Majestätsbeleidigung

[141] Der Königl. Erste Staatsanwalt Akt-Z. V I.-Nr. 1000/91 T.-B. Nr. V. 12817


Magdeburg, 22. Dez. 1891


In dem Verfahren wider Ihren Ehemann, den Schriftsteller Heinrich Peus, wegen Vergehens gegen § 95 St.-G.-B., erhalten Sie auf Ihre Eingabe vom 19. d.M. hierdurch zum Bescheide, daß ich bei aller Anerkennung Ihrer traurigen Lage zu meinem Bedauern nicht in der Lage bin, die Haftentlassung Ihres Mannes, der eine schwere Strafe zu gewärtigen hat, vom Amts wegen zu befürworten.


An Frau Minna Peus, geb. Leinau, zu Dessau.


Der Satan wurde Staatsanwalt,

Sein Herz, das war wie Eis so kalt.

Gott gab im Zorne dem Geschmeiß

Zum Busen einen Kübel Eis,

Und wo sonst Menschen Mitleid fühlen,

Da konnte man Champagner kühlen.


Zu Magdeburg in Vorhaft saß

Ein Sozialist, der jüngst vergaß,

Daß hoch im deutschen Vaterland

Ein Götze thront, S.M. genannt,

Des heiligen Namen zu betasten

Genügt, verbrechrisch zu belasten.
[142]

Zum Schutze solcher Majestät

Sind diesem Götzen früh und spät

Vom Mummelsee bis Helgoland

Viel Götzenwächter vorgespannt,

Die jedem Lästerer des Götzen

Das Messer des Gesetzes wetzen.


Zu Dessau lag mit reifem Leib

Im Wochenbett ein junges Weib.

Sie sah die schwere Stunde kommen

Und schrieb und bat so angstbeklommen

Den Büttelvogt: »O laßt's geschehn!

Darf ich ihn nicht noch einmal sehn?!«


Sie fleht' und schrieb zum andern Mal

In Finsternis und Seelenqual.

Vor ihren Augen fuhr der Tod

Schon auf sie zu in schwarzem Boot,

Und schaukelnd schwamm auf fahlem Teiche

Das Wieglein mit der kleinen Leiche.


Da, wie sie gell um Hilfe rief,

Bracht' ihr die Wärterin den Brief –

Vom Mann, zum Trost in Pein und Gram?

O nein! Die Weihnachtsbotschaft kam

Vom Staatsanwalt. So schloß sein Schreiben:

»Bedaure sehr, Ihr Mann muß bleiben!
[143]

Wir lassen keinesfalls ihn los,

Dafür ist seine Schuld zu groß.

Man wird ihn schwer bestrafen müssen ...«

Das arme Weib sank in die Kissen

– Ein jäher Schrei durch Mark und Bein! –

Und starb. Hier steht ihr Leichenstein:


»Im Reich der Gottesfurcht allhie

Zur Zeit der Schmach ward schwanger sie.

Ihr Mann fiel in des Satans Krallen,

Da hat es Gott dem Herrn gefallen,

Und nahm sie zu sich in der Nacht

Der majestätischen Niedertracht.«

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 141-144.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon