»Vornehm«

[199] Freund, sieh dir die »vornehmen« Damen,

Mutter und Tochter mal an,

Die wandelnden Selbstreklamen

Für jeden meistbietenden Mann!

Die streichen regelmäßig

Jeden Tag von zwei bis vier

Straßauf, straßab, gefräßig

Nach jedem »vornehmen« Tier.


Der Tochter verschämtes Blicken

Ist Buhlsucht von A bis Z,

Doch wünschst du sie zu – beglücken,

Stopf einen Geldsack ins Bett!

Der Mama dummschlaues Schielen

Erinnert dich aus Bordell,

Ins goldene Zentrum zu zielen,

Ermahnt sie ihr Tochtergestell.


Ihre Kleider sind geschnitten

Aus dem letzten Wiener Journal,

Sie lieben diskrete Sitten

Und einen konkreten Gemahl.

Sie machen die täglichen Touren

So »respektabel« wie nie,

Sie halten sich niemals für Huren

Und sind weit gemeiner wie sie.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 199-200.
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