Weihnachtsaat

[302] Gen Himmel groß durch Winterland

Und weiße Sternennacht,

Ein Sämann schreitet bis zum Rand

Der fernsten Wehr und Wacht.


Er schreitet mit gewaltigem Schritt

Den Riesenacker ab

Und mißt den blutigen Ernteschnitt

An Helm und Kreuz und Grab.


Vor manchem Hügel schneeumhüllt,

Da stockt des Sämanns Fuß,

Er neigt das Haupt, von Schmerz erfüllt,

Und beut der Ehrfurcht Gruß.


Dann richtet sich sein Rücken fest,

Nach Gottes Ruf und Rat

Schwingt er den Arm, und fallen läßt

Er segnend seine Saat.


Und wenn ein Saatkorn fällt, so sprießt

In freier Heimat Grund,

Die Kampf und Not zusammenschließt,

Ein neuer Menschenbund.
[303]

Und wo zu Kindesweisen hell

Erwacht der Lichter Schein,

Tief springt im Herzen auf ein Quell,

Der löscht der Mütter Pein.


Und wo sich heimlich um Verlust

Die Seele sorgt und müht,

Da geht ein Stern auf in der Brust,

Der Stern der Zukunft glüht.


Das wirkt des großen Sämanns Hand

In weißer Weihenacht,

Er wirft die heilige Saat ins Land

Der deutschen Liebesmacht.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 302-304.
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