|
[4] Berlin
Grauweißer Nebel lastet kalt und feucht,
Trüb flimmert's von den schwarzen Schifferkähnen,
Am Brückenrande laßt mich einsam lehnen,
Im Arm gestützt, das Haupt hinausgebeugt!
Der Weltstadt Wirbel braust an mir vorüber,
Laut donnernd rollt's vor meinem Ohre hin,
Die Schifferlampen flimmern trüb und trüber,
In Nacht und Nebel weht mein Sinn.
O stolzes Herz, weltschöpfender Titan,
Quellfrischer Mut, du machtlos mächtig Wollen,
Hörst du des Lebens Speichen dröhnend rollen?
Du bist ein Nichts in deinem Schwärmerwahn.[4]
Nach Atzung schreit, nach Atzung rennt das Leben,
Der Magen herrscht, der hungrige Despot,
Du Tor, du Narr, laß ab von deinem Streben
Und sei wie sie und such dein Brot!
Sänftigt dein Wort der Millionen Weh?
Ach nein, sie schwitzen Blut, indes du dichtest!
Was frommt es, daß du segnest oder richtest?
Was ist ein Tröpflein Trost im Tränensee?
Geh, greif zum Hammer und zur Linnenbluse
Und leg den schwachen Griffel aus der Hand,
Es ist kein Raum auf Erden für die Muse,
Dort oben ist ihr Heimatland.
Du willst Prophet, willst Menschheitsführer sein,
Nicht, wie das Laffenpack, in Versen lügen,
Willst mit der Wahrheit eisig-ernsten Zügen
Die Welt vom Schleier ihres Trugs befrein?
Glaubst du, der Pöbel kommt zu deinem Spiegel,
Erbebt vor Schreck und eilt hindann bekehrt?
Glaubst du, aus deiner Dichtung Läutrungstiegel
Ersteht die Menschheit goldgeklärt?
O dumpfe Qual! der Nebel ballt sich dicht,
Gestaltenlos umflort er meine Augen,
Gebt Luft und Licht, sie brünstig einzusaugen!
Dies öde Nebelchaos trag ich nicht.[5]
Schwer, wie der Brockenriese, preßt's mich nieder,
Ich ringe, bete, flehe – laßt mich frei!
Fröstelnd erschauern meine müden Glieder –
O, wär's auf immerdar vorbei! ...
Und doch! Wach auf aus deiner Seelenpein,
Zieh stolz und freudig fürder deine Bahnen,
Und zweifelst du, laß eines dich gemahnen:
Nicht Lügnerin kann Mutter Erde sein.
Aus ihrem Schoß ist auch dein Leib entsprungen,
Ihr heißer Kuß drückt' ein des Dichters Mal,
Wenn, ihrer wert, du einst dein Lied gesungen,
Freut sie sich segnend ihrer Wahl.
Und sieh! Die Nebelballen flattern scheu,
Schon streift mein Blick die dunstgelösten Wogen,
Und über, unter mir hinweggezogen
Ist jäh der Schleier, und ich atme neu.
Die Sterne glühn in ihrem milden Glanze,
Im Wasser spiegelt sich ihr reines Licht,
Nun auf, nun auf zum Geisteswaffentanze!
Hoch schwillt der Mut – ich zage nicht.
Buchempfehlung
Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro