Zwischensommer

[56] Ich habe den Sommer genossen

In selbstgenügsamer Ruh,

Den roten Vorhang geschlossen,

Drängte die Sonne sich zu.


Verstohlen spielten die Strahlen

Zum blinkenden Ofenring,

Auf rosaroten Sandalen

Die Sonne durchs Zimmer ging.


So lag ich in stillender Kühle,

So lag ich in reifender Rast

Auf golddurchwobenem Pfühle

Und habe mich selber erfaßt.


Ich habe gelauscht und getrunken

Meiner Jugend wirbelnden Gischt,

Da ist es in schäumenden Funken

Noch einmal emporgezischt.


All mein verwegenes Wollen,

All mein messianischer Mut,

Rollen hört' ich und grollen

Die glühende Willensflut ...
[57]

Ich habe den Sommer genossen

In selbstgenügsamer Ruh,

Den roten Vorhang geschlossen,

Drängte die Sonne sich zu.


Nun schüttet kristallene Bläue

Der Herbst in mein offnes Gemach,

Schwebend in eigener Treue

Schau' ich der sinkenden Sonne nach.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 56-58.
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