Hymnus an das Leben

Du, brausend aus ewig schwangerer Nacht

Und ewig zeugendem Lichte,

Aus feuchtem Brodem und Glut entfacht,

Verwegenstes der Gedichte:

Geträumt von Gott, dem ursprünglichen Geist,

Dem Grund des Abgrunds entquollen,

Du, das da schäumt und zittert und kreist –


Wie rollen


Geheimnisvoll die Rhythmen des Alls

Durch deine dämonischen Fluten,

Im Wirbel der Wollust, im Schrei des Metalls,

In gewitterflammenden Ruten!

Im adlerschwebenden Gletschersang

Der unbesieglichen Seelen,

Im schattendämmernden Untergang –


In Höhlen


Der schwelenden Wut und des heimlichen Leids,

Im Feuer der stolzen Empörung,

In blühender Rosen berückendem Reiz,

In seliger Sehnsucht Erhörung.

In lachender Laune weltheiterem Laut,

In Genien, der Urkraft ergeben,

Was da atmet und schwingt, was da leuchtet und taut:


Du Leben!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 1,18.
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