behutsam, mein Haus. Es war finster genug, dicke Regenwolken verschluckten das sparsame Licht des Mondes, der verdrießlich hin und wieder aufdämmerte. Kaum hörte ich das Spinnrad meines Weibes schwirren, da stieß ich das Fenster der Speisekammer von außen auf und schwang mich mit einer Geschicklichkeit, als ob ich seit dreißig Jahren praktizierender Dieb gewesen wäre – Angst vor Ertappung gab sie mir – hinein. ›Guten Abend!‹ ruft mir auf einmal mit hohler Stimme einer nach. ›Still, still, ums Himmels willen, still!‹ wispere ich. ›Sei unbesorgt, Kamerad‹, wird mir geantwortet, ›aber hilf mir, daß ich auch hineingelange, das Fenster ist verdammt hoch.‹ Was sollte ich tun? Sollte ich Lärm machen, und mich von Kindern und Erwachsenen als einen Menschen, der bei sich selbst auf Diebereien ausgeht, verspotten lassen? Oder sollt ich den Unbekannten, wie ers verlangte, zu mir hereinziehen, um ihn dann im Finstern durch gütliche Vorstellungen zu bewegen, wieder hinauszusteigen? Ich weiß noch nicht, was ich hätte tun sollen; meine Hand war eilfertiger, als mein Kopf, sie ergriff, ohne auf höhere Ordre zu warten, instinktmäßig die Faust, die sich ihr entgegenstreckte, und zog den Kerl, dem dieselbe angehörte, herein. ›Merkwürdiges Zusammentreffen!‹ sagt dieser und tappt herum. ›Allerdings!‹ erwidere ich mit einem Seufzer. ›Ich hatte dem dicken Schnock auch einen Besuch zugedacht‹, fährt er fort, ›und wollte nur erst das Auslöschen des Lichts abwarten, da sah ich dich das Fenster öffnen. Wie konntest du dies nur bewerkstelligen, ohne vorher eine Scheibe zu knicken?‹ – ›Das ist ein Geheimnis?‹ versetzte ich zähneklappernd. ›Was du mir mitteilen mußt‹, fällt er rasch ein, ›ich will dir dafür eine neue Art, Handschellen zu zerbrechen, lehren. Wo hast Du studiert?‹ – frage ich. ›Ja, auf welcher Ohnversität, in welchem Zuchthaus, meine ich?‹ – ›Ich saß noch nicht in Zuchthäusern!‹ antwortete ich. ›Unglückseliger!‹ versetzt er, ›so bist du noch nicht ein einziges Mal absolviert, schleppst dich noch mit all deinen Sünden herum? Mich hat die Justiz schon drei Mal rein gewaschen und neu[438] frisiert. Was hast du denn alles auf'm Herzen? Ist etwas von Erheblichkeit, ein Mord, oder so was, darunter? Oder hast du deine Tugend für nichts und wieder nichts hingegeben?‹ – ›Mensch, du sprichst, als ob du der Teufel selbst Wärst?‹ stoß ich vor Entsetzen hervor. ›Wer sagt dir, daß ichs nicht bin?‹ sagt er mit einem Ernst, der mich im ersten Augenblick schaudern macht, ›wahrlich, ich sage dir, ich bin der Teufel, und ich will dir etwas vertrauen. Vor drei Monaten –‹ Mir wird bei diesen lästerlichen Redensarten gräßlich zumut, in der Ferne höre ich den Nachtwächter, auch klärt der Himmel sich auf, so daß der erste Vorübergehende das Offenstehen des Fensters bemerken muß; rasch, ehe der unheimliche Mensch sich dessen versieht, springe ich hinaus, beim Sprung kommt mir aber die Zunge zwischen die Zähne, und ich zerbeiße sie dermaßen, daß Blut läuft und ich mich vor Schmerz nicht zu lassen weiß. Ich reiße die Tür auf und stürze mit dem lauten Geschrei: ›Diebe, Diebe in der Speisekammer!‹ in mein Haus. Meine Frau, nebst meinem Gesellen – es war der größte, den ich jemals hatte, ein Mensch, der sich, wie er sagte, vor niemand fürchtete, als vor sich selbst, vor seiner eigenen Wut nämlich – eilen schlaftrunken mit einem Licht auf die Speisekammer zu, ich – der Spitzbube, der sich für den Teufel ausgab, konnte in mich unmöglich den Konsorten erkennen, weil wir ja nur in der dicksten Finsternis Vertraute geworden waren – folgte ihnen mit einem Besenstiel. Wir finden nichts drinnen, keinen Dieb, aber auch keine Würste; Lene taumelt mir ohnmächtig in die Arme – nur Ohnmachten trieben sie noch zuweilen hinein – mein Gesell nimmt, die fürchterlichsten Flüche aus stoßend, die allgemeine Verwirrung wahr und bringt ein Stock Speck auf die Seite, was mir freilich nicht entging, was ich dem Riesen jedoch hingehen ließ. Was geschieht am anderen Morgen?

Ein Knurren, Bellen und Beißen, wie von zwanzig Hunden, treibt mich vor der Zeit aus dem Bett; ich öffne das Fenster und sehe daß sämtliche Würste, zu einer Art von Kranz ineinander verschränkt, vor unserer Tür aufgehängt sind, und daß die durch den leckeren Geruch herbeigelockten Köter, springend und einer den anderen giftig beim Schwanz zurückzerrend, sich umsonst bemühen, eine oder einige davon zu erlangen. Ein solcher Aus gang war nun zwar erfreulich, aber noch mehr unbegreiflich. Ein[439] paar Tage später erfuhr ich indes, daß ein Übeltäter aus unserem Ort wegen Wahnsinns aus dem Zuchthaus in die Irrenanstalt abgeführt, seinen Wächtern unterwegs entsprungen und erst nach längerer Zeit wieder eingefangen worden sei. Ohne Zweifel hatte ich die Bekanntschaft dieses Verrückten in meiner Speisekammer ge macht.«

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 3, München 1963, S. 403-440.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schnock
Sammtliche Werke (9 ); Schnock. Erzahlungen Und Novellen. Reiseeindrucke
Schnock
Schnock: Ein Niederlandisches Gemalde (Dodo Press)
Schnock ein niederländisches Gemälde
Friedrich Hebbel's Smmtliche Werke: Bd. Schnock; Erzhlungen Und Novellen; Reiseeindrcke (German Edition)

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon